VwGH Ra 2022/06/0085

VwGHRa 2022/06/008512.10.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des F N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 27. April 2021, 1. LVwG 80.14‑505/2021‑2 und 2. LVwG 50.14‑1237/2021‑2, betreffend Säumnisbeschwerde und Feststellung der Parteienstellung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde Deutschlandsberg; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
AVG §73 Abs1
AVG §73 Abs2
AVG §8
B-VG Art130 Abs1 Z3
MRK Art6
VwGG §39 Abs2 Z6
VwGG §42 Abs4
VwGVG 2014 §16 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §8
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060085.L00

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt I. entfällt und in Spruchpunkt II. der Antrag des Revisionswerbers vom 22. April 2019 auf Feststellung der Parteistellung zurückgewiesen wird.

Die Stadtgemeinde Deutschlandsberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit der Eingabe vom 9. Jänner 2019 beantragte der Revisionswerber bei der Stadtgemeinde D. die „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 71 AVG“ betreffend den „Baubewilligungsbescheid 42/2011 vom 03.05.2011“. Gleichzeitig erhob er „Berufung, § 63 AVG“ gegen die Baubewilligung.

2 Am 22. April 2019 stellte der Revisionswerber bei der Stadtgemeinde D. einen „Antrag auf Feststellung der Parteistellung“, in dem er bezugnehmend auf seinen Antrag vom 9. Jänner 2019 um Zuerkennung der Parteistellung ersuchte.

3 Mit Bescheid vom 3. Juli 2019 sprach der Bürgermeister der Stadtgemeinde D. aus, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 9. Jänner 2019 unzulässig sei. Begründend führte er aus, dass dem Revisionswerber im gegenständlichen Verfahren keine Parteistellung zukomme und er daher keinen Wiedereinsetzungsantrag stellen könne.

4 Dagegen erhob der Revisionswerber am 9. Juli 2019 Berufung an die belangte Behörde, in der er beantragte, ihm die Parteistellung im Verfahren auf Wiedereinsetzung zuzuerkennen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sowie der Berufung stattzugeben und den Bescheid vom 3. Juli 2019 ersatzlos zu beheben und den Sachverhalt einer bescheidmäßigen Erledigung zuzuführen.

5 Mit Eingabe vom 25. Juni 2020 stellte der Revisionswerber einen „Devolutionsantrag“ an die belangte Behörde, der sich auf den unerledigten Antrag vom 22. April 2019 bezog. Die belangte Behörde möge über seinen von der Erstbehörde nicht erledigten Feststellungsantrag vom 22. April 2019 in der Sache entscheiden und ihm die beantragte Parteistellung zuerkennen.

6 Am 19. Jänner 2021 erhob der Revisionswerber „Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B‑VG“ an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht), weil die belangte Behörde nicht innerhalb von sechs Monaten über den Devolutionsantrag vom 25. Juni 2020 entschieden habe.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 27. April 2021 sprach dieses im Spruchpunkt I. aus, dass die Säumnisbeschwerde „zulässig und begründet“ sei, im Spruchpunkt II. wies es den Antrag des Revisionswerbers vom 22. April 2019 auf „Feststellung der Parteistellung“ ab und stellte fest, dass dem Revisionswerber im näher bezeichneten Bauverfahren zu keinem Zeitpunkt Parteistellung zugekommen sei. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

8 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, die Baubehörde habe über den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 9. Jänner 2019 nicht entschieden. Ebensowenig habe sie über den Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung vom 22. April 2019 entschieden. Darüber hinaus habe die belangte Behörde nicht über den am 25. Juni 2020 gestellten Devolutionsantrag entschieden. Dieser Devolutionsantrag sei berechtigt. Über das Feststellungsbegehren des Revisionswerbers sei noch in keinem Vorverfahren im Spruch eines Bescheides bzw. Erkenntnisses rechtsverbindlich entschieden worden.

9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 28. Februar 2022, E 2204/2021‑7, deren Behandlung abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

10 In Folge erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen in ihrer Zulässigkeitsbegründung, dass das Verwaltungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, weil es verkannt habe, dass der beantragte Feststellungsbescheid ein subsidiärer Rechtsbehelf sei und der Bürgermeister der Stadtgemeinde D. bereits im Bescheid vom 3. Juli 2019 die Parteistellung des Revisionswerbers verneint habe, zulässig und auch begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) über die Parteistellung nur unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) zulässig. Ein Feststellungsbescheid (ein Feststellungserkenntnis) ist demnach ein bloß subsidiärer Rechtsbehelf, der jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens entschieden werden kann; das ist hier im konkreten Verwaltungsverfahren (Wiedereinsetzungsverfahren) der Fall (vgl. zum Ganzen VwGH 2.8.2021, Ra 2019/07/0131, mwN); auf diesem vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Umstand, dass über die Parteistellung noch nicht im Spruch eines Bescheides bzw. Erkenntnisses abgesprochen wurde, kommt es dabei ebensowenig an wie darauf, dass die vom Revisionswerber erhobene Berufung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch unerledigt war. Die in der Zulässigkeitsbegründung in diesem Zusammenhang behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt damit vor.

13 Ein gesondertes Erkenntnis zur Feststellung der Parteistellung hat demnach im vorliegenden Fall nicht zu ergehen, zumal der Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde D. vom 3. Juli 2019 mangels Parteistellung zurückgewiesen wurde. Mit der Zurückweisung des Antrags mangels Parteistellung wurde das Fehlen der Parteistellung des Revisionswerbers bereits ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ festgestellt.

14 Das Verwaltungsgericht hat daher, indem es den Antrag des Revisionswerbers auf Feststellung seiner Parteistellung abgewiesen hat und festgestellt hat, dass diesem keine Parteistellung zukomme, Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass der Revision insoweit Folge zu geben war.

15 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dieser Fall liegt hier vor:

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde auch über Anträge, die ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ unzulässig sind, durch – zurückweisenden ‑ Bescheid zu entscheiden. Ein Erledigungsanspruch besteht also grundsätzlich unabhängig vom Inhalt der zu treffenden Entscheidung und ist demgemäß unabhängig davon, ob die Erledigung eine meritorische, also eine (stattgebende oder ablehnende) Sachentscheidung zu sein hat, oder bloß in einer verfahrensrechtlichen Entscheidung, etwa einer Zurückweisung, besteht (vgl. etwa VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0053 mwN).

17 Das Verwaltungsgericht führte insofern zutreffend aus, dass die belangte Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzte, weil über den Antrag des Revisionswerbers vom 22. April 2019 auf Feststellung der Parteistellung zunächst durch den Bürgermeister der Stadtgemeinde D. und in Folge durch die über den Devolutionsantrag des Revisionswerbers vom 25. Juni 2020 zuständig gewordene belangte Behörde nicht entschieden wurde.

18 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, ist aber im vorliegenden Fall eine meritorische Sachentscheidung über die Parteistellung des Revisionswerbers nicht zulässig, weil über diese Frage im Rahmen der Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags bereits ‑ wenn auch nicht rechtskräftig ‑ abgesprochen wurde. Der unzulässige Antrag des Revisionswerbers vom 22. April 2019 auf Feststellung der Parteistellung ist daher zurückzuweisen.

19 Im Hinblick auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht, wenn infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach Vorlage derselben oder Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht übergegangen ist, allein in der Verwaltungssache zu entscheiden hat, ohne dass ein ausdrücklicher Abspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist. Es ist hinreichend, aber mit Blick auf die Pflicht zur Begründung von nicht bloß verfahrensleitenden Entscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG auch geboten, jene Gründe, die dazu geführt haben, dass das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit bejaht, in der Begründung jener Entscheidung, mit der über die Verwaltungsangelegenheit abgesprochen wird, offenzulegen (vgl. VwGH 27.5.2015, Ra 2015/19/0075). Auch wenn durch den gesonderten Abspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, wonach die Säumnisbeschwerde „zulässig und begründet“ sei, keine Verletzung in subjektiven Rechten bewirkt wird, ist dieser Spruchpunkt im Zuge der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache gemäß § 42 Abs. 4 VwGG aufzuheben.

20 Eine zurückweisende Entscheidung, in der nur über die Zulässigkeit eines Antrags (hier: Antrag auf Feststellung der Parteistellung) abgesprochen wird, nicht aber über die Sache selbst, ist jedenfalls im hier gegebenen Zusammenhang keine (inhaltliche) Entscheidung über „eine strafrechtliche Anklage“ oder „über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen“, sodass die Verfahrensgarantie des „fair hearing“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK nicht zur Anwendung kommt (vgl. VwGH 30.4.2019, Ra 2019/06/0057, mwN), weswegen von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden konnte.

21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 12. Oktober 2022

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