Spruch:
Auch der Vereinbarung einer Goldklausel kommt unter Umständen eine gewisse rechtliche Bedeutung zu
OGH 29. 4. 1971, 1 Ob 108/71 (LG Klagenfurt 1 R 685/70; BG St Veit an der Glan C 1024/69)
Text
Mit vom Kläger unterfertigten Schuldschein vom 31. 10. 1934 bestätigte der Kläger, von der Beklagten, seiner Schwester, ein Darlehen von S 3000- erhalten zu haben und ihr den Betrag von 2343.75 Goldschilling zu schulden. Er verpflichtete sich, die Darlehensschuld der Beklagten gegen vorausgegangene einjährige formlose Aufkündigung in der jeweils geltenden Währung unter Zugrundelegung des Kurses 100 Goldschilling = 128 Papierschilling zurückzuzahlen. Er räumte der Beklagten das Mitbenützungsrecht der zum Pfand bestellten Liegenschaft EZ 955 KG St V, die nur aus der Wiese 309/7 bestand, ein, wofür die Beklagte nicht berechtigt war, von der Darlehenssumme Zinsen zu begehren. Das Mitbenützungsrecht sollte nach Rückzahlung des Darlehensbetrages erlöschen. Auf der EZ 955 KG St V erbaute der Kläger ein Wohnhaus mit drei Wohnungen.
Mit einem an seine Mutter gerichteten Schreiben ohne Datum (Beilage ./5) hatte der Kläger sie und die Beklagte gebeten, die Schulden bei B und E abtragen zu helfen, da er sonst gezwungen wäre, "unsere aller Heimat" freiwillig versteigern zu lassen.
Mit einem Nachtrag zum notariellen Schuldschein vom 25. 8. 1936 räumte der Kläger der Beklagten und Ursula M, beider Mutter, zur ungeteilten Hand das Fruchtgenußrecht an der im Wohnhaus im Keller gelegenen Wohnung für so lange, bis die Darlehensforderung aus dem Schuldschein vom 31. 10. 1934 an die Beklagte zur Gänze zurückgezahlt ist; sollte der Kläger die Beklagte oder seine Mutter in Ausübung ihres Fruchtgenußrechtes hindern, sollte die Beklagte berechtigt sein, das aushaftende Schuldkapital für fällig zu erklären und einzuklagen. Der Kläger stimmte der grundbücherlichen Sicherstellung des Fruchtgenußrechtes zu.
Am 31. 1. 1970 überwies der Kläger zur Abdeckung seiner Darlehensschuld den Betrag von S 2010.- an die Beklagte, die die Annahme des Betrages verweigerte. Er hinterlegte hierauf am 4. 2. 1970 den Betrag von S 2000.- beim Bezirksgericht St V.
Der Kläger begehrt die Räumung der Kellerwohnung durch die Beklagte wegen Beendigung des Fruchtgenußrechtes infolge Zurückzahlung des Darlehensbetrages. Die Beklagte wendete dagegen ein, der Kläger habe ihr die Benützung der Kellerwohnung auf Lebenszeit eingeräumt, sei aber jedenfalls verpflichtet, ihr den Betrag von S 60.000.-, den heutigen Wert des seinerzeit gewährten Darlehens, zu bezahlen, da ausdrücklich die Wertbeständigkeit des dem Kläger bezahlten Betrages vereinbart gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß entgegen der schriftlichen Abmachung vereinbart gewesen sei, daß der Beklagten und ihrer Mutter das Wohnungsrecht bis zu ihrem Lebensende zustehe und die Beklagte hiefür auf die Darlehensrückzahlung verzichte.
Das Berufungsgericht änderte nach Beweiswiederholung das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Räumungsbegehren stattgab. Es stellte im wesentlichen fest: Die Streitteile hätten neben dem notariellen Schuldschein und dessen Nachtrag keine Vereinbarung über die Einräumung des lebenslangen Benützungsrechtes der Kellerwohnung durch die Beklagte getroffen. Zwischen den Parteien sei nie darüber gesprochen worden, daß der Kläger den Darlehensbetrag an die Beklagte nicht zurückzahlen solle. Der Kläger habe zwar nie die Absicht gehabt, seine Mutter, die im Jahre 1950 starb, aus der Wohnung zu entfernen, sondern habe sie lebenslänglich in der Wohnung belassen wollen, habe aber auch ihr ein lebenslängliches Wohnungsrecht nicht eingeräumt. Nach der Fertigstellung des Hauses habe der Kläger die Kellerwohnung der Beklagten für sie und die Mutter mit der Erklärung zur Verfügung gestellt: "Du kannst drinnenbleiben", er habe jedoch nicht gesagt, wie lange die Beklagte in der Wohnung bleiben dürfe. Die Beklagte habe die Äußerung dahin aufgefaßt, daß die Wohnungsbenützung ein Ersatz für ein von ihr geplantes, aber nicht errichtetes Blockhaus sei. Das Berufungsgericht kam zum Ergebnis, daß der Beklagten jedoch der Nachweis einer von den schriftlichen Vereinbarungen abweichenden Gewährung eines lebenslänglichen Wohnungsrechtes nicht gelungen sei. Es legte dar, daß es sich der Ansicht des Erstgerichtes, daß schon aus der Formulierung des Schreibens des Klägers, es wäre gezwungen, "unsere aller Heimat" versteigern zu lassen, die Einräumung eines lebenslänglichen Wohnungsrechtes hervorgehe, nicht anschließen könne; die mündliche Vereinbarung wäre nach dem Standpunkt der Beklagten vor dem schriftlichen Nachtrag geschlossen worden; der Abschluß einer einer mündlichen Vereinbarung entgegenstehenden schriftlichen Vereinbarung wäre aber nicht sinnvoll.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In Bekämpfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes legt die Revision auch dar, es widerspreche Treu und Glauben, daß der Kläger der Beklagten heute S 2000.- bezahle und sie damit aller ihrer Rechte verlustig gehe, womit der Sache nach auf die von der Beklagten bei der Tagsatzung vom 15. 6. 1970 schließlich auch ausdrücklich erhobene Einwendung, das Verhalten des Klägers verstoße gegen die guten Sitten, Bezug genommen wird, nachdem die Beklagte schon vorher geltend gemacht hatte, daß der dem Kläger zugekommene Betrag heute mindestens S 60.000.- ausmache; der ihr überwiesene Betrag sei lächerlich.
Der Oberste Gerichtshof vertritt die Auffassung, daß das Verhalten des Klägers tatsächlich den guten Sitten widerstreitet. Gegen die guten Sitten verstößt, was dem Rechtsgefühl der Gemeinschaft das ist aller billig und gerecht denkenden Menschen, widerspricht. Die Gute-Sitten-Klausel soll den Richter in die Lage versetzen, bei offenbaren Rechtswidrigkeiten helfend einzugreifen (SZ 38/164; SZ 27/19). Auch das Beharren auf einer Vertragserfüllung kann dabei sittenwidrig sein, wenn aus einem Grund, der bei Vertragsabschluß nicht vorausgesehen werden konnte, durch die Vertragserfüllung der eine Kontrahent unverhältnismäßig bereichert wäre (8 Ob 179/70; EvBl 1967/175; SZ 26/105; SZ 6/172).
Die Ausnützung der Vorteile, die sich für einen Schuldner aus der Verordnung zur Regelung der auf Goldschilling und Goldkronen lautenden Schuldverhältnisse vom 21. 6. 1939, RGBl I 1037, 1056 und aus der laufenden Geldentwertung ergeben, stellt für sich allein allerdings noch keine Sittenwidrigkeit dar. Grundsätzlich kann nämlich die Absicht der Parteien, die Forderung in ihrem ursprünglichen Geldwert zu sichern, nicht berücksichtigt werden, weil die gesetzliche Aufhebung der Goldklausel diese Absicht zunichte machte und die Sache nicht anders liegt, als wenn von vornherein kein Vergleichsmaßstab vereinbart worden wäre (JBl 1967, 430; JBl 1954, 285; Stanzl in Klang[2] IV/1 728). Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung Einschränkungen von diesem Grundsatz gemacht. So hat er ausgesprochen, daß er zwar die Meinung, daß jeder Vertrag unter der clausula rebus sic stantibus geschlossen sei, ablehne, aber bei einem Vertrag mit Unterhaltscharakter doch die geänderten Verhältnisse berücksichtigt werden müßten, soweit sie bei Vertragsabschluß nicht vorausgesehen werden hätten können; nicht voraussehbar sei bei vor 1937 geschlossenen Verträgen insbesondere die spätere Unwirksamkeit einer Goldklausel wie auch die völlige Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Folge des Zweiten Weltkrieges gewesen; in einem solchen Falle verstoße das Beharren auf vertraglichen Leistungen ohne Rücksicht auf die geänderten Verhältnisse gegen die guten Sitten (MietSlg XII 44). Der Oberste Gerichtshof hat darüber hinaus in einem Fall mit vereinbarter Goldklausel, in dem allerdings vertraglich auch noch vereinbart worden war, daß im Falle eines für den Lebensunterhalt merkbaren Sinkens der Kaufkraft des Schillings im angemessenen Verhältnis mehr zu bezahlen sei, die Auffassung vertreten, daß auch eine solche Wertsicherungsklausel genügend bestimmt sei und der Übung des redlichen Verkehrs entsprechend der jeweils geltende Lebenshaltungskostenindex als vereinbarter Wertmesser zu gelten habe (MietSlg XIX/9). Er hat aber auch ausgesprochen, daß dann, wenn ein vereinbarter Wertmesser weggefallen sei, der dem weggefallenen Wertmesser am nächsten kommende Vergleichsmaßstab in Betracht komme; in diesem Sinne sei der Wille der Vertragsteile zu ergänzen (SZ 38/164). Die Tendenz insbesondere der jüngeren Rechtsprechung führt nach Ansicht des erkennenden Senates zum Rechtsstandpunkt, daß nach den Umständen des Einzelfalles auch einer seinerzeit vereinbarten, durch spätere gesetzliche Maßnahmen unwirksam gewordenen Wertsicherungsklausel, wie etwa einer Goldklausel, eine gewisse rechtliche Bedeutung beigemessen werden kann und muß, wenn eine Mißachtung der seinerzeitigen Parteienabsicht zu einer unverhältnismäßigen Bereicherung des Vertragspartners und bei Berücksichtigung des Vertragszweckes zu völlig unbilligen und damit sittenwidrigen Ergebnissen führen würde; in solchen Fällen ist eine Aufwertung vorzunehmen und das zu leisten, was unter Heranziehung des dem weggefallenen Wertmaßstab am nächsten kommenden Vergleichsmaßstabes zu berichtigen ist.
Im vorliegenden Falle steht nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes fest, daß die Beklagte seinerzeit die Errichtung eines Blockhauses geplant, statt dessen aber dem Kläger das zu diesem Zweck ersparte Geld zur Verfügung gestellt hatte, damit dieser ein Haus bauen könne. Der Kläger hat dabei, wie insbesondere der Beilage ./5 entnommen werden kann, auch auf das familiäre Naheverhältnis der Beklagten zu ihm gepocht und in diesem Zusammenhang von "unserer aller Heimat" gesprochen; er hat der Beklagten aber auch gegen die allgemeine Übung nicht nur ein Pfandrecht, sondern auch ein Fruchtgenußrecht (Wohnungsrecht) eingeräumt und ihr noch gesagt, sie könne in der ihr eingeräumten Wohnung drinnenbleiben. Das Berufungsgericht hat zwar, den Obersten Gerichtshof bindend, festgestellt, daß in diesem Verhalten noch keine Verpflichtung des Klägers erblickt werden kann, die Beklagte lebenslänglich in der ihr eingeräumten Wohnung zu belassen. Unter Bedachtnahme auf die erwähnten besonderen Umstände kann sein Verhalten aber doch nur dahin verstanden werden, daß er die Beklagte unter keinen Umständen benachteiligen wollte und ihr daher im Falle der Beendigung des Fruchtgenußrechtes wieder so viel zur Verfügung stellen werde, daß sie zumindest in der Lage sei, sich das zu verschaffen, worauf sie seinerzeit dem Kläger zuliebe verzichtet hatte. Der Kläger kann daher die Verpflichtung der Beklagten zur Räumung der ihr seinerzeit im Rahmen eines eingeräumten Fruchtgenußbzw Wohnungsrechtes übergebenen Wohnung nicht durch Bezahlung eines Betrages von nur S 2000.- erreichen. Dieses Verlangen würde, da sich der Kläger seinerzeit umgehend ein wertbeständiges Äquivalent verschaffen konnte, zu einer unverhältnismäßigen Bereicherung des Klägers führen; es ist bei Berücksichtigung seines seinerzeitigen Verhaltens, insbesondere der Betonung der familiären Bande, die in der Beklagten das Vertrauen erwecken mußte, sie werde durch den Kläger keineswegs geschädigt werden, sittenwidrig; die Beklagte hätte seinerzeit auch dem Kläger bestimmt das Darlehen nicht gegeben, wäre er nicht als ihr Bruder in einem finanziellen Engpaß gewesen. Er kann dann aber nicht die Unterstützung der Gerichte anrufen wenn er ihr gegenüber im vollen Umfang von Möglichkeiten Gebrauch machen will, die ihm vielleicht fremden dritten Personen gegenüber, die die Risken aus von ihnen abgeschlossenen Geschäften tragen und damit auch für sie sich aus der ökonomischen Entwicklung ergebende nachteilige Zufälle gegen sich gelten lassen müssen (vgl JBl 1961, 86), auch tatsächlich zustunden (vgl zu diesen Möglichkeiten die bereits vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung EvBl 1956/285).
Es muß aber auch beachtet werden, daß der Kläger der Beklagten auch ein Fruchtgenußrecht eingeräumt hatte. Der Grund liegt auf der Hand:
Weil die Beklagte auf den Bau ihres eigenen Blockhauses verzichtete, räumte ihr der Kläger als Äquivalent ein Wohnungsrecht in dem teilweise mit dem Geld der Beklagten erworbenen bzw erbauten Hause ein. An die Stelle des dem Kläger gegebenen Geldes trat damit das Fruchtgenuß(Wohnungs)recht. Rechtsprechung und Lehre unterscheiden nun zwischen Geldsummen- und Geldwertschulden; nur für jene trägt das Risiko der Geldentwertung der Gläubiger, für diese aber der Schuldner. Bei ersteren geht die Schuld von Anfang an auf eine bestimmte Summe Geldes, bei letzteren hingegen zunächst auf eine andere Leistung, deren Wert erst in Geld auszudrücken ist (Gschnitzer Schuldrecht Allg Teil 38; Soergel - Reimer - Schmidt[10] II 145, Anm 3 und 4 zu § 244 BGB). Eine Darlehensschuld ist dabei allerdings in der Regel eine Geldsummenschuld, die nicht aufgewertet werden muß. Die Rechtsprechung hat jedoch bereits darauf hingewiesen, daß auch dann eine Geldwertschuld angenommen werden kann, wenn eine rechtlich faßbare Beziehung einer Schuld zu den in einem bestimmten Zeitpunkt herrschenden Sachwertverhältnissen besteht, also erkennbar ein bestimmter wirtschaftlicher Effekt herbeigeführt werden soll (JBl 1961, 86). Auch durch die Einräumung des Fruchtgenuß(Wohnungs)rechtes an die Beklagte entstand eine solche Beziehung der Schuld des Klägers zu einem bestimmten Sachwert, nämlich zu der der Beklagten als Äquivalent für den Verzicht auf die Errichtung eines eigenen Blockhauses zur Verfügung gestellten Wohnung. Der Kläger ist dann aber auch verpflichtet, bei Beendigung des Wohnungsrechtes der Beklagten wiederum einen gleichen wirtschaftlichen Wert zu verschaffen.
Da er dies auch nicht annähernd getan hat, hat das Erstgericht das Klagebegehren im Ergebnis mit Recht abgewiesen. An diesem Ergebnis kann auch das in der Revision erwähnte angeblich im Zuge von Vergleichsverhandlungen vor dem Berufungsgerichte gemachte Angebot des Klägers der Beklagten - bei Räumung der Wohnung bis zu einem gewissen Termin - S 60.000.- zu bezahlen, nichts ändern. Abgesehen davon, daß der Kläger dieses Angebot in der Revisionsbeantwortung keineswegs bestätigte, sondern weiterhin auf der Räumungsverpflichtung auf Grund der Zahlung der S 2000.- beharrt, könnte das unverbindliche Vergleichsangebot nicht als prozessual relevante Bereitschaft, Zug um Zug gegen Räumung der Wohnung S 60.000.- zu bezahlen, angesehen werden.
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