OGH 2Ob197/50

OGH2Ob197/508.11.1950

SZ 23/320

Normen

Reichsversicherungsordnung §899
Sozialversicherungs- Überleitungsgesetz §78
Strafgesetz §335
Reichsversicherungsordnung §899
Sozialversicherungs- Überleitungsgesetz §78
Strafgesetz §335

 

Spruch:

Der in einem Betrieb angestellte Kraftwagenlenker kann hinsichtlich der Haftpflicht für einen von ihm verursachten Unfall nicht als Betriebs- oder Arbeiteraufseher im Sinne des § 899 RVO. angesehen werden.

Entscheidung vom 8. November 1950, 2 Ob 197/50.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht hat die auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes für einen vom Beklagten als Kraftwagenlenker verschuldeten Arbeitsunfall gestützte Klage abgewiesen. Der Beklagte sei weder als Bevollmächtigter oder Repräsentant, noch als Betriebs- oder Arbeiteraufseher im Sinne des § 899 RVO. anzusehen. Deshalb sei seine Haftung für den in Frage stehenden Kraftwagenunfall nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Es komme nur eine Haftung wegen Verschuldens in Frage. Ein solches könne dem Beklagten, der vom Strafgerichte von der Übertretung nach § 335 StG. freigesprochen worden sei, nicht nachgewiesen werden.

Infolge Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht stimmte der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß der Beklagte nicht zu den im § 899 RVO. aufgezählten Personen gehöre, wenn es auch gleichgültig sei, ob er bei demselben Unternehmen wie die Beklagte beschäftigt sei; denn trotz des Ineinandergreifens von Arbeitsvorgängen verschiedener Unternehmer handle es sich um einen Betriebsunfall. Das Verfahren sei aber mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht keine Erhebungen über den geltend gemachten Verschuldenstatbestand durchgeführt habe. Dies beziehe sich insbesondere auf die Behauptung der Klägerin, daß der Lastkraftwagen nicht in betriebssicherem Zustand gewesen sei und der Beklagte die Ladung nicht gemäß § 19 Abs. 1 StVO. gehörig verstaut habe. Die Fortsetzung des erstgerichtlichen Verfahrens wurde von der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses abhängig gemacht.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurse des Beklagten gegen die berufungsrichterliche Entscheidung nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Schwergewicht der Entscheidung liegt auf der Auslegung der §§ 898, 899 RVO. Nach der erstgenannten Bestimmung ist der Unternehmer dem Unfallversicherten und dessen Hinterbliebenen, auch wenn diese keinen Anspruch auf eine Unfallrente haben, nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatze des Unfallschadens nur dann verpflichtet, wenn strafgerichtlich festgestellt ist, daß der Unfall von ihm vorsätzlich herbeigeführt wurde. Nach § 899 sind dem Unternehmer seine Bevollmächtigten und Repräsentanten sowie die Betriebs- und Arbeiteraufseher gleichgestellt. Der Sinn und die Rechtfertigung dieser Ausnahmebestimmung liegt nicht schlechtweg in der Tatsache, daß es sich um einen Betriebsunfall handelt, wie der Rekurswerber annimmt. Es sollen vielmehr diejenigen Personen, die unmittelbar oder gemäß § 903 RVO. im Regreßweg Aufwendungen für die Unfallversicherung (§ 78 SVÜG.) und die Unfallsfolgen zu tragen haben, über diese Leistungen hinaus nicht weitergehend in Anspruch genommen werden, sofern nicht vorsätzliche Schadenszufügung vorliegt. Sie haften in diesem Rahmen ja auch für Folgen von Unfällen, die sich ohne ihr Verschulden, ja sogar aus dem Verschulden des Verletzten ereignet haben (E. d. RG. v. 30. Mai 1932, RGZ. 136, 345; Bülow, DJ. 1944, S. 25). Der Schadenersatzanspruch aus einem Betriebsunfall steht aber - von dieser Ausnahme abgesehen (E. v. 17. Dezember 1949, 1 Ob 261/49, SZ. XXII/202, E. d. RG. v. 7. Juni 1944, EvBl. Nr. 255) - dem Geschädigten gegen die anderen privatrechtlich zum Schadenersatz verpflichteten Urheber des Unfalles im gewöhnlichen Ausmaß zu.

Die Gleichstellung der Betriebs- und Arbeiteraufseher (um leinen Bevollmächtigten oder Repräsentanten des Unternehmers handelt es sich hier nicht) mit dem Unternehmer in der Beschränkung der Schadenshaftung ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der betreffenden im Betrieb tätigen Person eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung zukommt. Es muß sich um eine ausgeprägt eigene Verantwortung über einen organischen Teil des Betriebes und in der Regel um höhere Betriebsangestellte handeln, solche müssen anderseits das Recht haben, anderen Beschäftigten Arbeitsaufträge zu erteilen und deren Tätigkeit zu überwachen (Müller, DJ. 1944, S. 208, Kommentar der Mitglieder des Reichsversicherungsamtes, III, S. 438, E. d. RAG. v. 15. Mai 1942, DR (A) 1942, S. 1293, E. d. RG. v. 30. Mai 1932, RGZ. 136, 345; E. d. OLG. Wien v. 11. September 1942, Das Recht - Beilage zur DJ. - 1943, Nr. 954; für weite Auslegung Karsting, DR (A) 1940, S. 401). Die deutsche Judikatur und neuere Gesetzgebung (z. B. Gesetz vom 7. Dezember 1943, DRGBl. I, S. 674, amtl. Begründung dazu DJ. 1944, S. 21, Bülow, DJ. 1944, S. 25 ff.) hat den Umfang der Ausnahmebestimmung der §§ 898, 899 RVO. möglichst eingeengt. Es ist keineswegs so, wie der Rekurswerber annimmt, daß aus dem Ausschluß der gewöhnlichen Schadenshaftung einzelner Betriebsangehöriger auf denjenigen aller Beschäftigten geschlossen werden könnte. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der einschränkenden Auslegung in der Erwägung an, daß die durch einen Arbeitsunfall Geschädigten über die vom Gesetz ausdrücklich normierten Fälle hinaus in der Geltendmachung der normalen Schadenersatzansprüche nicht gehindert werden sollen.

Die Tätigkeit eines gewöhnlichen Kraftwagenlenkers (anders etwa ein Autobuschauffeur, E. v. 27. September 1950, 2 Ob 116/50 (Siehe Nr. 266)) ist keine solche, daß von einem Betriebs- oder Arbeiteraufseher gesprochen werden könnte. Denn es fehlt trotz der beschränkten Verantwortung für die Bedienung und Pflege des Wagens und das Beladen mit Gütern an einer Verantwortlichkeit für das rechte Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte, wie auch der selbständige Betrieb einer Maschine durch einen Arbeiter diesen noch nicht zum Aufseher über einen organischen Teil des Betriebes oder zum Arbeiteraufseher stempelt (E. d. RG. v. 16. Februar 1943,

Das Recht 1943, Nr. 2320, v. 3. November 1942, Entsch. u. Mitt. des RVA. 50/131; RGZ. 170, 159, v. 25. August 1942, Das Recht 1943, Nr. 505, E. d. RAG. v. 15. Mai 1942, Das Recht 1942, Nr. 2922, E. a. RG.

v. 24. Oktober 1941, Das Recht 1941, Nr. 4408, v. 16. Dezember 1939, Entsch. u. Mitt. des RVA. 46/130, E. d. RAG. v. 9. November 1938,

Das Recht 1939, Nr. 324, E. d. OLG. Wien v. 11. September 1942, Das Recht 1943, Nr. 954, E. d. OLG. Naumburg v. 14. Februar 1939, Das Recht 1939, Nr. 3266).

Im vorliegenden Fall ist kein Umstand behauptet oder erwiesen worden, aus dem geschlossen werden könnte, daß der Beklagte einen umfangreicheren Wirkungskreis gehabt hätte als ein gewöhnlicher Kraftwagenlenker überhaupt. Insbesondere ist nicht hervorgekommen, daß er über die Beklagte oder andere Personen eine Befehlsgewalt ausgeübt hätte. Er ist - wie die Untergerichte zutreffend erkannt haben - nicht als eine der im § 899 RVO. angeführten Personen anzusehen.

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