Normen
MRK Art8 Abs2
NÄG 1988 §3 Abs1 Z2
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010113.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde, des Magistrats der Stadt Wien (des Amtsrevisionswerbers; in der Folge: Magistrat), vom 4. Mai 2021 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Änderung seines Familiennamens in „Y“ gemäß §§ 1 und 3 Abs. 1 Z 2 Namensänderungsgesetz, BGBl. Nr. 195/1988 „idgF.“ (NÄG) abgewiesen.
2 Begründend führte der Magistrat - unter Bezugnahme auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Wesentlichen aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Name „Y“ weder im Zentralen Melderegister noch in anderen der Behörde zur Verfügung stehenden Behelfen verzeichnet sei. Der Familienname „Y“ sei in Österreich nicht gebräuchlich; es hätten sich auch keine Hinweise ergeben, dass dieser Name „aus historischer Sicht“ in Österreich gebräuchlich gewesen sei. Der Mitbeteiligte, der seit 28. Juli 2020 österreichischer Staatsbürger sei, bezeichne sich zwar bereits seit Jahrzehnten als G Y, er habe sich diesen Namen jedoch ohne Bezug zu einer Familiengeschichte oder Vorfahren als „Pseudonym“ bzw. „Künstlername“ selbst angeeignet. Dass er diesen Namen in einschlägigen Medien verwende oder dieser in Bereichen, in denen eine rechtmäßige Namensführung nicht geprüft werde, akzeptiert worden sei, begründe auch nach jahrzehntelanger Verwendung des Pseudonyms keine „Gebräuchlichkeit“ als Familienname im Sinne des Gesetzgebers. Dass die Schwester des Mitbeteiligten den Namen „Y“ rechtmäßig führe und in Österreich lebe, sei nicht anzunehmen, da das Ermittlungsverfahren in diesem Fall einen entsprechenden Treffer in der ZMR‑Clearingstelle des Bundesministeriums für Inneres ergeben hätte. Aus der Argumentation des rechtsfreundlichen Vertreters des Mitbeteiligten („Niemand anderer ist unter dem Namen des Antragstellers bekannt. Es besteht keine Verwechslungsgefahr.“) ergebe sich, dass dem Mitbeteiligten selbst keine einzige Person bekannt sei, die den strittigen Namen in Österreich trage oder getragen habe. Auch ein historisches Verwandtschaftsverhältnis zu einem entsprechenden Namensträger sei nicht geltend gemacht worden. Der Argumentation des Mitbeteiligten, dass eine Versagung der Namensänderung Art. 8 EMRK widerspreche, könne ‑ nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ nicht gefolgt werden. Aus einem „gewissen Blickwinkel“ würde eine dem Antrag entsprechende Bewilligung sogar eine Umgehung des § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG darstellen.
3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt und bewilligte gemäß § 1 NÄG die Änderung des Familiennamens in „Y“ (I.) Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG wurde für unzulässig erklärt (II).
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte, seit 2020 österreichischer Staatsbürger, benütze seit 1995 sowohl beruflich wie privat den Namen G Y. Er sei selbständiger Forschungsberater in der Musikindustrie und selbst Künstler. Er publiziere auch in Fachmagazinen und führe bei all diesen Tätigkeiten und Publikationen den Namen G Y. Er führe die Website www.y.com und habe auch eine Facebook-Künstlerseite. Man kenne ihn sowohl in seiner Berufssparte als auch privat alleine unter dem Namen G Y; nur wenige wüssten, dass er „in Wirklichkeit“ anders heiße. Auch seine Schwester führe bereits seit Jahren unter dem Namen Y eine psychologische Praxis.
5 Namen ‑ so das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung ‑ dienten der persönlichen Identifizierung und Zuordnung; sie seien Bestandteil der menschlichen Identität und durch Art. 8 EMRK geschützt. Wünsche jemand einen anderen Familiennamen, so sei dies zu bewilligen, es sei denn, öffentliche Interessen, die in § 3 Abs. 1 NÄG als Versagungsgründe angeführt seien, stünden dem entgegen. Diese Versagungsgründe und ihre Auslegung müssten den aus Art. 8 Abs. 2 EMRK folgenden Anforderungen genügen; es sei eine Interessenabwägung geboten (Hinweis auf VfSlg. 20.100/2016).
6 Das Interesse des Mitbeteiligten an der Namensänderung wiege schwer. Der begehrte Name Y identifiziere ihn seit Jahrzehnten im Berufs- und Privatleben. Demgegenüber komme dem öffentlichen Interesse, das den Eingriff in das Grundrecht des Mitbeteiligten (Persönlichkeitsschutz) rechtfertigen könnte, erheblich geringeres Gewicht zu: Der Magistrat argumentiere, dass der Name Y für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich sei; das öffentliche Interesse liege somit darin, dass keine Fantasie-, sondern nur gebräuchliche Namen zur Kennzeichnung von Personen verwendet werden sollten.
7 Die begehrte Namensänderung beeinträchtige aber dieses öffentliche Interesse gar nicht: Zum einen kennzeichne der Name den Mitbeteiligten (und auch seine Schwester) bereits seit vielen Jahren, zum anderen werde durch die phonetische Ähnlichkeit mit dem Namen „Y“ namensrechtlich kein Neuland betreten.
8 Bei der gebotenen Interessenabwägung gäben die Interessen des Mitbeteiligten gegenüber jenen öffentlichen Interessen, wonach keine Fantasie-, sondern nur gebräuchliche Namen Verwendung finden sollten, den Ausschlag. Aber selbst wenn § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG der Namensänderung entgegenstünde, wäre der Eingriff in das dem Beschwerdeführer zukommende Persönlichkeitsrecht unverhältnismäßig. Der Versagungsgrund des § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG sei daher im Lichte des Art. 8 EMRK so zu lesen, dass er der Änderung des Familiennamens des Mitbeteiligten nicht entgegenstehe.
9 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es liege u.a. keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Bewilligung einer Namensänderung die Entscheidung auf Basis einer Interessenabwägung zwischen den öffentlichen Interessen gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG und den persönlichen Interessen der antragstellenden Person zu treffen sei, vor. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtslage insofern unrichtig beurteilt, als es die getroffene Entscheidung alleine auf Basis einer Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK getroffen habe, ohne auf die Versagungsgründe nach § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG im Detail einzugehen; für die Bewilligung der Namensänderung wäre jedenfalls eine Prüfung der Gebräuchlichkeit des Familiennamens im Inland geboten gewesen.
10 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der im Wesentlichen die Argumentation des Verwaltungsgerichts ‑ mit weiteren Ausführungen ‑ unterstützt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 22. März 1988 über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz ‑ NÄG), BGBl. Nr. 195/1988 in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2019, lauten (auszugsweise):
„Antrag auf Namensänderung
§ 1. (1) Eine Änderung des Namens (§ 38 Abs. 2 PStG 2013) ist auf Antrag zu bewilligen, wenn ein Grund im Sinn des § 2 vorliegt, § 3 der Bewilligung nicht entgegensteht und die Namensänderung betrifft
1. einen österreichischen Staatsbürger;
...
Voraussetzungen der Bewilligung
§ 2. (1) Ein Grund für die Änderung des Familiennamens liegt vor, wenn
...
11. der Antragsteller aus sonstigen Gründen einen anderen Familiennamen wünscht.
...
Versagung der Bewilligung
§ 3. (1) Die Änderung des Familiennamens oder Vornamens darf nicht bewilligt werden, wenn
...
2. der beantragte Familienname lächerlich, anstößig oder für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich ist;
...“
13 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt die Auffassung zu Grunde, dass ein Antrag auf Änderung des Familiennamens schon dann zu bewilligen ist, wenn eine nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung ergibt, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers an der Bewilligung die öffentlichen Interessen an der Versagung der Namensänderung überwiegen, und zwar unabhängig davon, ob ‑ mangels Gebräuchlichkeit des Namens ‑ der Versagungsgrund nach § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG vorliegt.
14 Diese Auffassung ist unzutreffend.
I. Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes
15 Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 7. Dezember 2021, E 3149/2021 ‑ an sein Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 880/2016 = VfSlg 20.100/2016, anknüpfend bzw. diese Rechtsprechung weiterentwickelnd ‑ ausgeführt:
„... § 1 NÄG ermöglicht u.a. österreichischen Staatsbürgern eine Namensänderung. Ein entsprechender Antrag ist zu bewilligen, wenn dafür ein Grund iSd § 2 NÄG und kein Versagungsgrund nach § 3 NÄG vorliegt. Nach dem als Auffangtatbestand fungierenden § 2 Abs. 1 Z 11 NÄG kann eine Namensänderung bereits aus nicht näher qualifizierten ‚sonstigen Gründen‘ erfolgen (die Begründung zu IA 4/A 19. GP , 30, spricht von ‚Wunschnamen‘). § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG schließt aber die Bewilligung einer gewünschten Namensänderung u.a. aus, wenn der gewählte Familienname ‚für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich‘ ist.
2. Ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte ‑ unter Gesetzesvorbehalt stehende ‑ Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art. 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art. 8 Abs. 1 EMRK widersprechenden und durch Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
...
3.1. Art. 8 EMRK stellt die menschliche Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität unter Schutz und ist dabei auch auf den Schutz der unterschiedlichen Ausdrucksformen dieser menschlichen Persönlichkeit gerichtet (VfSlg. 19.662/2012, 19.665/2012, 20.100/2016; vgl. auch EGMR 24.10.1993, Fall Guillot, Appl. 22.500/93 [Z 21 f.]; 7.2.2002, Fall Mikulić, Appl. 53.176/99 [Z 53 f.]; 11.7.2002 [GK], Fall Goodwin, Appl. 28.957/95 [Z 90]; 12.6.2003, Fall Van Kück, Appl. 35.968/97 [Z 69]). Namen dienen der persönlichen Identifizierung und Zuordnung. Als Bestandteil der Identität zählen sie zum grundrechtlich geschützten Privat- und Familienleben (vgl. zB VfSlg. 20.100/2016; EGMR 22.2.1994, Fall Burghartz, Appl. 16.213/90 [Z 24]; 25.11.1994, Fall Stjerna, Appl. 18.131/91 [Z 37]; siehe auch VwGH 7.12.2011, 2010/06/0276).
Unbestritten kann der Gesetzgeber vorsehen, Namensänderungen aus Gründen öffentlicher Interessen rechtlich zu beschränken (vgl. zB EGMR, Fall Stjerna, Z 39; 6.9.2007, Fall Johansson, Appl. 10.163/02 [Z 35 ff.]). Ein damit verbundener Eingriff in Art. 8 EMRK ist gemäß dessen Abs. 2 aber nur statthaft, insoweit die gesetzliche Maßnahme zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und verhältnismäßig ist (siehe zB VfSlg. 19.904/2014, 20.100/2016). Art. 8 EMRK soll dabei das Privat- und Familienleben nicht rein theoretisch oder illusorisch schützen, sondern praktisch und effektiv garantieren (allgemein im Kontext des Art. 8 EMRK siehe zB EGMR 9.7.2021 [GK], Fall M.A., Appl. 6697/18 [Z 162]; spezifisch in Bezug auf Namen siehe EGMR 5.12.2013, Fall Henry Kismoun, Appl. 32.265/10 [Z 29]; 11.10.2018, Fall S.V., Appl. 55.216/08 [Z 71]).
3.2. Der Gesetzgeber erkennt in § 2 Abs. 1 Z 11 NÄG zunächst ausdrücklich an, dass eine Änderung des Familiennamens nicht nur aus besonderen, sondern auch aus ‚sonstigen Gründen‘ möglich ist, wenn jemand ‚einen anderen Familiennamen wünscht‘. Auch in diesem Fall dürfen der Namensänderung aber bestimmte, in § 3 Abs. 1 NÄG als Versagungsgründe angeführte öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Diese Versagungsgründe und ihre Auslegung müssen den aus Art. 8 Abs. 2 EMRK folgenden Anforderungen genügen (zur gebotenen Interessenabwägung vgl. nur EGMR, Fall Henry Kismoun, Z 30 und 35 ff.; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention7, 2021, § 22 Rz 45).
3.3. Nun ist dem Gesetzgeber zunächst nicht entgegenzutreten, wenn er mit dem dritten Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG ‑ der beantragte Familienname ist für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich ‑ darauf abstellt, dass Familiennamen einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen in Österreich haben müssen und nicht frei erfunden werden dürfen. Indem der Gesetzgeber aber darauf abstellt, ob sich ein bestimmter Begriff als Familienname in der Gesellschaft herausgebildet hat, stellt er notwendig auf Entwicklungen in einer Gesellschaft ab (so führen insbesondere Migrationsbewegungen dazu, dass sich die in Österreich ‚gebräuchlichen‘ Familiennamen verändern). Insoweit haben Familiennamen, weil sie sich in aller Regel von Vorfahren ableiten, immer auch eine historische Dimension (vgl. VfSlg. 20.100/2016).
3.4. Nicht selten haben österreichische Staatsbürger Migrationshintergrund. Dies ist kein besonderes Phänomen der heutigen Verhältnisse, sondern ein durchaus kennzeichnendes Merkmal der österreichischen Geschichte und der Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Der historische Familienbezug stellt gerade in diesem Kontext für viele Menschen einen wichtigen Bestandteil ihrer durch Art. 8 EMRK geschützten persönlichen Identität dar (vgl. Pavlidis, Art. 7, in: Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC‑Kommentar2, 2019, Rz 44). Die Kontinuität des Familiennamens spiegelt damit auch den historischen Kontext der persönlichen Identität des Einzelnen wider (vgl. dazu wiederum EGMR, Fall Henry Kismoun, Z 30 ff.).
Dies kann in besonderem Maße dann zutreffen, wenn Namen auf staatliche Veranlassung oder auch nur auf staatlichen Druck geändert werden und dieser staatliche Druck als Diskriminierung empfunden wird bzw. tatsächlich aus diskriminierenden Gründen erfolgt. Insbesondere in solchen Fällen vermittelt Art. 8 EMRK grundsätzlich einen Anspruch darauf, die ursprüngliche Kontinuität in der Familiengeschichte auch nach außen sichtbar durch Annahme des ursprünglichen, durch einen anderen unterbrochenen Familiennamen wieder aufzunehmen.
3.5. Vor diesem Hintergrund kann es in Fällen wie dem vorliegenden, in denen österreichische Staatsbürger an ihre historische Familientradition durch Annahme des entsprechenden Familiennamens anknüpfen wollen, nicht darauf ankommen, ob der Familienname in dem Sinn in Österreich gebräuchlich ist, als eine Familie mit diesem Namen bereits in Österreich gelebt haben muss. Denn dann wäre österreichischen Staatsbürgern in solchen Fällen die nach außen sichtbare Herstellung ihrer Familienkontinuität durch Annahme des früheren Familiennamens niemals möglich. Dies selbst dann nicht, wenn die Familie ihren Namen, wie im Ausgangsfall des Beschwerdeführers, auf Druck ihres ursprünglichen Herkunftsstaates und, wie der Beschwerdeführer vorbringt, unter diskriminierenden Rahmenbedingungen ändern musste. Hätte die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z 2 dritter Tatbestand NÄG einen solchen Inhalt, würde sie das Recht auf Namensidentität der Betroffenen verletzen.
Jedenfalls in dieser spezifischen Konstellation muss daher zur Wahrung der Rechte aus Art. 8 EMRK § 3 Abs. 1 Z 2 dritter Tatbestand NÄG dahingehend verstanden werden, dass es für die Gebräuchlichkeit darauf ankommt, ob es sich bei seinem früheren Familiennamen, den ein österreichischer Staatsbürger wieder annehmen will, um einen in seiner Familientradition gebräuchlichen Familiennamen handelt, der deswegen in Bezug zu Österreich steht, als es eine belegte historische Genealogie der Familie des eine Namensänderung begehrenden österreichischen Staatsbürgers gibt.
3.6. Das Landesverwaltungsgericht [...] stellt zwar fest, dass es sich bei dem vom Beschwerdeführer gewünschten Familiennamen um einen früher von seinen alevitischen Vorfahren in der Türkei geführten Namen handle, verneint aber die Gebräuchlichkeit des gewünschten Familiennamens, weil diesem ein realer Bezugspunkt in Österreich fehle. Damit hat das Landesverwaltungsgericht [...] aber den für den Namen als Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall wesentlichen Zusammenhang mit dem historischen Namen der Familie des Beschwerdeführers und den über die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers vermittelten Bezug dieses Namens zu Österreich verkannt und daher § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG einen mit Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt. ...“
II. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Gebräuchlichkeit von Familiennamen nach § 3 Abs. 1 Z 2 dritter Fall NÄG („für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich“) klargestellt, dass ein gewählter Name, der für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich ist, einer Bewilligung der Namensänderung auch dann entgegensteht, wenn die gewählte Bezeichnung für sich allein genommen weder lächerlich noch anstößig wäre. Weiter ist nach dem maßgeblichen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG auf das Inland abzustellen (vgl. VwGH 30.12.2020, Ra 2020/01/0414, mit Hinweis auf VwGH 7.12.2011, 2010/06/0276 = VwSlg 18.279 A; zur Gebräuchlichkeit von Vornamen nach § 3 Abs. 1 Z 7 NÄG vgl. VwGH 30.9.2020, Ro 2020/01/0013). Nach der erwähnten rezenten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, der sich der Verwaltungsgerichtshof anschließt, reicht es dabei ‑ vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 2 EMRK ‑ in spezifischen Konstellationen aus, dass es sich um einen in der Familientradition gebräuchlichen Namen handelt, der deswegen in Bezug zu Österreich steht, weil es eine belegte historische Genealogie der Familie des eine Namensänderung begehrenden österreichischen Staatsbürgers gibt und der Antragsteller an diese historische Familientradition anknüpfen möchte.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch die Auffassung, bei der Beurteilung der „Gebräuchlichkeit“ eines Namens komme es lediglich darauf an, ob der Name akzeptiert werde, verworfen und keine Hinweise für eine derartig abweichende Bedeutung des Wortes „gebräuchlich“ erkannt. Das NÄG enthält keine Definition des Begriffes „gebräuchlich“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird „gebräuchlich“ als „üblich“ oder „(weit) verbreitet“ verstanden (vgl. VwGH Ro 2020/01/0013, ebenfalls mit Hinweis auf VwSlg 18.279 A).
18 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist nach § 3 Abs. 1 Z 2 dritter Fall NÄG eine Eigenkreation eines Familiennamens ohne realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen im Inland bzw. eines Österreichbezuges aufgrund der belegten historischen Genealogie nicht zulässig (vgl. abermals VwGH Ra 2020/01/0414).
III. Fallbezogene Anwendung
19 Die dargelegten Erwägungen der Rechtsprechung klammert das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall aus.
20 Es verkennt dabei ‑ ebenso wie der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung ‑ die Bedeutung des gesetzlichen Versagungsgrundes der mangelnden Gebräuchlichkeit eines Familiennamens gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 dritter Fall NÄG, wonach die Eigenkreation eines Familiennamens ohne realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung eines Namens im Inland bzw. ohne einen zumindest genealogisch-historisch bedingten Österreichbezug nicht zulässig ist; dies gilt auch für die Verwendung von bloßen „Pseudonymen“ oder „Künstlernamen“. Die Verfassungskonformität dieser Regelung im Lichte des Art. 8 Abs. 2 EMRK ist durch die oberwähnte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes klargestellt.
21 Vor diesem Hintergrund ist zwar die Frage, ob ein bestimmter Familienname das Kriterium der „Gebräuchlichkeit im Inland“ erfüllt, (gegebenenfalls) im Wege einer verfassungskonformen Interpretation zu klären und darf bei der Auslegung § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG kein mit Art. 8 Abs. 2 EMRK unvereinbarer Inhalt unterstellt werden (vgl. in diesem Sinn die erwähnten Erkenntnisse des VfGH VfSlg 20.100/2016 und E 3149/2021).
22 Die Bewilligung eines ‑ nicht „gebräuchlichen“ ‑ Familiennamens bloß auf der Grundlage einer nach Maßgabe des Art. 8 EMRK im Einzelfall vorgenommenen Interessenabwägung steht aber mit der dargestellten Rechtslage bzw. mit der erwähnten Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht im Einklang. Wollte man der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung folgen, wäre ein Familienname in jedem Fall (und sohin auch eine reine Eigenkreation) bereits bei (bloßem) Vorliegen eines überwiegenden privaten Interesses des Antragstellers zulässig; die Versagungstatbestände des § 3 NÄG wären diesfalls ohne Bedeutung. Diese Auffassung findet im Gesetz keine Deckung (vgl. in diesem Sinn auch bereits VwSlg 18.279 A: „[Der Beschwerdeführer] beantragt die Namensänderung auch nicht, um seine Verbindung mit einer bestimmten Familie zum Ausdruck zu bringen. Es ist daher nicht erkennbar, aufgrund welcher Umstände das persönliche Interesse ... an der Änderung seines Familiennamens unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zu dem von ihm gewünschten Ergebnis führen könnte.“).
IV. Ergebnis
23 Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses hängt daher davon ab, ob der vom Mitbeteiligten begehrte Familienname im Inland „gebräuchlich“ ist; falls nicht, wäre die Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 NÄG zu versagen.
24 Zu dieser Frage hat das Verwaltungsgericht ‑ ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsauffassung ‑ jedoch keine Feststellungen getroffen. Das Verwaltungsgericht hat es insbesondere auch verabsäumt, sich mit den diesbezüglichen, die „Gebräuchlichkeit“ des Familiennamens „Y“ verneinenden, Argumenten im angefochtenen Bescheid auseinanderzusetzen (vgl. zur Verpflichtung eines Verwaltungsgerichts, auf beweiswürdigende Argumente der belangten Behörde einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt, etwa VwGH 9.2.2021, Ro 2021/01/0007, mwN).
25 Wegen des Fehlens der für die rechtliche Beurteilung notwendigen Feststellungen liegt somit ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. etwa VwGH 22.3.2022, Ra 2021/10/0075, mwN).
26 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 23. Mai 2022
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