OGH 1Ob222/60

OGH1Ob222/609.11.1960

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Zweiten Präsidenten Dr. Fellner als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster, Dr. Stanzl, Dr. Zierer und Dr. Bachofner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Josef H*****, 2.) Marianne H*****, vertreten durch Dr. Alois Bohn, Rechtsanwalt in Baden bei Wien, wider die beklagte Partei Johann O*****, vertreten durch Dr. jur. Ing. Walter Wozak, Rechtsanwalt in Wien I., wegen Übergabe eines Grundstückes und Unterlassung (Streitwert 8.000 S) infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 4. Mai 1960, GZ R 170/60-18, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Ebreichsdorf vom 27. Februar 1960, GZ C 196/59 -13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Untergerichte werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an die erste Instanz zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozesskosten.

Text

Begründung

Die Kläger verlangen als bücherliche Eigentümer der Parzelle 923 der EZ ***** inneliegend im Grundbuch E*****, Katastralgemeinde P*****, dass sie ihnen der Beklagte übergebe und jede weitere Benützung unterlasse. Der Beklagte wendet ein, er habe die Parzelle schon vor den Klägern außerbücherlich erworben; diese seien zur Zeit ihres Erwerbs schlechtgläubig gewesen. Die Kläger setzen dem entgegen, der Beklagte könne sich auf keinen gültigen Titel berufen. Beide Untergerichte haben das Begehren der Kläger abgewiesen. Sie haben bisher festgestellt: Bücherliche Eigentümer der Parzelle war Anna S*****. Am 31. 3. 1937 hat Anna S***** die Parzelle und andere Grundstücke an den Verein „Jugendhilfe für P*****" verkauft. Mit dem Vertrage vom 14. 3. (Wohl richtig 1.) 1938 hat dann der Verein „Jugendhilfe für P*****" das Grundstück Nr. 923 als außerbücherlicher Eigentümer unter Hinweis auf den Kaufvertrag vom 31. 3. 1937 an die Beklagten weiterveräußert. Am gleichen Tage hat Anna S***** an den Beklagten weitere ihr gehörige Liegenschaften (Grundstück Nr. 877 - neu - Acker in O***** der EZ ***** Grundbuch P*****) verkauft. Die Kaufverträge hinsichtlich der Parzelle 923 wurden nicht verbüchert. Mit Kauf- beziehungsweise Übergabsvertrag vom 3. 10. 1940 wurde - unter anderem - auch das Grundstück Nr. 923 an den Neffen der Anna S*****, Rudolf S*****, übertragen, so dass nunmehr dieser grundbücherlicher Alleineigentümer war. Nach seinem Tode ging das Grundstück mit seinem weiteren Liegenschaftsbesitz auf seine Erben Elisabeth S***** und mj. Alfred S***** je zur Hälfte über. Die Hälfte der Elisabeth S***** wurde auf Grund des Übergabsvertrages vom 16. 3. 1953 von den heutigen Klägern je zur Hälfte, das ist zu je einem Viertel der gesamten Liegenschaft, erworben. Zwischen den Klägern und dem zweiten Hälfteeigentümer Alfred S***** wurde sodann am 17. 4. 1957 ein Teilungsübereinkommen getroffen, wonach an die Kläger unter anderem auch die zweite Hälfte des Grundstückes Nr. 923 gelangte, so dass diese jetzt je zur Hälfte grundbücherliche Eigentümer sind. In diesem Teilungsübereinkommen wurde ausdrücklich festgehalten, dass das Eigentum an dem Grundstück Nr. 923 strittig ist. Der Beklagte benützt das Grundstück Nr. 923 seit dem Jahre 1938. Nach Punkt 3.) des Kaufvertrages vom 14. 1. 1938 ist der Käufer, also der Beklagte, mit dem Tage des Abschlusses dieses Vertrages in den physischen Besitz und Genuss des Kaufobjekts getreten. Weder der Vertrag vom 31. 3. 1937 noch jener vom 14. 1. 1938 sind aufgehoben worden.

Rechtlich meinten die Untergerichte, der Beklagte könne sich auf einen gültigen Titel und die Übergabe stützen. Den Klägern sei der gute Glaube abzusprechen, weil derjenige, der einen Grundbuchskörper erwerbe, der mehrere, noch dazu örtlich nicht zusammenhängende Grundstücke umfasse, sich über deren Lage in der Natur und darüber unterrichten müsse, ob sie sich im Besitze des Veräußerers befinden. Komme er dem nicht nach, so habe er jedenfalls in fahrlässiger Unkenntnis der Übergabe gehandelt.

Die Kläger bekämpfen das berufungsgerichtliche Urteil aus den Gründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit Revision. Sie beantragen, es dahin abzuändern, dass gemäß ihrem Klagebegehren erkannt werde, allenfalls es aufzuheben und die Rechtssache zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

In rechtlicher Beziehung folgt der Oberste Gerichtshof der wohlbegründeten Meinung Klangs (Kommentar zum ABGB2 II, 362), dass bei rechtsgeschäftlichem Erwerb der bücherliche Einzelnachfolger des Veräußerers den außerbücherlichen Erwerber dann verdrängt, wenn er nicht in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Übergabe gehandelt hat. Diese Auffassung ist bereits in den Entscheidungen vom 29. 5. 1953, 1 Ob 441/53, JBl 1954, 68; 2. 10. 1953, 3 Ob 569/53 und 30. 9. 1959, 5 Ob 454/59, ausgedrückt worden. Aus § 440 ABGB lässt sich gegen sie nichts Entscheidendes gewinnen, weil in dieser Gesetzesstelle nur das Zusammentreffen zweier Kaufverträge geregelt ist, während beim außerbücherlichen Erwerb zum Titel auch noch die körperliche Übergabe hinzukommen muss, von der diese Gesetzesstelle nichts enthält. Auch dem Spruch 59 ist nicht zu entnehmen, dass der Oberste Gerichtshof dort den Fall bedacht hätte, dass die Sache dem einen Käufer bereits übergeben worden wäre. Ebenso ist im Fall der Entscheidung 26. 9. 1951, 3 Ob 413/51, JBl 1952, 158, nicht klar, ob der Erwerber die Liegenschaft in Besitz gehabt und sich in ihrem Besitz erhalten hat. In dem am 2. 2. 1955 zu 7 Ob 44/55, SZ XXVIII 31, entschiedenen Rechtsfall war vor allem die Frage des gültigen Titels streitig. Diese in der Revision bezeichnete Rechtsprechung ist daher mit dem eingangs aufgestellten Rechtssatz nicht unvereinbar. Gerade der Umstand, dass die Kläger nur dann gegenüber dem Beklagten durchdringen können, wenn sie nicht in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Übergabe der Liegenschaft an ihn gehandelt haben, zwingt zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Sinne der Parteienanträge. Auszugehen ist davon, dass die Vermutung für die Redlichkeit der Kläger spricht (arg § 328 ABGB). Schlechtgläubig können die Kläger gewesen sein, wenn sie gewusst oder fahrlässig nicht gewusst haben, dass der Beklagte die Liegenschaft benützt. Trifft dies zu, dann hätten sie nach dem Rechtsgrund für die Benützung der Liegenschaft durch ihn forschen müssen und nur dann, wenn eine nach der Verkehrsauffassung zureichende - vielleicht auch irrtümliche - Aufklärung erreicht worden wäre, sich bei dieser Benützung beruhigen dürfen. Vor allem wäre ihnen auch zuzumuten gewesen, im Zweifelsfall den Beklagten nach dem Rechtsgrund seiner Benützung der Liegenschaft zu fragen. Dass die Kläger nur dann unredlich wären, wenn sie sowohl die Übergabe wie auch den Benützungstitel gekannt oder fahrlässig nicht gekannt hätten, trifft entgegen der Auffassung in der Revision nicht zu. Hat der Beklagte die Liegenschaft benützt, so wäre es eben - wie bereits ausgeführt - Sache der Kläger gewesen, dem Grund für diese Benützung nachzuforschen. Eine weitergehende Sorgfaltspflicht trifft aber die Kläger beim Erwerb der zweiten Liegenschaftshälfte, bei dem sie ausdrücklich auf die streitigen Eigentumsverhältnisse hingewiesen worden waren. Über diese Warnung hätte sie sich nur bei handhafter Aufklärung hinwegsetzen dürfen.

Nicht zu teilen vermag der Oberste Gerichtshof die Meinung des Berufungsgerichtes, dass derjenige, der einen Grundbuchskörper erwirbt, der mehrere, noch dazu örtlich nicht zusammenhängende Grundstücke umfasst, sich über deren Lage in der Natur und darüber unterrichten müsse, ob sie sich im Besitz des Veräußerers befinden. Dazu wurde in einem ähnlichen Fall ausgesprochen, dass vom Grundstückerwerber nicht verlangt werden könne, dass er die in der Natur ersichtlichen Grundstückgrenzen auf ihre Übereinstimmung mit dem Mappenstand prüfe oder gar die Liegenschaft vermessen lasse (E. 17. 10. 1956, 1 Ob 485/56, JBl 1957, 290). Diese Auffassung des Berufungsgerichtes lastet dem Liegenschaftserwerber zu weitgehende Nachforschungspflichten auf und würde das Grundbuch entwerten. Nur dann, wenn auffällige Umstände für einen außerbücherlichen Eigentumserwerb sprechen, wie die von den Erwerbern bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit nicht zu übersehende Übergabe der Liegenschaft an den außerbücherlichen Erwerber, käme schlechter Glaube in Betracht, soferne nicht plausible Gründe vorliegen, die für die Benützung einen anderen Rechtsgrund als den des Eigentumserwerbs ausreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.

Da in diesem Sinn das Verfahren der Untergerichte ergänzungsbedürftig ist, mussten ihre Entscheidungen aufgehoben und die Rechtssache an die erste Instanz zurückverwiesen werden.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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