VwGH Ro 2022/06/0018

VwGHRo 2022/06/001816.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart‑Mutzl sowie Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. der Bürgerinitiative N, vertreten durch Ing. Heinz Mutzek (protokolliert zu Ro 2022/06/0018), 2. der Bürgerinitiative H, vertreten durch Ing. W S (protokolliert zu Ro 2022/06/0019), und 3. des Vereines P, vertreten durch W R (protokolliert zu Ro 2022/06/0020), alle in Wien und alle vertreten durch Mag. Wolfram Schachinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Hafengasse 16/4‑5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, mündlich verkündet am 18. Februar 2022, W270 2204219‑4/84Z, schriftlich ausgefertigt am 19. Mai 2022, W270 2204219‑4/114E, betreffend Änderung einer Genehmigung nach dem UVP‑G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. Stadt Wien, Straßenverwaltung und Straßenbau in W, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/2. OG; 2. Wirtschaftskammer Wien als Standortanwalt in 1010 Wien, Stubenring 8‑10; 3. Arbeitsinspektorat Wien Nord und NÖ Weinviertel in 1010 Wien, Fichtegasse 11; 4. Landeshauptmann von Wien als wasserwirtschaftliches Planungsorgan), den Beschluss gefasst:

Normen

UVPG 2000 §17 Abs2
UVPG 2000 §17 Abs3
UVPG 2000 §17 Abs4
UVPG 2000 §17 Abs5
UVPG 2000 §18b
UVPG 2000 §18b Z1
VwGG §21 Abs1 Z4
VwGG §47 Abs1
VwGG §47 Abs3
VwGG §48 Abs3 Z2
VwGG §53 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022060018.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erstrevisionswerbende Partei hat der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien haben der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung (Behörde) vom 16. November 2021, mit welchem der erstmitbeteiligten Partei (Antragstellerin) die Bewilligung für näher bezeichnete Änderungen des mit Erkenntnis des BVwG vom 22. Juli 2020 rechtskräftig nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP‑G 2000) bewilligten Vorhabens „Stadtstraße A“ und „Anschlussstelle S“ erteilt worden war, teilweise Folge und änderte die Spruchpunkte I. (betreffend die maßgeblichen Projektunterlagen) und II. (betreffend Nebenbestimmungen) des Bescheides vom 16. November 2021. Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Begründend führte das BVwG ‑ soweit für das vorliegende Verfahren relevant ‑ aus, im gegenständlichen Fall solle eine Auflage der mit Erkenntnis des BVwG vom 22. Juli 2020 erteilten Genehmigung, wonach die Bauzeiten auf die Werktage und die Tages‑ bzw. Abendstunden (zwischen 6:00 Uhr und teilweise 12:00 Uhr, teilweise 19:00 Uhr, 20:00 Uhr und vereinzelt 22:00 Uhr) begrenzt worden waren, teilweise geändert werden, sodass für bestimmte Baumaßnahmen (etwa den Ein‑ und Ausbau von Hilfsbrücken bei der Errichtung eines Tunnels oder die Herstellung des Unterbaus und des Brückentragwerkes für ein Überführungsbauwerk) für eine begrenzte Zeit (etwa während der Totalsperre der U2 Linie im Ausmaß von neun Wochen oder während der betriebsfreien Zeiten der U‑Bahn) auch am Wochenende und in den Nachtstunden gearbeitet werden könne. Strittig sei, ob dies im Rahmen eines Verfahrens gemäß § 18b UVP‑G 2000 zulässig sei. Nach Ansicht des BVwG sei in einem solchen Verfahren die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP, bestehend aus der Umweltverträglichkeitserklärung und dem Umweltverträglichkeitsgutachten bzw. der zusammenfassenden Bewertung der Umweltauswirkungen) im Lichte der sich nach § 17 Abs. 2 bis 5 UVP‑G 2000 stellenden Sachverhaltsfragen zu ergänzen. Letztlich sei für die Auswirkungen des Änderungsvorhabens derselbe Prüfmaßstab anzulegen wie bei der Erteilung der Stammgenehmigung. Es müssten auch nicht die Ergebnisse der UVP im Stammverfahren unverändert bleiben. Dass die Auflage betreffend die zeitliche Begrenzung der Bauarbeiten auf die Werktage und die Tages‑ bzw. Abendstunden in der Stammgenehmigung „als erforderlich“ angesehen worden sei, ändere nichts daran, dass sie sowohl in einem Verfahren gemäß § 18b UVP‑G 2000 als auch im Rahmen der Abnahmeprüfung (§ 20 Abs. 4 leg. cit.) geändert werden könnte.

Im gegenständlichen Verfahren sei die Umweltverträglichkeitserklärung geändert und die Umweltauswirkungen seien von diversen Amtssachverständigen ‑ unter anderem einem Sachverständigen für Humanmedizin ‑ beurteilt worden. Demnach wirkten sich die Nacht‑ und Wochenendarbeiten auf das Schutzgut Mensch aus. Die Immissionsauswirkungen beschränkten sich jedoch auf kurze Zeitphasen, sodass eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen nicht vorliege. Die Auswirkungen durch den Baulärm könnten wahrnehmbar sein, doch komme es zu keiner erheblichen Belästigung von Nachbarinnen und Nachbarn.

Eine ordentliche Revision werde zugelassen, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage vorliege, „ob die Erteilung der Genehmigung für die Änderungsvorhaben nach § 18b UVP‑G 2000 ‑ insbesondere angesichts von dessen Z 1 ‑ (dennoch) zulässig ist, obwohl einem ‚Ergebnis‘ der UVP, die der Stammgenehmigung zugrunde lag, eben den [...] zeitlichen Beschränkungen von Bautätigkeiten, widersprechend.“

5 Die erstrevisionswerbende Partei sowie die zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien schlossen sich in ihren inhaltsgleichen Zulässigkeitsbegründungen den Ausführungen des BVwG zur Zulässigkeit der Revision an.

6 Zunächst ist festzuhalten, dass auch in einer ordentlichen Revision die Zulässigkeitsgründe gesondert darzulegen sind, wenn die Begründung der Zulässigkeit der Revision durch das Verwaltungsgericht für die Beurteilung deren Zulässigkeit nicht ausreicht oder die revisionswerbenden Parteien andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für gegeben erachten (vgl. VwGH 20.4.2022, Ro 2021/06/0017, Rn. 13, mwN).

7 Wenn die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist, liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht vor, und zwar selbst dann nicht, wenn zu einer der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erging (vgl. etwa VwGH 25.5.2022, Ro 2019/06/0018, Rn. 8; 28.2.2018, Ra 2018/06/0023, Rn. 6, jeweils mwN).

Dies ist hier der Fall:

8 Gemäß § 18b UVP‑G 2000 sind Änderungen einer erteilten UVP‑Genehmigung vor dem Zuständigkeitsübergang gemäß § 21 leg. cit. unter Anwendung der Genehmigungsvoraussetzungen des § 17 UVP‑G 2000 zulässig, sofern sie nach den Ergebnissen der UVP dem § 17 Abs. 2 bis 5 leg. cit. nicht widersprechen (Z 1) und die von der Änderung betroffenen Beteiligten gemäß § 19 UVP‑G 2000 Gelegenheit hatten, ihre Interessen wahrzunehmen (Z 2); eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens sowie der UVP ist durchzuführen, soweit dies im Hinblick auf ihre Zwecke notwendig ist.

Die Materialien zur UVP‑Novelle BGBl. I Nr. 153/2004 (645 BlgNR 22. GP , S. 648) führen zu § 18b Z 1 leg. cit. aus:

„Eine zweite Schranke sind die Ergebnisse der UVP. Im Verfahren kann eine Überprüfung, Wiederholung oder Ergänzung von Gutachten erforderlich sein, um feststellen zu können, ob die Ergebnisse der UVP weiterhin zutreffen. Auch die Änderung von oder die Vorschreibung neuer Auflagen, Bedingungen, Befristungen oder sonstiger Nebenbestimmungen sind möglich.“

Unter den „Ergebnissen der UVP“ ist gemäß § 17 Abs. 4 UVP‑G 2000 insbesondere die Umweltverträglichkeitserklärung, das Umweltverträglichkeitsgutachten oder die zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen, die Stellungnahmen der Öffentlichkeit einschließlich der Stellungnahmen und des Ergebnisses der grenzüberschreitenden Konsultationen sowie das Ergebnis einer allfälligen öffentlichen Erörterung zu verstehen.

9 § 18b letzter Satz UVP‑G 2000 sieht vor, dass das Ermittlungsverfahren sowie die UVP ‑ sofern dies im Hinblick auf ihren Zweck notwendig ist ‑ zu ergänzen sind. Die UVP ist diesbezüglich zu überarbeiten. Die Ergebnisse der überarbeiteten UVP sind anhand der Genehmigungskriterien des § 17 Abs. 2 bis 5 UVP‑G 2000 zu beurteilen und dürfen diesen nicht widersprechen; sie müssen weiterhin (so die Materialien) insoweit zutreffen, als durch das Vorhaben und seine Auswirkungen keine schwerwiegenden Umweltbelastungen im Sinn des § 17 Abs. 5 leg. cit. zu erwarten sind.

Wenn der Gesetzgeber in § 18b Z 1 UVP‑G 2000 vorsieht, dass die Änderungen „nach den Ergebnissen der Umweltverträglichkeitsprüfung“ dem § 17 Abs. 2 bis 5 nicht widersprechen dürfen, anstatt nur auf die Genehmigungskriterien zu verweisen, kann daraus nicht geschlossen werden, dass ‑ fallbezogen ‑ eine ursprünglich erteilte Auflage nicht geändert werden dürfte. Den Materialien zur UVP‑Novelle 2004 zufolge werden im Rahmen eines Verfahrens nach § 18b leg. cit. Änderung von oder die Vorschreibung neuer Auflagen, Bedingungen, Befristungen oder sonstiger Nebenbestimmungen ausdrücklich als zulässig angeführt. Die Bezugnahme auf die „Ergebnisse der UVP“ ist vor diesem Hintergrund als ein Hinweis auf § 17 Abs. 4 UVP‑G 2000 zu verstehen, wonach bei der Beurteilung der Änderungen in Hinblick auf die Genehmigungskriterien sowohl die Umweltverträglichkeitserklärung als auch das Umweltverträglichkeitsgutachten oder die zusammenfassende Bewertung der Umweltauswirkungen ‑ sofern diese Dokumente zu ergänzen oder zu überarbeiten waren ‑ und die Stellungnahmen der von der Änderung betroffenen Öffentlichkeit sowie das Ergebnis einer allfälligen öffentlichen Erörterung zu berücksichtigen sind.

10 § 18b UVP‑G 2000 ist daher nach dessen klarem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass Änderungen einer erteilten Genehmigung vor dem Zuständigkeitsübergang zulässig sind, wenn das Ermittlungsverfahren und die UVP ‑ soweit notwendig ‑ ergänzt wurden, die Ergebnisse der überarbeiteten UVP den Genehmigungskriterien des § 17 Abs. 2 bis 5 UVP‑G 2000 nicht widersprechen und die von den Änderungen betroffenen Beteiligten ihre Interessen wahrnehmen konnten.

11 Im gegenständlichen Verfahren stellte das BVwG fest, dass die durch die beantragten Änderungen verursachten Umweltauswirkungen von diversen Amtssachverständigen ‑ unter anderem einem Sachverständigen für Humanmedizin ‑ beurteilt worden seien, keine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen vorliege und es zu keiner erheblichen Belästigung von Nachbarinnen und Nachbarn durch den Baulärm komme. Dem treten die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung nicht entgegen.

12 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

13 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Werden im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über mehrere Revisionen, deren Verfahren dann miteinander verbunden werden, von der mitbeteiligten Partei (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 4 VwGG) inhaltlich gleichlautende Revisionsbeantwortungen vorgelegt, sind diese Revisionsbeantwortungen auch bei der Berechnung des Aufwandersatzes getrennt zu behandeln (vgl. VwGH 4.5.2022, Ro 2022/06/0005 bis 0007, Rn. 18, mwN). Haben zwei revisionswerbende Parteien (wie im vorliegenden Fall die zweit‑ und drittrevisionswerbenden Parteien) in einer Revision dasselbe Erkenntnis angefochten, haben sie im Falle der Kostenersatzpflicht die rechtmäßig geltend gemachten Aufwendungen der obsiegenden Verfahrenspartei je zur Hälfte zu ersetzen (vgl. VwGH 24.6.2016, Ro 2014/02/0125, Rn. 26, mwN). Der erstmitbeteiligten Partei war daher der beantragte Aufwandersatz pro Revisionsbeantwortung (somit zweimal) zuzusprechen.

Wien, am 16. November 2022

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