VwGH Ro 2022/12/0011

VwGHRo 2022/12/00114.11.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des Präsidenten des Landesgerichts Krems an der Donau gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2022, W257 2248971‑1/6E, betreffend Parteistellung und Akteneinsicht (mitbeteiligte Partei: Mag. B F in R, vertreten durch Dr. Heinrich Oppitz, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Karl‑Loy‑Straße 17), zu Recht erkannt:

Normen

AVG
AVG §17
AVG §6
AVG §66 Abs4
AVG §7
AVG §8
AVGNov 2013
EGVG
EGVG Art1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §28 Abs5
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022120011.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte steht in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist Richterin an zwei Bezirksgerichten.

2 Mit Schreiben vom 24. August 2021 stellte die Mitbeteiligte den Antrag, ihr Akteneinsicht in näher bestimmte Akten der Justizverwaltung zu gewähren oder diesen Antrag bescheidmäßig abzulehnen.

3 Mit Bescheid der belangten Behörde (= Revisionswerber) vom 20. Oktober 2021 wurde der Antrag auf Akteneinsicht in näher bestimmte Justizverwaltungsakten zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage und mangels Parteistellung bestehe für die Mitbeteiligte kein Akteneinsichtsrecht. Auf den Antrag sei daher inhaltlich nicht einzugehen gewesen, dieser sei bereits mangels Parteistellung der Mitbeteiligten als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung aus, der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten werde stattgegeben und festgestellt, dass ihr in den beantragten, näher genannten Akten „Parteistellung“ zukomme und ihr Akteneinsicht zustehe.

5 Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG mit folgender Begründung für zulässig:

„Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung fehlt, ob in Akten der Justizverwaltung, sofern Informationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verarbeitet bzw gesammelt werden, diesen Personen eine Parteistellung zukommt bzw. ob das Recht auf Akteneinsicht als Partei in Materien, welche nicht das AVG anzuwenden haben, zu den ‚allgemeinen Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens‘ gehört.“

6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte insbesondere fest, dass in den verfahrensgegenständlichen Akten gegen die Mitbeteiligte dienstliche Vorwürfe erhoben bzw. aus Sicht des Dienstgebers dienstliche Missstände festgehalten worden seien, wobei die weiteren Inhalte der Akten nicht bekannt seien. Rechtlich kam das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung zum Schluss, das AVG sei vorliegend anwendbar, sodass der Mitbeteiligten Parteistellung zukomme und ihr Akteneinsicht zu gewähren sei.

7 In der Folge wurde die gegenständliche ordentliche Amtsrevision eingebracht mit dem Antrag, in der Sache selbst zu entscheiden und die Beschwerde der Mitbeteiligten abzuweisen, in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8 Nach Durchführung des Vorverfahrens legte das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Zur Frage der Zulässigkeit der Revision (gemeint wohl unter dem Gesichtspunkt der Befugnis des die Revision genehmigenden Organwalters, für die revisionswerbende Behörde einzuschreiten) tritt die Mitbeteiligte in ihrer Revisionsbeantwortung der Amtsrevision mit dem Hinweis entgegen, dass der Präsident des Landesgerichts Krems diese Amtsrevision unterfertigt habe, obwohl er (aus näher ausgeführten Gründen) befangen sei.

10 Dieser Einwand führt allerdings nicht zur Unzulässigkeit der Revision:

11 Die allfällige Befangenheit des den Revisionsschriftsatz genehmigenden Organwalters ändert nämlich nichts an der Zuständigkeit (Ermächtigung) des einschreitenden Organwalters zur Genehmigung des Revisionsschriftsatzes oder an der Zurechnung der von ihm genehmigten Revision zur revisionswerbenden Behörde.

12 So geht der Verwaltungsgerichtshof auch in seiner zu den Rechtsfolgen einer Befangenheit bei der Erlassung von Bescheiden ergangenen Rechtsprechung davon aus, dass dann, wenn ein befangenes Organ entgegen § 7 AVG eine Amtshandlung setzt, diese objektiv rechtswidrig ist (und aus diesem Grund unter Umständen die Bescheidaufhebung nach sich ziehen kann), dass aber die Mitwirkung eines befangenen Organs ‑ in Ermangelung von Sondervorschriften ‑ weder einen Nichtigkeitsgrund noch einen Unzuständigkeitsgrund bildet (VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0002; vgl. zB auch VwGH 19.4.1995, 94/12/0033).

13 In gleicher Weise kann daher die allfällige Befangenheit des eine Amtsrevision genehmigenden Organwalters ‑ selbst wenn sie vorläge ‑ auf dessen Zuständigkeit, namens der belangten Behörde die Amtsrevision zu genehmigen, keinen Einfluss haben und sie kann die Zurechnung der Revision zur Behörde nicht in Frage stellen. Die behauptete Befangenheit des Präsidenten des Landesgerichts ist weder vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen, noch tangiert sie dessen Entscheidung in der Sache (vgl. in ähnlichem Sinn zu dem von einer Partei erhobenen Einwand der Befangenheit des Generalprokurators in einem Verfahren über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, OGH 29.6.2011, 15 Os 106/10t).

14 Die von der Zulässigkeit der Revision zu trennende Frage, ob der zuständige Organwalter bei der Erlassung des beim Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheides befangen war, wird vom Bundesverwaltungsgericht, weil das angefochtene Erkenntnis bereits aus einem anderen Grund aufzuheben ist, ohnehin einer Beurteilung im fortgesetzten Verfahren zu unterziehen sein.

15 Die Amtsrevision stützt sich auf die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit der Revision und bringt unter anderem weiters vor, weil die belangte Behörde den Antrag der Mitbeteiligten mangels Parteistellung zurückgewiesen habe, sei „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ausschließlich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung gewesen.

16 Die Revision erweist sich aufgrund des Vorbringens zur Abweichung von der hg. Rechtsprechung im Hinblick auf die Überschreitung des Beschwerdegegenstandes durch das Bundesverwaltungsgericht als zulässig; sie ist auch berechtigt.

17 In Fällen, in denen die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat und dagegen Beschwerde erhoben wird, ist Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung (vgl. VwGH 27.2.2024, Ro 2022/12/0004 und Ro 2022/12/0010, mwN). Das Verwaltungsgericht ist in einem solchen Fall ausschließlich befugt, darüber zu entscheiden, ob die von der belangten Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist. Dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Gelangt dabei das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die von der belangten Behörde ausgesprochene Zurückweisung inhaltlich rechtswidrig ist, so hat es den betreffenden Bescheid (ersatzlos) zu beheben. Auf diese Weise wird der Weg für die (erstmalige) Entscheidung der belangten Behörde in der Hauptsache frei gemacht (vgl. VwGH 14.11.2023, Ra 2020/22/0012, mwN; vgl. auch VwGH 1.10.2004, 2001/12/0135). Dem Verwaltungsgericht ist es demnach verwehrt, über diesen Rahmen hinaus in einer Entscheidung über die „Hauptsache“ vorzugehen, weil dadurch der sachlichen Prüfung des gestellten Antrages und damit den Parteien eine Instanz genommen würde (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2020/07/0121, mwN; 23.10.2002, 2002/12/0232).

18 Das Bundesverwaltungsgericht hatte im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die inhaltliche Behandlung des Antrages auf Akteneinsicht von der belangten Behörde zu Recht verweigert worden war. Indem sich das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung beschränkt, sondern eine inhaltliche Prüfung vorgenommen und eine materiellrechtliche Entscheidung getroffen hat, hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

19 Dazu kommt das Folgende:

20 Soweit das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung als Maßstab die allgemeinen Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens heranzieht, ist darauf hinzuweisen, dass diese dann von Bedeutung sind, wenn das AVG auf das Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde nicht anwendbar ist. Seit der Novelle BGBl. I 33/2013 ist das AVG aber generell „auf das behördliche Verfahren der Verwaltungsbehörden“ anzuwenden (vgl. die RV BlgNR 2009 24. GP, 15, wonach es der Zweck dieser Novellierung des Art. I EGVG gewesen ist, „die taxative Aufzählung des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 ‑ EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008, der zur Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze berufenen Behörden in eine Generalklausel umzuwandeln“). Doch bereits zur Rechtslage vor dieser Änderung, nach welcher die Justizverwaltungsbehörden (noch) nicht zu jenen Behörden zählten, die das AVG anzuwenden hatten (VwGH 14.12.1995, 94/19/1174), hat der Verwaltungsgerichtshof für die Beurteilung der Frage, wem in einem Verfahren vor den Justizverwaltungsbehörden Akteneinsicht zukommt, auf die im AVG „niedergelegten allgemeinen Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens“ abgestellt, hierfür die Maßstäbe des § 17 AVG (sinngemäß) herangezogen und festgehalten, dass nach diesen Grundsätzen „die Behörde nur Parteien Einsicht in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten“ hat (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis VwGH 14.12.1995, 94/19/1174).

21 Auch nach diesen Grundsätzen gälte daher für die Frage der Parteistellung (als Voraussetzung der Akteneinsicht) nichts anderes als das, was durch § 17 AVG geboten ist.

22 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Begründung der Parteistellung der Mitbeteiligten (und daraus folgend: dem Recht der Mitbeteiligten auf Akteneinsicht) damit begnügt festzustellen, dass es sich bei den Akten, auf die sich ihr Antrag beziehe, um „Justizverwaltungsakten“ handle und dass in diesen Akten gegen die Mitbeteiligte dienstliche Vorwürfe erhoben bzw. aus Sicht des Dienstgebers dienstliche Missstände festgehalten worden seien. Die weiteren Inhalte der Akten seien ‑ so die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ‑ „nicht bekannt“.

23 Damit hat das Bundesverwaltungsgericht aber keine tauglichen Feststellungen getroffen, die die Beurteilung zuließen, ob es sich bei den betreffenden Akten um solche zu Verfahren handelt, in denen der Mitbeteiligten Parteistellung zukommt.

24 Eine Parteistellung kann nur im Zusammenhang mit einem konkreten Verwaltungsverfahren bestehen (VwGH 17.1.1992, 89/17/0239). Die Parteistellung besteht also nicht losgelöst von einem Verwaltungsverfahren, vielmehr ist die Partei der künftige Adressat des (bei amtswegigen Verfahren: möglicherweise) zu erlassenden Bescheides (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 Rn. 9). Für die Frage, ob einer Person Parteistellung zukommt, ist relevant, ob die Verletzung eines eigenen, tatsächlich (nicht nur möglicherweise) bestehenden subjektiven Rechts durch diesen Bescheid möglich ist. In diesem Sinn sind all jene Personen Parteien, deren Rechte iSd § 8 AVG vom Ausgang des Verfahrens betroffen sind. Dabei ist nicht darauf abzustellen, dass feststeht, dass die Person durch den (später ergehenden) Bescheid tatsächlich in ihren (öffentlichen) Rechten beeinträchtigt wird, vielmehr genügt es, dass die Verletzung eines subjektiven Rechts durch den künftigen Bescheid möglich ist.

25 Da diese Frage auch eine Sachfrage ist, muss die Behörde zum Zweck der Prüfung der Parteistellung jenen Sachverhalt ermitteln, der es ermöglicht, ein Urteil darüber abzugeben, ob eine Beeinträchtigung von Rechten in Frage kommt (vgl. VwGH 25.6.2014, 2013/07/0254).

26 Die bloße Feststellung, dass „Akten“ geführt werden, in denen Vorwürfe gegen die Mitbeteiligte oder Missstände dokumentiert sind, lässt keine Beurteilung zu, ob diese Akten einen Bezug zu einem Verfahren haben, dessen potentieller Ausgang die Mitbeteiligte in Rechten berührt (vgl. zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Akteneinsicht betreffend eine begehrte Akteneinsicht in den Akt eines bereits abgeschlossenen Verfahrens, dessen weitere Betreibung nicht beabsichtigt war, VwGH 20.6.2011, 2008/09/0165).

27 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

28 Gemäß § 47 Abs. 3 VwGG waren der Mitbeteiligten keine Kosten zuzusprechen.

Wien, am 4. November 2024

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