Normen
AVG §38
BauO Tir 2018 §46 Abs1
BauO Tir 2022 §46 Abs1
BauRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023060020.L00
Spruch:
I. Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. September 2022 als unbegründet abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
II. Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit dem Revisionswerber damit die weitere Nutzung einer baulichen Anlage gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2022 untersagt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Tirol aufgehoben.
Die Gemeinde Längenfeld hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber zeigte bei der belangten Behörde am 8. Juni 2022 die Aufstellung eines Holzzaunes samt Errichtung eines Sprungplatzes, eines Auslaufplatzes für Stuten mit Fohlen, sowie fünf Paddocks für Turnierpferde und die Errichtung eines Holzzaunes zur Abtrennung von der Wiese auf einem näher bezeichneten Grundstück an.
2 Die belangte Behörde stellte mit Bescheid vom 27. Juli 2022 fest, dass die Ausführung des oben genannten Bauvorhabens gemäß § 28 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2022 (TBO 2022) einer Bewilligung bedürfe und einer allfälligen Bewilligung ein Abweisungsgrund nach § 34 Abs. 3 lit. a Z 1 TBO 2022 entgegenstehe.
3 Mit Bescheid vom 27. September 2022 hielt die belangte Behörde zunächst fest, dass das gegenständliche Grundstück im Eigentum des M. G. stehe und der Revisionswerber der Nutzungsberechtigte dieses Grundstücks sei. Im daran anschließenden Spruch des Bescheides wurde der Revisionswerber in Punkt I. verpflichtet, den auf dem gegenständlichen Grundstück errichteten Sprungplatz/Reitplatz, den Auslauf für Stuten und Fohlen sowie die fünf Paddocks für Pferde bis längstens 15. November 2022 abzutragen und gänzlich zu entfernen. Im Spruchpunkt II. hielt die belangte Behörde fest:
„Gemäß § 46 Abs. 6 lit. a/b TBO 2022 wird Ihnen als Eigentümer die weitere Benutzung der in Spruchpunkt I. genannten baulichen Anlage untersagt.“
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er im Wesentlichen vorbrachte, dass ein auf § 46 Abs. 1 TBO 2022 gestützter Beseitigungsauftrag stets an den Eigentümer der Baulichkeit zu richten sei. Die Behörde habe unterlassen von Amts wegen zu überprüfen, wer der Eigentümer des Grundstücks sei. Unter einem beantragte der Revisionswerber, eine Verhandlung anzuberaumen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass dem Revisionswerber zudem gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2022 die weitere Benützung der gegenständlichen baulichen Anlage untersagt würde. Die Frist zur Abtragung und Beseitigung der gegenständlichen baulichen Anlage wurde mit „bis spätestens 30.4.2023“ neu festgelegt. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, der Revisionswerber sei in der Bauanzeige vom 8. Juni 2022 als Einbringer aufgetreten und habe in keiner Lage des Verfahrens behauptet, dass die gegenständliche bauliche Anlage nicht von ihm errichtet worden sei. Er habe kein Rechtsmittel gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. Juli 2022 erhoben. Es könne somit davon ausgegangen werden, dass niemand anderer als der Revisionswerber als Bescheidadressat eines Auftrages gemäß § 46 Abs. 1 TBO 2022 in Betracht komme. Da der Revisionswerber als Nutzungsberechtigter der gegenständlichen baulichen Anlage aufgetreten sei, sei diesem auch gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2022 „anstatt dem ursprünglich herangezogenen Grundstückseigentümer“ M. G. die weitere Benützung dieser Anlage zu untersagen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
8 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof beantragte die belangte Behörde in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision und die Zuerkennung von Aufwandersatz.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wird in der Revision zusammengefasst unter anderem vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche hinsichtlich der Begründungspflicht und der Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
11 Die Revision erweist sich aus den genannten Gründen als zulässig.
12 Zu Spruchpunkt I:
13 Gemäß § 29 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben. Weiters sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt aus, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen nicht hinreichend ist, um den Anforderungen an die Begründungspflicht gerecht zu werden. Auch die Darstellung des Verwaltungsgeschehens vermag die fehlende Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts nicht zu ersetzen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 1.7.2022, Ra 2019/06/0106, mwN).
14 Nach der auch nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, aufrecht erhaltenen hg. Rechtsprechung führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. wiederum VwGH 1.7.2022, Ra 2019/06/0106, mwN).
15 Den dargelegten Anforderungen an die Begründung wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht:
16 Nach der eindeutigen Rechtslage des § 46 Abs. 1 TBO 2022 hat die Behörde, wenn eine bewilligungspflichtige oder anzeigepflichtige bauliche Anlage ohne die erforderliche Baubewilligung bzw. Bauanzeige errichtet wurde, dem Eigentümer der baulichen Anlage deren Beseitigung und erforderlichenfalls die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes aufzutragen. In § 46 Abs. 1 TBO 2022 wird ausschließlich auf die Frage des Eigentums an der betreffenden baulichen Anlage abgestellt (vgl. VwGH 28.4.2022, Ra 2019/06/0258 zur TBO 2018).
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Bauaufträgen, die an den Eigentümer eines Bauwerks zu richten sind, ist die Feststellung der Eigentumsverhältnisse eine bei Erlassung dieses Bauauftrages zu beachtende zivilrechtliche Vorfrage (vgl. neuerlich VwGH 28.4.2022, Ra 2019/06/0258, mwN).
18 Das Verwaltungsgericht hat keinerlei Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen an der baulichen Anlage getroffen, und infolgedessen nicht geprüft, ob sich der Beseitigungsauftrag an den Eigentümer der Baulichkeit richtet. Wer die bauliche Anlage errichtet oder die Bauanzeige eingebracht hat, ist hingegen nicht entscheidend. Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, das die Erteilung des Beseitigungsauftrages an den Revisionswerber ohne Feststellung der Eigentumsverhältnisse als rechtmäßig erachtete, weil dieser die Bauanzeige vom 8. Juni 2022 bei der Behörde eingebracht, die gegenständliche bauliche Anlage errichtet und den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde L vom 27. Juli 2022 nicht bekämpft habe, widerspricht dem klaren Gesetzeswortlaut des § 46 Abs. 1 TBO 2022.
19 Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich somit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit, weil es das Verwaltungsgericht infolge einer unzutreffenden Rechtsansicht unterlassen hat, für das Verfahren notwendige Feststellungen zu treffen.
20 Schließlich trifft auch das Revisionsvorbringen zu, wonach das Verwaltungsgericht nicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung absehen hätte dürfen.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hielt in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage (vgl. etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2018/05/0015, mwN). Verfahren betreffend behördliche Beseitigungsaufträge von baulichen Anlagen fallen unter Art. 6 EMRK (vgl. etwa VwGH 2.8.2016, Ra 2014/05/0058, mwN). Im vorliegenden Fall hätte das Verwaltungsgericht bereits aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers in der Beschwerde betreffend die Klärung der Eigentumsverhältnisse an der gegenständlichen baulichen Anlage eine Verhandlung durchführen müssen.
22 Aus den genannten Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. September 2022 als unbegründet abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
23 Zu Spruchpunkt II:
24 Vorweg ist festzuhalten, dass Spruchpunkt II. des Bescheides der belangten Behörde vom 27. September 2022 insoweit unklar ist, als sich dessen Spruchpunkt I. an den Revisionswerber richtet und die belangte Behörde mit Spruchpunkt II. „Ihnen als Eigentümer“ die weitere Benutzung der gegenständlichen Anlage untersagte. Eine weitere Person wird im Spruch des Bescheides nicht genannt, sodass bei alleiniger Betrachtung des Spruchs des Bescheides der Revisionswerber als Adressat des Spruchpunkts II. gemeint sein könnte.
25 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bilden aber Spruch und Begründung eines Bescheides eine Einheit. In diesem Sinn ist die Begründung zur Auslegung eines unklaren Spruches heranzuziehen (vgl. VwGH 12.4.2021, Ra 2019/06/0118, mwN). In den den Spruch des Bescheides teilweise vorangestellten Feststellungen und in der dem Spruch anschließenden Begründung des Bescheides hält die belangte Behörde fest, dass der Revisionswerber Nutzungsberechtigter und M. G. Eigentümer des gegenständlichen Grundstücks sei. Daraus ergibt sich somit in ausreichendem Maß, dass sich Spruchpunkt II. an M. G. richtet und nicht an den Revisionswerber. In diesem Sinne wurde der Bescheid auch im weiteren Verfahren vom Revisionsweber und dem Verwaltungsgericht verstanden. Die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 27. September 2022 wendete sich dem entsprechend inhaltlich auch lediglich gegen die mit Spruchpunkt I. aufgetragene Beseitigung.
26 „Sache“ des Beschwerdeverfahrens war daher nur jene Angelegenheit, die im Hinblick auf den Revisionswerber den Inhalt des Spruchs des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat. Eine darüber hinausgehende (meritorische) Entscheidungsbefugnis, dem Revisionswerber die weitere Nutzung der baulichen Anlage gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2022 zu untersagen, kam dem Verwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat damit in einer Angelegenheit meritorisch entschieden, die im Hinblick auf den Revisionswerber nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war.
27 Entscheidet das Verwaltungsgericht in einer Angelegenheit, die überhaupt nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des vorangegangenen Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde gewesen ist, im Ergebnis erstmals in Form eines Erkenntnisses, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und die Entscheidung ist im diesbezüglichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet (vgl. VwGH 8.9.2022, Ro 2022/02/0017, mwN).
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit dem Revisionswerber damit die weitere Benutzung der baulichen Anlage gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2022 untersagt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
29 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. April 2023
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