OGH 1Ob272/55

OGH1Ob272/5511.5.1955

SZ 28/127

Normen

Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz §3
AHG §1
Grundbuchsvorschrift §43
Gesetz über die Evidenzhaltung des Grundsteuerkatasters. RGBl. Nr. 83/ 1883 §§1 ff
Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz §3
AHG §1
Grundbuchsvorschrift §43
Gesetz über die Evidenzhaltung des Grundsteuerkatasters. RGBl. Nr. 83/ 1883 §§1 ff

 

Spruch:

Keine Amtshaftung für einen auf rechtsgeschäftlichem Gebiete aus Fehlern in Grundbesitzbögen oder Abschriften hievon entstandenen Schaden.

Entscheidung vom 11. Mai 1955, 1 Ob 272/55.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach dem Vorbringen der klagenden Partei kaufte diese von den grundbücherlichen Miteigentümern Ludwig T., Eugen H. und mj. Gabriele T. mit zwei Kaufverträgen vom 22. April und 22. Mai 1953, bzw. 12. März und 22. Mai 1953 das Grundstück Nr. 362/6 Acker, Grundbuch K. EZ. 2217, um den vereinbarten Kaufpreis von 30 S je m2. Da dieses Grundstück laut Grundbesitzbogenauszug des Vermessungsamtes Linz vom 26. Jänner 1953 ein Ausmaß von 12.622 m2 aufgewiesen habe, sei der Gesamtkaufpreis mit 378.660 S berechnet und den Verkäufern auch bezahlt worden. Nachträglich habe sich herausgestellt, daß in diesem Grundbesitzbogenauszug das Flächenausmaß der Parzelle 362/6 Acker unrichtig angegeben gewesen sei und richtig 11.532 m2 hätte betragen sollen.

Die beklagte Partei hat zugegeben, daß eine mit TZ. 871/52 des Bezirksgerichtes Linz vom 15. Februar 1952 bewilligte Grundteilung bei Ausstellung des Auszuges nicht berücksichtigt wurde.

Das Erstgericht wies das auf das Amtshaftungsgesetz gegrundete Klagebegehren auf Zahlung von 32.700 S ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus:

Der klagenden Partei bzw. den für sie einschreitenden Organen hätte bei Ausstellung des Grundbesitzbogenauszuges bekannt sein müssen, daß der Grundkataster alljährlich nur einmal berichtigt werde, und zwar in dem der Änderung folgenden Kalenderjahr. Die klagende Partei hätte daher nicht erwarten dürfen, daß ihr ein genau ausgearbeitetes Operat vorliege, zumal bei einer auf Bestellung während des Dienstbetriebes durchgeführten raschen Arbeit immer mit Fehlern gerechnet werden müsse. Eine besondere Bezahlung für diese Arbeit sei nicht zu leisten gewesen, obwohl sie eine zusätzliche Belastung dargestellt habe. Grundbesitzbögen und Mappe liefern im übrigen für die wirklichen Eigentumsverhältnisse keinen Beweis. Diesen stelle nur das Grundbuch her; aus diesem wäre aber ersichtlich gewesen, daß mit TZ. 871/52 des Bezirksgerichtes L. eine Änderung am Gutsbestand der Kaufparzelle erfolgt sei. Es sei eine Nachlässigkeit der Klägerin und ihrer Organe, dies nicht beachtet zu haben. Auch die tatsächliche Verwendung des abgetrennten Gründes als Straße zur Zeit des Kaufabschlusses würde jeden Anspruch der Klägerin ausschließen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. In der Begründung legt das Berufungsgericht dar:

Der Umstand, daß die Operate des Grundkatasters nicht fortlaufend auf den letzten Stand gebracht werden, gebe den Vermessungsämtern noch nicht das Recht, bei der Ausstellung von Grundbesitzbögen (Auszügen) den letzten Stand zu vernachlässigen und unrichtige Bestätigungen zu erteilen. Die Gründe, welche eine gesammelte Aufarbeitung der im Laufe eines Jahres eingetretenen Änderungen im darauffolgenden Jahr rechtfertigen, dürften nicht dazu führen, daß die dem Vermessungsamt bereits bekannt gewordenen, aber noch nicht aufgearbeiten Veränderungen in den gemäß § 58 Abs. 2 des Gesetzes vom 23. Mai 1883, RGBl. Nr. 83, über die Evidenzhaltung des Grundsteuerkatasters, zu erteilenden Kopien und Abschriften nicht berücksichtigt werden können. Eine solche Bleistiftvormerkung sei im vorliegenden Fall nach den Behauptungen der klagenden Partei auch gemacht worden.

Die Meinung der beklagten Partei, es sei eine Gefälligkeit des Vermessungsamtes, solche Änderungen bei der Ausstellung von Auszügen mitzuverarbeiten, sei unter diesen Umständen nicht begrundet. Ebenso erscheine es verfehlt, zu sagen, daß bei derartigen Abschriften eines Vermessungsamtes jedermann damit rechnen müsse, daß die Abschrift falsch sei. Ein solcher Standpunkt sei für eine österreichische Behörde unhaltbar. Wenn die Bekanntgabe des letzten Standes im vorliegenden Fall schon auf Schwierigkeiten gestoßen sein sollte, dann wäre es zumindestens die Pflicht des Vermessungsamtes gewesen, mitzuteilen, daß der Auszug den Stand vom 31. Dezember 1951 enthalte und die Möglichkeit seither erfolgter Änderungen nicht auszuschließen sei. Die Meinung des Erstgerichtes, daß bei einer auf Bestellung während des Dienstbetriebes durchgeführten raschen Arbeit immer mit Fehlern gerechnet werden müsse, sei unverständlich. Die Ausarbeitung von Auszügen aus dem Grundsteuerkataster sei eine im Gesetz vorgesehene Pflicht, nicht aber eine Gefälligkeit der Vermessungsämter und wie jede andere Dienstobliegenheit mit der notwendigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit auszuführen.

Verfehlt erscheine es auch zu sagen, daß die Katasterdaten lediglich zur Beurteilung der Besteuerung mitgeteilt werden. Es müsse als gerichtsbekannt bezeichnet werden, daß das Grundausmaß von Liegenschaften im allgemeinen nur auf Grund der vom Katasteramt eingeholten Flächenmaße festgestellt werde, und zwar nicht etwa nur von privaten Schriftenverfassern, sondern auch von den öffentlichen Notaren und den Gerichten bei Abhandlungen und bei der Verwaltung des Mundelvermögens. In der Praxis ergeben sich diesbezüglich keine Anstände. Es sei daher nicht richtig, daß jeder, der sich mit dem Kauf und Verkauf von Grundstücken zu befassen hat, wissen müsse, daß die in den Katastraloperaten enthaltenen Flächenausmaße unzuverlässig seien.

Mit der Beweiskraft der Grundbuchsmappe und der Katastraloperate überhaupt habe die Richtigkeit der Grundbesitzbogenauszüge nichts zu tun. Es handle sich hier nicht um die Richtigkeit der Mappe und der Flächenausmaße, sondern um die Richtigkeit des erteilten Auszuges und der Mappenkopie. Das Vermessungsamt sei wohl nicht für die Richtigkeit seines Katasters, wohl aber für die Richtigkeit der daraus hergestellten Auszüge verantwortlich.

Der klagenden Partei könne auch nicht als Nachlässigkeit angelastet werden, daß sie bei Einsicht in das Grundbuch nicht nachgeforscht habe, ob die mit TZ. 861/52 durchgeführten Änderungen im Gutsbestande im Katasterauszug bereits berücksichtigt gewesen seien. Aus dem Grundbuch ergeben sich für den vorliegenden Kaufvertrag keine Bedenken, da die klagende Partei das Grundstück Nr. 362/6 Acker und nicht etwa auch das Grundstück Nr. 362/59 (richtig allenfalls 159) öffentliches Gut (Straße) gekauft habe. Das gekaufte Grundstück Nr. 362/6 sei in der den Verkäufern zugeschriebenen Einlage enthalten gewesen. Etwaige Änderungen in der Vergangenheit seien, sobald sie im Grundbuch durchgeführt seien, nicht mehr zu berücksichtigen; maßgebend sei nur der derzeitige Grundbuchstand, und der habe die gekaufte Parzelle ohne Einschränkung ausgewiesen. Die klagende Partei habe auch nicht mehr kaufen wollen als die Verkäufer verkaufen hätten können. Sie sei durch die unrichtige Auskunft des Vermessungsamtes über das Ausmaß der von ihr gekauften Parzelle getäuscht worden.

Gleiches gelte von der Frage, ob das abgetrennte Grundstück zur Zeit des Kaufabschlusses bereits als Straße Verwendung gefunden habe oder nicht. Auch wenn die klagende Partei gewußt habe oder habe wissen müssen, daß die als Grundstück Nr. 362/59 (richtig allenfalls 159) bezeichnete Bodenfläche als Straße in Verwendung stehe, so habe sie damit noch nicht gewußt, daß das Ausmaß dieser Straße im Flächenausmaß des von ihr gekauften Grundstückes noch irrtümlich mitenthalten gewesen sei. Sie habe die Straßenparzelle nicht mit in Kauf genommen.

Alle diese vom Erstgericht angeführten Argumente könnten daher den Anspruch der klagenden Partei nicht aufheben, sondern ließen ihn im Gegenteil begrundet erscheinen.

Da jedoch das Erstgericht, von seinem Standpunkt ausgehend, es unterlassen habe, über den von der klagenden Partei behaupteten Sachverhalt, der nur zum Teil von der beklagten Partei außer Streit gestellt worden sei, Erhebungen zu pflegen und Feststellungen zu treffen, und es insbesondere strittig sei, ob der Fehler des Vermessungsamtes tatsächlich 1090 m2 ausmache und die klagende Partei den Grund um 30 S pro m2 gekauft habe, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neue Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 1 Abs. 1 AmtshaftungsG. haften die Rechtsträger nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Zur Begründung einer Rechtswidrigkeit genügt nicht eine einfache Normwidrigkeit. Soll das Zuwiderhandeln gegen einen Rechtssatz einen Schadenersatzanspruch auslösen, so muß es jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm - wenn auch nur nebenher - bezweckt. Die rechtswidrige Handlung ist eben nur relativ rechtswidrig. Sie ist rechtswidrig nur gegenüber den durch den Rechtssatz geschützten Interessen (Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 47 f.). Auch für das Gebiet des Amtshaftungsrechtes muß daher untersucht werden, welche Interessen die verletzte Norm schützen soll, damit beurteilt werden kann, ob das schadenstiftende Verhalten des Organes gegenüber dem Beschädigten als rechtswidrig anzusehen ist (Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, S. 53 f.; 1 Ob 839/54, 1 Ob 295/54). Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Zweck der Einrichtung von Grundsteuerkataster, Katastralmappe und Grundbesitzbogen. Die historische Entwicklung dieser Einrichtungen liegt im Steuerrecht; der Kataster ist als Grundlage für die Grundsteuer bestimmt (Wegan, die Bedeutung der Mappe im Grundbuchsverfahren und bei Grenzstreitigkeiten, ÖJZ. 1953 S. 34 ff.). § 1 des Gesetzes vom 23. Mai 1883. RGBl. Nr. 83, über die Evidenzhaltung des Grundsteuerkatasters spricht ausdrücklich aus, daß die "Operate zum Zweck der Steueranforderung an den jeweiligen faktischen Besitzer nach Maßgabe seines Besitzumfanges in einer Steuer-(Katastral-) Gemeinde in genauer Evidenz der vorfallenden Veränderungen zu erhalten" sind. Die Brücke von der Rechtseinrichtung des Grundsteuerkatasters zu jener des Grundbuches stellt die Grundbuchsmappe her, die einen Abdruck der Katastralmappe bildet (§§ 11 l. c., 43 GV.). Hinsichtlich dieser Mappe sieht § 3 Allg. GAG. vor, daß sie lediglich zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaften bestimmt ist. Ihre rechtliche Bedeutung ist daher auf diese Veranschaulichung beschränkt. Sie soll über die Größe der Grundstücke keinen Beweis machen, sondern nur zur Feststellung dienen, an welche Grundstücke das in Rede stehende Grundstück angrenzt (so ausdrücklich die erläuternden Bemerkungen zur Vorlage der Bundesregierung, Nr. 418 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, III. GP.). Aus dem eben Gesagten folgt, daß der Zweck des Grundsteuerkatasters auf dem Gebiete des Steuerrechtes liegt und daß für die Grundbuchsmappe, die einen Abdruck der Katastralmappe darstellt, vom Gesetzgeber durch den Hinweis, sie diene "lediglich der Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft", ausdrücklich bestimmt wird, daß sie keinen Beweis über die Größe der Grundstücke macht. Im vorliegenden Fall hat nun der Kläger aus dem zum Grundsteuerkataster gehörigen Grundbesitzbogen für Zwecke des rechtsgeschäftlichen Verkehrs Schlüsse gezogen. Damit ist er aus dem Zweckbereich, den das Gesetz für den Grundsteuerkataster vorgesehen hat, herausgetreten und kann nicht den Rechtsträger dafür verantwortlich machen, wenn ihm in diesem zweckfremden Bereich aus der Unrichtigkeit des Grundsteuerkatasters Schaden erwachsen ist. Der Zweck der Evidenthaltung des Grundsteuerkatasters liegt nicht darin, dem rechtsgeschäftlichen Verkehr eine verläßliche Grundlage für die Grundstückausmaße zu geben, sondern auf einem ganz anderen Gebiete, nämlich diese Grundlage für die Grundsteuerbemessung zu liefern. Die Norm ist nicht im Interesse des rechtsgeschäftlichen Verkehrs erlassen; entsteht daher in diesem Bereich durch eine Pflichtverletzung Schaden, so fehlt es am Rechtswidrigkeitszusammenhang.

An diesem Ergebnis wird auch dadurch nichts geändert, wenn der Fehler nicht in der Katastralmappe oder im Grundbesitzbogen selbst, sondern in der amtlich erteilten Abschrift (§ 58 des Gesetzes vom 23. Mai 1883, RGBl. Nr. 83) unterlaufen ist. Beschränkt sich der Zweck der Rechtseinrichtung auf ein anderes Gebiet als auf jenes, in dem der Schaden entstanden ist, so können auch die erteilten Abschriften nicht aus dem für die Rechtseinrichtung als solche bestimmten Rahmen herausgehoben werden; dies würde dem im § 1 l. c. ausdrücklich ausgesprochenen Gesetzeszweck widerstreiten. Bei dieser Rechtsauffassung kommt es nicht darauf an, ob bei Ausstellung der Abschrift des Grundbesitzbogens ein Fehler unterlaufen ist und ob dabei den internen Vorschriften und Übungen der Vermessungsbehörde entsprochen worden ist. Auch wenn ein Fehler unterlaufen wäre, könnte der Kläger mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges den ihm auf rechtsgeschäftlichem Gebiet entstandenen Schaden von der beklagten Partei nicht ersetzt verlangen.

Gleichgültig ist es auch, ob im Grundstückverkehr die Daten des Grundsteuerkatasters von den Verkehrsteilnehmern als Geschäftsgrundlage benützt werden. Es mag durchaus sein, daß diese Daten im allgemeinen so verläßlich sind und als so verläßlich gelten, daß sie der rechtsgeschäftliche Verkehr heranzieht. Tun dies aber Vertragsparteien, so geschieht dies auf ihre Gefahr. Es geht nicht an, den Staat, der den Grundsteuerkataster zu ganz anderen Zwecken, nämlich zu Steuerzwecken, führt, deswegen haftbar zu machen, weil bei der zweckfremden Verwendung infolge eines Fehlers im Kataster ein Schaden entstanden ist. Dafür fehlt eben - wie bereits mehrfach hervorgehoben - der Rechtswidrigkeitszusammenhang.

Da nach der dargelegten Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung unnötig ist, war dem Rekurs der beklagten Partei Folge zu geben, die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufzuheben und ihm die neue Entscheidung unter Bindung an die Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes aufzutragen.

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