VwGH Ra 2021/13/0128

VwGHRa 2021/13/012831.1.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Baden Mödling in 2500 Baden bei Wien, Josefsplatz 13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 1. Juli 2021, RV/7104763/2015, betreffend Einkommensteuer 2010 und 2012 (mitbeteiligte Partei: F in A, vertreten durch die Holzer & Partner Wirtschaftsprüfungs‑ und SteuerberatungsgmbH in 1140 Wien, Eichenweg 27), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20
BAO §206
BAO §206 Abs1 litb
BAO §279
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2021130128.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheiden vom 25. August 2014 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für die Jahre 2010 und 2012 abweichend von den Erklärungen des Mitbeteiligten fest und führte ‑ mit näherer, gesondert ergangener Begründung ‑ aus, die geltend gemachten Verlustvorträge seien gemäß § 2 Abs. 2b Z 2 und 3 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 22/2012) gekürzt und nur im Ausmaß von 75 % der positiven Einkünfte berücksichtigt worden.

2 In der dagegen eingebrachten Beschwerde legte der Mitbeteiligte zunächst seine wirtschaftlichen Verhältnisse dar und wendete sich in weiterer Folge gegen die Kürzung der geltend gemachten Verlustvorträge. Er habe als Einzelunternehmer gemeinsam mit einer GmbH (deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer er gewesen sei) eine Bauträgertätigkeit entfaltet. Durch die konkursbedingte Abwicklung der GmbH und anschließende Einstellung der Einzelunternehmertätigkeit seien atypische Aufgabegewinne entstanden, die insoweit gemäß § 2 Abs. 2b Z 2 und 3 EStG 1988 zur Nichtanwendbarkeit der Verlustvortragsgrenze (Verrechnungsgrenze) führen würden.

3 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin der Mitbeteiligte einen Vorlageantrag stellte.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis nahm das Bundesfinanzgericht gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO von der Abgabenfestsetzung Abstand, stellte das Beschwerdeverfahren ein und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Nach Darstellung des Verfahrensablaufs führte das Bundesfinanzgericht aus, der Entscheidung seien folgende, vom Mitbeteiligten offen gelegte Vermögensverhältnisse zu Grunde zu legen: Ein liquidiertes Einzelunternehmen, keine seit 2013 ausgeübte operative Tätigkeit, eine ruhend gestellte Gewerbeberechtigung, Arbeitslosigkeit, keine laufenden Einkünfte, eine insolvente GmbH, persönliche Haftungen, außergerichtlich verglichene Abgabenrückstände und von der Bank verwertete Vermögenswerte (einschließlich Privathaus).

6 Nach diesen Vermögensverhältnissen sei davon auszugehen, dass die Abgabenansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen 2010 und 2012 nicht durchsetzbar seien und damit die gesetzlichen Voraussetzungen für die gänzliche Abstandnahme von der Festsetzung vorliegen würden.

7 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, welche im Wesentlichen rügt, das Bundesfinanzgericht habe unrichtigerweise die Vermögensverhältnisse des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Offenlegung ‑ somit im September 2014 ‑ seiner Entscheidung zugrunde gelegt, und nicht auf die ‑ nicht ermittelten ‑ Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung abgestellt.

8 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher er unter anderem ausführt, dass er seit Ende 2017 eine Alterspension erhalte und diverse Grundstücke nur als Treuhänder halte.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Nach § 206 Abs. 1 lit. b BAO kann die Abgabenbehörde von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen, soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird.

12 Voraussetzung für die Abstandnahme von der Festsetzung ist somit, dass die Abgabenbehörde bzw. das Verwaltungsgericht entsprechende Erhebungen durchführt und diese eindeutig ergeben, dass die Abgaben uneinbringlich sind (vgl. VwGH 31.3.2011, 2010/15/0150).

13 Dahingehend wird auf den Grundsatz verwiesen, dass das Bundesfinanzgericht im Allgemeinen nach der Sachlage zu entscheiden hat, welche im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegt (vgl. etwa VwGH 13.6.2023, Ra 2020/16/0118; 15.2.2023, Ra 2020/13/0045, jeweils mwN; vgl. dazu auch VwGH 30.6.2010, 2005/13/0034).

14 Das Bundesfinanzgericht hat in der angefochtenen Entscheidung ‑ wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt ‑ die vom Mitbeteiligten offen gelegten Vermögensverhältnisse herangezogen und damit erkennbar lediglich auf die im behördlichen Verfahren (vor dem Finanzamt) bzw. teilweise im Vorlageantrag in den Jahren 2014 und 2015 gemachten Angaben abgestellt. Feststellungen zu den aktuellen Vermögensverhältnissen des Mitbeteiligten, die eine Beurteilung dahingehend ermöglichen würden, ob die Abgaben gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein werden, enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.

15 Im Übrigen liegen Maßnahmen nach § 206 BAO im Ermessen der Abgabenbehörde bzw. des Verwaltungsgerichtes (vgl. VwGH 25.10.2006, 2005/15/0012). Ermessensentscheidungen sind ‑ insoweit, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert (vgl. VwGH 24.3.2004, 2001/14/0083, mwN) ‑ zu begründen (vgl. etwa VwGH 17.10.2018, Ra 2017/13/0087, mwN). Das angefochtene Erkenntnis enthält allerdings keinerlei Ausführungen zur Ermessensübung.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 31. Jänner 2024

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