OGH 5Ob189/71

OGH5Ob189/718.9.1971

SZ 44/126

Normen

ABGB §1102
ABGB §1102

 

Spruch:

§ 1102 ABGB gilt nicht nur für Mietzinsvorauszahlungen, sondern für alle Rechtsgeschäfte, durch die die Zinszahlungspflicht des Mieters aufgehoben wurde, also auch für die Aufrechnung, den Erlaß und den Vergleich, gleichgültig, ob es sich um eine beim Abschluß des Mietvertrages oder um eine erst nachher getroffene, aber damit im Zusammenhang stehende Vereinbarung handelt

Rechtswirkungen der Eintragung einer Zinsvorauszahlung im Grundbuch (§ 1102 ABGB)

Auch bei nicht verbücherten Bestandverträgen darf dann, wenn dem Erwerber der Liegenschaft Mietzinsvorauszahlungen des Bestandnehmers bekannt waren oder bekannt sein mußten, der Vertrauensgrundsatz nicht unbeachtet gelassen werden. Hatte der Erwerber der Liegenschaft von der Mietzinsvorauszahlung Kenntnis oder mußte er sie kennen, dann hat er sie gegen sich gelten zu lassen

OGH 8. 9. 1971, 5 Ob 189/71 (OLG Wien 6 R 37/71; LGZ Wien 22 Cg 189/70)

Text

Hubert S war Eigentümer des Hauses G, Hstraße 41, in dem die Beklagte ein Geschäftslokal gemietet hat. In dem zwischen Hubert S und der Beklagten geschlossenen Mietvertrag wurde ein monatlicher Grundmietzins von S 12.500.- vereinbart, dessen Fälligkeit jeweils am ersten eines jeden Monates im vorhinein eintreten sollte.

Am 28. 9. 1968 gewährte die Beklagte dem damaligen Hauseigentümer Hubert S ein Darlehen in der Höhe von S 75.000.- im Zusammenhang mit von ihm auf der Liegenschaft vorgenommenen Investitionen. Es wurde vereinbart, daß Hubert S das Darlehen in der Weise zurückzahle, daß die Beklagte ab 1. 1. 1969 die Hälfte des Grundmietzinses von monatlich S 6250.- einbehalte.

Am 2. 3. 1969 schloß Hubert S einen die Liegenschaft betreffenden Kaufvertrag mit der Klägerin.

Mit Beschluß des LGZ Graz vom 31. 3. 1969, 20 S 10/69 wurde über das Vermögen des Hubert S das Konkursverfahren eröffnet. In einem Nachtrag zum Kaufvertrag vom 6. 5. 1969 erklärte der Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Gemeinschuldners Hubert S, Rechtsanwalt Dr Franz K gemäß § 21 KO in den Kaufvertrag einzutreten bzw ihn zu erfüllen.

Die Klägerin schrieb erstmalig am 1. 6. 1969 der Beklagten den im Mietvertrag und in der Mietzinsliste enthaltenen Grundmietzins in der Höhe von S 12.500.- monatlich vor. Die Beklagte bezahlte aber nur die Hälfte des Grundmietzinses unter Berufung auf die Vereinbarung mit dem Voreigentümer der Liegenschaft, sodaß bis einschließlich 31. 12. 1969 eine Differenz von S 43.750.- entstand.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr den Betrag von S 43.750.- samt 4% Zinsen seit 1. 1. 1970 zu bezahlen. Die Klage wird darauf gestützt, daß die Klägerin nach dem über die gegenständliche Liegenschaft abgeschlossenen Kaufvertrag in die bestehenden Mietverträge eingetreten sei. In einer der Klägerin ausgefolgten Mietzinsliste sei der mit der Beklagten vereinbarte Grundmietzins von S 12.500.- eingetragen gewesen. Die zwischen Hubert S und der Beklagten über die Rückzahlung eines Darlehens getroffenen Vereinbarungen seien der Klägerin nicht bekannt gewesen. Eine Mietzinsvorauszahlung sei auch grundbücherlich nicht eingetragen. Die Beklagte schulde daher den restlichen Mietzins für die Zeit vom 1. 6. 1969 bis 31. 12. 1969 in der Höhe von S 43.750.-.

Die Beklagte wendete ein, daß eine mit dem Voreigentümer getroffene Abrede über die Aufrechnung von Darlehensraten mit den jeweils fällig werdenden Mietzinsen vorliege, die die Klägerin gegen sich gelten lassen müsse. Selbst wenn es sich aber um eine Mietzinsvorauszahlung handeln würde, käme § 1102 ABGB nicht zur Anwendung, weil das Bestandrecht nicht verbüchert und die Klägerin beim Erwerb der Liegenschaft bezüglich der Mietzinshöhe nicht gutgläubig gewesen sei. Die Klägerin hätte davon Kenntnis gehabt, daß nur die Hälfte des Mietzinses von der Beklagten bezahlt werde. Es hätte sich hieraus die Rechtspflicht ergeben, sich von dem Darlehen und der Vereinbarung über seine Rückzahlung Kenntnis zu verschaffen.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin den Betrag von S 37.500.- samt 4% Zinsen seit 1. 1. 1970 zu bezahlen. Das Mehrbegehren der Klägerin auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 6250.- samt 4% Zinsen seit 1. 1. 1970 wurde abgewiesen. Das Prozeßgericht ging davon aus, daß die Klägerin als Käuferin der gegenständlichen Liegenschaft in das zwischen Hubert S und der Beklagten bestandene Mietverhältnis eingetreten sei. Die Klägerin habe Rechte wie bei einer Zession der Mietzinsforderung erworben. Die Beklagte könne daher mit Gegenforderungen aufrechnen, soweit nicht nach § 1102 ABGB eine abweichende Regelung getroffen worden sei. Nach der angeführten Gesetzesstelle, die nicht nur für Mietzinsvorauszahlungen, sondern für alle Rechtsgeschäfte gelte, könne aber lediglich der Abzug des halben Grundmietzinses für die erste Zinsperiode (Juni 1969) als zulässig angesehen werden. Für die Zeit ab 1. 7. 1969 könne die Klägerin einen Mietzinsabzug nicht mehr vornehmen. Mangels einer grundbücherlichen Eintragung einer Vorauszahlung habe die Klägerin Anspruch auf den vollen Mietzins. Ob die Klägerin beim Erwerb der Liegenschaft gutgläubig gewesen sei, sei gemäß § 1102 ABGB ohne Belang.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozeßgerichtes, das in seinem den Betrag von S 6250.- sA abweisenden Ausspruch unangefochten blieb, in seinem stattgebenden Ausspruch. Das Gericht zweiter Instanz übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und billigte im Wesen die vom Prozeßgericht vertretene Rechtsauffassung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob die Urteile der Untergerichte im Ausspruch über die Zuerkennung eines Betrages von S 37.500.- samt 4% Zinsen seit 1. 1. 1970 an den Kläger sowie im Ausspruch über die Prozeßkosten auf und verwies die Rechtssache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es trifft zu, daß der Erwerber eines Hauses, wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Klang[2] V 130;

Ehrenzweig 2 II/1, 448) ausgesprochen hat (SZ 31/20; SZ 32/89;

MietSlg 8680, 8681, 16.169, 17.227 - 17.230, 19.161, 20.191, 20.193, 21.237, 21.238), in alle Bestimmungen der bestehenden Mietverträge mit Ausnahme jener über die Dauer des Mietverhältnisses und über längere als die gesetzlichen Kündigungsfristen eintritt, auch wenn er einzelne Abreden nicht kannte. Dieser Grundsatz erfährt allerdings eine Einschränkung durch die Bestimmung des § 1102 ABGB, wonach der Bestandnehmer, der mehr als eine Fristzahlung vorausgeleistet hat, dieselbe einem später eingetragenen Gläubiger oder einem neuen Eigentümer nur dann entgegensetzen kann, wenn sie im öffentlichen Buch ersichtlich gemacht wird. § 1102 ABGB regelt die Fälle der verbücherten Bestandverträge, bei denen die Zinsvorauszahlung grundbücherlich angemerkt wurde. Die angeführte Gesetzesstelle gilt nicht nur für Mietzinsvorauszahlungen, sondern für alle Rechtsgeschäfte, durch die die Zinszahlungspflicht des Mieters aufgehoben wurde, also auch für die Aufrechnung, den Erlaß und den Vergleich (Klang[2] V 76), gleichgültig, ob es sich um eine beim Abschluß des Mietvertrages oder um eine nach dem Abschluß des Bestandvertrages getroffene, aber damit im Zusammenhang stehende Vereinbarung handelt. Der Zweck der grundbücherlichen Eintragung ist, wie der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat (1 Ob 264/70), die Ersichtlichmachung, daß bei der in Betracht kommenden Liegenschaft für eine gewisse Zeit bestimmte Zinseingänge, mit denen ein Dritter sonst rechnen konnte, nicht zu erwarten sind. Eine derartige Eintragung hat also nur die Wirkung, daß sich ein Dritter auf die Unkenntnis dieser Tatsache nicht berufen kann. Besteht aber eine Diskrepanz zwischen dem Grundbuchsstand und der wahren Rechtslage, dann kann sich der, welcher die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Buch und den tatsächlichen Verhältnissen kannte oder kennen mußte, auf das öffentliche Buch, wie der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat (1 Ob 264/70), auch im Falle des § 1102 ABGB nicht berufen.

Was die Frage anlangt, was bei nichtverbücherten Bestandverträgen rechtens ist, wenn dem Erwerber einer Liegenschaft Mietzinsvorauszahlungen des Bestandnehmers bekannt waren oder bekannt sein mußten, so darf auch hier der Vertrauensgrundsatz, wie der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat (SZ 28/225; SZ 39/197; 1 Ob 264/70), nicht unbeachtet gelassen werden. Hatte der Erwerber der Liegenschaft von der Mietzinsvorauszahlung Kenntnis oder mußte er sie kennen, dann hat er sie gegen sich gelten zu lassen.

Der Revisionswerberin ist beizupflichten, daß sie in der Klagebeantwortung und bei der Verhandlung vom 25. 11. 1970 die Behauptung aufgestellt hat, die Klägerin habe beim Abschluß des Kaufvertrages Kenntnis davon gehabt, daß die Beklagte nur die Hälfte des Grundmietzinses bezahle. Die Klägerin sei auch von der Gebarung des Gemeinschuldners Hubert S unterrichtet gewesen. Sie hätte eine Erkündigungspflicht getroffen. Das Prozeßgericht hat, von der von ihm vertretenen Rechtsauffassung ausgehend, Feststellungen darüber unterlassen, ob die Klägerin Kenntnis davon hatte, daß die Beklagte dem Gemeinschuldner Hubert S einen Betrag von S 75.000.-, der zwar als Darlehen bezeichnet wurde, nach der Absicht der Parteien aber eine Zinsvorauszahlung darstellen sollte, für auf der Liegenschaft EZ X vorgenommene Investitionen geleistet und dafür den Einbehalt der Hälfte des monatlichen Grundzinses vereinbart hatte. Auch darüber, ob die Klägerin auf Grund der Zinslisten oder anderer Umstände in Kenntnis davon war, daß die Beklagte seit 1. 1. 1969 nur den halben Grundzins bezahlt hatte, und ob auf Grund dieser Umstände unschwer erkennbar war, daß eine Mietzinsvorauszahlung vorliegt, liegen keine tatsächlichen Feststellungen vor. Wurden aber die angeführten Tatsachen nicht erhoben, dann liegen Feststellungsmängel vor und ist die Sache noch nicht spruchreif.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Prozeßgericht die fehlenden Feststellungen darüber nachzutragen haben, ob der Klägerin die zwischen dem Gemeinschuldner Hubert S und der Beklagten getroffenen Vereinbarungen über den Betrag von S 75.000.- für Investitionen an der gegenständlichen Liegenschaft und seine Rückerstattung durch Entrichtung lediglich des halben Grundzinses bekannt waren. Nicht nur die Leistung von Baukostenbeiträgen (SZ 28/225), sondern auch die Gewährung eines Betrages für Auslagen zur Erhaltung der Liegenschaft kommt dabei als Zinsvorauszahlung in Betracht.

Hatte die Klägerin zwar keine Kenntnis von den getroffenen Vereinbarungen, dann ist es von Belang, ob ihr nicht auf Grund der ihr übermittelten Zinslisten bekannt war, daß die Beklagte nur die Hälfte des vereinbarten Grundzinses vorgeschrieben erhielt. Wohl kann dem Käufer einer Liegenschaft keine Pflicht zu weitwendigen Erhebungen darüber auferlegt werden, ob nicht schon im voraus über den Mietzins verfügt wurde (MietSlg 5606; 1 Ob 264/70). Wenn aber der dem Liegenschaftskäufer bekanntgewordene Sachverhalt - ohne daß weitwendige Erhebungen notwendig waren - keinen Zweifel darüber aufkommen lassen mußte, daß eine Zinsvorauszahlung erfolgt war, und der Liegenschaftskäufer unschwer die Zinsvorauszahlung erkennen konnte, dann rechtfertigt das die Beurteilung, daß er Kenntnis von den Zinsvorauszahlungen haben mußte.

Sollte demgemäß das Erstgericht zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin die von der Beklagten dem Gemeinschuldner geleisteten Zinsvorauszahlungen kannte oder kennen mußte, wird der geltend gemachte Anspruch zu Recht bestehen. Hatte aber die Klägerin von den zwischen dem Gemeinschuldner und der Beklagten geschlossenen Vereinbarungen keine Kenntnis und mußte sie auf Grund der gegebenen Umstände auch eine Zinsvorauszahlung nicht erkennen, dann wird der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nicht als gegeben anzusehen sein.

Nicht beigetreten werden kann der Auffassung der Revisionswerberin, daß die Klägerin die gegenständliche Liegenschaft nicht vom Gemeinschuldner erworben habe, weil der Masseverwalter durch die Konkurseröffnung Eigentümer der Liegenschaft anstelle des Gemeinschuldners geworden sei. Durch die Eröffnung des Konkurses wird nach § 1 KO zwar das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen des Gemeinschuldners seiner freien Verfügung entzogen. Die Konkursmasse bildet aber kein selbständiges Rechtsobjekt, sondern, wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Bartsch - Pollak, Konkursordnung[3] I, 35 Anm 55 zu § 1 KO) ausgesprochen hat (JBl 1930, 452; SZ 14/233), weiterhin ein Vermögen des Gemeinschuldners. Er bleibt somit Eigentümer der Liegenschaft. Der Masseverwalter hingegen stellt ein Organ dar, dessen Befugnisse und Pflichten in den Bestimmungen der §§ 81 f KO geregelt sind. Als Organ des Konkursverfahrens trat der Masseverwalter auch iS des § 21 KO in dem vom Gemeinschuldner geschlossenen Kaufvertrag ein und erklärte ihn zu erfüllen. Gleichzeitig gab er die Aufsandungserklärung ab (20 S 10/69-13 des LGZ Graz). Diese Auffassung kommt im Ergebnis auch in den vom Revisionswerber zitierten Ausführungen von Lehmann, Kommentar zur Konkursordnung I, 146 f, die in der Revision mißverständlich ausgelegt werden, zum Ausdruck.

Es kann aber auch nicht der Abschluß einer neuen Vereinbarung oder ein die Klägerin bindendes Zugeständnis darin erblickt werden, daß der Masseverwalter nach der Eröffnung des Konkurses ebenso wie vorher der Gemeinschuldner es dabei bewenden ließ, daß die Beklagte nur die Hälfte des Grundzinses bezahlte. Erst mit Wirksamkeit vom 1. 6. 1969 wurde nach den Feststellungen der Untergerichte die Liegenschaft mit allen Nutzen und Lasten der Klägerin übergeben. Mit diesem Zeitpunkt trat der Wechsel im Eigentum ein, und damit war ein anderer Vermieter vorhanden, der die Wirksamkeit der Zinsvorauszahlungen nur unter den obigen Voraussetzungen gegen sich gelten zu lassen brauchte.

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