VwGH Ra 2021/15/0111

VwGHRa 2021/15/011128.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des M T in S, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 2. November 2021, Zl. RV/2100610/2020, betreffend u.a. Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2008 sowie Einkommensteuer 2008, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115
BAO §167 Abs2
BAO §280 Abs1 lite
VwGG §41
VwGG §42 Abs2 Z3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150111.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Wiederaufnahmen des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2008 sowie die Einkommensteuer 2008 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Anlässlich einer Außenprüfung stellte die Prüferin fest, der Revisionswerber habe im Rahmen der so genannten „Barschiene“ Geld bei X veranlagt, wofür ihm ein monatlicher Ertrag von rund 1% versprochen worden sei. Die genaue Höhe des Ertrags habe sich am Index der börsennotierten M Wertpapiere orientiert. Mit der Geldhingabe sei dem Revisionswerber zunächst eine Übernahmebestätigung, ab dem Jahr 2008 jeweils ein Treuhandvertrag ausgehändigt worden. Darin sei dem Revisionswerber zugesichert worden, dass X den vom Revisionswerber hingegebenen Betrag in Substanzgenussscheinen der M AG veranlagen werde. X habe angegeben, über 12.000 Genussscheine der M AG zu verfügen und die Anleger an diesen partizipieren zu lassen, wobei er ihnen eine Kapitalgarantie zugesichert habe.

2 Dieses „Veranlagungsmodell“ habe von 1995 bis Oktober 2008 funktioniert, weil von den Neuanlegern stets so viel Geld eingezahlt worden sei, dass die Auszahlung an bestehende Kunden habe erfolgen und X darüber hinaus Lebenshaltungskosten in erheblicher Höhe habe finanzieren können. Über die Entwicklung der Kapitalstände sowie über die Höhe der Erträge seien die Anleger durch monatliche Mitteilungen informiert worden. Die Vorteile dieser Direktveranlagung bei X hätten für die Anleger darin bestanden, dass sie jederzeit Geld in beliebiger Höhe hätten einzahlen bzw. sich auszahlen lassen können, ohne an den Tageskurs der M Zertifikate gebunden zu sein, dass die Bezahlung des Ausgabeagios von 7% entfallen sei und dass die Anleger jederzeit hätten wählen können, ob sie sich die monatlichen Erträge von rund 1% auszahlen lassen oder diese weiter veranlagen.

3 Am 12. Mai 2010 sei über das Vermögen des X ein Konkursverfahren eröffnet worden, in dem der Revisionswerber und seine Ehefrau Forderungen von jeweils 266.559,07 € angemeldet hätten, welche vom Masseverwalter auch anerkannt worden seien. Diese Forderungen beinhalteten die bei X zuletzt veranlagten Beträge aus zwei Treuhandaufträgen sowie die in der Zeit von 1. August 2008 bis 11. Mai 2010 entstandenen Zinsen und Spesen iHv 33.298,14 €.

4 Nach Auskunft einer Angestellten des X hätten sich die Anleger Teilbeträge in beliebiger Höhe auszahlen lassen können. Die Auszahlungen seien von den eingezahlten Beträgen inklusive der Wertsteigerung abgezogen worden und in der Folge sei ein neuer Treuhandauftrag mit dem Datum der Auszahlung und dem neuen Betrag ausgestellt worden. Diese Auszahlungen seien bis Mitte Oktober 2008 erfolgt. Ob auch der Revisionswerber und dessen Ehefrau Auszahlungen erhalten hätten, sei der Angestellten nicht bekannt. Der Revisionswerber habe angegeben, nur einmal im Frühjahr 2008 anlässlich eines Autokaufs eine Auszahlung von rund 20.000 € von X verlangt zu haben. Darüber hinaus gebe es aber Hinweise darauf, dass ein weiterer Betrag iHv 29.987,60 € anlässlich des Autokaufs ausbezahlt worden sei.

5 Bei der Veranlagung der vom Revisionswerber und seiner Ehefrau übergebenen Geldbeträge habe es sich um ein darlehensähnliches Geschäft gehandelt, bei dem die Anleger jederzeit frei wählbare Beträge hätten einzahlen oder sich auszahlen lassen können. Für die Anleger seien keine Genussscheine erworben worden, sondern es sei vereinbart worden, dass sie an den Erträgen der sich (angeblich) im Privatbesitz des X befindlichen Genussscheine der M AG partizipieren sollten. Bei den den Anlegern ausbezahlten oder gutgeschriebenen Erträgen habe es sich daher nicht um Wertsteigerungen irgendwelcher Wertpapiere gehandelt, sondern um Zinsen für die Hingabe der Geldbeträge. Der Zufluss der Zinsen sei im Zeitpunkt der Auszahlung bzw. im Zeitpunkt des freiwilligen Verzichts auf deren sofortige Auszahlung erfolgt. Da der Revisionswerber und seine Ehefrau weder Aufzeichnungen über die Einzahlungen noch über die erhaltenen bzw. gutgeschriebenen Erträge hätten vorlegen können, seien die Zinsen gemäß § 184 BAO zu schätzen. Der Schätzung werde nur die im Jahr 2005 geleistete Einmalzahlung von 200.000 € zu Grunde gelegt. Für die Berechnung der Höhe der monatlichen Zinsen sei ‑ wie vereinbart ‑ der veröffentlichte M Index heranzuziehen. Daraus errechneten sich Zinsen iHv 33.393,01 € (2006), 36.466,08 € (2007) und 30.650,17 € (2008), die je zur Hälfte dem Revisionswerber und seiner Frau zuzurechnen seien.

6 Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Prüferin, nahm die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2008 wieder auf und erließ für diese Jahre neue Sachbescheide, in denen die Einkünfte aus Kapitalvermögen in der genannten Höhe angesetzt wurden.

7 Eine dagegen erhobene Berufung, in der vom Revisionswerber der Standpunkt vertreten wurde, er habe bei X Geld in Genussscheinen der M AG veranlagt, wies das Bundesfinanzgericht ‑ nach Ergehen einer Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts und einem Vorlageantrag des Revisionswerbers ‑ mit Erkenntnis vom 4. April 2017, RV/2100778/2014, als unbegründet ab.

8 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 26. Juni 2018, E 811‑1912/2017‑12, abgelehnt und sie zur Entscheidung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat. Im angeführten Beschluss sprach der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus, dass zur Beantwortung der Frage, ob das Bundesfinanzgericht zu Recht davon ausgehe, dass dem Beschwerdeführer einkommensteuerliche Kapitalerträge zugeflossen sind, keine spezifischen verfassungsrechtlichen Überlegungen anzustellen sind und der Beschwerdeführer insbesondere verkenne, dass es für die Erhebung der Abgaben nicht auf den intendierten Sachverhalt, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt (§ 115 BAO).

9 Der Verwaltungsgerichtshof gab der sodann erhobenen außerordentlichen Revision, zu deren Zulässigkeit u.a. vorgebracht wurde, die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts leide an sekundären Feststellungsmängeln, mit Erkenntnis vom 18. Mai 2020, Ra 2018/15/0090, Folge. Der Verwaltungsgerichtshof hob das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts auf, weil ihm keine tragfähigen Feststellungen zu entnehmen waren, dass sich der Revisionswerber monatlich fällige „Wertsteigerungen“ habe zusagen lassen.

10 Mit dem nunmehr angefochtenen, im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde insoweit statt, als sie die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Einkommensteuer 2006 und 2007 betraf. Hinsichtlich der Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2008 gab es der Beschwerde keine Folge und änderte den Einkommensteuerbescheid 2008 zum Nachteil des Revisionswerbers ab, indem es die nicht endbesteuerungsähigen Einkünfte des Revisionswerbers aus Kapitalvermögen mit 70.190,17 € ansetzte (zuvor 15.325,09 €).

11 Bei der Darstellung des Verfahrensganges verwies das Bundesfinanzgericht zunächst pauschal auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2020, Ra 2018/15/0090, und das mit diesem Erkenntnis aufgehobene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 4. April 2017, RV/2100778/2014. Sodann stellte es den Verfahrensgang im fortgesetzten Verfahren dar, in dem es mehrere Stellungnahmen des Finanzamts eingeholt und an den steuerlichen Vertreter des Revisionswerbers zur Gegenäußerung weitergeleitet hat. Der steuerliche Vertreter brachte im fortgesetzten Verfahren (erneut) vor, dass weder ein Darlehensvertrag noch ein darlehensähnliches Geschäft vorliege, sondern eine Veranlagung in Substanzgenussscheinen gegeben sei.

12 Im Erwägungsteil des angefochtenen Erkenntnisses führte das Bundesfinanzgericht aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in Rz 22 des aufhebenden Erkenntnisses § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 angeführt, auf ein Verzugszinsen betreffendes Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2014/15/0018, hingewiesen und erläutert, dass zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensvermehrungen gehörten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung darstellten. Daraus leite das Bundesfinanzgericht ab, dass der Veraltungsgerichthof im gegenständlichen Fall davon auszugehe, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen gegeben seien.

13 Allerdings habe der Verwaltungsgerichtshof aufgezeigt, dass die bloße Mitteilung von Depotgewinnen keinen Zufluss darstelle und zu begründen wäre, woraus sich eine „monatlich fällige Verzinsung“ überhaupt ableiten ließe. Auch die Schätzung der Bemessungsgrundlage dürfe nicht nur auf dem ursprünglichen Kapitaleinsatz aufbauen. Aus der Formulierung in Rz 31: „Somit geht auch die Schätzung der Einkünfte für das Jahr 2008 von einer unrichtigen Rechtsansicht [= ‚Mitteilung‘ als Zufluss, Heranziehung nur der Erstzahlung in Höhe von 200.000 Euro bei der Ermittlung des Kapitaleinsatzes] aus, wobei nach der Lage des Falles nicht ohne Weiteres gesagt werden kann, dass sich dieser Umstand nur zu Gunsten des Revisionswerbers auswirken konnte (...)“, schließe das Bundesfinanzgericht, dass der Verwaltungsgerichtshof die bisherige rechtliche Beurteilung bei Ermittlung des korrekten Zuflusszeitpunktes und der richtigen Schätzung der Bemessungsgrundlage halten werde.

14 Die im fortgesetzten Verfahren durchgeführten Ermittlungen hätten keine Nachweise bzw. stichhaltigen Hinweise darauf ergeben, dass im Revisionsfall von monatlich fälligen „Wertsteigerungen“ auszugehen wäre oder, dass über monatlich fällig werdende Zinsen „durch Wiederveranlagung verfügt“ worden sei. Daher gehe das Bundesfinanzgericht nunmehr von einem Zufluss nur im Jahr 2008, und zwar in Höhe von 140.308,35 € (Revisionswerber und Ehefrau), aus.

15 Der Verwaltungsgerichtshof habe die Möglichkeit des Eintritts einer „Verböserung“ betreffend das Jahr 2008 in Betracht gezogen und der Revisionswerber sei nicht gewillt gewesen, diese durch Zurücknahme der Beschwerde für das Jahr 2008 abzuwenden (Hinweis auf ein Schreiben des steuerlichen Vertreters vom 15. September 2021).

16 Die Kenntnis der im vorliegenden Fall neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO sei geeignet, einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeizuführen. Auch die Ermessensübung (§ 20 BAO) des Finanzamts zu Gunsten der Verfahrenswiederaufnahme sei unbedenklich.

17 Gegen dieses Erkenntnis, soweit es die Wiederaufnahmen des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2008 sowie die Einkommensteuer 2008 betrifft, wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision in der zur Zulässigkeit u.a. ausgeführt wird, das angefochtene Erkenntnis lasse nicht erkennen von welchem Sachverhalt das Bundesfinanzgericht ausgegangen sei. Die Trennung des Erwägungsteils in Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung sei unterblieben, weil es die ersten beiden Elemente im angefochtenen Erkenntnis schlichtweg nicht gebe. Angesichts der dem angefochtenen Erkenntnis anhaftenden Feststellungsmängel greife auch der bei der Darstellung des Verfahrensgangs erfolgte Pauschalverweis auf das Vorerkenntnis zu kurz.

18 Das Finanzamt hat ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

20 Die Revision ist zulässig und begründet.

21 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung eines Bescheides in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist. Von zentraler Bedeutung ist dabei die zusammenhängende Darstellung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes, den das Verwaltungsgericht als Ergebnis seiner ‑ nachvollziehbar dazustellenden ‑ Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt (vgl. z.B. VwGH 28.5.1997, 94/13/0200; 20.1.2005, 2002/14/0116; und 30.6.2021, Ra 2019/15/0125).

22 Diesen Anforderungen an eine Begründung genügt das angefochtene Erkenntnis nicht, weil es keine ausdrücklichen Sachverhaltsfeststellungen (insbesondere zur strittigen Frage der Art der Kapitalveranlagung) enthält. Der im angefochtenen Erkenntnis enthaltene allgemeine Verweis auf das Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes und die mit diesem Erkenntnis aufgehobene Beschwerdeentscheidung kann die vom Verwaltungsgerichtshof geforderten zusammenhängende Darstellung des Sachverhalts, den das Bundesfinanzgericht mit Erlassung der nunmehr angefochtenen Entscheidung als festgestellt annimmt, nicht ersetzen.

23 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher, im angefochtenen Umfang (Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2008 und Einkommensteuer 2008), als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.

24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Juni 2022

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