Normen
Erwachsenenbildung Ö-Cert Vereinbarung Art 15a B-VG 2011
EURallg
UStBLV 2018
UStBLV 2018 §1 Z7
UStBLV 2018 §1 Z9
UStG 1994 §6 Abs1 Z11 lita
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 liti
62020CJ0612 Happy Education VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021150021.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Gesellschaft betreibt ‑ nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) ‑ eine Sprachschule, die Babys, Kindern und Teenagern Englisch als Fremdsprache beibringt und dabei über einen Bildungszeitraum von 14 bis 19 Jahren ein kontinuierliches und aufbauendes Kursprogramm anbietet; Erwachsene sind keine Zielgruppe der Sprachschule. Die Kinder profitieren im von der Mitbeteiligten angebotenen Kursprogramm vom Lernen innerhalb des wissenschaftlich belegten Sprachfensters für den frühkindlichen Spracherwerb, das sich bereits ab dem 7. Lebensjahr mehr und mehr schließt. Dadurch wird das Erlernen einer weiteren Sprache in der Altersgruppe ab 10 Jahren weniger effektiv als in früheren Jahren, was u.a. Aussprache, akzentfreies Sprechen und Aneignung der grammatikalischen Prinzipien auf eine natürliche Art und Weise betrifft. Der Unterricht wird in Gruppen von 4 bis 8 Kindern abgehalten, um die Interaktion in den Gruppen und damit den Spracherwerb zu fördern. Einzelunterricht wird grundsätzlich keiner angeboten. Organisatorisch findet der Unterricht in sogenannten „Learning Studios“ bzw. „Learning Centers“ statt, welche über Unterrichtsräume, Sekretariat sowie Unterrichtsmaterialienlager verfügen und in dieser Form schulähnlich aufgebaut sind. Die Programme finden ‑ analog zum Schuljahr und unter Berücksichtigung der Schulferien ‑ üblicherweise zwischen September und Juni statt. Der schulähnliche Zweck liegt darin, dass der Sprachunterricht der Mitbeteiligten in Form von Kursen dem Stoff des österreichischen Pflichtschulsystems inhaltlich zumindest entspricht, dem Lehrplan dieser Schulen im Regelfall aber etwa 1 bis 2 Jahre voraus ist. So können Kinder bereits im Alter von 3 Monaten mit dem Kursprogramm der Mitbeteiligten beginnen und wachsen dann aufgrund dieses Bildungsangebots insofern „zweisprachig“ auf. Die überwiegende Mehrzahl der Kinder beginnt aber im Kindergarten bzw. Vorschulalter und am Anfang der Volksschule, um parallel und vorgelagert zur Schule Englisch zu lernen. Diese Methode bringt einer Studie zufolge nachweislich einen Vorteil beim Eintritt in die auf die Volksschule folgenden Schulstufen. Ziel ist es, möglichst früh zu beginnen und dann kontinuierlich, ergänzend zur Schule, die Englischkenntnisse zu erweitern und zu vertiefen. Eine „Nachhilfe“ für den schulischen Unterricht wird durch das Bildungsangebot der Mitbeteiligten nicht erbracht, weil die Lerninhalte jenen des österreichischen Schulsystems zeitlich voraus sind und daher von den Kindern nicht genutzt werden können, um schulische Versäumnisse zu kompensieren oder das schulische Lernen zeitnah zu unterstützen.
2 Zu den bisherigen Anstrengungen der Mitbeteiligten zur Erbringung eines Nachweises der Verfolgung einer den öffentlichen Schulen vergleichbaren Zielsetzung stellte das BFG fest, die Mitbeteiligte habe bereits kurz nach Veröffentlichung der Umsatzsteuer-Bildungsleistungsverordnung (UStBLV) des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II Nr. 214/2018, mit Ö‑Cert, welche eine Liste der Zertifizierungsstellen bereit stelle, und den von ihr gelisteten Zertifizierungsstellen Kontakt aufgenommen und sich aktiv um eine Zertifizierung iSd § 1 Z 7 bzw. Z 9 UStBLV bemüht. Alle in Frage kommenden Zertifizierungsstellen hätten ihr jedoch mitgeteilt, dass nur Erwachsenenbildungsprogramme zertifiziert werden könnten (Hinweis auf TÜV Austria ISO 29990; ISO 29990 ‑ Quality Austria; sowie die auf https://oecert.at/weg ‑zu‑oecert/qm‑systeme.php gelisteten Systeme). Gleich sei die Auskunft der entsprechenden Landesstellen in Oberösterreich, Niederösterreich und Wien gewesen, die eine Zertifizierung auch nur für Erwachsenenbildungsprogramme durchführten. Andere Bundesländer böten überhaupt keine Zertifizierungen an. Einzelne Zertifizierungsstellen wie zB „LQW“ böten ein Qualitätssicherungsaudit an, das allerdings nichts mit einer Bestätigung der Bildungsleistung und ‑erbringung zu tun habe und das zB von manchen Eltern‑Kind‑Zentren bezogen würde, die aber nichts mit Bildungsleistungen zu tun hätten.
3 Mit Anbringen vom 15. Oktober 2019 teilte die Mitbeteiligte dem Finanzamt mit, dass es in Österreich keine Zertifizierungsmöglichkeit für schulähnliche Einrichtungen gebe, wenn es sich nicht um Erwachsenenbildung handle. Es könne daher ‑ entgegen der vom Finanzamt zuvor auf Anfrage erhaltenen Auskunft ‑ für die Anwendung der Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 nicht auf eine solche Zertifizierung abgestellt werden. Die Umsätze seit 1. Jänner 2019 würden daher in der Umsatzsteuervoranmeldung für 08/2019 als umsatzsteuerbefreit behandelt. Wenn von Seiten des Finanzamtes eine andere Ansicht vertreten werde, ersuche man um einen abweisenden Bescheid, damit entsprechende Rechtsmittel ergriffen werden könnten.
4 Das Finanzamt setzte daraufhin die Umsatzsteuer bescheidmäßig fest und behandelte die erklärten Umsätze gemäß seiner zuvor erteilten Auskunft mangels nachgewiesener Zertifizierung als steuerpflichtige Umsätze.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der dagegen erhobenen Beschwerde ‑ nach negativer Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag der Mitbeteiligten ‑ Folge und setzte die Umsatzsteuer für 08/2019 mit ‑ 197,91 € fest. Begründend führte es aus, die Einschränkung der Befreiung des Art. 132 Abs. 1 lit. i MwStSystRL auf den Katalog des § 1 UStBLV stelle eine Bedingung dar, die den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletze. Bereits in der Rs Klinger (Hinweis auf EuGH 10.9.2002, C‑141/00 , Rz 26) habe der EuGH allgemein festgestellt, dass die steuerbefreiten Umsätze nach der Art der erbrachten Leistungen definiert seien, ohne auf die Rechtsform des Leistenden abzustellen. Weiters habe der EuGH darin erkannt (Rz 30), dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere verbiete, dass Wirtschaftsteilnehmende, die gleichartige Umsätze bewirkten, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt würden.
6 Der Sprachunterricht für Kinder und Jugendliche stelle zweifelsfrei eine allgemeinbildende Bildungsleistung dar, die dem Grunde nach unter die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 falle. Von Seiten der Abgabenbehörde seien auch keine Feststellungen darüber getroffen worden, dass die Zielsetzungen und Bedingungen der Tätigkeit der mitbeteiligten Gesellschaft im Vergleich mit den Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit Bildungsaufgaben betraut seien, nicht übereinstimmten. Auch das BFG könne diesbezüglich keine Widersprüche erblicken. An einer Vergleichbarkeit der Zielsetzung der gegenständlichen Bildungseinrichtung iSd Art. 132 Abs. 1 lit. i MwStSystRL mit solchen von öffentlichen Einrichtungen bestünden für das BFG keine Zweifel. Es lägen im Einzelfall keine Gründe vor, die einer Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 lit. i MwStSystRL entgegenstünden. Von Seiten des Finanzamts sei die „vergleichbare Zielsetzung“ (iSd § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a letzter Halbsatz UStG 1994) und damit die Steuerbefreiung wegen der fehlenden Zertifizierung nicht anerkannt worden. Dass es der mitbeteiligten Gesellschaft trotz mehrfacher Versuche nicht möglich gewesen sei, eine Zertifizierungsstelle in Österreich zu finden, sei dabei zu Unrecht nicht gewürdigt worden. Der nationale Verordnungsgeber sei der Verpflichtung, die volle Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten, nicht nachgekommen und habe daher sein Ermessen überschritten. Die Mitbeteiligte sei daher nach Ansicht des BFG berechtigt, sich unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 lit. i MwStSystRL zu berufen, um damit eine direkte Anwendung der Befreiung zu erreichen. Die Bildungsleistungen der Mitbeteiligten stellten steuerbefreite Umsätze dar.
7 Die Revision ließ das BFG zu, weil zur Frage, ob für private Anbieter allgemeinbildender Bildungsleistungen für Kinder und Jugendliche die Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 (Rechtslage ab 1. Jänner 2019) zur Anwendung komme oder nicht, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die (ordentliche) Amtsrevision des Finanzamts. Zur Zulässigkeit bringt dieses ergänzend vor, dass es bislang auch an einer Rechtsprechung zur Auslegung des § 1 Z 9 UStBLV, BGBl. II Nr. 214/2018, fehle. Darüber hinaus sei das BFG aber auch von bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Der Verwaltungsgerichtshof habe nämlich unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH bereits ausgesprochen, dass es im Falle einer Ermessensüberschreitung eines Mitgliedstaates bei der Festlegung der Bedingungen für das Vorliegen einer mit öffentlichen Schulen vergleichbaren Zielsetzung Aufgabe des nationalen Gerichts sei, die Zielsetzung und die Bedingungen der Tätigkeit des Steuerpflichtigen im Vergleich mit den Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit Bildungsaufgaben betraut seien, im Einzelfall zu untersuchen (Hinweis auf VwGH 15.9.2016, Ra 2014/15/0003, Rn 16 unter Bezugnahme auf EuGH 28.11.2013, C‑319/12 , MDDP, Rn 54). Dies habe das BFG, das im angefochtenen Erkenntnis die Berufung der mitbeteiligten Partei auf die unmittelbare Anwendung des Art. 132 Abs. 1 lit. i MwSt‑RL 2006/112/EG anerkannt habe, verkannt, weil es das Vorliegen einer vergleichbaren Zielsetzung ohne jegliche Prüfung unterstellt bzw. sich diesbezüglich ausschließlich auf die Angaben der Mitbeteiligten gestützt habe.
9 Die mitbeteiligte Gesellschaft hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 wurde mit dem Jahressteuergesetz 2018, BGBl. I Nr. 62/2018, neu gefasst und lautet:
„Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei: [...]
11. a) die Umsätze von privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit es sich um die Vermittlung von Kenntnissen allgemeinbildender oder berufsbildender Art oder der Berufsausübung dienenden Fertigkeiten handelt und nachgewiesen werden kann, daß eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Zielsetzung verfolgt wird. Der Bundesminister für Finanzen kann unter Berücksichtigung der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen mit Verordnung festlegen, wann eine vergleichbare Zielsetzung vorliegt;“
13 Die Erläuterungen (ErlRV 190 BlgNR 26. GP 31) haben die Neufassung wie folgt begründet:
„Da die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Umsetzung des Unionsrechts konstatiert (vgl. zB VwGH 14.09.2017, Ro 2017/15/0017), soll § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 unionsrechtskonform ausgestaltet und das Kriterium der vergleichbaren Tätigkeit durch das Kriterium der vergleichbaren Zielsetzung ersetzt werden. Zudem soll eine Verordnungsermächtigung vorgesehen werden, mit der eine Konkretisierung der vergleichbaren Zielsetzung vorgenommen werden kann. Eine solche Verordnung soll entsprechend Art. 133 lit. d der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. Nr. L 347 vom 11.12.2006 S. 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 , ABl. Nr. L 348 vom 29.12.2017 S. 7, die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen berücksichtigen.“
14 Zu dieser Bestimmung hat der Bundesminister für Finanzen die darin angekündigte Verordnung über das Vorliegen einer vergleichbaren Zielsetzung bei Bildungsleistungen (Umsatzsteuer-Bildungsleistungsverordnung, UStBLV), BGBl. II Nr. 214/2018, erlassen, in der er die „vergleichbare Zielsetzung" wie folgt präzisierte:
„§ 1. Eine vergleichbare Zielsetzung liegt vor, bei:
1. Privatschulen im Sinne des Privatschulgesetzes, BGBl. Nr. 244/1962, oder des land‑ und forstwirtschaftlichen Privatschulgesetzes, BGBl. Nr. 318/1975;
2. Privathochschulen und Privatuniversitäten nach dem Privathochschulgesetz (PrivHG), BGBl. I Nr. 77/2020, sowie Privatuniversitäten, die unter den Voraussetzungen des Privatuniversitätengesetzes (PUG), BGBl. I Nr. 74/2011 oder des § 2 des Universitäts‑Akkreditierungsgesetzes (UniAkkG), BGBl. I Nr. 168/1999, akkreditiert wurden;
3. Fachhochschulen nach dem Fachhochschulgesetz (FHG), BGBl. Nr. 340/1993;
4. privaten Pädagogischen Hochschulen im Sinne des § 4 Hochschulgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 30/2006 sowie öffentlichen Pädagogischen Hochschulen im Rahmen der eigenen Rechtspersönlichkeit gemäß § 3 Hochschulgesetz 2005, BGBl. I Nr. 30/2006;
5. anderen berufsbezogenen Ausbildungseinrichtungen privaten Rechts, die aufgrund einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung als solche anerkannt sind;
6. post‑sekundären Bildungseinrichtungen, die im Rahmen einer Kooperation mit einer Universität oder Fachhochschule berufsbezogene post‑graduale Aus‑ und Weiterbildungen durchführen;
7. einer aufrechten Zertifizierung als Erwachsenenbildungseinrichtung im Sinne der Vereinbarung gemäß Art. 15a B‑VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Anerkennung des Qualitätsrahmens für die Erwachsenenbildung Ö‑Cert, BGBl. II Nr. 269/2012;
8. Einrichtungen im Sinne des Bundesgesetzes über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens, BGBl. Nr. 171/1973 in Verbindung mit der Kundmachung der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens aus Bundesmitteln, BGBl. II Nr. 228/2001;
9. jeder anderen vergleichbaren behördlichen Zertifizierung.
§ 2. Eine vergleichbare Zielsetzung liegt nicht vor, wenn der Unternehmer nachweist, dass die Anwendung des § 1 Z 5 bis 9 zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass die Bildungsleistungen überwiegend an Unternehmer erbracht werden.“
15 Ziel der Neufassung der umsatzsteuerrechtlichen Befreiungsbestimmung für Bildungsdienstleistungen in § 6 Abs. 1 Z 11 lit. a UStG 1994 war ‑ das legen die Erläuterungen unmissverständlich dar ‑ deren unionskonforme Ausgestaltung, nachdem der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung zuvor eine mangelnde Umsetzung des Unionsrechts konstatiert hatte.
16 Die der österreichischen Befreiung zu Grunde liegende Bestimmung des Unionsrechts findet sich in Art. 132 MwStSystRL 2006/112/EG und lautet auszugsweise:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
a) [...]
i) Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;“
17 Dementsprechend stellt nunmehr auch die österreichische Befreiungsbestimmung darauf ab, dass die privaten Bildungseinrichtungen „eine den öffentlichen Schulen vergleichbare Zielsetzung“ verfolgen.
18 In seinem Urteil vom 28. April 2022, C‑612/20 , Happy Education, hatte der EuGH vor dem Hintergrund einer privaten Bildungseinrichtung, die u.a. auch Sprachkurse anbot, Gelegenheit, sich zum Kriterium „Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ näher zu äußern. Dabei hat er seine Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst:
„30 Was die zweite dieser Voraussetzungen betrifft, so können die Leistungen einer Einrichtung, die keine öffentlich-rechtliche Einrichtung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 darstellt, wie dies bei Happy Education der Fall zu sein scheint, nur dann nach dieser Bestimmung von der Mehrwertsteuer befreit werden, wenn sie unter den Begriff „andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ fallen, auf den sich die zweite Vorlagefrage bezieht.
31 Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es, da Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 nicht festlegt, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Modalitäten die vergleichbare Zielsetzung anerkannt werden kann, grundsätzlich Sache des nationalen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Regeln aufzustellen, nach denen den betreffenden Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen dabei über ein Ermessen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Mai 2005, Kingscrest Associates und Montecello, C‑498/03 , EU:C:2005:322, Rn. 49 und 51, sowie vom 28. November 2013, MDDP, C‑319/12 , EU:C:2013:778, Rn. 37).
32 Darüber hinaus haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei der Aufstellung solcher Bedingungen die Grenzen ihres Ermessen nicht überschritten haben und die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere den Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt, beachtet haben (Urteil vom 28. November 2013, MDDP, C‑319/12 , EU:C:2013:778, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).“
19 Der Ausgangsfall betraf dabei eine rumänische Handelsgesellschaft, die Unterrichtsdienstleistungen erbringt, die in der Organisation von ergänzenden Aktivitäten zum Lehrplan ‑ wie Unterstützung für Hausaufgaben, und Anbieten von Bildungsprogrammen und Sprachkursen ‑ bestand, wobei die Anerkennung als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie eine öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung nach rumänischem Recht durch die Vereinbarung einer Partnerschaft mit einer Bildungseinrichtung im Rahmen des Programms „Schule nach der Schule“ stattfand. Da die betroffene Gesellschaft keine solche Partnerschaft vereinbart hatte und daher nicht über die für diesen Zweck nach rumänischen Recht erforderliche Anerkennung oder Zulassung verfügte, fiel sie nicht unter den Begriff der „Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“, wogegen der EuGH keine unionsrechtlichen Bedenken hegte.
20 Aus dem Urteil des EuGH ergibt sich sohin, dass den Mitgliedstaaten bei der Festlegung des Systems staatlicher Anerkennung einer den öffentlichen Schulen vergleichbaren Zielsetzung und der Definition der Voraussetzungen und Modalitäten hierfür ein großer Gestaltungsspielraum zukommt, wobei diese Anerkennung auch vom Abschluss entsprechender (inhaltlicher) Vereinbarungen abhängig gemacht werden darf.
21 Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel an der grundsätzlichen Unionsrechtskonformität des österreichischen Anerkennungssystems für private Bildungseinrichtungen der UStBLV, das für die staatliche Anerkennung auf das Vorliegen einer unabhängigen Zertifizierung abstellt, die für Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen ein entsprechendes Qualitätsniveau und dessen laufende Überwachung auch dann gewährleistet, wenn sie nicht von einer der in der UStBLV ausdrücklich genannten und gesetzlich näher determinierten Bildungseinrichtungen erbracht werden.
22 Als Möglichkeiten einer solchen Zertifizierung privater Bildungsdienstleister nennt § 1 UStBLV zum einen in Z 7 für den Bereich der Erwachsenenbildung eine Zertifizierung „im Sinne der Vereinbarung gemäß Art. 15a B‑VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Anerkennung des Qualitätsrahmens für die Erwachsenenbildung Ö-Cert, BGBl. II Nr. 269/2012“ und zum anderen in Z 9 allgemein „jede andere vergleichbare behördliche Zertifizierung“.
23 Mit der Wortfolge „jede andere vergleichbare behördliche Zertifizierung“ in Z 9 wird einerseits eine Öffnung gegenüber vergleichbaren Zertifizierungsprogrammen anderer Mitgliedstaaten für Erwachsenenbildungseinrichtungen zum Ausdruck gebracht und andererseits eine Ausdehnung der Umsatzsteuerbefreiung über den inhaltlichen Bereich der Erwachsenenbildungseinrichtungen hinaus bei entsprechenden Zertifizierungsnachweisen ermöglicht. Entscheidend ist dafür, dass die private Bildungseinrichtung in ihrem Tätigkeitsfeld ein Qualitätsniveau nachweisen kann, das dem für zertifizierte Erwachsenenbildungseinrichtungen entspricht, bildet doch deren in § 1 Z 7 UStBLV normiertes Zertifizierungssystem den logischen primären Referenzpunkt für eine solche Vergleichbarkeitsprüfung.
24 Wenn die mitbeteiligte Gesellschaft im Revisionsfall nun darauf hinweist, dass für sie eine Zertifizierung als Erwachsenenbildungseinrichtung gemäß § 1 Z 7 UStBLV nicht verfügbar gewesen sei, so ist dies zunächst nur folgerichtig, weil die in der darin verwiesenen Vereinbarung gemäß Art. 15a B‑VG BGBl. II Nr. 269/2012 vorgesehenen Qualitätsstandards nicht vor dem Hintergrund kinderspezifischer Bedürfnisse und Anforderungen definiert worden sind. Es wäre daher für eine „vergleichbare Zertifizierung“ ihrer Bildungsdienstleistungen auch nicht hinreichend, wenn die mitbeteiligte Partei die Erfüllung der für die Erwachsenbildung definierten Qualitätsstandards nachweisen könnte. Vielmehr muss von ihr in der Zielsetzung zwar mindestens ein vergleichbares Qualitätsniveau, dieses aber eben auf dem Gebiet der Kinder‑ und Jugendbildung nachgewiesen werden. Nur eine dies nachweisende Zertifizierung wäre im Revisionsfall eine „vergleichbare Zertifizierung“ iSd § 1 Z 9 UStBLV.
25 Im angefochtenen Erkenntnis hat das BFG demgegenüber ‑ unabhängig vom Nachweis einer Zertifizierung ‑ eine Umsatzsteuerbefreiung der mitbeteiligten Partei angenommen. Das BFG hat sich dabei offenbar vom Vorbringen der mitbeteiligten Partei leiten lassen, dass es ihr trotz mehrfacher Versuche nicht möglich gewesen sei, eine Zertifizierungsstelle in Österreich zu finden. Dies sei vom Finanzamt zu Unrecht nicht gewürdigt worden.
26 Daraus eine Umsatzsteuerbefreiung abzuleiten, geht aber fehl.
27 So vernachlässigt das BFG im angefochtenen Erkenntnis dabei zunächst bereits den Umstand, dass eine solche Zertifizierung ‑ wie bereits oben ausgeführt ‑ aus dem gesamten EU‑Raum beigebracht werden kann. Dass es europaweit keine Zertifizierungen für Kinderbildungseinrichtungen gibt, hat das BFG jedoch nicht festgestellt. Auch hat das BFG nicht festgestellt, dass die mitbeteiligte Partei sich ‑ nach dem Scheitern ihres inländischen Zertifizierungsvorhabens ‑ ihrerseits um etwaige vergleichbare ausländische Zertifizierungen bemüht hat. Dass eine für die Umsatzsteuerbefreiung erforderliche Zertifizierung sohin für die Mitbeteiligte nicht erreichbar gewesen wäre, steht auf dem Boden der nur auf österreichische Verhältnisse abstellenden Feststellungen des BFG ‑ entgegen dessen Annahme ‑ noch gar nicht fest.
28 Darüber hinaus unterläuft die vom BFG vorgenommene Erstreckung der Umsatzsteuerbefreiung auch die (grundsätzlich legitime) Anknüpfung der UStBLV an den Nachweis qualitätsbezogener Zertifizierungen. Wenn das BFG der mitbeteiligten Gesellschaft im Revisionsfall eine Umsatzsteuerbefreiung unabhängig von einer Zertifizierung zubilligt, wird letztlich ‑ contra legem ‑ nicht auf eine vergleichbare Zertifizierung abgestellt, sondern ‑ gerade im sensiblen Bereich der Kinderbildung ‑ auf eine Zertifizierung schlichtweg verzichtet. Mit diesem Absehen von inhaltlichen Qualitätsanforderungen hat es die Rechtslage verkannt.
29 Das BFG hat im angefochtenen Erkenntnis ‑ worauf die Amtsrevision ergänzend hinweist ‑ aber auch keinen Versuch unternommen, seinerseits Qualitätsnormen zu definieren, bei denen es von einer vergleichbaren (theoretischen) Zertifizierungsmöglichkeit ausginge. Ein solches Unterfangen würde im Revisionsfall freilich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs schon insofern an eine inhaltliche Grenze stoßen, als nach der oben begründeten Rechtsauslegung des § 1 Z 9 UStBLV eine vergleichbare Zertifizierung von Kinder‑ und Jugendbildungseinrichtungen im Interesse des Kindeswohls die Erfüllung von kinderspezifischen Qualitätsnormen berücksichtigen und gewährleisten muss und daher zunächst die Formulierung entsprechender kinderspezifischer Zertifizierungsanforderungen erfordert, weshalb eine Erstreckung der Umsatzsteuerbefreiung auf die mitbeteiligte Gesellschaft ohne Nachweis einer Zertifizierung im Wege des Anwendungsvorrangs nicht in Betracht kommt.
30 Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der umsatzsteuerlichen Neutralität, finden sich doch sämtliche Betreiber privater Sprachschulen für Kinder diesbezüglich in einer vergleichbaren Situation und ist insofern keine Gefahr von Wettbewerbsbeeinträchtigungen ersichtlich. Dass eine solche Gefahr dennoch bestünde und der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dadurch verletzt sein könnte, hat das BFG im angefochtenen Erkenntnis zwar in den Raum gestellt, dies aber völlig unsubstantiiert gelassen.
31 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Fehlen wesentlicher Feststellungen auf Grund unrichtiger Rechtsansicht) aufzuheben.
Wien, am 6. September 2023
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