VwGH Ra 2023/14/0199

VwGHRa 2023/14/019929.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, in der Revisionssache des Ö D, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Dr. Thomas Lechner und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Mai 2023, L524 2227017‑1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023140199.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 22. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 25. September 2019 ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), sprach aus, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 18. April 2019 verloren habe (Spruchpunkt IV.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.), stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt VII.), erließ gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.) und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IX.).

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde mit der Maßgabe, dass der Antrag des Revisionswerbers betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 AsylG 2005 abgewiesen werde, als unbegründet ab. Die gegen die Spruchpunkte II., III., VI. und VII. erhobene Beschwerde wies es als unbegründet ab. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. gab es statt und behob diesen ersatzlos. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. wies es mit der Maßgabe, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre herabgesetzt werde, als unbegründet ab. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IX. wies es mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage, als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend gelangte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - zum Ergebnis, dass beim Revisionswerber der Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 im Hinblick auf seine mangelnde Distanzierung von der PKK aufgrund seiner im Verfahren getätigten Aussagen und daher eine Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Aufenthalt in Österreich vorliege, weshalb sein Asylbegehren abzuweisen sei. Selbst bei Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes wäre seinem Antrag nicht stattzugeben, da es ihm nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung durch türkische Behörden glaubhaft zu machen. Bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat drohe dem Revisionswerber keine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte. Hinsichtlich der Erlassung des Einreiseverbotes sei der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erfüllt, wobei die Dauer unter Berücksichtigung der fallbezogenen Umstände auf zehn Jahre herabzusetzen sei.

5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 1568/2023‑5, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde ab.

6 Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Mai 2023 richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision wendet sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen gegen die Versagung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und wendet sich mit behaupteten Begründungs‑ und Feststellungsmängel im Zusammenhang mit den eingeholten Länderberichten gegen die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, dem Revisionswerber drohe in der Türkei keine asylrelevante Verfolgung.

11 Mit dem vom Revisionswerber als Begründungsmängel bezeichneten Vorbringen will er aufzeigen, dass neben den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu seiner (früheren) politischen Aktivität, zum Grund und Zweck seines Aufenthalts in einem PKK‑Ausbildungslager und dem Risiko eines Strafverfahrens in der Türkei und den daraus resultierenden Gefahren einer asylrelevanten Verfolgung durch türkische Behörden, anderslautende Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt unberücksichtigt geblieben seien und diese ‑ bei entsprechender Berücksichtigung ‑ zu einem günstigeren Ergebnis, nämlich zur Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten geführt hätten. Damit greift er der Sache nach die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes an.

12 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, eine Einzelfallentscheidung ist, die grundsätzlich ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist. Dem Revisionswerber muss, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 7.12.2022, Ra 2022/20/0076, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 23.2.2023, Ra 2023/14/0029, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht sah es ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, bei der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte ‑ zusammengefasst als erwiesen an, dass der Revisionswerber weder aufgrund seiner Aktivitäten als Jugendlicher für die HDP noch aufgrund einer allfälligen Anklage wegen seines Aufenthaltes in einem Ausbildungslager der PKK und der dort gesetzten Aktivitäten und die Notwendigkeit, am Strafverfahren mitzuwirken, in asylrelevanterweise verfolgt werde. Zu diesen Schlussfolgerungen gelangte das Bundesverwaltungsgericht nach einer sehr umfassenden Beweiswürdigung durch Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Unstimmigkeiten in den Angaben des Revisionswerbers und in Zusammenschau mit den ‑ auch von der Revision angesprochenen ‑ Länderinformationen.

15 Abgesehen davon, dass die Revision diesen, auf die Person des Revisionswerbers konkret bezogenen Erwägungen keine Argumente entgegensetzt, begegnet sie den ausführlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit einzelnen, aus den Länderberichten herausgegriffenen Passagen und verweist auf sich aus den Länderberichten ‑ in Einzelfällen ‑ ergebenden Konsequenzen. Letztlich stellt die Revision damit eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios für den Revisionswerber in den Raum und keine für ihn konkret vorliegende Gefahrenlage.

16 Damit zeigt sie aber eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlerhaftigkeit der beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtshofes nicht auf.Weiters ist darauf hinzuweisen, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 17.5.2023, Ra 2023/14/0136, mwN).

17 Somit ist auch den auf der eigenen Prämisse ‑ nämlich der Richtigkeit seines Vorbringens zum Fluchtvorbringen ‑ aufbauenden, aber nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden (vgl. § 41 VwGG) Behauptungen und in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängeln der Boden entzogen.

18 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung weiters gegen die Versagung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt vor, der Revisionswerber sei entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, das in seiner Beurteilung das Länderinformationsblatt ausgeblendet habe, bei Rückkehr in sein Heimatland unzumutbaren und den Bestimmungen des Art. 3 EMRK widersprechenden Haftumständen und Misshandlungen ausgesetzt.

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 19.4.2023, Ra 2023/14/0051, mwN).

20 Die Revision lässt mit ihrem Vorbringen unbedacht, dass bei der Beurteilung, ob dem Revisionswerber bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe, von den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes auszugehen ist. Das Verwaltungsgericht kam zum Ergebnis, dass nicht festgestellt werden könne, ob bzw. wann bei einer Rückkehr in die Türkei wider den Revisionswerber aufgrund möglicher strafrechtlicher Ermittlungen eine Anklage wegen seines Aufenthaltes in einem Ausbildungslager der PKK und den dort gesetzten Aktivitäten erhoben und ein Urteil ergehen werde. Es könne ebenso nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber der ihm in einem solchen Verfahren zur Last gelegten Taten ganz oder teilweise schuldig erkannt werde oder freigesprochen werde. Auf Basis dieser Feststellungen hat es eine auf den konkreten Fall bezogene Beurteilung vorgenommen. Dabei hat das Verwaltungsgericht die in der Rechtsprechung aufgestellten, oben angeführten Leitlinien beachtet und in nicht zu beanstandender Weise zur Anwendung gebracht.

21 Die Revision, die mit ihren Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung zu den Haftbedingungen in der Türkei vom Eintritt einer Haftstrafe für den Revisionswerber ausgeht, entfernt sich auch damit vom festgestellten Sachverhalt, und zeigt schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. VwGH 2.5.2023, Ra 2023/14/0118, mwN).

22 Soweit sich der Revisionswerber schließlich ganz allgemein und ohne weiteres Vorbringen gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtes richtet, der Revisionswerber stelle eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar, und ausführt, es sei kein Einreiseverbot zu verhängen, gelingt es ihm mit diesem pauschalen Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die fallbezogenen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 53 Abs. 3 Z 9 FPG mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.

23 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2023

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