VwGH Ra 2022/05/0117

VwGHRa 2022/05/011715.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache 1. des Ing. W M und 2. der B M, beide in K, beide vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Europaplatz 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 18. Jänner 2022, LVwG‑AV‑213/001‑2018, betreffend einen Abbruchauftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt K; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

BauO NÖ 2014 §35 Abs2 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022050117.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde der von den nunmehrigen Revisionswerbern erhobenen Beschwerde gegen einen im innergemeindlichen Instanzenzug ergangenen Abbruchbescheid hinsichtlich mehrerer konsensloser Baulichkeiten dahingehend Folge gegeben, dass dieser hinsichtlich der Anordnung des Abbruchs des „asphaltierten Lagerplatzes“ stattgegeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang ersatzlos behoben wurde, im Übrigen, also hinsichtlich des Abbruchauftrags betreffend näher bezeichnete Lagerboxen, eine Lagerhalle, ein Flugdach, eine Koje und einen Verbindungs‑ bzw. Quertrakt, wurde sie als unbegründet abgewiesen. Die Frist für die Durchführung des Abbruchs wurde mit 15 Monaten ab Zustellung des Erkenntnisses festgesetzt. Gleichzeitig wurde eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärt.

2 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. März 2022, E 562/2022‑5, abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung abgetreten hat.

3 In der Folge erhoben die Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zunächst vorgebracht, der Verwaltungsgerichtshof habe bislang noch nicht geklärt, ob ein Abbruchauftrag nach § 35 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) erlassen werden dürfe, obwohl die Baubehörde nach der damals geltenden Rechtslage gemäß § 98 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1969 (NÖ BO 1969) verhalten gewesen sei, ein Bauansuchen ‑ sofern davon ausgegangen werde, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung nicht vorlägen ‑ abzuweisen und dies unterblieben sei.

8 Dem ist der klare Wortlaut des § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 entgegenzuhalten, wonach die Baubehörde den Abbruch eines Bauwerks ungeachtet eines anhängigen Baubewilligungsantrags oder einer anhängigen Bauanzeige anzuordnen hat, wenn für das Bauwerk keine Baubewilligung oder Anzeige vorliegt. Nach dem Revisionsvorbringen ist unzweifelhaft, dass keine Baubewilligung erteilt worden ist. Ist ein Baubewilligungsverfahren ‑ worauf die Revision hindeutet ‑ (noch) anhängig, hindert dies nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 die Erlassung eines Abbruchauftrags nicht.

9 Des Weiteren wird in der Zulässigkeitsbegründung vorgebracht, der Verwaltungsgerichtshof habe bislang nicht entschieden, ob nach Maßgabe der Rechtslage nach der NÖ BO 1969 lediglich anzeigepflichtige Bauvorhaben im Sinne des § 94 NÖ BO 1969, die angezeigt worden seien, für den Fall, dass die Baubehörde deren Ausführung nicht binnen zwei Wochen untersagt habe, Gegenstand eines Abbruchauftrags nach § 35 NÖ BO 2014 sein könnten, obwohl nach Ablauf von vier Wochen der positive Bescheid als erlassen gelte. Ebenso sei zu klären, ob res iudicata vorliege, sofern die Baubehörden ein nach Maßgabe der NÖ BO 1969 angezeigtes Bauvorhaben nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Anzeige bescheidmäßig untersagt hätten.

10 Mit diesem Vorbringen legen die Revisionswerber nicht dar, inwieweit das Schicksal der Revision von der Beantwortung dieser Fragen abhinge, zumal damit nicht konkret und fallbezogen ausgeführt wird, es sei eine Bauanzeige eingebracht worden. Behauptet wurde vielmehr, dass ‑ in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt ‑ ein Baubewilligungsansuchen gestellt worden sei, über welches die Baubehörde nicht bescheidmäßig entschieden habe. Lag aber keine Bauanzeige vor, hängt die Entscheidung über die Revision nicht von der Nichtuntersagung eines (hier: nicht) angezeigten Bauvorhabens ab.

11 Schließlich wird zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, dass die Vermutung der Konsensmäßigkeit von Baulichkeiten eintrete, sofern deren Bestand länger zurückliege als der zusammenhängende Akt der Baubehörde. Von einem vermuteten Konsens sei nach ständiger Rechtsprechung insbesondere dann auszugehen, sofern aus der behaupteten Entstehungszeit der Bauten für ähnliche Bauten oder die in Rede stehenden Baubewilligungen für bauliche Änderungen im örtlichen Umkreis nicht lückenlos auffindbar seien.

12 Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich des Vorbringens zum vermuteten Baukonsens auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zurückgegriffen, wonach die Vermutung des rechtmäßigen Bestands einer Baulichkeit nur dann Platz greifen solle, wenn der Zeitpunkt der Erbauung derselben offensichtlich so weit zurückliege, dass, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nicht mehr bestehe (Hinweis auf VwGH 23.5.2002, 2001/05/0835; 26.9.1991, 89/06/0076).

13 Bezogen auf die vorliegende Rechtssache führte das Verwaltungsgericht aus, es sei nach der Aktenlage nicht davon auszugehen, dass ein besonders gelagerter Einzelfall vorliege, zumal der Errichtungszeitpunkt (nach den Feststellungen vor 1976) noch nicht so weit zurückliege, als dass nicht auf ordnungsgemäß geführte Archive zurückgegriffen werden könne. Im Übrigen habe der erforderliche Nachweis der Gesetzmäßigkeit des Bauzustands von den Revisionswerbern im Verfahren nicht erbracht werden können, sodass vom Vorliegen eines vermuteten Konsenses auch deshalb nicht ausgegangen werden könne, zumal nach der Aktenlage die vorgelegten Flächenwidmungspläne gegen eine Bewilligungsfähigkeit sprächen. Die Rechtsvermutung der Konsensmäßigkeit von Altbestand komme einem Bauzustand, der auch nach der zur Zeit seiner Herstellung geltenden Bauordnung gesetzwidrig gewesen wäre, nicht zustatten (Hinweis wiederum auf VwGH 23.5.2002, 2001/05/0835).

14 Ausgehend von dieser Begründung des Verwaltungsgerichts vermögen die Zulässigkeitsausführungen der Revision keine Abweichung von der hg. Rechtsprechung aufzuzeigen.

15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Juni 2022

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