Normen
AVG §39 Abs2
BAO §167 Abs2
BAO §20
BAO §21
BAO §22
BAO §23
BAO §261 Abs2
BAO §303 Abs1
BAO §307 Abs1
BAO §307 Abs3
VwGG §15 Abs3
VwGG §33 Abs1
VwGG §41
VwGG §42
VwGG §42 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs3
VwGG §42 Abs4
VwGG §62 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023130162.L00
Spruch:
1. Das erstangefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2004) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
2. Der zweitangefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 7. Februar 2008 nahm das Finanzamt das (mit Bescheid vom 21. November 2007 abgeschlossene) Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2004 gemäß § 303 BAO wieder auf. Mit weiterem Bescheid vom 7. Februar 2008 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2004 neu fest.
2 In der (gesonderten) Begründung wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, es seien Tatsachen neu hervorgekommen. Der Mitbeteiligte habe zu den Abgabenerklärungen 2004 bekannt gegeben, dass er auf eine Forderung gegenüber der V GmbH aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten des Kunden und zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen verzichtet habe; der Einkommensteuerbescheid 2004 sei unter Berücksichtigung dieses Vorbringens erlassen worden. Aufgrund einer Rückmeldung der für die Abgabenerhebung der V GmbH zuständigen Abgabenbehörde sei aber auf die Forderung nicht verzichtet worden; vielmehr sei diese Forderung gegen Entgelt an den Sohn des Mitbeteiligten abgetreten worden.
3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diese Bescheide Berufung.
4 Mit Berufungsvorentscheidungen vom 23. März 2009 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab.
5 Der Mitbeteiligte beantragte, die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen.
6 Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht u.a. der (nunmehrigen) Beschwerde betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einkommensteuer 2004) Folge und hob den Bescheid (ersatzlos) auf.
7 Mit dem zweitangefochtenen Beschluss erklärte das Bundesfinanzgericht die (nunmehrige) Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 als gegenstandslos.
8 Das Bundesfinanzgericht sprach jeweils aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zugelassen werde.
9 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht (soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung) im Wesentlichen aus, für das Veranlagungsjahr 2004 sei vom Mitbeteiligten ein Forderungsverzicht einer offenen Forderung in Höhe von ca. 110.000 € gegenüber der V GmbH geleistet worden. Bis März 2005 sei der Mitbeteiligte zu 80% an der V GmbH beteiligt gewesen; auch sei er Geschäftsführer gewesen. Ziel des Forderungsverzichts sei eine Entschuldung der V GmbH gewesen, welche sich damals in einer Krisensituation befunden habe. Mit Ausscheiden des Mitbeteiligten aus der V GmbH sei diese vom Sohn des Mitbeteiligten (TR) übernommen und im Wege der Einbringung in die Q GmbH fortgeführt worden. Vom Finanzamt sei die Nichtberücksichtigung der strittigen Forderung (Forderungsabschreibung) bei der Übergangsgewinnermittlung (Übergang von § 4 Abs. 3 EStG 1988 auf § 5 EStG 1988) korrigiert worden; der Übergangsgewinn sei gemäß § 37 EStG 1988 mit dem Hälftesteuersatz versteuert worden.
10 Das Finanzamt habe als Wiederaufnahmegrund eine beim Mitbeteiligten durchgeführte Forderungsabschreibungsberichtigung im Ausmaß von 3.000 € herangezogen. Die steuerlichen Auswirkungen der abweichenden Rechtsauffassung hätten im Beschwerdefall bei der Einkommensteuer 23.564 € betragen; die steuerlichen Auswirkungen des Wiederaufnahmegrundes hingegen lediglich 707,70 €. Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Mitbeteiligten im Jahr 2004 sei mit ca. 300.000 € ermittelt worden, der Wiederaufnahmegrund werde in einem Betrag von 3.000 € gesehen. Der absolute Betrag des Wiederaufnahmegrundes sei damit als absolut und relativ geringfügig und unbedeutend zu bezeichnen. Bei dieser Sachlage sei der Hinweis des Finanzamtes auf den Vorrang der Rechtsrichtigkeit gegenüber der Rechtsbeständigkeit und das Postulat der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Abgabepflichtigen für sich allein nicht geeignet, die Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde zu tragen. Überdies könne der vom Finanzamt vertretenen Ansicht, dass der Forderungsverzicht nur aufgrund der gegebenen Personenidentität aus privaten Gründen erfolgt sei und eine verbindliche Forderungsabschreibung bzw. ein Forderungsverzicht nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt nicht gewollt gewesen sei, nicht gefolgt werden. Die nachträgliche Zahlung von 3.000 € müsse gemessen an der Forderung von ca. 110.000 € als gering bezeichnet werden. Diese Zahlung sei auch ertragsmäßig im Unternehmen erfasst worden, was zweifelsfrei zeige, dass von einer privaten Veranlassung nicht gesprochen werden könne. Auch habe der Mitbeteiligte zu Recht dargetan, dass in einem Schuldnachlass durch einen Gesellschafter in einer Krisensituation des Unternehmens keineswegs ein ungewöhnliches Verhalten erblickt werden könne.
11 Da der Bescheidbeschwerde gegen den die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheid entsprochen worden sei, sei die gegen die Sachentscheidung gerichtete Bescheidbeschwerde gemäß § 261 Abs. 2 BAO mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären gewesen.
12 Gegen diese Entscheidungen (soweit sie die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2004 sowie Einkommensteuer 2004 betreffen) wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts, die mit Vorlagebericht vom 17. November 2023 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, die festgestellte neue Tatsache der Forderungsabtretung um 3.000 € habe zur Feststellung geführt, dass eine Forderungsabschreibung im Ausmaß von netto ca. 90.000 € nicht anzuerkennen gewesen sei; die steuerlichen Auswirkungen dieser Feststellung hätten daher ca. 23.000 € betragen. Dieser Betrag sei - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - weder absolut noch relativ geringfügig. Auch weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur steuerlichen Anerkennung von Verträgen unter Angehörigen ab. Die Voraussetzungen für eine derartige Anerkennung lägen hier nicht vor, sodass die Vereinbarung über den Forderungsverzicht als fremdunüblich nicht anzuerkennen sei. Betreffend Einkommensteuer sei die Frage ungeklärt, ob § 42 Abs. 3 VwGG so auszulegen sei, dass, wenn der Verwaltungsgerichtshof der Revision betreffend Wiederaufnahme Folge gebe, die Gegenstandsloserklärung betreffend Einkommensteuer ex lege aus dem Rechtsbestand trete oder diese Gegenstandsloserklärung mittels Revision bekämpft werden müsse.
13 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat sich der Mitbeteiligte am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig und begründet.
1. Wiederaufnahme (Einkommensteuer 2004)
16 Gemäß § 303 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren u.a. von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
17 Die nunmehr revisionswerbende Abgabenbehörde hatte das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2004 mit der Begründung wiederaufgenommen, dass bei der ursprünglichen Veranlagung von den Angaben des Mitbeteiligten ausgegangen worden sei, wonach auf die Forderung gegenüber der V GmbH in Höhe von ca. 110.000 € verzichtet worden sei. Neu hervorgekommen sei sodann, dass diese Forderung vom Mitbeteiligten gegen Zahlung eines Entgelts an seinen Sohn abgetreten worden sei. Die somit noch existente Forderung sei im Rahmen der Übergangsgewinnermittlung mit ihrem Nettobetrag in Höhe von ca. 90.000 € zu berücksichtigen gewesen.
18 Dass dieser Umstand ‑ Abtretung der Forderung ‑ neu hervorgekommen sei, ist im Revisionsverfahren unstrittig.
19 Das Bundesfinanzgericht geht aber davon aus, dass diese nachträglich hervorgekommene Zahlung den Forderungsverzicht an sich nicht in Frage stellen könne; eine private Veranlassung liege insoweit nicht vor. Ein Schuldennachlass durch einen Gesellschafter in einer Krisensituation des Unternehmens sei keineswegs ungewöhnlich.
20 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es das zwischen den Gesellschaftern einer GmbH und der GmbH bestehende Naheverhältnis gebietet, behauptete Vereinbarungen an jenen Kriterien zu messen, welche für die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen entwickelt wurden. Die Vereinbarung muss demnach nach außen ausreichend zum Ausdruck kommen, einen eindeutigen, klaren und jeden Zweifel ausschließenden Inhalt haben und zwischen Fremden unter den gleichen Bedingungen abgeschlossen werden. Diese Kriterien haben ihre Bedeutung im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. z.B. VwGH 29.6.2022, Ro 2021/15/0026, mwN).
21 Eine Auseinandersetzung damit, ob diese Kriterien im vorliegenden Fall betreffend die behauptete Vereinbarung eines Schuldennachlasses (der aber im Rahmen der V GmbH nicht berücksichtigt wurde; vgl. dazu z.B. VwGH 23.9.2005, 2003/15/0078) erfüllt sind, kann dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnommen werden, sodass insoweit eine abschließende Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist. Dass die Forderung uneinbringlich gewesen wäre (vgl. z.B. Doralt/Mayr, EStG14, § 6 Tz 209; VwGH 31.3.1998, 96/13/0002), geht aus den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts ebenfalls nicht hervor.
22 Das Bundesfinanzgericht nimmt weiters an, es bestehe ein Missverhältnis zwischen den steuerlichen Wirkungen des Wiederaufnahmegrundes einerseits und den übrigen Änderungen im neuen Sachbescheid anderseits.
23 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass je mehr die festgestellten Wiederaufnahmegründe in ihren steuerlichen Auswirkungen von jenen abweichen, die sich insgesamt als Folge der Wiederaufnahme eines Verfahrens ergeben, desto mehr Gewicht den rechtlichen Interessen des Abgabepflichtigen am Weiterbestand des bisher erlassenen rechtskräftigen Bescheides zuzumessen ist. Allerdings muss ein Auseinanderklaffen der steuerlichen Auswirkungen, die unmittelbar auf Wiederaufnahmegründe zurückzuführen sind, von solchen, die auf einer geänderten Rechtsansicht beruhen, nicht schon der Wiederaufnahme des Verfahrens entgegenstehen. Die Abgabenbehörde hat sich mit diesem Umstand lediglich im Rahmen ihrer Ermessensübung sachlich auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 4.3.2009, 2006/15/0079, mwN).
24 Im vorliegenden Fall liegen allerdings ‑ soweit erkennbar (der Bescheid vom 21. November 2007 befindet sich nicht in den vorgelegten Verfahrensakten) ‑ entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ausschließlich Auswirkungen des festgestellten Wiederaufnahmegrundes vor und keinerlei sonstige Änderungen im wiederaufgenommenen Verfahren. Wiederaufnahmegrund ist ‑ entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ‑ nicht die Zahlung in Höhe von 3.000 €, sondern die (wenn auch u.a. auf diese Zahlung gestützte) Annahme der Abgabenbehörde, dass der behauptete Forderungsverzicht (in Höhe von netto ca. 90.000 €) nicht vorliege; (nur) aus diesem Umstand folgen die Änderungen des Abgabenbescheides. Die steuerlichen Auswirkungen dieses konkreten Wiederaufnahmegrundes sind auch keineswegs bloß geringfügig (vgl. dazu VwGH 30.6.2021, Ra 2019/15/0125, mwN).
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher ‑ im angefochtenen Umfang (Wiederaufnahme betreffend Einkommensteuer 2004) ‑ wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
2. Einkommensteuer 2004
26 Wird einer Bescheidbeschwerde u.a. gegen einen die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid entsprochen, so ist nach § 261 Abs. 2 BAO eine gegen die (neue) Sachentscheidung gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung oder mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.
27 Das Bundesfinanzgericht hatte der gegen den die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid gerichteten Beschwerde Folge gegeben. Gestützt darauf erklärte es an sich zutreffend die gegen die neue Sachentscheidung gerichtete Bescheidbeschwerde als gegenstandslos.
28 Wie zuvor ausgeführt erweist sich aber die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts zur Wiederaufnahme als rechtswidrig und war daher aufzuheben.
29 Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses befunden hat. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet nicht nur, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre, sondern hat auch zur Folge, dass allen Rechtsakten, die während der Geltung des sodann aufgehobenen Erkenntnisses auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Solche Rechtsakte erweisen sich als rechtswidrig und gelten infolge der Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes mit diesem dann als beseitigt, wenn sie in derselben Rechtssache ergangen sind oder mit dem aufgehobenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes in einem unlösbaren rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl. VwGH 17.2.2021, Ra 2020/13/0088, mwN). Aus § 42 Abs. 3 VwGG abgeleitete Folgewirkungen können aber für Fallkonstellationen nicht gelten, für welche die das Verwaltungsverfahren regelnden Normen spezielle Anordnungen getroffen haben (vgl. VwGH 6.4.2022, Ra 2021/13/0139, mwN).
30 § 307 Abs. 3 BAO sieht vor, dass durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Daraus ist abzuleiten, dass wegen des unlösbaren rechtlichen Zusammenhanges die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheides der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassene Sachbescheid seiner Wirksamkeit beraubt ist; der Sachbescheid ist aus dem Rechtsbestand beseitigt (vgl. VwGH 5.9.2012, 2012/15/0062). Die gegen diesen Sachbescheid gerichtete Beschwerde ist nach § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos zu erklären (vgl. dazu auch Ritz/Koran, BAO7, § 261 Tz 4).
31 Auch zwischen den Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts, mit denen zum einen der Wiederaufnahmebescheid der Abgabenbehörde aufgehoben und zum anderen die Beschwerde gegen den neuen Sachbescheid als gegenstandslos erklärt wird, besteht ein unlösbarer rechtlicher Zusammenhang. Demnach führt die Aufhebung der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts betreffend die Wiederaufnahme durch den Verwaltungsgerichtshof nicht nur zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts betreffend den neuen Sachbescheid. Diese Entscheidung des Bundesfinanzgerichts über den neuen Sachbescheid wird vielmehr durch die Aufhebung der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts über die Wiederaufnahme durch den Verwaltungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt.
32 Es ist daher in einer Verfahrenskonstellation wie der vorliegenden nicht erforderlich, neben der vom Bundesfinanzgericht ausgesprochenen Aufhebung der Entscheidung über die Wiederaufnahme auch die Gegenstandsloserklärung des Bundesfinanzgerichts betreffend die Beschwerde zum neuen Sachbescheid zu bekämpfen, da diese zweitgenannte Entscheidung mit der Aufhebung der erstgenannten Entscheidung aus dem Rechtsbestand beseitigt wird (vgl. zu derartigen Konstellationen etwa VwGH 2.2.2023, Ra 2021/13/0133; 17.5.2023, Ro 2023/13/0008).
33 Wird dennoch auch die Entscheidung über den neuen Sachbescheid bekämpft, so führt diese rückwirkende Beseitigung des neuen Sachbescheides zur Klaglosstellung des Revisionswerbers, sodass die Revision gemäß § 33 Abs. 1 VwGG nach Anhörung des Revisionswerbers als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen ist.
34 Die rückwirkende Beseitigung der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts über den neuen Sachbescheid tritt mit der Wirksamkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Wiederaufnahme ein. Diese Wirksamkeit tritt im Allgemeinen (auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist, soweit das VwGG nicht anderes bestimmt, nach § 62 Abs. 1 VwGG das AVG anzuwenden) mit der Zustellung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes an die (bzw. eine der) Parteien ein (vgl. VwGH 8.4.1975, 0839/74).
35 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 25.6.2019, Ra 2019/10/0012, mwN). Eine Entscheidung in der Sache durch den Verwaltungsgerichtshof (§ 42 Abs. 4 VwGG) hat hingegen nach der Sach‑ und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu erfolgen (vgl. z.B. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/07/0039).
36 Für die Frage, ob „in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde“ (§ 33 Abs. 1 VwGG) kann es ebenfalls nur auf die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes bestehende Sachlage ankommen, da diese Klaglosstellung erst nach Erlassung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes eintreten wird. Für eine derartige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes durch Senatsbeschluss ist dabei die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung maßgebend (vgl. ‑ zu einem Verwaltungsgericht ‑ VwGH 12.6.2023, Ra 2023/06/0074; vgl. hingegen betreffend Einzelrichter z.B. VwGH 27.4.2016, Ra 2015/05/0069; 23.5.2017, Ra 2016/05/0143; 11.8.2020, Ra 2020/14/0347; 17.1.2024: Ra 2023/11/0083: Zeitpunkt der Zustellung oder Verkündung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts).
37 Wird sohin zunächst vom Verwaltungsgerichtshof nur die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über die Wiederaufnahme aufgehoben, so ist in der Folge ‑ nach Zustellung dieser Entscheidung ‑ das Revisionsverfahren betreffend die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über den neuen Sachbescheid nach Anhörung des Revisionswerbers einzustellen.
38 Wird hingegen (was im Hinblick auf die Vermeidung von Verfahrensverzögerungen vorzuziehen ist; vgl. § 39 Abs. 2 AVG iVm § 62 Abs. 1 VwGG) die Entscheidung betreffend Wiederaufnahme und neuen Sachbescheid vom Verwaltungsgerichtshof nicht zeitlich gestaffelt getroffen, ist zu bemerken, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Verwaltungsgerichtshofes über den zweitangefochtenen Beschluss die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über das erstangefochtene Erkenntnis noch nicht zugestellt und damit noch nicht wirksam ist. Zu diesem für die Prüfung der Sachlage maßgebenden Zeitpunkt ist demnach der zweitangefochtene Beschluss noch als wirksam anzusehen.
39 Sohin ist aber (bei hier vorliegender gleichzeitiger Beschlussfassung des Verwaltungsgerichtshofes) auch der zweitangefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. in diesem Sinne VwGH 19.12.2012, 2012/15/0047; 5.3.2020, Ra 2019/15/0145; 15.5.2020, Ra 2018/15/0113). Die gegenteilige Rechtsansicht (VwGH 21.12.2012, 2010/17/0122) wird zum seither novellierten Verfahrensrecht nicht aufrecht erhalten.
Wien, am 3. September 2024
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