Normen
BauO NÖ 2014 §35 Abs2
BauO NÖ 2014 §35 Abs2 Z2
BauRallg
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022050175.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (LVwG) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen die Abweisung ihrer Berufung mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde S. vom 20. Dezember 2021 gegen einen baupolizeilichen Auftrag der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde S. vom 10. Juni 2021 gemäß § 35 Abs. 2 Z 2 Niederösterreichische Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) zum Abbruch der asphaltierten Befestigung des Innenhofes eines näher bezeichneten Gebäudes als unbegründet abgewiesen und die Frist für die Durchführung des Abbruches mit drei Monaten ab Zustellung dieses Erkenntnisses neu festgesetzt. Weiters sprach das LVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
2 Das LVwG hielt dazu fest, dass die revisionswerbende Partei alleinige Eigentümerin der betreffenden Liegenschaft sei und sich auf dieser zwei Wohnhäuser mit zwei näher genannten Adressen befänden. In dem sich zwischen diesen Häusern befindenden, befestigten Innenhof sei im Frühjahr 2021 die dort vorhandene Oberfläche aus Beton samt Unterbau bis in eine Tiefe von 40 Zentimetern bzw. 70 Zentimetern in jenen Bereichen, in denen Kanalrohre neu verlegt worden seien, im Ausmaß 109 m2 abgebrochen und in der Folge eine Aufschüttung aus Grädermaterial vorgenommen worden. Darauf sei eine bituminöse Tragschicht sowie eine Deckschicht aus Asphalt aufgebracht worden. Insgesamt sei ein Gesamtaufbau von durchschnittlich 32 cm über ca. 110 m2 hergestellt worden. Es liege keine baubehördliche Bewilligung für diese Baumaßnahmen vor, ebenso sei keine baubehördliche Bewilligung für die zuvor vorhandene Befestigung aus Beton aktenkundig.
3 Rechtlich führte das LVwG aus, dass es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Objekt um eine bauliche Anlage handle. Tatbestandsvoraussetzung des § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 sei die Ausführung einer baulichen Maßnahme ohne die erforderliche Bewilligung bzw. in Abweichung von einer erteilten Bewilligung. Liege diese nicht vor, sei, ungeachtet eines allfälligen Antrages auf nachträgliche Erteilung einer Bewilligung, der Abbruchauftrag zu erteilen. Die Bewilligungsfähigkeit eines Bauwerks sei in diesem Verfahren nicht zu prüfen.
4 Zur Herstellung einer Befestigung des verfahrensgegenständlichen Innenhofes bedürfe es zweifellos wesentlicher bautechnischer Kenntnisse, insbesondere um die erforderliche Festigkeit, Haltbarkeit sowie das notwendige Gefälle zur Ableitung von Niederschlagswässern zu gewährleisten. Es handle sich um ein Bauwerk. Es sei nicht entscheidend, ob bautechnische Kenntnisse tatsächlich angewendet worden seien, sondern ob diese für eine einwandfreie Errichtung notwendig gewesen seien. Bereits das eigene Gewicht der Befestigung sorge für den erforderlichen Kraftschluss. Das LVwG gehe sowohl vom Erfordernis bautechnischer Kenntnisse als auch vom Vorliegen einer kraftschlüssigen Verbindung mit dem Boden aus. Die Errichtung einer solchen Anlage bedürfe einer Baubewilligung nach § 14 Z 2 NÖ BO 2014. Soweit die Beschwerde vorgebracht habe, es liege ein vermuteter Konsens vor und die vorliegenden Arbeiten seien bewilligungs‑, anzeige‑ und meldefreie Instandsetzungsmaßnahmen gemäß § 17 Z 3 NÖ BO 2014, sei auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein konsensgemäßer Zustand nur dann vermutet werden könne, wenn keine Anhaltspunkte auf eine gegenteilige Annahme vorliegen würden. Ein vermuteter Konsens liege demnach nur vor, wenn der Zeitpunkt der Erbauung des Altbestandes so weit zurückliege, dass die Erteilung einer Baubewilligung fraglich erscheine oder bestimmte Indizien trotz des Fehlens behördlicher Unterlagen für die Erteilung einer Bewilligung sprächen, oder dass, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen zu finden, erfahrungsgemäß nicht mehr bestehe. In den vorliegenden Akten der Stadtgemeinde S. deute nichts auf eine derartige Bewilligung für den Innenhof hin. Auch wäre ein allfälliger Konsens jedenfalls mit dem Abbruch untergegangen. Die mit völlig neuen Materialien errichtete neue Befestigung sei als Neubau zu qualifizieren. Mangels ursprünglichem Konsens stelle sich die Frage nach dem Untergang eines Baukonsenses oder nach bewilligungsfreier Instandsetzung der baulichen Anlage nicht. Es handle sich jedenfalls um eine bewilligungspflichtige Neuerrichtung einer baulichen Anlage. Die dafür erforderliche Baubewilligung liege nicht vor, der Auftrag zum Abbruch der neuerrichteten Befestigung sei zu Recht ergangen.
5 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst zum einen vorbringt, es liege entgegen den Feststellungen des LVwG ein vermuteter Konsens und ein seit mehreren Jahrzehnten nachvollziehbarer Konsens vor, und es fehle (einheitliche) Rechtsprechung zur Frage, inwieweit durch einen Abbruch von „nur für die Instandhaltung notwendigen Teile einer baulichen Anlage, wie im vorliegenden Fall der stark beschädigten und vielfach gebrochenen Betondecke des Innenhofs und des ebenfalls gebrochenen Mischwasserkanales ein Konsensuntergang“ erfolge. Weiters moniert die Revision fehlende Rechtsprechung zu den Fragen, ob die Normen zur „Neuerrichtung und Instandsetzung gleichermaßen für Gebäude nach § 4 Z 15 NÖ BO 2014, Bauwerke nach § 4 Z 7 NÖ BO 2014 und bauliche Anlagen nach § 4 Z 6 NÖ BO 2014“ gelten beziehungsweise inwiefern zu differenzieren sei, sowie „nach welchen Kriterien für bauliche Anlagen zu beurteilen ist, ob eine Neuerrichtung nach § 14 Z 2 NÖ BO 2014 oder eine Instandsetzung nach § 17 Z 3 NÖ BO 2014“ vorliege, und schließlich, „ob eine bewilligungsfreie Instandsetzung nach § 17 Z 3 NÖ BO 2014 das Vorliegen eines baubewilligten Bauwerkes bzw einer baulichen Anlage“ voraussetze.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Dem klaren Wortlaut des § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 nach, hat die Baubehörde den Abbruch eines Bauwerks ungeachtet eines anhängigen Baubewilligungsantrags oder einer anhängigen Bauanzeige anzuordnen, wenn für das Bauwerk keine Baubewilligung oder Anzeige vorliegt (vgl. VwGH 15.6.2022, Ra 2022/05/0117).
10 Desweiteren muss die Bewilligungs- bzw. Anzeigepflicht hinsichtlich einer von einem Bauauftrag nach § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 betroffenen baulichen Anlage nicht nur im Zeitpunkt der Errichtung des Bauwerkes, sondern auch im Zeitpunkt der Erteilung eines Beseitigungsauftrages gegeben sein. Auch das LVwG musste die allfällige Bewilligungs- und Anzeigepflicht daher in den beiden Zeitpunkten prüfen. Im Übrigen hatte das LVwG seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/05/0165, mwN).
11 Das LVwG hat die Bewilligungspflicht der gegenständlichen Baumaßnahmen gemäß § 14 Z 2 NÖ BO 2014 im Frühjahr 2021 festgehalten und festgestellt, dass weder für diese Baumaßnahmen eine Bewilligung vorliegt noch für die zuvor bestehende Befestigung des Innenhofes eine Baubewilligung vorgelegen hatte. Ebenso legte es mit näherer Begründung dar, warum fallbezogen auch kein vermuteter Konsens vorliegt.
12 Soweit die Revision ‑ ohne nähere Begründung ‑ vorbringt, es liege dementgegen ein vermuteter Konsens bzw. ein seit mehreren Jahrzehnten nachvollziehbarer Konsens vor, ist ihr Folgendes zu entgegnen:
13 Die Frage, inwieweit ein baurechtlicher Konsens besteht oder nicht, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 26.8.2020, Ra 2020/05/0146, mwN). Die Revision zeigt weder mit ihrer ‑ pauschal gehaltenen ‑ Behauptung eines jahrzehntelangen „nachvollziehbaren“ Konsenses noch mit ihrer ‑ ebenso allgemein aufgestellten ‑ Behauptung eines vermuteten Konsenses eine derartige Unvertretbarkeit auf (vgl. zu den Voraussetzungen eines vermuteten Konsenses etwa VwGH 29.9.2016, 2013/05/0058, mwN). Bei diesem Ergebnis musste auf das Revisionsvorbringen zur Frage eines abbruchbedingten Konsensunterganges nicht weiter eingegangen werden.
14 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle Rechtsprechung zu den Fragen, ob die Normen zur „Neuerrichtung, und Instandsetzung gleichermaßen für Gebäude nach § 4 Z 15 NÖ BO 2014, Bauwerke nach § 4 Z 7 NÖ BO 2014 und bauliche Anlagen nach § 4 Z 6 NÖ BO 2014“ gelten, sowie „nach welchen Kriterien für bauliche Anlagen zu beurteilen ist, ob eine Neuerrichtung nach § 14 Z 2 NÖ BO 2014 oder eine Instandsetzung nach § 17 Z 3 NÖ BO 2014“ vorliege, und schließlich, „ob eine bewilligungsfreie Instandsetzung nach § 17 Z 3 NÖ BO 2014 das Vorliegen eines baubewilligten Bauwerkes bzw einer baulichen Anlage“, fehlt es diesen ‑ nicht näher ausgeführten ‑ Vorbringen an jeglicher Verknüpfung zwischen der individualisierten Rechtsfrage, dem von der revisionswerbenden Partei konkret zu Grunde gelegten Sachverhalt und der darauf basierenden rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, die den Verwaltungsgerichtshof erst in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage überhaupt vorliegt (vgl. dazu für viele etwa VwGH 14.7.2021, Ra 2021/05/0117, mwN). Weder wird in der Zulässigkeitsbegründung ein Bezug zum konkreten Sachverhalt hergestellt (vgl. etwa VwGH 30.4.2021, Ra 2021/05/0072, mwN), noch wird dargelegt, aus welchem Grund das Schicksal der Revision von den dort zudem völlig pauschal angeschnittenen Themen abhängen sollte (vgl. nochmals 14.7.2021, Ra 2021/05/0117; oder auch 23.9.2019, Ra 2019/06/0075, 0076, mwN).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 18. November 2022
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