Spruch:
Die Gültigkeit von Punktationen ist nicht zeitlich begrenzt.
Entscheidung vom 22. November 1961, 1 Ob 454/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Hartberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Bezüglich zweier Grundstücksteile wurde zwischen der seinerzeitigen, am 25. Dezember 1955 verstorbenen Gründeigentümerin Maria L. und den heutigen Klägern eine Vereinbarung getroffen, wonach letztere die beiden Grundstücksstreifen kauften. Diese Vereinbarung erfolgte mündlich und - in einer allerdings nicht verbücherungsfähigen Form - am 16. September 1952 auch schriftlich, wobei die Ausstellung eines verbücherungsfähigen Vertrages der Zeit nach erfolgter Vermessung durch einen Geometer vorbehalten wurde. Nach dem Tod der Maria L., nachdem durch einen Geometer am 11. November 1956 ein Teilungsplan verfaßt worden war, veräußerten die Erben nach Maria L. mit Kaufvertrag vom 6. März 1958 die ganze Liegenschaft an die Beklagten, nachdem sie sich bereits mit Verpflichtungserklärung vom 12. November 1956 verpflichtet hatten, die ihnen nach dem Tod der Maria L. angefallene Liegenschaft mit Ausnahme des in der Punktation vom 16. September 1952 erwähnten Grundstreifens zu verkaufen. Die tatsächliche Übergabe der Grundstücke durch Maria L. an die Kläger zur Benützung ist im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung erfolgt, und die Kläger haben seither die Grundstückstreifen auch benützt.
Die Kläger begehren von den Beklagten die binnen 14 Tagen abzugebende Erklärung, daß die Beklagten in die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechtes der Kläger an je einer Hälfte der im Teilungsplan vom 11. November 1956 als Grundstücke 1051/4 Weide und 1059/2 Garten bezeichneten Teile der derzeit der EZ. 229 KG. E. zugeschriebenen Grundstücke 1051/3 Weide und 1059 Garten willigen.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Was zunächst das Vorbringen zum Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. anlangt, daß die Rechtsansicht der Untergerichte rechtlich verfehlt sei, die Vereinbarung zwischen Maria L. und den Klägern vom 16. September 1952 sei als Punktation und nicht als Vorvertrag zu qualifizieren, so kann der in der Revision vertretenen Rechtsansicht nicht gefolgt werden. Die Untergerichte sind von der Annahme ausgegangen, daß die schriftliche Vereinbarung zwischen den Genannten vom 16. September 1952 und die tags zuvor getroffenen mündlichen Abmachungen sämtliche Merkmale eines Kaufvertrages enthalten haben und daß es sich nach dem ausdrücklichen Parteiwillen nicht etwa um eine Vereinbarung des Inhaltes gehandelt hat, erst in Hinkunft einen Vertrag abschließen zu wollen. Die genaue Bezeichnung des Kaufgegenstandes, die Bestimmung des Kaufpreises und dessen Aushändigung und die Übergabe der Grundstücksteile in die Benützung der Käufer in Verbindung mit der weiters getroffenen Abmachung, einen verbücherungsfähigen Kaufvertrag nach Vornahme der erforderlichen Vermessung durch einen Geometer zu errichten, veranlaßte die Untergerichte zu dem der Sach- und Rechtslage entsprechenden Ausspruch, daß bereits fix abgeschlossen worden ist, daß also ein perfekter Kaufvertrag - wenn auch noch nicht in verbücherungsfähiger Form (EvBl. 1958 Nr. 381) - und nicht nur ein Vorvertrag vorliegt (7 Ob 558/57, 3 Ob 459/54). Mit Recht sind die Untergerichte daher von der Annahme ausgegangen, daß gegenständlich eine Punktation und nicht ein Vorvertrag abgeschlossen worden ist. Denn von einer "Verabredung, künftig erst einen Vertrag schließen zu wollen" (§ 936 ABGB.), kann nur dann gesprochen werden, wenn der Leistungsinhalt des Vorvertrages die Verpflichtung enthält, künftig einen Vertrag abzuschließen (Klang 2. Aufl. IV 570), nicht aber wenn in der Vereinbarung bereits sämtliche Vertragselemente abgesprochen wurden. Der Unterschied zwischen Punktation und Vorvertrag liegt u.
a. in den Rechtsfolgen. Nach dem ABGB. ist die Punktation der Aufsatz des bereits geschlossenen Vertrages, verbindet also die Parteien nicht nur - wie der Vorvertrag - zum Abschluß des endgültigen Vertrages, sondern auch direkt zu dessen Erfüllung. Bei der Punktation bekleidet das Gesetz einen schriftlich niedergelegten Vorvertrag mit der Rechtsfolge, im Notfall den fertigen Vertrag ersetzen zu können (Klang a. a. O. 574 f.). Die vom Berufungsgericht in diesem Punkt vertretene Rechtsansicht, daß ungeachtet des im Text der schriftlichen Vereinbarung selbst gebrauchten Wortes "Vorvertrag" zufolge des klar zutage liegenden Parteiwillens ein beiderseits verbindlicher Vertrag geschlossen wurde, der nur mehr - nach erfolgter Vermessung - einer verbücherungsfähigen Form bedürfe, ist daher zutreffend (6 Ob 358/61).
Nicht verständlich ist der in diesem Zusammenhang in der Revision enthaltene Hinweis, die Tatsache, daß eine Punktation im Sinne des § 885 ABGB. der Schriftlichkeit bedürfe, lasse erkennen, daß keine Punktation getroffen, sondern ein Vorvertrag geschlossen worden sei. Über die mündliche Vereinbarung zwischen Maria L. und den Klägern, die nach den Feststellungen der Untergerichte am 15. September 1952 getroffen wurde, hinaus liegt, wie gleichfalls festgestellt wurde, eine am 16. September 1952 verfaßte, von den beiden Vertragsteilen unterfertigte, schriftliche Erklärung vor. Damit wurde der Vorschrift des § 885 ABGB., über die Abmachung einen "Aufsatz" zu errichten, entsprochen. Es ist gegenständlich davon auszugehen, daß eine mündliche Vereinbarung und eine diese deckende schriftliche Punktation vorliegt.
Was das Vorbringen der Beklagten anlangt, die Unterscheidung zwischen Punktation und Vorvertrag sei im gegenständlichen Rechtsstreit nicht von entscheidender Bedeutung, so ist dieses unrichtig, weil der wesentliche und entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Formen einer vertraglichen Vereinbarung außer acht gelassen wird, daß einen Vorvertrag kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (§ 936 ABGB.) der Abschluß des Hauptvertrages binnen einem Jahr folgen muß. Die Beklagten haben ja auch, gestützt auf diese gesetzliche Bestimmung, das Klagebegehren bekämpft.
Nicht gefolgt werden kann der weiteren Behauptung in der Revision, daß die Vereinbarung vom 16. September 1952 (selbst wenn man ihr den Charakter einer Punktation geben wollte) infolge der Tatsache, daß es innerhalb von fünf Jahren nicht zum Abschluß eines endgültigen Kaufvertrages gekommen ist, ohne daß dessen Abschluß irgend ein Hindernis entgegengestanden wäre, als außer Kraft getreten anzusehen sei.
Es muß davon ausgegangen werden, daß das Gesetz für Punktationen eine zeitliche Begrenzung ihrer Gültigkeit, wie sie z. B. § 936 ABGB. für Vorverträge vorsieht, nicht normiert. Die von Gschnitzer in Klang a. a. O. 575 ausgesprochene, durch keine Judikaturzitierung untermauerte Ansicht, daß auch die zeitliche Begrenzung der Geltungsdauer (des Vorvertrages) sich auf die Punktation übertragen lasse, findet daher in dieser allgemeinen Form im Gesetz nicht ihre Stütze. Im übrigen schränkt auch Gschnitzer diese zeitliche Begrenzung der Geltungsdauer der Punktation auf das Verhältnis der beiden Vertragschließenden zueinander ein (a. a. O. 265). Da die Feststellungen der Untergerichte ergeben, daß Maria L. im Dezember 1955 gestorben ist, daß der Teilungsplan im Jahre 1956 errichtet wurde, ebenso wie die Schätzung im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens, und daß der Kaufvertrag zwischen den Erben der Maria L. und den Beklagten schließlich nach Abgabe der erwähnten Verpflichtungserklärung durch die Erben im November 1956 im März 1958 abgeschlossen wurde, ist der aus der Rechtsansicht der Untergerichte abzuleitende Satz, daß die Punktation durch Fristablauf nicht erloschen ist, zutreffend, zumal überdies auch jeglicher Anhaltspunkt für die Annahme fehlt, daß die Geltendmachung der Rechte aus der Punktation durch die Kläger schuldhafterweise verzögert worden wäre.
Für die weiters in der Revision aufgestellte Behauptung, die Beklagten wären bei Abschluß des Kaufvertrages mit den Erben der Maria L. "jedenfalls" gutgläubig in der Richtung gewesen, daß die aus der Vereinbarung vom 16. September 1952 abgeleiteten Ansprüche der Kläger auf die erwähnten Grundstücksstreifen infolge Zeitablaufes erloschen seien, vermögen die Revisionswerber nichts Stichhältiges vorzubringen. Aus den Feststellungen der Untergerichte ergibt sich gerade das Gegenteil. Diesen zufolge wurden die Beklagten zu wiederholten Malen ausdrücklich auf die bestehende Rechtslage - nämlich den außerbücherlichen Verkauf der zwei Grundstücksstreifen durch Maria L. an die Kläger, verbunden mit der Übergabe dieses Gründes an die Kläger zur Benützung - aufmerksam gemacht; auch die erwähnte Verpflichtungserklärung der Erben nach Maria L. an die Beklagten vom 12. November 1956 spricht ausdrücklich von einem Verkauf der Liegenschaft mit Ausnahme der in der Punktation vom 16. September 1952 bezeichneten Grundstreifen; schließlich enthält auch der Kaufvertrag vom 6. März 1958 den Hinweis, daß die heutigen Kläger die mehrfach erwähnten Grundstreifen auf Grund der Vereinbarung vom 16. September 1952 als ihr Eigentum beanspruchten. Angesichts der auf Grund dieser Beweismittel von den Untergerichten getroffenen Feststellung, die Beklagten seien über die rechtliche Situation hinsichtlich der Grundstücksstreifen völlig orientiert gewesen, kann das aus der Revision zu entnehmende Begehren der Beklagten, sie als gutgläubig anzusehen, in der Richtung, daß sie anläßlich des käuflichen Erwerbes der restlichen Grundstücke auch die Grundstücksstreifen miterworben hätten, nicht ernstlich aufrechterhalten werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Beklagten in den Kaufvertrag vom 6. März 1958 den Passus aufnehmen ließen, sie anerkannten die Ansprüche der Kläger auf die Grundstreifen nicht. Ebenso bedeutungslos ist es, wenn in der Revision darauf hingewiesen wird, daß die Beklagten und auch der Verfasser des Kaufvertrages - ein Rechtsanwalt - der Meinung gewesen seien, die seinerzeit zwischen Maria L. und den Klägern getroffene Vereinbarung sei außer Kraft getreten; denn ihre Meinung und ihre - falsche - Rechtsansicht hat auf das Bestehen und die rechtliche Qualifikation der Vereinbarung keine Wirkung. Dem angefochtenen Urteil des Berufungsgerichtes liegt demnach auch in diesem Belang kein Rechtsirrtum zugrunde.
Geht man von den Feststellungen der Untergerichte aus, daß nämlich einerseits Maria L. den Klägern die streitgegenständlichen Grundstücksstreifen mit Punktation vom 16. September 1952 verkauft und zur Benützung übergeben hat und daß andererseits später die Erben nach Maria L. die verbleibenden Grundstücke den Beklagten verkauft haben, wobei in dem Kaufvertrag ausdrücklich auf die Punktation hingewiesen wurde, so daß von den Erben nach Maria L. nicht die ganze Liegenschaft verkauft wurde, dann muß den Ausführungen in der Revision, soweit die Bestimmung des § 440 ABGB. zur Stützung des Anspruchs auf Abweisung des Klagebegehrens herangezogen wird, die Stichhältigkeit abgesprochen werden, weil § 440 ABGB. die Frage regelt, was rechtens ist, "wenn ein Gründeigentümer dieselbe unbewegliche Sache zwei verschiedenen Personen überlassen hat". Die Revision vergleicht somit nicht den von den Untergerichten festgestellten Sachverhalt mit dein darauf anzuwendenden Gesetz. Dazu kommt noch, daß der Erwerber (hier die Beklagten) dem eine bücherlich nicht abgetrennte Parzelle nicht mitverkauft wurde (das stellen die Untergerichte ausdrücklich fest), sich nicht auf § 440 ABGB. berufen kann (GlUNF. 6301, 4133; GlU. 12237 u. a.). Im übrigen folgt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung bei Lösung der Frage des Interessenwiderstreites zwischen bücherlichen und außerbücherlichem Erwerber der Meinung Klangs (2. Aufl. II 362), wonach diese Frage nach natürlichen Rechtsgrundsätzen unter sorgfältiger Bedachtnahme auf die widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Wenn daher die strenge Durchführung des Eintragungsprinzips (§ 431 ABGB.) beim Eigentumserwerb im Falle materieller Unrichtigkeit des Buchstandes mit den tatsächlichen Verhältnissen in Widerstreit gerät, so ist den Interessen des bücherlichen Erwerbers dadurch ausreichend Rechnung getragen, wenn man sein Vertrauen auf das Grundbuch schützt, andererseits aber den Interessen des außerbücherlichen Erwerbers, wenn man ihn in den Fällen durchdringen läßt, wo das Vertrauen des bücherlichen Erwerbers fehlt. Hiebei ist davon auszugehen, daß der bücherliche Einzelnachfolger des Veräußerers den außerbücherlichen Erwerber dann verdrängt, wenn er die außerbücherliche Übergabe weder kannte noch fahrlässig nicht kannte. Schlechtgläubigkeit des bücherlichen Erwerbers ist daher schon dann anzunehmen, wenn auffällige Umstände für einen außerbücherlichen Eigentumserwerb sprechen, wie die von den Erwerbern bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht zu übersehende Übergabe der Liegenschaft an den außerbücherlichen Erwerber (6 Ob 238/61, 1 Ob 222/60, JBl. 1957 S. 290). Bringt man diesen Rechtssatz mit der von den Untergerichten getroffenen Feststellung in Verbindung, daß die Beklagten in voller Kenntnis der Sach- und Rechtslage waren - also von dem außerbücherlichen Verkauf der Grundstreifen und von deren Übergabe an die Kläger zur Benützung wußten -, dann erhellt daraus, daß die Stattgebung des Klagebegehrens auch unter diesem Gesichtspunkt zu Recht erfolgt ist.
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