Normen
ABGB §431
ABGB §509
ABGB §521
ABGB §1090
GBG §4
GBG §5
ABGB §431
ABGB §509
ABGB §521
ABGB §1090
GBG §4
GBG §5
Spruch:
Unterschied zwischen entgeltlicher Dienstbarkeit des Wohnungsrechtes und verbüchertem Bestandvertrag.
Nichtübereinstimmung zwischen Hauptbuch und Urkundensammlung.
Entscheidung vom 4. März 1955, 1 Ob 47/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Die Untergerichte haben übereinstimmend festgestellt, daß die Geschwister Alois und Anna R. ihre Liegenschaft im Jahre 1921 an Gustav F. verkauft und sich hiebei auf Lebensdauer das Recht ausbedungen haben, eine bestimmte Wohnung in diesem Hause "in Miete zu haben". Der Mietzins wurde damals mit 40 Kronen im Monat festgestellt. Eine Erhöhung des Mietzinses "unter Bedachtnahme auf die bestehenden Mieterschutzvorschriften" war vorgesehen. Gleichzeitig wurde im Kaufvertrag vereinbart, daß "dieses Bestandrecht in das Grundbuch als gemeinsames Recht einzutragen sei". Im Grundbuch wurde jedoch - aus nicht bekannten Gründen - statt des Bestandrechtes die "Dienstbarkeit der Wohnung" einverleibt. Alois R. zahlte den gesetzlichen Zins. Im Jahre 1925 verkaufte Gustav F. das Haus an den Kläger. Die Zinszahlungen gingen weiter wie bisher. Im Jahre 1946 starb Anna R., 1951 Alois R. Die Beklagte ist die Witwe nach Alois R., mit dem sie viele Jahre in der Wohnung wohnte. Im Jahre 1953 wurde die Löschung der erwähnten Dienstbarkeit der Wohnung im Grundbuche einverleibt. Die Beklagte benützt die Wohnung weiter.
Das Erstgericht hat die auf das Erlöschen der Servitut des Gebrauchsrechtes gestützte Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, daß keine Dienstbarkeit der Wohnung bestanden habe, sondern ein Bestandrecht, in das die Beklagte gemäß § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. eingetreten sei.
Das Berufungsgericht hat dieses Urteil aus den Gründen des Erstgerichtes bestätigt und ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Die entscheidende Frage ist, ob die Dienstbarkeit der Wohnung nach dem Tode des letzten Servitutsberechtigten erloschen ist oder ob es sich um ein Bestandrecht handelt, das gemäß § 1116a ABGB. (§ 19 Abs. 2 Z. 11 MietG.) jetzt der Beklagten zusteht. Die Löschung der Servitut ist bedeutungslos.
Die Untergerichte haben dem Kläger mit Recht zum Vorwurf gemacht, daß er sich auf die Eintragung im Hauptbuche verlassen und nicht in die Urkundensammlung Einsicht genommen habe, denn die Rechtsprechung geht - angewendet auf den vorliegenden Fall - dahin, daß die Urkundensammlung, ohne daß das Hauptbuch darauf Bezug nimmt, vom Kläger zu berücksichtigen war. Dies hat die Entscheidung GlUNF. 1237 ausgesprochen, und zwar daß der, der es unterläßt, außer dem Grundbuch auch die Urkundensammlung einzusehen, die Folgen dieser Unterlassung zu tragen hat. Trotz aller in der Frage - ob hier das Hauptbuch oder die Urkundensammlung den entscheidenden Ausschlag zu geben hat - im Schrifttum bestehenden Gegensätze hat sich zunächst die grundsätzliche Meinung durchgesetzt, daß bei Nichtübereinstimmung der Eintragung im Hauptbuche mit dem Inhalt der Urkunde zufolge § 4 GBG. "die Eintragung maßgebend sei, weil der Zwang, an der Hand der Urkunde deren Richtigkeit zu überprüfen, die Einrichtung des Hauptbuches zwecklos erscheinen ließe und den Verkehrsbedürfnissen widersprechen würde" (Klang 2. Aufl. II, Vorbemerkungen zu §§ 431 bis 446, S. 337). Abweichungen von diesem Grundsatz hält das Schrifttum nur für zulässig, wo entweder das Hauptbuch auf die Urkundensammlung Bezug nimmt oder bei dem in das Hauptbuch Einsicht Nehmenden der Verdacht erweckt wird, daß das Hauptbuch und die Urkundensammlung nicht übereinstimmen, und letztlich dort, wo die Einsichtnahme in die Urkundensammlung als verkehrsüblich angesehen werden müsse (Klang a. a. O. und - schon vor dessen erster Auflage - Ehrenzweig 1. Aufl. I/2 S. 110).
Der Oberste Gerichtshof ist im konkreten Fall der Ansicht, daß von den erwähnten drei Ausnahmen nur die an zweiter Stelle genannte in Frage kommt, und zwar aus folgender Erwägung: Schrifttum und Rechtsprechung kennen sowohl entgeltliche als auch unentgeltliche Dienstbarkeiten, je nachdem ob für die Nutzung des dienenden Grundstückes ein Entgelt entrichtet wird oder nicht. Es kann somit die Dienstbarkeit der Wohnung (§ 521 ABGB.) auch eine entgeltliche Servitut sein (Klang a. a. O. 552 zu § 474 ABGB. und 598 zu § 521 ABGB.). Sie wird, auch wenn für die Benützung der Wohnung ein Zins zu entrichten ist, nicht zu einem Mietverhältnis (RiZ. 1937 S. 228); daraus folgt umgekehrt, daß ein Bestandvertrag durch die Eintragung als Dienstbarkeit nicht zu einer solchen wird. Abgesehen davon gilt zwischen den vertragschließenden Parteien immer der Inhalt der Urkunde (SZ. X 88). Es ist nicht einzusehen, warum beim Wechsel der Obligierten sich der rechtliche Charakter der Vereinbarung ändern sollte. Es kann hier auch die Frage unerörtert bleiben, ob der Kläger als gutgläubiger Dritter in Betracht kommt; jedenfalls ist er Liegenschaftseigentümer und nicht etwa Nachhypothekar, der dem Wohnungsberechtigten gegenüber nicht verpflichtet ist, während jeder Liegenschaftseigentümer aus der Urkunde (und nicht bloß der Eintragung) dem Bestandnehmer berechtigt und verpflichtet bleibt. Die Tatsache jedoch, daß der Gatte der beklagten Partei sowohl an Gustav F. als auch an dessen Rechtsnachfolger, den Kläger, für die Benützung der Wohnung regelmäßig den gesetzlichen Zins entrichtet hat, mußte beim Kläger, als er die Liegenschaft erwarb, den Verdacht erwecken, daß es sich auch um ein Bestandrecht, das gemäß § 1116a ABGB. vererblich ist, handeln könne und nicht bloß um eine mit dem Tode des Servitutsberechtigten erlöschende Dienstbarkeit. Darin sieht der Oberste Gerichtshof im konkreten Falle die Verpflichtung des Klägers zur Einsicht in die Urkundensammlung. Hiemit wird dem Kläger nicht mehr zugemutet, als er selbst - unter Verfechtung der Grundsätze des Servitutsrechtes - von der Beklagten in diesem Rechtsstreite verlangt.
Daß im Jahre 1921 ein Bestandrecht auf Lebensdauer des Bestandnehmers als Dienstbarkeit der Wohnung ins Grundbuch eingetragen wurde, scheint aus dem Sicherungszweck, den die Bestandnehmer als Verkäufer der Liegenschaft vertraten, verständlich, da es nach der damaligen Rechtsprechung zumindest zweifelhaft war, ob ein Bestandrecht auf Lebensdauer wegen seines unbestimmten Charakters einverleibt werden könne (daß jedoch dieses umstrittene Recht im vorliegenden Falle keine Dienstbarkeit, sondern ein Bestandrecht war, konnte der Kläger aus der Urkundensammlung entnehmen). Erst die Entscheidung SZ. XXV 29 ist von der Entscheidung 1 Ob 573/37, in der noch ausgesprochen wurde, daß ein Bestandvertrag auf unbestimmte Zeit nicht verbüchert werden könne, insofern abgegangen, als dieser Rechtssatz in dieser Allgemeinheit nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, weil auch die Unbestimmtheit der Dauer des Bestandvertrages auf die Lebenszeit des Mieters abgestellt werden könne, so daß jeder einleuchtende Grund fehle, einen solchen Bestandvertrag nicht zu Verbüchern. Weder die Vorschrift des § 1095 ABGB. noch jene der §§ 9 und 12 GBG. stehen einer solchen Einverleibung des Bestandrechtes hinderlich im Wege. Es kam daher der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XXV 29 zu dem Ergebnis, daß die Verbücherung eines auf Lebenszeit des Mieters geschlossenen Bestand, Vertrages möglich sei. Das Bestandrecht unterscheidet sich auch im Falle der Verbücherung wesentlich von der Dienstbarkeit des Gebrauches, der Fruchtnießung oder der Wohnung und wird nicht zur Dienstbarkeit, sondern bleibt ein Bestandrecht. Da der Gatte der Beklagten regelmäßig für das Wohnen den gesetzlichen Mietzins an den Kläger entrichtete, mußte dieser um so mehr Verdacht schöpfen, daß ein Bestandvertrag und keine Dienstbarkeit vorliege, als die Entgeltlichkeit der Servitut des Gebrauches der Wohnung keinesfalls den Regelfall dieser Dienstbarkeit darstellt.
Auch die Ausführungen des Revisionswerbers, der Erblasser Alois R. habe mit "konkludenten Handlungen durch 33 Jahre hindurch sein Gebrauchsrecht auf die lebenslängliche Servitut gestützt", weshalb ihm jetzt auch der "schlechte Tropfen" gebühre, sind deshalb verfehlt, weil der Kläger (ebenso wie sein Rechtsvorgänger) immer den gesetzlichen Mietzins angenommen hat, während im Regelfall der Servitut des Wohnungsrechtes - wäre sein oben wiedergegebener Gedankengang begrundet - Unentgeltlichkeit vorgelegen wäre.
Die Revision ist daher unbegrundet.
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