Normen
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021220066.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein im Jahr 1987 geborener indischer Staatsangehöriger, stellte am 20. März 2019 bei der Österreichischen Botschaft New Delhi einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG); er berief sich dabei auf seine im Juni 2018 mit der ‑ in Österreich über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ verfügenden ‑ indischen Staatsangehörigen S geschlossene Ehe.
2 Mit Bescheid vom 8. Juli 2020 wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz (belangte Behörde) diesen Antrag ab.
3 In der Begründung hielt die belangte Behörde fest, der Revisionswerber habe am 4. Juni 2018 in Pasching die im Jahr 1971 geborene S geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Revisionswerber ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufgehalten. Bei der Ehe handle es sich um eine Aufenthaltsehe; der Revisionswerber wolle mit seiner Ehefrau kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führen. Ein gemeinsamer Wohnsitz habe ‑ vor und nach der Eheschließung (bis zur Ausreise des Revisionswerbers Anfang Dezember 2018) ‑ nicht bestanden. S habe bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde ‑ so die belangte Behörde unter anderem in der Beweiswürdigung ‑ den Ort der Eheschließung nicht nennen können. Zudem habe sie vor der belangten Behörde und der (gemäß § 37 Abs. 4 NAG um Überprüfung wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe ersuchten) Landespolizeidirektion Oberösterreich jeweils verschiedene Personen als Trauzeugen angegeben, während bei der Hochzeit tatsächlich keine Trauzeugen zugegen waren. Auch habe es keine Hochzeitsfeier gegeben. Laut dem Facebook‑Profil des Revisionswerbers sei sein Status nach wie vor „Single“. Er sei zwar mit seiner Ehefrau auf Facebook befreundet, gemeinsame Fotos gebe es jedoch auf beiden Profilen der Eheleute nicht. S habe zwar ‑ auf diesbezügliche Nachfrage ‑ vor der belangten Behörde einen Chatverlauf vorgezeigt, allerdings habe es sich bei den meisten Fotos um Screenshots oder Fotos von Dokumenten gehandelt. Es gebe keine Anzeichen einer Kommunikation zwischen zwei sich liebenden und einander vermissenden Personen.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. Dezember 2020 als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung ebenso wie die belangte Behörde im Wesentlichen zugrunde, dass es sich bei der zwischen dem Revisionswerber und S geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe handle.
6 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht darauf, dass sich Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers und seiner Ehefrau ergeben hätten. S habe am 26. Oktober 2019 vor der Landespolizeidirektion angegeben, den Revisionswerbers im Jahr 2017 in einem Lokal in Mailand kennengelernt zu haben; nach ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung habe sie den Revisionswerber allerdings dort auf einer Hochzeit kennengelernt, während der Revisionswerber das Kennenlernen bei einer gemeinsamen Indien‑Reise im Jahr 2015 behauptete. Die Aussagen der Eheleute betreffend die Organisation der Hochzeit würden voneinander abweichen. Während beide vor der Landespolizeidirektion ausgeführt hätten, die Hochzeit gemeinsam organisiert zu haben, habe S am 12. Mai 2020 vor der belangten Behörde erklärt, dass sie die Hochzeit alleine organisiert habe; dies, obwohl sie vor der belangten Behörde den genauen Ort der Eheschließung nicht habe nennen können; sie habe lediglich auf einen Ort „in der Nähe von Linz“ verwiesen. Auch die Wohnsituation der Eheleute nach deren Hochzeit würden Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Gründe für die Eheschließung aufweisen. Die Ehefrau des Revisionswerbers habe am 19. April 2018 einen Mietvertrag für eine Wohnung in Linz unterzeichnet, wo der Revisionswerber bereits seit 26. Jänner 2018 gemeldet gewesen sei. S habe sich (erst) am Tag der Hochzeit im Juni 2018 an dieser Adresse gemeldet; dies, obwohl beide vor der Standesbeamtin angegeben hätten, „keine Zusammenlegung der Wohnsitze“ zu beabsichtigen, und S ihren Lebensmittelpunkt in Wien gehabt habe. Zudem liege auch aufgrund der kurzen Zeit zwischen Kennenlernen und Hochzeit ‑ und weil sich die Eheleute nur wenige Male vor der Eheschließung getroffen hätten ‑ der Verdacht nahe, dass die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen und aufrechterhalten worden sei, um dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu verschaffen. S sei in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch nicht bekannt gewesen, dass der Revisionswerber seinen Status auf Facebook mit „Single“ angebe und dass er mittlerweile in London wohnhaft sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe nicht festgestellt, dass der Revisionswerber die Ehe „zum ausschließlichen Zweck fremdenrechtlich oder ausländerbeschäftigungsrechtlich bedeutsame Berechtigungen zu erlangen“ geschlossen habe.
11 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer Aufenthaltsehe angenommen und das (beabsichtigte) Führen eines Familienlebens verneint hat. Insbesondere stellte es fest, dass die Ehe geschlossen wurde, um dem Revisionswerber einen Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen, und führte damit ohnehin ausreichend den (illegitimen) Zweck der Eheschließung an. Zudem stellt § 30 Abs. 1 NAG auf das ‑ vom Verwaltungsgericht auch festgestellte ‑ Nichtführen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK ab, und nicht auf den „ausschließlichen“ Zweck der Erlangung einer fremdenrechtlichen Berechtigung (vgl. zum Ganzen VwGH 25.5.2021, Ra 2020/22/0096, Rn. 11, mwN).
12 Weiters wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. In Bezug auf die Beweiswürdigung hat der Verwaltungsgerichtshof aber schon generell klargestellt, dass diesbezüglich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Nach dieser Judikatur ist der Verwaltungsgerichtshof nämlich zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen, allerdings hat er insbesondere doch zu prüfen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, und ob das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden (relevanten) Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056, Rn. 12, mwN, und darauf Bezug nehmend VwGH 25.5.2023, Ra 2022/22/0035, Rn. 9).
13 Das Verwaltungsgericht kam nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich von der Ehefrau des Revisionswerbers einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, zu dem als nicht unvertretbar anzusehenden Ergebnis, dass es sich bei der in Rede stehenden Ehe um eine Aufenthaltsehe handle. Wenn der Revisionswerber ins Treffen führt, dass die vorgelegten Fotos und Chatverläufe nicht hinreichend berücksichtigt worden seien und das Verwaltungsgericht eine „einseitige Betrachtung“ vorgenommen habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass diese Unterlagen bereits von der belangten Behörde in den Blick genommen und für nicht geeignet befunden wurden, ein Familienleben zwischen den Eheleuten darzulegen. Das Verwaltungsgericht stützte seine Beweiswürdigung zudem auf eine Mehrzahl von näher dargelegten Umständen und legte insoweit schlüssig dar, weshalb eine Aufenthaltsehe vorgelegen sei (vgl. dazu auch VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0211, Rn. 8).
14 Soweit der Revisionswerber bemängelt, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, den Sohn der Ehefrau einzuvernehmen, ist darauf hinzuweisen, dass sich dem Zulässigkeitsvorbringen keine Ausführungen zur Relevanz des insoweit behaupteten Verfahrensmangels entnehmen lassen. Insbesondere wird nicht dargelegt, welche Aspekte eines gemeinsamen Familienlebens durch die Vernehmung des Sohnes der Revisionswerberin als Zeugen nachgewiesen worden wären, und es werden auch keine konkreten Umstände geltend gemacht, durch die die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe hätte entkräftet werden können (vgl. zum Ganzen VwGH 15.11.2022, Ra 2021/22/0229, Rn. 11/12, mwN).
15 Demnach zeigt die Revision nicht auf, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe ‑ und somit das Vorliegen des absoluten Versagungsgrundes gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG, weswegen der beantragte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen ist ‑ im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht. Aus diesem Grund war auf die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts betreffend die (fehlende) finanzielle Leistungsfähigkeit der Eheleute und das diesbezügliche Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
16 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ‑ nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde ‑ mit Beschluss zurückzuweisen.
17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 16. November 2023
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