Normen
ARHG §13
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §46 Abs1
FrPolG 2005 §52 Abs2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023140051.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 16. Juli 2010 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22. November 2012 im Beschwerdeverfahren abgewiesen wurde.
2 Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. Juni 2014, U 2742/2012‑14, ab.
3 Am 9. Oktober 2013 begehrte die Staatsanwaltschaft Malatya die Auslieferung des Revisionswerbers und führte aus, dass der Revisionswerber mit Urteil vom 11. Juni 2008 wegen Hilfeleistung an eine Terrororganisation zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden sei.
4 Am 3. Jänner 2014 stellte der Revisionswerber in der Schweiz einen Asylantrag, woraufhin ein Dublinverfahren mit Österreich eingeleitet wurde, welchem Österreich zustimmte und der Revisionswerber wieder nach Österreich überstellt wurde.
5 Am 30. Juli 2014 beantragte der Revisionswerber, nachdem er am 28. Juli 2014 eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht hatte, erfolglos die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG und aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Revision des Revisionswerbers gegen das im Instanzenzug ergangene Erkenntnis des zuständigen Landesverwaltungsgerichtes vom 7. April 2015, mit Erkenntnis vom 20. Juli 2016, Ro 2015/22/0031, zurück.
6 Am 15. September 2016 beantragte der Revisionswerber neuerlich erfolglos die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005. Die gegen den abweisenden Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2017 als unbegründet abgewiesen. Unter einem wurde die Durchführung der Abschiebung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Auslieferungsverfahrens des Revisionswerbers aufgeschoben.
7 Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. August 2017 wurde die Auslieferung des Revisionswerbers in die Türkei für unzulässig erklärt, weil fallbezogen ein Auslieferungshindernis nach § 19 Z 3 Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) vorliege.
8 Am 1. Dezember 2017 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zur PKK im Gefängnis misshandelt worden sei und er im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine Haftstrafe wieder antreten müsse.
9 Mit Bescheid vom 31. Oktober 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die in der Beschwerde erstmals gestellten Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 sowie auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 wies das Bundesverwaltungsgericht als unzulässig zurück. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 29. November 2022, E 2681/2022‑8, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
12 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht.
13 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
16 Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, es liege eine rechtskräftige und damit bindende Entscheidung eines Auslieferungsgerichts vor, der zufolge die Auslieferung des Revisionswerbers in die Türkei gemäß § 19 Z 3 ARHG unzulässig sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. April 2019, Ro 2018/18/0005, bereits ausgesprochen hat, dass § 13 ARHG schon nach seinem Wortlaut ein Abschiebeverbot nur für die Dauer des Auslieferungsverfahrens vorsehe, aber keine Anordnung enthalte, aufgrund derer es nach Abschluss des Auslieferungsverfahrens unzulässig wäre, einen Fremden nach Prüfung der fremdenrechtlichen Voraussetzungen abzuschieben. Eine Bindungswirkung der Asylbehörden an die Entscheidung des Auslieferungsgerichts sehe § 13 ARHG nicht vor. Einer solchen Bindungswirkung stünden auch die unterschiedlichen Prüfmaßstäbe für die Unzulässigkeit einer Außerlandesbringung im Auslieferungsverfahren und im Asyl- und Fremdenrechtsverfahren entgegen, wobei die möglichen Gründe für die Ablehnung einer Auslieferung deutlich mannigfaltiger seien.
17 Nach Abschluss des Auslieferungsverfahrens sind die Asyl- und Fremdenbehörden somit in der Beurteilung der Abschiebemöglichkeit eines Fremden an die Entscheidung des Auslieferungsgerichts nicht gebunden. Sie haben jedoch bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Abschiebung auf die Entscheidung des Auslieferungsgerichts Bedacht zu nehmen, und zwar insbesondere dann, wenn das Auslieferungsgericht dasselbe Prüfkalkül (etwa eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK) angewandt hat. In diesen Fällen müssten die Asylbehörden unter Einbeziehung der Erwägungen des Auslieferungsgerichts nachvollziehbar darlegen, weshalb dem Betroffenen eine von den Asylbehörden wahrzunehmende Missachtung von Menschenrechten im Falle der Abschiebung nicht droht (vgl. erneut Ro 2018/18/0005).
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 22.12.2022, Ra 2022/14/0326, mwN).
19 Das Bundesverwaltungsgericht legte unter Einbeziehung der Erwägungen des Auslieferungsgerichts nachvollziehbar dar, dass ihm aktuellere und ausführlichere Berichte zur Lage im Herkunftsstaat des Asylwerbers zur Verfügung stünden. Unter Zugrundelegung aktueller Länderberichte führte es mit näherer Begründung (so etwa, dass der Revisionswerber keine exponierte Stellung in der kurdischen Gesellschaft einnehme bzw. kein exponierter Vertreter der kurdischen Opposition sei) aus, dass in türkischen Haftanstalten grundsätzlich die Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingehalten werden könnten. Es lägen keine substantiierten Hinweise vor, vor deren Hintergrund ein Kontakt mit den Sicherheitskräften oder eine Inhaftierung des Revisionswerbers ein möglicherweise erhöhtes Risiko einer menschenunwürdigen Behandlung mit sich brächte. Die Revision tritt diesen Erwägungen mit ihrem pauschalen Hinweis auf die gegenteilige Entscheidung im Auslieferungsverfahren und mit ihrem nicht konkretisierten Vorbringen hinsichtlich einer EMRK‑Widrigkeit nicht substantiiert entgegen.
20 Wenn die Revision in der Begründung ihrer Zulässigkeit darüber hinaus die Nichtgewährung des „Aufenthaltstitels aus besonders rücksichtswürdigen Gründen“ moniert, wendet sie sich damit erkennbar gegen die Zurückweisung des erstmals in der Beschwerde gestellten Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005.
21 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides. Entscheidet das Verwaltungsgericht in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, im Ergebnis erstmals in Form eines Erkenntnisses, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und die Entscheidung ist im diesbezüglichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0192, mwN).
22 Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 und eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 erstmals in der Beschwerde des Revisionswerbers beantragt wurden und somit nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl waren, vermag die Revision, die überdies nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung eingeht, die das Bundesverwaltungsgericht auf seine Unzuständigkeit im Hinblick auf § 58 Abs. 5 AsylG 2005 stützte, wonach Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 leg. cit. persönlich beim Bundesamt zu stellen sind, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufzeigen.
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 19. April 2023
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