Spruch:
Der dem Gründeigentümer durch § 13 der steiermärkischen Bauordnung eingeräumte privatrechtliche Anspruch auf Benützung des Nachbargrundstücks zur Vornahme von Erhaltungsarbeiten an seinem Haus kann mit Klage im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden
OGH 12. 9. 1972, 5 Ob 154/72 (KG Leoben R 232/72; BG Leoben 5 C 9/72)
Text
Mit der am 8. 9. 1971 eingebrachten Klage begehrte der Kläger als Alleineigentümer des Hauses in L, S-Gasse 22, von den beiden Beklagten als den Miteigentümern der Nachbarliegenschaft, ihm zu gestatten, ein tragbares Gerüst des Malermeisters R an dem schmalen Grundstreifen an der Grenze zwischen ihrer Liegenschaft und der Wand seines Hauses aufstellen zu lassen und dem Kläger das Anstreichen der Wand seines Hauses zu ermöglichen. Der Kläger habe sein freistehendes und der Witterung besonders ausgesetztes Haus bereits von drei Seiten verputzen und malen lassen, könne dies wegen der Verweigerung des notwendigen Zutrittes auf dem Grundstück der beklagten Parteien aber nicht hinsichtlich der vierten Seite. Er mache also für sein Duldungsbegehren Notstand nach § 1306a ABGB geltend, um im Interesse der Instandhaltung des Hauses auch diese Seite seines Hauses malen und verputzen lassen zu können. Er stütze sein Begehren auch auf § 13 stmk BauO.
Die beklagten Parteien beantragten Klageabweisung. Wenn der Kläger sein Begehren auch auf die stmk BauO stütze, werde Unzulässigkeit des Rechtsweges eingewendet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Seine Feststellungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß das 1963/1964 erbaute Haus des Klägers im Zusammenhang mit der Installierung einer Gaszentralheizung zur besseren Abdichtung gegen Witterungseinflüsse und Senkung der Heizungskosten einen Plastikanstrich erhalten solle und dies auf drei Seiten des Hauses auch schon geschehen sei. Zum Anstreichen der vierten Seite sei die Benützung einer Rasenfläche der Beklagten zum Aufstellen des Gerüstes und zur Lagerung der Malerutensilien erforderlich, weil das Haus unmittelbar an der Grundstücksgrenze der Streitteile stehe.
Das Erstgericht erachtete ein Recht des Klägers auf Inanspruchnahme des Nachbargrundstückes in welcher Form auch immer zum Anstreichen der Hauswand zum Zwecke der Herabsetzung der Heizungskosten nicht als gegeben. Vom Vorliegen eines Notstandes könne diesbezüglich keine Rede sein. § 13 stmk BauO solle nur die Vornahme der notwendigen Erhaltungsarbeiten erleichtern und könne daher das Klagebegehren nicht rechtfertigen, weil die durchzuführenden Arbeiten keine Erhaltungsarbeiten seien.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei als nichtig auf und wies die Klage zurück. Ausgehend von der Behauptung des Klägers, er beabsichtige nur Erhaltungsarbeiten, sei der geltend gemachte Anspruch allein der Bestimmung des § 13 stmk BauO zu unterstellen. Es existiere kein anderes Gesetz, aus dem der Anspruch ableitbar wäre. Bei dem Hinweis auf einen Notstand iS des § 1306a ABGB und die Bestimmungen der § 364 Abs 1, § 1295 Abs 2 ABGB handle es sich bloß um rechtliche Konstruktionen, die nichts daran ändern könnten, daß die Rechtsgrundlage für den Klageanspruch allein die Bestimmung des § 13 stmk BauO sei. Es handle sich daher aber um eine öffentlich-rechtliche Norm, die ein subjektivöffentliches Recht des Liegenschaftseigentümers einräume, das Nachbargrundstück unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend benützen zu dürfen. Da zur Vollziehung dieser Norm die Baubehörden (Gemeindebehörden) berufen seien, sei für Streitfragen über diesen Anspruch die Baubehörde (Verwaltungsbehörde) und nicht das Zivilrecht zur Entscheidung zuständig. Damit gelangte das Berufungsgericht gemäß § 477 Abs 1 Z 6, § 471 Z 7, § 473 Abs 1, u. § 478 Abs 1 ZPO von Amts wegen zur Aufhebung des Urteils und des vorangegangenen Verfahrens sowie zur Zurückweisung der Klage wegen Nichtigkeit.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht auf, über die Berufung des Klägers unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungsgrund neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Für die Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges sind sowohl der Wortlaut des Klagebegehrens wie auch die Natur des geltend gemachten Anspruches maßgebend (Fasching I 60, 260; 5 Ob 62/71). Im vorliegenden Falle begehrt nun der Kläger von den Beklagten als Grundnachbarn eine vorübergehende Benützung ihres Gründes zur Aufstellung eines Malergerüstes zur Ermöglichung des Anstreichens einer Außenwand seines an der Grundgrenze befindlichen Hauses. Der von ihm sohin geltend gemachte Anspruch, ihm den Zutritt und die Benützung des Nachbargrundstückes zu gestatten, ist ein privatrechtlicher Anspruch (vgl RZ 1971, 31). Gemäß § 1 JN ist ein privatrechtlicher Anspruch grundsätzlich beim ordentlichen Gericht geltend zu machen, sofern nicht ein besonderes Gesetz etwas anderes bestimmt. Der Kläger hat nun den geltend gemachten Anspruch in der Klage und in seinen weiteren Ausführungen im Zuge des Verfahrens auf einen diesbezüglich herrschenden Notstand iS des § 1306a ABGB gestützt, des weiteren aber auch die Bestimmung des § 1 stmk BauO hiefür herangezogen. Danach hat der Eigentümer eines Grundstückes zur Erhaltung von Bauten an der Grundgrenze gegen Ersatz des Schadens zu dulden, daß sein Grundstück vom Nachbargrundstück aus im unbedingt erforderlichen Ausmaß betreten wird und die notwendigen Gerüste aufgestellt werden, wenn sonst die Erhaltungsarbeiten nicht bewerkstelligt werden könnten. Der Gesetzgeber läßt aber aus der angeführten Formulierung der Bestimmung nicht erkennen, ob die Verwaltungsbehörde (Baubehörde) oder das zuständige Zivilgericht zu entscheiden hätten, wenn der Grundnachbar sich weigert, die Aufstellung der Gerüste und das Betreten seines Grundstückes zu dulden. Die stmk BauO LGBl 1968/149 enthält nämlich im Gegensatz zu anderen vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen (ua § 126 WrBauO, § 25 Abs 1 und 2 nöBauO) keine Bestimmung, wonach in diesem Streitfalle die Verwaltungsbehörde (nämlich etwa die Baubehörde) zu entscheiden hätte. Den vom Berufungsgericht beigeschafften Materialien zur stmk BauO ist auch kein Hinweis dafür zu entnehmen, warum hier keine diesbezüglichen Zuständigkeitsbestimmungen enthalten sind. In der Gesetzesvorlage an den Steiermärkischen Landtag, VI. GP, Einl Zl 203, Blg Nr 22, wurde zu § 50 (nunmehr § 13) der BauO bemerkt, es solle nur der Anspruch auf die vorübergehende Benützung des fremden Gründes sichergestellt werden; bisher wäre es auch in der Praxis selbstverständlich gewesen, daß der Nachbar freiwillig eine solche Inanspruchnahme geduldet habe. Die Nichtbefolgung der Bestimmungen des § 13 stmk BauO wurde nicht unter Strafsanktion gestellt (§ 73 leg cit). Damit hat also ein besonderes Gesetz, nämlich die stmk BauO, nicht bestimmt, daß über den in § 13 statuierten privatrechtlichen Anspruch nicht das iS des § 1 JN grundsätzlich zuständige ordentliche Gericht, sondern eine andere Behörde zu entscheiden hätte. Dies kann auch im Hinblick auf Art 15 Abs 9 B-VG keinen Bedenken begegnen, weil die den Ländern im Bereich ihrer Gesetzgebung eingeräumte Befugnis, zur Regelung des Gegenstandes erforderliche Bestimmungen auf dem Gebiete des Zivilrechtes zu treffen, wohl nicht die Übertragung der gesamten Vollziehung an die Gerichte, aber doch ihre Betrauung mit der Vollziehung einzelner Bestimmungen eines Landesgesetzes zulässig macht. Daß dies im vorliegenden Falle nicht ausdrücklich zum Ausdruck gekommen ist, kann im Hinblick auf die Bestimmung des § 1 JN keine andere Beurteilung herbeiführen (vgl VfGH 13. 10. 1953 ÖJZ 1954, 210).
Bei der Überprüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges handelt es sich nur darum, ob der geltend gemachte Anspruch ein zivilrechtlicher ist, für dessen Entscheidung die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichtes nicht ausgeschlossen ist. Ein solcher Anspruch liegt sohin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes bezüglich der Bestimmung des § 13 stmk BauO vor.
Was die Ableitung dieses Anspruches aus Normen des ABGB anbelangt, wie sie von der klagenden Partei durch die Berufung auf Notstand iS des § 1306a ABGB (sowie nachbarrechtliche und Schadenersatzbestimmungen im Berufungsverfahren) durchgeführt wurde, kann dies nicht zu der Annahme führen der Klageanspruch sei in dieser Richtung gar nicht auf einen die Zulässigkeit des Rechtsweges jedenfalls in Anspruch nehmenden Rechtsgrund gestützt, nur weil er dort keine Rechtfertigung finden könne. In einem solchen Falle wird die Klage abzuweisen sein. Beim vorliegenden Stande des Verfahrens ist jedoch die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges von der Frage zu trennen, ob die Klage auch begrundet ist (vgl SZ 24/59).
Da die Natur des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs eine Geltendmachung im Rechtswege nicht ausschließt, hat das Berufungsgericht sohin zu Unrecht das Urteil der ersten Instanz und das Verfahren ab Klagezustellung für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen. Es war dem Rekurse daher Folge zu geben und dem Berufungsgerichte die Sachentscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufzutragen.
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