VwGH Ra 2021/22/0229

VwGHRa 2021/22/022915.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der J S, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18. August 2021, VGW‑151/023/4956/2020‑22, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §54 Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220229.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien (belangte Behörde) vom 30. Jänner 2020 wurde der Antrag der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom 23. Oktober 2018 auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts zurückgewiesen und festgestellt, dass die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Revisionswerberin habe unter Berufung auf ihre Ehe mit dem ungarischen Staatsangehörigen D S eine Aufenthaltskarte beantragt. Eine aufrechte Ehegemeinschaft bestehe zwischen den Eheleuten jedoch nicht, weshalb die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des § 54 Abs. 1 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) falle.

2 Das Verwaltungsgericht Wien wies die dagegen erhobene Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab, erlegte der Revisionswerberin den Ersatz näher bestimmter Barauslagen für den zur mündlichen Verhandlung am 13. Juli 2020 beigezogenen nichtamtlichen Dolmetscher auf und erklärte die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin habe am 22. Juni 2018 den ungarischen Staatsangehörigen D S geehelicht. Das Ehepaar weise seit dem 25. Mai 2018 eine gemeinsame Wohnsitzmeldung auf. Zudem sei zwischen dem 21. Juni 2019 und dem 22. Februar 2021 auch M G an dieser Anschrift hauptgemeldet gewesen. Ein Familienleben zwischen der Revisionswerberin und D S sei jedoch zu keinem Zeitpunkt tatsächlich entfaltet worden und die Entfaltung eines solchen sei auch nicht beabsichtigt.

4 In seiner Beweiswürdigung stützte sich das Verwaltungsgericht ‑ trotz eingeräumter anfänglich kongruenter Darstellungen ‑ auf Widersprüche in den Aussagen der Revisionswerberin und D S (etwa hinsichtlich des Zeitpunktes und der Umstände des Kennenlernens, der Treffen in den Tagen danach, des Zusammenziehens sowie insbesondere des letzten Geburtstages der Revisionswerberin; diesbezüglich habe die Revisionswerberin in der Verhandlung angegeben, D S knapp vor Weihnachten 2019 zuletzt gesehen zu haben, während D S ausgesagt habe, den Geburtstag der Revisionswerberin am 6. Juni 2020 gemeinsam mit ihr gefeiert zu haben). Zudem habe D S bei der Erörterung näher dargestellter Themen Unsicherheiten gezeigt. Weiters verwies das Verwaltungsgericht auf zahlreiche Divergenzen in den Aussagen der Ehegatten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gegenüber der Einvernahme vor der Landespolizeidirektion (LPD) Wien im Jänner 2019. Schließlich erscheine der geschilderte Ablauf der „Überraschungshochzeit“ (die Revisionswerberin sei angeblich zu einer Geburtstagsfeier gebracht worden und habe dort „ohne hierüber zu reflektieren“ der Eheschließung zugestimmt) zumindest zweifelhaft und widerspreche jeglicher Lebenserfahrung. Auch die Aussagen zum Aufenthalt der Zeugin M G in der angeblichen gemeinsamen Ehewohnung seien widersprüchlich gewesen. Zudem hätten alle in der Verhandlung einvernommenen Personen (Revisionswerberin, D S und M G) einen äußerst unsicheren und unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Ausgehend davon stehe fest, dass ein Familienleben zwischen der Revisionswerberin und D S nie entfaltet und die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen worden sei, der Revisionswerberin ein Aufenthaltsrecht zu ermöglichen. Schließlich verwies das Verwaltungsgericht auf einen ‑ das Bild abrundenden ‑ Bericht der LPD Wien vom 15. Februar 2021, dem zufolge die durchgeführten Erhebungen ergeben hätten, dass es sich bei der gemeinsamen Meldeanschrift des Ehepaares um keinen gemeinsamen Aufenthaltsort handle. Auf weitere im Akt befindliche Beweismittel wie etwa eine Meldung der LPD Wien vom 22. Februar 2020 betreffend eine Telefonüberwachung werde ‑ so das Verwaltungsgericht ‑ „nur noch kursorisch verwiesen“.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht fest, das Ermittlungsverfahren habe zweifelsfrei ergeben, dass die Ehe zwischen der Revisionswerberin und D S zu dem Zweck geschlossen worden sei, der Revisionswerberin den unbeschränkten Aufenthalt in Österreich sowie den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Nach § 30 Abs. 1 NAG dürften sich jedoch Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führen würden, für die Erteilung von Aufenthaltstiteln, worunter gegenständlich auch Aufenthaltskarten gemäß § 54 NAG fielen, nicht auf diese Ehe berufen. Somit sei der Antrag der Revisionswerberin auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als unzulässig zurückzuweisen und auszusprechen, dass die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltes falle.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In der vorliegenden Revision wird zunächst unter der Überschrift „IV. Zu den Revisionsgründen im Einzelnen“ Vorbringen ua. zu Verfahrensmängeln, zu mangelhaften und unvollständigen Tatsachenfeststellungen sowie zur unrichtigen Beweiswürdigung erstattet. Anschließend wird unter der Überschrift „V. Relevanz der Ausführungen im Punkte I‑IV im Lichte der eingeschränkten Revisionsgründe“ zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung könnten auch solche des Verfahrensrechts sein. Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang auf ihre Ausführungen in den Revisionsgründen verweist, ist festzuhalten, dass ein Verweis auf die Revisionsgründe für die Begründung der Zulässigkeit der Revision nicht ausreichend ist (vgl. VwGH 19.11.2020, Ra 2020/22/0236, Rn. 7, mwN).

9 Mit den in der Folge unter der Überschrift „V. Relevanz der Ausführungen im Punkte I‑IV im Lichte der eingeschränkten Revisionsgründe“ getätigten, allgemein gehaltenen Ausführungen zur Beweiswürdigung, zur nicht erfolgten Anhörung beantragter Zeugen, zur Nichtbefolgung der amtswegigen Ermittlungspflicht sowie zur Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vermag die Revisionswerberin keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen.

10 Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (siehe VwGH 3.2.2021, Ra 2021/22/0016, Rn. 13, mwN).

Bei einem diesbezüglich gerügten Begründungs‑ bzw. Ermittlungsmangel ist in der Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist konkret darzulegen, was die betreffenden Personen im Fall ihrer Vernehmung ausgesagt hätten bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2022/22/0021, Rn. 10, mwN).

12 Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung vermag die Revisionswerberin mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen. Das Verwaltungsgericht hat gestützt auf eine Mehrzahl von Beweisergebnissen sowie den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck (von der Revisionswerberin und den einvernommenen Zeugen) das Führen eines gemeinsamen Familienlebens in nicht zu beanstandender Weise verneint. Der Revisionswerberin ist zuzugestehen, dass das Verwaltungsgericht die nicht erfolgte Einvernahme weiterer namhaft gemachter Zeugen nicht näher begründet hat. Allerdings lassen sich dem Zulässigkeitsvorbringen auch keine Ausführungen zur Relevanz des insoweit behaupteten Verfahrensmangels entnehmen. Insbesondere wird nicht dargelegt, welche Aspekte eines gemeinsamen Familienlebens durch die Vernehmung der beantragten Zeugen nachgewiesen worden wären, und es werden auch keine ‑ durch die Aussage der beantragten Zeugen belegbaren ‑ konkreten familiären Begebenheiten oder auf ein aufrechtes Familienleben hindeutenden konkreten Umstände geltend gemacht, durch die der Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe hätte entgegengetreten werden können (vgl. wiederum VwGH Ra 2021/22/0016, Rn. 14, mwN).

13 Soweit die Revisionswerberin weitere Verfahrensmängel (wie die Nichtbefolgung der amtswegigen Ermittlungspflicht, die Nichtvornahme einer Protokollberichtigung sowie die unterbliebene Aushändigung einer vollständigen Aktenabschrift) ins Treffen führt, wird ebenfalls mangels einer nachvollziehbaren Relevanzdarstellung im Zulässigkeitsvorbringen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen (vgl. zum auch insoweit gegebenen Erfordernis einer Relevanzdarstellung VwGH 14.5.2020, Ra 2020/22/0037, Rn. 6, mwN). Zur monierten Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sowie zu den diesbezüglich offenbar angesprochenen Berichten der LPD Wien ist zudem darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung zwar zur Abrundung auf den Bericht der LPD Wien vom 15. Februar 2021 verweist, allerdings bereits zuvor auf Grund der in der mündlichen Verhandlung aufgenommenen Beweise zu dem ‑ wie dargestellt ‑ nicht zu beanstandenden Ergebnis des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gelangt ist. Die Revisionswerberin zeigt ausgehend davon nicht auf, inwieweit es für die Feststellung das Verwaltungsgerichtes zum Nichtvorliegen eines Familienlebens tragend auf diesen (oder weitere) Bericht(e) der LPD Wien angekommen wäre.

14 Soweit die Revisionswerberin schließlich vermeint, das Verwaltungsgericht wäre von näher zitierten hg. Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bedeutung einer getrennten Wohnsitznahme sowie dem Fehlen einzelner Merkmale einer ehelichen Lebensgemeinschaft abgewichen, wird ein derartiges Abweichen schon mangels einer dargelegten Vergleichbarkeit der jeweils zu beurteilenden Konstellationen nicht aufgezeigt. Zudem hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung nicht bloß das Fehlen einzelner Merkmale einer ehelichen Lebensgemeinschaft zugrunde gelegt.

15 Wenn die Revisionswerberin schließlich vorbringt, die Rechtsfrage, „in welchem Kontext der Begriff einer aufrechten Familien und Ehegemeinschaft unionsrechtlich zu beurteilen ist, wenn Heiratsort in einem Drittstaat und spätere unionsrechtliche Wohnsitznahme von Angehörigen des Unionsbürgers auseinanderfallen“, sei von so grundsätzlicher Bedeutung, dass eine „Vorbefassung des EuGH“ angeregt werde, ist ihr zu entgegnen, dass damit nicht aufgezeigt wird, in welcher Weise dem Ort der Eheschließung bzw. dem Wohnort vorliegend für die zu beurteilende Frage des Bestehens einer Aufenthaltsehe Bedeutung zugekommen ist. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof aufgrund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG aber nicht zuständig (vgl. VwGH 11.5.2020, Ro 2020/22/0002, Rn. 12, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher auch nicht veranlasst, diesbezüglich ‑ wie von der Revisionswerberin angeregt ‑ ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 15. November 2022

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