VwGH Ra 2023/09/0068

VwGHRa 2023/09/006811.9.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, Hofrat Mag. Feiel sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 1. Februar 2023, VGW‑031/025/2939/2022‑2, betreffend Übertretung des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:

Normen

COVID-19-NotmaßnahmenV 05te 2021 §2 Abs1
COVID-19-NotmaßnahmenV 05te 2021 §5
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VStG §44a Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023090068.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom 10. Februar 2022 verhängte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde über den Mitbeteiligten nach § 8 Abs. 2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz eine Geldstrafe in der Höhe von € 120,‑‑ (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe), weil dieser am 11. Dezember 2021 um 11:30 Uhr ein Verbindungsbauwerk, nämlich einen näher umschriebenen Bahnhof in Wien betreten habe, „ohne eine Maske im Sinne des § 2 Abs. 1 [5. COVID‑19‑Notmaßnahmenverordnung] getragen zu haben, obwohl in Massenbeförderungsmitteln und den dazugehörigen U‑Bahn‑Stationen, Bahnsteigen, Haltestellen, Bahnhöfen und Flughäfen zuzüglich deren Verbindungsbauwerke aufgrund der 5. COVID‑19‑Notmaßnahmenverordnung ‑ 5. COVID‑19‑NotMV, BGBl. II Nr. 475/2021, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 511/2021, in der Zeit vom 02.12.2021 bis 11.12.2021 eine Maske zu tragen ist.“ Dadurch habe der Mitbeteiligte gegen §§ 8 Abs. 2 Z 13 Abs. 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz iVm § 5 der 5. COVID‑19‑Notmaßnahmenverordnung (5. COVID‑19‑NotMV) verstoßen.

2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.

3 Mit dem ohne mündliche Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis behob das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) das behördliche Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt werde und erklärte eine Revision für unzulässig.

4 Zur Einstellung des Verfahrens führte das Verwaltungsgericht ‑ unmittelbar nach Darstellung des Verfahrensganges sowie nach Wiedergabe der maßgebenden Rechtsvorschriften und von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ‑ zusammengefasst aus, im Spruch des Straferkenntnisses fehle die konkretisierte Anlastung, welche Art von „Maske“ hätte getragen werden müssen und nicht getragen worden sei. Dies sei auch deshalb von Bedeutung, weil die Verordnung in § 18 unterschiedliche mechanische Schutzvorrichtungen zulasse. Gemäß § 2 Abs. 1 der 5. COVID‑19‑NotMV, BGBl. II Nr. 475/2021, gelte als Maske im Sinne dieser Verordnung eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2‑Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard. Eine entsprechende verbale Anlastung fehle in der Tatumschreibung. An dieser Bestimmung habe auch die Novelle BGBl. II Nr. 511/2021, die in der Tatumschreibung im Straferkenntnis angegeben sei, nichts geändert. Die Novelle sei daher in der Tatumschreibung fälschlich angeführt. Außerdem sei die Tatumschreibung insofern fehlerhaft, als der Geltungszeitraum des § 2 Abs. 1 der genannten Verordnung nicht „02.12.2021 bis 11.12.2021“, sondern „22.11.2021 bis 11.12.2021“ gewesen sei. Die Strafverfügung enthalte die gleiche Tatumschreibung wie das Straferkenntnis. Da eine rechtskonforme Tatanlastung innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nicht stattgefunden habe, sei dem Gericht eine Ergänzung bzw. Änderung entsprechender Sachverhaltselemente wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung verwehrt gewesen. Das angefochtene Straferkenntnis sei daher wegen Verletzung des § 44a Z 1 VStG zu beheben und das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen gewesen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche (Amts‑)Revision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

6 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an eine taugliche, die Verfolgungsverjährung unterbrechende Verfolgungshandlung abgewichen, als zulässig und begründet:

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind an Verfolgungshandlungen im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG hinsichtlich der Umschreibung der angelasteten Tat die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Tatumschreibung im Spruch des Straferkenntnisses nach § 44a Z 1 VStG. Demnach ist eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z 2 VStG zu beziehen; die (korrekte) rechtliche Qualifikation der Tat ist hingegen nicht erforderlich. Es ist somit erforderlich, dass sich die Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 31 und 32 VStG auf alle der späteren Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2021/02/0105, mwN)

9 Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist dann entsprochen, wenn dem Beschuldigten im Spruch des Straferkenntnisses die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen wird, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um den Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. VwGH 19.10.2022, Ra 2022/03/0227, mwN). Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch für die Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG gegeben ist. Das bedeutet, dass die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat (lediglich) unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit diese in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und damit ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. VwGH 19.11.2019, Ra 2019/09/0027, mwN).

10 Anders als bei dem Erfordernis der Angabe der als erwiesen angenommenen Tat im Spruch eines Straferkenntnisses gemäß § 44a Z 1 VStG kann sich der betreffende Tatvorwurf im Zusammenhang mit einer zu setzenden Verfolgungshandlung innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist, wenn es sich dabei um ein Straferkenntnis handelt, jedoch nicht nur aus dem Spruch, sondern in dessen Ergänzung auch aus der Begründung ergeben, weil auch daraus die Absicht der Behörde, eine Person wegen einer bestimmten ihr zur Last gelegten Verwaltungsübertretung auf die im Verwaltungsstrafgesetz vorgeschriebene Weise zu verfolgen, eindeutig hervorgeht (vgl. VwGH 20.8.2021, Ra 2020/10/0068, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht begründete die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens u.a. damit, dass mit dem Straferkenntnis der belangten Behörde vom 10. Februar 2022, mit welchem dem Mitbeteiligten eine Übertretung des § 5 5. COVID-19-NotMV, wonach in Massenbeförderungsmitteln und den dazugehörigen U-Bahn-Stationen, Bahnsteigen, Haltestellen, Bahnhöfen und Flughäfen zuzüglich deren Verbindungsbauwerken eine Maske zu tragen ist, angelastet wurde, keine taugliche, die Verfolgungsverjährung unterbrechende Verfolgungshandlung gesetzt worden sei, weil in dessen Spruch näher zu konkretisieren gewesen wäre, welche Art von Maske vom Mitbeteiligten zu tragen gewesen wäre. Eine § 2 Abs. 1 5. COVID‑19‑NotMV entsprechende verbale Anlastung in der Tatumschreibung wäre insbesondere deshalb von Bedeutung gewesen, weil § 18 leg. cit. unterschiedliche mechanische Schutzvorrichtungen zulasse.

12 Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht jegliche Auseinandersetzung mit der Frage unterließ, ob diese vermeintliche Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat im Spruch des Straferkenntnisses auch dazu geeignet war, den Mitbeteiligten der Gefahr einer Doppelbestrafung auszusetzen oder ihn in seinen Verteidigungsrechten zu beschränken (vgl. VwGH 20.9.2019, Ra 2019/02/0080, mwN), verkannte es, dass bei der Beurteilung der Tauglichkeit einer Verfolgungshandlung in Form eines Straferkenntnisses nicht alleine auf dessen Spruch abzustellen ist, sondern das Straferkenntnis nach der dargestellten Judikatur in seiner Gesamtheit als Verfolgungshandlung zu werten ist (vgl. VwGH 5.9.2013, 2013/09/0065), sodass für die Beurteilung, ob ein tauglicher Tatvorwurf innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist gesetzt worden ist, auch die Begründung herangezogen werden kann; in einem solchen Fall ist allerdings das Verwaltungsgericht verpflichtet, eine Konkretisierung des Spruchs vorzunehmen (vgl. VwGH 21.10.1985, 85/02/0139).

13 Der Begründung des (innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist erlassenen) Straferkenntnisses lässt sich eindeutig entnehmen, dass dem Mitbeteiligten angelastet wurde, am Tatort zur Tatzeit keine FFP2-Maske getragen zu haben. Somit kann auch vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 18 5. COVID‑19‑NotMV, die in ihrem Abs. 4 Z 8 sowie in Abs. 5 und 6 bei Vorliegen näher genannter Voraussetzungen das Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung zulässt, kein Zweifel daran bestehen, für welches Verhalten der Mitbeteiligte konkret bestraft wurde.

14 Darüber hinaus ist für den vorliegenden Revisionsfall anzumerken, dass in § 2 Abs. 1 5. COVID‑19‑NotMV lediglich der Begriff der „Maske“, wie er auch in § 5 leg. cit. verwendet wird, definiert wird, wobei als Maske im Sinne dieser Verordnung eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2‑Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard gilt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss jedoch eine in einer anderen als der gemäß § 44a Z 2 VStG im Spruch anzuführenden übertretenen Norm enthaltene Legaldefinition nicht in die Verfolgungshandlung (bzw. in den Spruch) aufgenommen werden (vgl. hierzu VwGH 3.9.2003, 2001/03/0127; 27.2.2019, Ra 2018/15/0098, jeweils mwN).

15 Die zuletzt vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten Argumente, wonach im Spruch des Straferkenntnisses sowohl die Fundstelle des § 2 Abs. 1 5. COVID‑19‑NotMV als auch dessen Geltungszeitraum in der Tatumschreibung unrichtig angeführt worden seien, vermögen die Annahme einer untauglichen Verfolgungshandlung im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht zu begründen, weil der angelastete Tatzeitpunkt jedenfalls innerhalb des Geltungszeitraumes lag und nicht ersichtlich ist, inwiefern dem Mitbeteiligten dadurch die Möglichkeit dem Tatvorwurf entgegenzutreten genommen oder er der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt worden wäre.

16 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes wurde mit dem gegen den Mitbeteiligten erlassenen Straferkenntnis der belangten Behörde eine hinreichend konkretisierte Verfolgungshandlung innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung gesetzt, sodass sich die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens als rechtswidrig erweist.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18 Im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren wird darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine ordnungsgemäß begründete verwaltungsgerichtliche Entscheidung aus den drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elementen einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, einer Beweiswürdigung und einer rechtlichen Beurteilung besteht (vgl. VwGH 18.1.2022, Ra 2021/09/0131, mwN).

Wien, am 11. September 2023

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