Normen
Außerstreitgesetz §2
Außerstreitgesetz §16
Todeserklärungsgesetz 1950 §2
Todeserklärungsgesetz 1950 §12
Außerstreitgesetz §2
Außerstreitgesetz §16
Todeserklärungsgesetz 1950 §2
Todeserklärungsgesetz 1950 §12
Spruch:
Der von einem französischen Gericht ausgesprochenen Todeserklärung kommt für den österreichischen Rechtsbereich keine Wirkung zu.
Die Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens auf Grund einer nicht durch eine rechtswirksame Todeserklärung gedeckten Todfallsaufnahme begrundet eine Nichtigkeit, die in jedem Stadium des Verfahrens - solange es noch nicht rechtskräftig beendet ist - wahrzunehmen ist.
Entscheidung vom 19. Jänner 1955, 2 Ob 968/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht hat mit Beschluß vom 13. Oktober 1954 das bisher durchgeführte Verlassenschaftsverfahren nach Wilhelmine Emma B. als nichtig aufgehoben.
Das Erstgericht ging hiebei von folgenden Erwägungen aus: Wilhelmine B. sei österreichische Staatsbürgerin gewesen; daran ändere auch nichts der Umstand, daß sie nach 1938 aus rassischen Gründen Österreich verlassen habe. Für das Todeserklärungsverfahren gelte das Heimatrechtsprinzip, wonach ein Inländer nur von einem österreichischen Gerichte für tot erklärt werden könne. Daher käme dem Urteile des Gerichtes erster Instanz des Departements seine vom 8. Juli 1949 - also eines französischen Gerichtes -, mit welchem erkannt wurde, daß Wilhelmine B. am 14. August 1942 gesetzlich gestorben sei, keine Rechtswirkung zu.
Liege aber weder eine Todesurkunde noch eine für den österreichischen Rechtsbereich wirksame Todeserklärung vor, so fehle es an dem Erfordernis für eine rechtsgültige Verhandlung und Verfügung im Verlassenschaftsverfahren, was gemäß § 2 AußStrG. von Amts wegen wahrzunehmen sei und die Nichtigkeit des bisherigen Verfahrens zur Folge habe.
Dem Rekurse der Verlassenschaft des nachverstorbenen erbl. Witwers Paul B. hat das Rekursgericht keine Folge gegeben.
Der Oberste Gerichtshof wies den a. o. Revisionsrekurs der Verlassenschaft zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Aus den Ausführungen des Revisionsrekurses ergibt sich, daß Nichtigkeit und offenbare Gesetzwidrigkeit der Beschlüsse der Unterinstanzen behauptet werden.
Beide sind nicht gegeben.
Von einer Nichtigkeit der Beschlüsse der Untergerichte könnte selbst dann, wenn die Untergerichte zu Unrecht das Verlassenschaftsverfahren für nichtig erklärt hätten, noch nicht gesprochen werden. Der Revisionsrekurs erblickt diese Nichtigkeit darin, daß der das Verlassenschaftsverfahren aufhebende Beschluß des Verlassenschaftsgerichtes, mit welchem es seine eigenen, bis dahin trotz Kenntnis aller Voraussetzungen und in offenbar bewußter Anwendung einer gegenteiligen Lehre oder Auslegungspraxis getroffenen Maßnahmen widerrufe, selbst eine nichtige Verfügung sei.
Es liegt auf der Hand, daß das, was hier als angebliche Nichtigkeit eines Beschlusses des an und für sich zuständigen Verlassenschaftsgerichtes angeführt wird, keineswegs eine Nichtigkeit, sondern höchstens eine offenbare Gesetzwidrigkeit begrunden könnte.
Aber auch eine solche liegt nicht vor. Der Begriff der offenbaren Gesetzwidrigkeit ist jenem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht gleichzuhalten. Zum Begriffe der offenbaren Gesetzwidrigkeit gehört, daß die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetze selbst so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und dennoch eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (vgl. die in der im Verlage der österreichischen Staatsdruckerei erschienenen Ausgabe des Verfahrens außer Streitsachen von Hellwich - Preissecker 1952 zu § 16 AußStrG. unter Nr. 1 zitierten Entscheidungen).
Der Revisionsrekurs führt selbst nur an, daß die Anwendung des Heimatrechtsprinzipes im Todeserklärungsverfahren keineswegs unbestritten geblieben ist.
Deshalb, weil dieses Prinzip nicht unbestritten geblieben ist, kann aber keineswegs gesagt werden, daß es mit dem Gesetze offenbar im Widerspruch steht. Der von den Untergerichten eingenommene Rechtsstandpunkt betreffend die Anwendung des Heimatrechtsprinzips im Todeserklärungsverfahren entspricht aber sogar der derzeit herrschenden Praxis (vgl. 3 Ob 316/52 und 2 Ob 314/54). Auch der Standpunkt der Untergerichte, daß die österreichische Staatsbürgerschaft, wenn sie im März 1938 vorhanden war, durch die Annexion Österreichs nicht erloschen ist, steht mit der herrschenden Theorie und Praxis keineswegs im Widerspruch. Wenn die Untergerichte annehmen, daß Wilhelmine B. im Jahre 1942 österreichische Staatsbürgerin war, so liegt hier also auch keineswegs eine offenbare Gesetzwidrigkeit vor.
Schließlich kann auch darin, daß das Erstgericht, obwohl es zuerst das Abhandlungsverfahren durchgeführt hat, in der Folge dieses Verfahren für nichtig erklärt hat, keine offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt werden; die Nichtigkeitsgrunde der ZPO. gelten auch im Außerstreitverfahren, soweit sie für dieses in Betracht kommen können (vgl. SZ. XXII 107).
Die Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens auf Grund einer nicht durch eine rechtswirksame Todeserklärung gedeckten Todfallsaufnahme begrundet eine Nichtigkeit, die in jedem Stadium des Verfahrens, solange dieses Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet ist - was aber hier noch nicht der Fall war -, wahrzunehmen ist (vgl. 2 Ob 223/50).
Das Vorgehen der Unterinstanzen steht mit der durch diese oberstgerichtlichen Entscheidungen erfolgten Gesetzesauslegung im Einklang und kann daher niemals eine offenbare Gesetzwidrigkeit begrunden.
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