VwGH Ra 2019/22/0124

VwGHRa 2019/22/012416.3.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. des A S, und 2. des S S, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 17. April 2019, LVwG‑2019/30/0748‑1 (hg. Ra 2019/22/0124) und LVwG‑2019/30/0750‑1 (hg. Ra 2019/22/0125), betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2019220124.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerber haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die Revisionswerber sind afghanische Staatsangehörige und stellten (nach schriftlicher Einbringung am 11. Juli 2018) am 1. Oktober 2018 persönlich bei der Österreichischen Botschaft Islamabad jeweils einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß-Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Als Zusammenführender wurde der ‑ am 21. März 2000 geborene und daher im Antragszeitpunkt bereits volljährige ‑ Bruder der Revisionswerber, ebenso ein afghanischer Staatsangehöriger, genannt, dem als unbegleitetem Minderjährigen mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2017 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war und der bis auf Weiteres in Österreich aufhältig ist (im Folgenden: Zusammenführender).

2. Mit Bescheid vom 7. Februar 2019 wies die Bezirkshauptmannschaft Kufstein (im Folgenden: Behörde) die Anträge ab.

3.1. Mit den nunmehr angefochtenen (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der von den Revisionswerbern dagegen erhobenen Beschwerde nicht Folge.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, vorliegend gehe es nicht um die Beantragung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005, sondern um die Beantragung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 NAG. Die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels setze voraus, dass es sich beim Antragsteller um einen Familienangehörigen des Zusammenführenden handle. Die Revisionswerber seien jedoch als Brüder des asylberechtigten Zusammenführenden nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG zu erachten, sodass die Voraussetzungen des § 46 NAG schon deshalb nicht erfüllt seien. Beim beantragten Familiennachzug zu dem in Österreich lebenden volljährigen Bruder der Revisionswerber sei auch eine Abkoppelung des Begriffs eines Familienangehörigen von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG zur Herbeiführung eines unionsrechtskonformen Ergebnisses nicht geboten. Davon abgesehen sei gegen den Zusammenführenden auch ein Verfahren zur Asylaberkennung anhängig. Ferner seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt, fehle es doch an der Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen diese Erkenntnisse wendet sich die gegenständliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten geltend gemacht wird.

4.2. Die Behörde erstattete (im eingeleiteten Vorverfahren) eine Revisionsbeantwortung.

5. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art.133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6.1. Die Revisionswerber machen einerseits ‑ unter auszugsweiser Zitierung von Rechtssätzen aus der hg. Rechtsprechung ‑ geltend, das Verwaltungsgericht habe die Begründungspflicht in eklatanter Weise verletzt. Es hätte nach übersichtlicher Zusammenfassung auf das Vorbringen der Revisionswerber (entsprechend) eingehen und dieses analysieren müssen, was nicht geschehen sei. Es stehe (insbesondere) auch der maßgebliche Sachverhalt nicht fest (so fehlten etwa Feststellungen zur Asylgewährung an den Zusammenführenden, zum Stand dessen Asylaberkennungsverfahrens und zur gegenständlichen Antragstellung). Die weitgehende Verweigerung einer Begründung verletze die Revisionswerber in ihrem Recht auf eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem Verfahrensstoff und müsse daher zur Zulassung der Revision führen.

6.2. Die Zulässigkeit der Revision setzt im Fall eines behaupteten Verfahrensmangels voraus, dass auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen - dargetan wird (vgl. VwGH 16.8.2016, Ra 2015/08/0074, Pkt. 4.1.). Dies gilt auch für einen behaupteten Begründungsmangel (vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 5.2.).

Dem wird das (oben wiedergegebene) Vorbringen nicht gerecht, beschränkt es sich doch darauf, einen Begründungsmangel nur ganz allgemein bzw. pauschal zu behaupten. Inwiefern das Verwaltungsgericht bei Unterbleiben des Mangels unter den konkreten Umständen des Falls zu einem anderen Sachverhalt und damit zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wird nicht dargetan.

6.3. Ein Begründungsmangel führt auch nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn dadurch entweder die Rechtsverfolgung durch die Parteien oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird (vgl. VwGH 6.9.2005, 2005/03/0137, Pkt. 2.).

Vorliegend sind die angefochtenen Erkenntnisse jedenfalls so weit begründet, dass daraus hinreichend klar hervorgeht, aufgrund welcher maßgeblichen Feststellungen und Erwägungen das Verwaltungsgericht zu den angefochtenen Entscheidungen gelangt ist. Eine Rechtsverfolgung durch die Parteien und eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ist auf dieser Grundlage durchaus möglich.

7.1. Die Revisionswerber relevieren andererseits, die angefochtenen Erkenntnisse verstießen gegen das Unionsrecht. Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (im Folgenden nur: Richtlinie) habe ein unbegleiteter Minderjähriger (im Sinn des Art. 2 lit. f der Richtlinie), dem Asyl gewährt worden sei, einen Anspruch auf Familienzusammenführung unabhängig vom Nachweis eines Wohnraums, einer Krankenversicherung und eigener Einkünfte. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie könnten die Mitgliedstaaten die Erfüllung der vorgenannten Voraussetzungen dann verlangen, wenn der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten ab der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gestellt werde. Eine derartige Verpflichtung müsste freilich innerstaatlich ausdrücklich normiert werden, was (in Österreich) nicht geschehen sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssten die Behörden und Gerichte außerdem bestmöglich an der Umsetzung des Unionsrechts mitwirken und Ansprüche unmittelbar durchsetzen. Sei dabei ‑ wie hier ‑ eine Richtlinie nicht umgesetzt worden, so werde sie dennoch innerstaatlich unmittelbar wirksam, wenn sie geeignet sei, dem Einzelnen Rechte zu gewähren. Der Anspruch auf Familienzusammenführung für unbegleitete Minderjährige nach der Richtlinie sei daher einer solchen direkten Anwendung zugänglich. Der EuGH habe auch schon in der Rechtssache C‑550/16 , A und S, erkannt, dass der betreffende Anspruch eines Minderjährigen auch dann fortbestehe, wenn die Behörde mit der Entscheidung so lange zuwarte, bis der Minderjährige volljährig geworden sei. Insgesamt müssten daher die Missachtung der unionsrechtlichen Vorgaben und deren unmittelbare Wirkung zur Zulassung der Revision führen.

7.2. Mit diesem Vorbringen möchten die Revisionswerber zusammengefasst erkennbar zum Ausdruck bringen, dass nach dem vorrangig anzuwendenden Unionsrecht die Antragstellung bei der Zusammenführung durch einen asylberechtigten unbegleiteten Minderjährigen nicht fristgebunden und insbesondere auch noch nach Eintritt der Volljährigkeit ohne Weiteres möglich sei, weshalb fallbezogen die beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wären.

Die Revisionswerber übersehen mit ihrer Argumentation jedoch, dass das Verwaltungsgericht die Antragsabweisung nicht etwa darauf gründete, dass die Antragstellung nicht rechtzeitig und insbesondere nicht vor Eintritt der Volljährigkeit des Zusammenführenden erfolgt wäre, sondern sich das Verwaltungsgericht in erster Linie darauf stützte, dass die Revisionswerber ‑ unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Antragstellung bzw. des Eintritts ihrer Volljährigkeit ‑ jedenfalls keine Familienangehörigen des asylberechtigten Zusammenführenden sind.

7.3. Damit sind die von den Revisionswerben aufgestellten Behauptungen über vermeintliche Verstöße gegen das Unionsrecht ‑ für sich allein betrachtet ‑ nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn der Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuwerfen. Eine weitergreifende ‑ über das aufgezeigte Zulässigkeitsvorbringen hinausgehende ‑ Überprüfung der angefochtenen Erkenntnisse hat zu unterbleiben. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision führen könnten, aufzugreifen (vgl. VwGH 7.8.2017, Ra 2015/08/0134, Pkt. 3.1.).

8. Insgesamt wird daher in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb ‑ nach Durchführung des Vorverfahrens ‑ in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

9. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. März 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte