OGH 2Ob211/51 (2Ob212/51)

OGH2Ob211/51 (2Ob212/51)26.4.1951

SZ 24/115

Normen

EO §39 Z2
EO §54
EO §294
EO §331
Vierte Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art. 7 Nr. 11
ZPO §31
ZPO §106 Abs1
ZPO §114 Abs5 lita
ZPO §474 Abs3
ZPO §477 Abs1 Z4
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §504 Abs1
ZPO §510 Abs2
ZPO §514 Abs2
ZPO §519
EO §39 Z2
EO §54
EO §294
EO §331
Vierte Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art. 7 Nr. 11
ZPO §31
ZPO §106 Abs1
ZPO §114 Abs5 lita
ZPO §474 Abs3
ZPO §477 Abs1 Z4
ZPO §477 Abs1 Z5
ZPO §504 Abs1
ZPO §510 Abs2
ZPO §514 Abs2
ZPO §519

 

Spruch:

Der Beschluß des Berufungsgerichtes, mit welchem die Nichtigkeitsberufung verworfen wurde, ist unanfechtbar.

Die Ermächtigung zur Empfangnahme von Klagen muß eine besondere, auf die Gattung des Geschäftes lautende Vollmacht sein. Eine allgemein zur Empfangnahme aller Poststücke erteilte Vollmacht genügt nicht.

Entscheidung vom 26. April 1951, 2 Ob 211, 212/51.

I. Instanz: Bezirksgericht Schwechat; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Prozeßgericht erließ gegen den wegen außerehelicher Vaterschaft und Unterhaltsleistung belangten, von der ersten Streitverhandlung ausgebliebenen Beklagten ein Versäumungsurteil, da ein mit dem Namen des Beklagten unterfertigter Rückschein vorlag. Tatsächlich war der Rückschein von der Gattin des Beklagten unterschrieben worden, da dieser eine Vollmacht folgenden Inhaltes ausgestellt hatte: "Meine Frau Maria L. ist berechtigt, sämtliche an mich gerichtete Post zu übernehmen."

Das Berufungsgericht verwarf die wegen Nichtigkeit (§ 477 Z. 4 ZPO.) erhobene Berufung und gab ihr im übrigen nicht Folge.

Der Oberste Gerichtshof wies den Rekurs des Beklagten gegen die Verwerfung seiner Nichtigkeitsberufung zurück, hob jedoch aus Anlaß der Revision die Urteile des Prozeß- und des Berufungsgerichtes sowie das ihnen vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und verwies die Sache zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens (einschließlich der Klagszustellung) an das Prozeßgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs des Beklagten richtet sich gegen den in das Urteil des Berufungsgerichtes aufgenommenen Beschluß dieses Gerichtes, womit die wegen Nichtigkeit im Sinne des § 477 Z. 4 ZPO. erhobene Berufung des Beklagten verworfen wurde. Gemäß § 519 ZPO. ist gegen Beschlüsse des Berufungsgerichtes ein Rekurs nur in den dort angeführten drei Fällen zulässig. Keiner dieser Fälle liegt vor. Denn das Berufungsgericht hat über den Berufungsgrund, daß das Erstgericht zu Unrecht ein Versäumungsurteil gefällt habe (§ 477 Z. 4 ZPO.), meritorisch gesprochen (§ 474 Abs. 3 ZPO.). Der Beschluß des Berufungsgerichtes kann daher mit Rekurs nicht angefochten werden (ZBl. 1923, Nr. 98, RZ. 1933, S. 148 u. a.). Der in der Entscheidung GlUNF. 7518 zum Ausdruck gebrachten Meinung, daß der Nichtigkeitsgrund des § 477 Z. 4 ZPO. nach § 514 Abs. 2 ZPO. auch im Rekursverfahren geltend gemacht werden kann, sowie der in der Entscheidung GH. 1915, Nr. 42, ausgedrückten Rechtsansicht, daß der Revisionsrekurs zulässig sei, wenn das erstinstanzliche Urteil aus Nichtigkeitsgrunden angefochten, die Berufung jedoch mit Beschluß verworfen wurde, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen. Diese Entscheidungen sind vereinzelt geblieben. Von dem Grundsatz ausgehend, daß dort, wo das Gesetz den Rekurs ausdrücklich versagt, dieser nicht deshalb zulässig wird, weil Nichtigkeit den Anfechtungsgrund bildet (Rsp. 1929, Nr. 204), muß daher der Rekurs des Beklagten unter allen Umständen als unzulässig zurückgewiesen werden.

Doch hatte der Oberste Gerichtshof, da vorgefallene Nichtigkeiten jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen sind, zu überprüfen, ob durch den Zustellvorgang im gegebenen Falle eine Nichtigkeit nach § 477 Z. 4 ZPO. begrundet wurde. Die Rechtsprechung (SZ. VI/78, SZ. XV/38, GlUNF. 648, 6015, 6432) steht grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß die Nichtigkeitsgrunde des § 477 ZPO. öffentlichen Rechtes sind und daher auch zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht geltend gemacht wurden. Nur in der vereinzelt gebliebenen Entscheidung ZBl. 1921, Nr. 176, ist ausgesprochen, daß die Nichtigkeitsgrunde des § 477 Z. 4 und 5 nicht von Amts wegen wahrzunehmen sind. Das Revisionsgericht tritt der herrschenden und durchaus überzeugend begrundeten Meinung bei. Gemäß § 510 Abs. 2 ZPO. ist dem Revisionsgericht ausdrücklich das Recht eingeräumt, das Urteil oder Verfahren wegen einer schon in erster Instanz unterlaufenen, von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit aufzuheben. Voraussetzung hiefür ist das Vorliegen einer zulässigen Revision und ein im Sinne des § 504 Abs. 1 ZPO. diese Aufhebung umfassender Revisionsantrag. Beides trifft im vorliegenden Falle zu.

Das Revisionsgericht vermag sich der Anschauung des Berufungsgerichtes, daß die Gattin des Beklagten mit einer ausreichenden Vollmacht auch zur Empfangnahme von Klagen ausgestattet gewesen sei, nicht anzuschließen. Die Ermächtigung zur Annahme von Klagen erfordert nach § 106 Abs. 1 ZPO. eine besondere, auf diese Gattung der Geschäfte lautende Vollmacht, eventuell eine nach § 31 ZPO. einem Rechtsanwalt erteilte Prozeßvollmacht. Die vom Beklagten seiner Gattin erteilte Vollmacht lautete allgemein auf alle an den Beklagten gerichteten Poststücke. Sie entspricht demnach nicht den Anforderungen des § 106 ZPO. bezüglich der Entgegennahme von Klagen. Es kann daher die Zustellung der gegen den Beklagten gerichteten Klage und Ladung für den 4. Juli 1950 an seine Gattin nicht als eine gesetzliche Zustellung gemäß § 106 ZPO. angesehen werden (vgl. GlUNF. 3239). Es ist in diesem Zusammenhang auch auf die Vorschrift des § 114 Abs. 5 lit. a der durch die Verordnung vom 21. November 1946, BGBl. Nr. 205, wiederhergestellten österreichischen Postordnung vom 17. November 1926, BGBl. Nr. 329, zu verweisen, die die Postvollmacht regelt. Hienach hat der Adressat eine schriftliche Vollmacht auszustellen und darin die Gattungen der Sendungen genau zu bezeichnen, zu deren Empfangnahme der Bevollmächtigte befugt sein soll. Auch nach dieser Bestimmung würde also eine allgemeine Vollmacht zur Empfangnahme sämtlicher Poststücke nicht zur Entgegennahme von gerichtlichen Klagen berechtigen.

Aus dem ungesetzlichen Zustellvorgang folgt gemäß § 477 Z. 4 ZPO. die Nichtigkeit des erstinstanzlichen Versäumungsurteiles und des ihm vorangegangenen Verfahrens. Daß diese Nichtigkeit nachträglich etwa geheilt worden wäre (SZ. I/42, ZBl. 1922, Nr. 316), konnte auch durch die vom Revisionsgericht angeordnete ergänzende Befragung der Maria L. nicht dargetan werden, die sich nicht erinnern kann, ob sie noch vor der mündlichen Streitverhandlung am 4. Juli 1950 die Klage und Ladung dem Beklagten übergeben hat.

Demgemäß waren aus Anlaß der zulässigen Revision des Beklagten beide untergerichtlichen Urteile und das ihnen vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben.

Stichworte