Spruch:
Für Exekutionen nach § 19 (1) AußStrG. auf Grund ausländischer Exekutionstitel ist das nach §§ 4 und 18 EO. berufene Gericht zuständig
Nach österreichischer Rechtsprechung sind mj. Kinder im 18. und 14. Lebensjahr nicht wie Sachen zu behandeln, deren Übergabe man von der verfügungsberechtigten Person erzwingen kann, sondern selbständige Rechtssubjekte
Entscheidung vom 11. Mai 1966, 3 Ob 51/66
I. Instanz: Bezirksgericht Telfs; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck
Text
Die Ehe der Kindeseltern ist seit 1956 geschieden. Der Kindesvater ist französischer Staatsbürger und wohnt in Frankreich, die Kindesmutter hat wieder die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt und wohnt mit den beiden ehelichen Kindern, der am 25. September 1948 geborenen Elionore Aicha und der am 9. Dezember 1952 geborenen Myrieme Stephanie die beide französische Staatsbürger sind, in Zirl in Tirol. Mit Urteil eines französischen Gerichtes vom 24. Februar 1960 wurde die Betreuung der beiden ehelichen Kinder dem Vater anvertraut. Auf Grund dieses Urteils beantragte der Vater nun gemäß § 19 AußStrG., die beiden Kinder der Mutter abzunehmen und ihm zu übergeben. Das angerufene Bezirksgericht Telfs vernahm die Kindesmutter und die beiden Kinder, die erklärten, unter keinen Umständen gewillt zu sein, mit dem Vater, der wieder geheiratet habe, in Frankreich zu wohnen.
Das Erstgericht wies darauf den Antrag ab, weil es sich bei den Kindern um Rechtssubjekte handelt, auf deren Willen Rücksicht zu nehmen sei. Eine Zwangsvollstreckung gegen die Mutter im Sinne des § 354 EO. ebenso unzulässig wie eine Exekution nach § 19 AußStrG.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte aus, im vorliegenden Fall handle es sich um eine Maßnahme nach § 142 ABGB., über die das französische Gericht entschieden habe. Der Antragsteller stütze sein Begehren ausdrücklich auf § 19 AußStrG. und wolle nicht eine Exekution nach § 354 EO. führen. Durch seinen Antrag konnte keine, sei es auch nur vorläufige Zuständigkeit des Erstgerichtes nach § 14 der 4. DVzEheG. bzw. § 19 AußStrG. bewirkt werden. Ein Ersuchen des französischen Gerichtes, das allein sich zum Vollzug der von ihm angeordneten Pflegschaftsmaßnahme an das österreichische Gericht wenden könnte, liege aber nicht vor.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der vom Kindesvater erhobene Rekurs ist auch ohne die im § 16 AußStrG. genannten Beschränkungen zulässig, weil dem Wesen nach nicht konforme Entscheidungen der Untergerichte vorliegen; das Rekursgericht hat vielmehr die Zuständigkeit des Erstgerichtes verneint, es hätte den Antrag daher richtig zurückweisen müssen. Der Rekurs ist im Ergebnis nicht begrundet.
Im Verfahren außer Streitsachen ergangene Beschlüsse können sowohl gemäß § 19 (3) AußStrG, nach den Vorschriften der Exekutionsordnung als auch gemäß § 19 (1) AußStrG. nach den Bestimmungen über das Verfahren außer Streitsachen vollstreckt werden. Der Kindesvater hat im vorliegenden Fall ausdrücklich die Vollstreckung nach § 19 (1) AußStrG. beantragt. Die österreichische Rechtsprechung hat die Vollziehung ausländischer, im Verfahren außer Streitsachen ergangener Verfügungen, nach den Bestimmungen dieser Gesetzesstelle unter der Voraussetzung der bloß faktischen Gegenseitigkeit für zulässig erklärt. Für Exekutionen nach § 19 (1) AußStrG. gelten nicht die Voraussetzungen der §§ 79 ff. EO., sondern die Grundsätze des Verfahrens außer Streitsachen. Es bedarf daher weder einer verbürgten Gegenseitigkeit, noch darf die Exekution deshalb abgelehnt werden, weil die Voraussetzungen der §§ 80 und 81 EO. nicht gegeben sind (EvBl. 1957 Nr. 267). Wenn auch im § 19 AußStrG. das Gegenseitigkeitserfordernis nicht ausdrücklich erwähnt wird, unterliegt es dennoch keinem Zweifel, daß auch hier Reziprozität gegeben sein muß. Mangels einer gesetzlichen Anordnung bedarf es jedoch bei einer solchen Vollstreckung nicht der Verbürgung der Gegenseitigkeit auf die im § 79 EO. angegebene Weise, die gegenüber Frankreich nicht gegeben wäre. Ob Reziprozität gegeben ist, kann vielmehr auf jede Weise, z. B. durch Anfrage an das Bundesministerium für Justiz erhoben werden. Es ist zu prüfen, ob der Staat, dessen Entscheidung in Österreich vollstreckt werden soll, seinerseits gleichartige Entscheidungen österreichischer Gerichte vollstreckt. Ist das der Fall, dann ist, sofern auch die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind, die Entscheidung ausländischer Pflegschaftsgerichte gemäß § 19 AußStrG. zu vollstrecken (vgl. Chlanda, ÖJZ. 1950 S. 413 ff.). Ein österreichisches Gericht kann zwar im vorliegenden Fall keine pflegschaftsbehördliche Maßnahme anordnen, weil diese bereits von dem zuständigen französischen Gericht getroffen wurde. Der Kindesvater will auch gar nicht solche Maßnahmen, er will vielmehr die Durchsetzung der vom Pflegschaftsgericht bereits getroffenen Maßnahmen. Über diesen Antrag ist gemäß der §§ 4 und 18 EO. von dem für den Wohnsitz des Verpflichteten zuständigen Exekutionsgericht zu entscheiden. Das ist das angerufene Erstgericht.
Ob mit Frankreich faktische Gegenseitigkeit im oben dargelegten Sinn gegeben ist, kann hier unerörtert bleiben, weil die beantragte Exekution vom Erstgericht aus sachlichen Gründen mit Recht abgelehnt wurde. Wenn der Exekutionstitel auch eine Entscheidung eines französischen Gerichtes ist, so sind bei dessen Vollstreckung doch österreichische Vorschriften anzuwenden (GlU. 4289, 4647). Nach österreichischer Rechtsprechung sind mj. Kinder im 18. und 14. Lebensjahr nicht wie Sachen zu behandeln, deren Übergabe man von der verfügungsberechtigten Person erzwingen kann, sondern selbständige Rechtssubjekte. Sie sind also nicht Exekutionsgegenstand, sondern selbst Partei, gegen die sich der durchzusetzende Anspruch der betreibenden Partei bzw. hier des Antragstellers in erster Linie richtet. Dadurch erfahren die Rechte der Eltern eine entsprechende Modifikation. Die Verhältnisse und Interessen der Kinder sind so ausschlaggebend, daß selbst rechtskräftig zuerkannte Verfügungsrechte der Eltern ihnen nachstehen müssen. Nun haben beide Kinder erklärt, bei ihrer Mutter bleiben zu wollen, weil sie mit dem Vater seit Jahren keinen Kontakt haben, und auf keinen Fall zu ihm, der inzwischen neuerlich geheiratet hat, ziehen zu wollen. Eine zwangsweise Übergabe der Kinder an den Vater gegen ihren ausdrücklichen Willen wäre im vorliegenden Fall nicht im Interesse der Kinder gelegen. Das Erstgericht hat den Antrag des Vaters daher mit Recht abgewiesen, weshalb seine Entscheidung, wenn auch aus anderen Gründen, als den vom Rekursgericht herangezogenen, zu bestätigen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)