VwGH Ra 2021/15/0060

VwGHRa 2021/15/006025.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Vorarlberg in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 5. Mai 2021, Zl. RV/1100036/17, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015 (mitbeteiligte Partei: D H in A), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §124b Z53

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150060.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei wies in ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2015 unter anderem Auszahlungen einer Schweizer Pensionskasse aus und beanspruchte dafür die Drittelbegünstigung nach § 124b Z 53 EStG 1988.

2 Das Finanzamt erließ einen Einkommensteuerbescheid 2015, in dem es den Standpunkt vertrat, der mitbeteiligten Partei stehe keine Drittelbegünstigung zu.

3 Einer gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 gerichteten Beschwerde gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragte.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge und stellte fest, die mitbeteiligte Partei sei bei einem Arbeitgeber in der Schweiz im Rahmen eines Dienstverhältnisses beschäftigt und aufgrund einer 50%igen Invalidität nur zu 50% erwerbstätig gewesen. Aufgrund der verminderten Erwerbstätigkeit habe sie von der X Pensionskasse eine Invalidenrente bezogen. Für die Erwerbstätigkeit sei sie bei der X Pensionskasse weiterhin vorsorgeversichert gewesen.

5 Mit Schreiben vom 29. August 2013 sei die mitbeteiligte Partei von ihrem Arbeitgeber in der Schweiz zum 28. Februar 2014 gekündigt worden. Mit diesem Zeitpunkt habe sie ihre Tätigkeit als Grenzgänger beendet. Aufgrund der Austrittsmeldung (Verlassen der Schweiz) habe die Pensionskasse die Versicherung der mitbeteiligten Partei per 28. Februar 2014 aufgelöst und den aktiven Teil der Austrittsleistung (50%) auf einem Wartekonto deponiert, weil die mitbeteiligte Partei eine von der Pensionskasse abverlangte „Erklärung über die Verwendung der Austrittsleistung“ unbeantwortet gelassen habe. Die weiteren 50% der Austrittsleistung in Höhe von 158.876,25 CHF (passiver Teil) seien der mitbeteiligten Partei gutgeschrieben worden.

6 Da die mitbeteiligte Partei bei der Beendigung des Dienstverhältnisses (28. Februar 2014) das 58. Lebensjahr vollendet habe, habe sie die Möglichkeit gehabt, vorzeitig in Pension zu gehen (Art. 12 Kassenreglement der X Pensionskasse) und für den aktiven Teil des Altersguthabens (50% der Austrittsleistung) eine Altersrente zu beziehen (Art. 19 und Art. 20 Kassenreglement). Sie habe sich aber dafür entschieden, die Pension bei Erreichen des ordentlichen Rücktrittsalters von 65 Jahren (1. März 2015) anzutreten. Für diesen Fall sei ein Rentenbezug nicht mehr möglich gewesen, sondern nur die Auszahlung der zuvor auf dem Wartekonto deponierten Austrittsleistung.

7 Mit 20. Februar 2015 habe die mitbeteiligte Partei das 65. Lebensjahr vollendet. Aufgrund des Erreichens des „ordentlichen Rücktrittsalters“ sei die Invalidenrente der mitbeteiligten Partei in eine Altersinvalidenrente umgewandelt und die mitbeteiligte Partei von der X Pensionskasse aufgefordert worden, zwischen dem Bezug einer monatlichen Altersinvalidenrente in Höhe von 945,05 CHF oder dem Bezug einer monatlichen Altersinvaliden-Teilrente in Höhe von 701,75 CHF und einer teilweisen Kapitalauszahlung in Höhe von 47.301,95 CHF zu wählen. Die mitbeteiligte Partei habe sich für eine teilweise Kapitalauszahlung entschieden.

8 Mit Abrechnungen vom 17. Februar 2015 habe die X Pensionskasse die auf dem Wartekonto deponierte Austrittsleistung samt Zinsen in Höhe von 161.663,34 CHF und die teilweise Kapitalabfindung der Altersinvalidenrente in Höhe von 47.301,35 CHF zur Auszahlung gebracht.

9 Strittig sei, ob die an die mitbeteiligte Partei ausbezahlten Pensionsabfindungen gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 zu je einem Drittel steuerfrei zu belassen seien.

10 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 124b Z 53 EStG 1988 sei, dass dem Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt sei.

11 In Fällen, in denen das Vorsorgeverhältnis mit der betrieblichen Pensionskasse des bisherigen Dienstgebers infolge Beendigung des Dienstverhältnisses vor Eintritt des Vorsorgefalles beendet worden sei, sei daher, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen habe, entscheidend, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Freizügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können (Hinweis auf VwGH 5.3.2020, Ro 2019/15/0003; und 23.1.2020, Ra 2018/15/0107; betreffend Liechtenstein, sowie VwGH 4.6.2020, Ra 2019/15/0080; und 21.4.2020, Ra 2019/15/0055,betreffend die Schweiz). Es könne nicht von einem Zwang zur Pensionsabfindung ausgegangen werden, wenn dem Abgabepflichtigen nach Beendigung der nichtselbständigen Tätigkeit die Möglichkeit offen gestanden habe, sich für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice zu entscheiden und daraus später „Altersleistungen in Rentenform“ zu beziehen (Hinweis auf VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0065).

12 Die X Pensionskasse habe den aktiven Teil des zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz bestehenden Altersguthabens auf einem Wartekonto deponiert und der mitbeteiligten Partei anlässlich der im Februar 2015 erfolgten Pensionierung ausbezahlt. Zu diesem Zeitpunkt (Erreichen des ordentlichen Pensionsantrittsalters) habe für das Guthaben auf dem Wartekonto gemäß Art. 34 Abs. 7 Kassenreglement der X Pensionskasse nur mehr die Möglichkeit der Auszahlung als „einmalige Summe“ bestanden. Die mitbeteiligte Partei habe nicht zwischen einer Kapitalabfindung oder einer Auszahlung in Rentenform wählen können. Auch bei Beendigung des Dienstverhältnisses habe ‑ laut den diesbezüglich durchgeführten Erhebungen des Bundesfinanzgerichts und des Finanzamts ‑ keine Möglichkeit bestanden, den Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch aufrechtzuerhalten.

13 Die Beschwerde erweise sich daher, soweit sie das auf dem Wartekonto deponierte Guthaben betreffe, als berechtigt. Dass die mitbeteiligte Partei die Möglichkeit gehabt habe, bei Beendigung des Dienstverhältnisses vorzeitig in Pension zu gehen und in diesem Fall für den aktiven Teil des Altersguthabens eine Altersrente zu beziehen, ändere an der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts nichts.

14 Hinsichtlich der Invalidenrente, die bei Erreichen des ordentlichen Pensionsantrittsalters in eine Altersinvalidenrente umgewandelt worden sei, habe die mitbeteiligte Partei hingegen unstrittig ein Wahlrecht gehabt. Von diesem Wahlrecht habe sie zugunsten einer teilweisen Kapitalabfindung Gebrauch gemacht. Insoweit stehe ihr keine Drittelbegünstigung zu.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Finanzamts, zu der die mitbeteiligte Partei ‑ über Aufforderung hierzu ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

16 Die Revision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesfinanzgericht habe außer Acht gelassen, dass die mitbeteiligte Partei bei Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz die Möglichkeit gehabt habe, vorzeitig in Pension zu gehen und für den aktiven Teil des Altersguthabens eine Altersrente zu beziehen, was nach der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Anwendung der Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 ausschließe (Hinweis auf VwGH 17.3.2021, Ro 2019/15/0182).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18 Die Revision ist zulässig und begründet.

19 Mit BGBl. I Nr. 54/2002 wurde in § 124b Z 53 EStG 1988 ein Satz (dritter Satz) angefügt und dadurch normiert, dass Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen ab dem Jahr 2001 zu einem Drittel steuerfrei sind.

20 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (927 BlgNR 21. GP  2) wird hierzu ausgeführt:

„Ausländische gesetzliche Regelungen bzw. die darauf beruhenden Statuten der ausländischen Pensionskassen sehen vielfach Pensionsabfindungen vor. Eine Übertragung des abzufindenden Barwertes in eine inländische Pensionskasse ist nicht möglich. Diese Problematik trifft insbesondere Grenzgänger, die in diesen Fällen keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung haben. Es wäre daher unbillig, Pensionsabfindungen in diesen Fällen zur Gänze tarifmäßig zu versteuern.“

21 Zweck des § 124b Z 53 EStG 1988 ist es also, eine volle tarifmäßige Besteuerung von Pensionsabfindungen zu vermeiden, wenn keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme dieser Abfindung besteht (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0086).

22 Wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgeführt hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. VwGH 29.3.2017, Ra 2015/15/0033, mwN).

23 Mit Erkenntnis vom 17. März 2021, Ro 2019/15/0182, hat der Verwaltungsgerichtshof über einen Fall entschieden, der mit dem hier vorliegenden vergleichbar ist. In jenem Fall hatte der Anspruchsberechtigte die Möglichkeit, in der Schweiz vorzeitig in den Ruhestand zu gehen (also den Vorsorgefall eintreten zu lassen) und im Hinblick darauf die Altersleistung in Rentenform zu beziehen.

24 Der Verwaltungsgerichtshof sprach im Erkenntnis vom 17. März 2021 aus, es kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn das Bundesfinanzgericht angesichts der faktisch gegebenen Möglichkeit, sich anstelle der Abfindung für einen Rentenbezug zu entscheiden, zu der Beurteilung gelangte, dass der Zwang zur Abfindung der Pensionsanwartschaft, den die Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 voraussetzt, nicht gegeben war. Anderes könnte ‑ so der Verwaltungsgerichtshof weiter ‑ gelten, wenn die Inanspruchnahme der Frühpension für den Anspruchsberechtigten mit unzumutbaren rechtlichen Nachteilen verbunden wäre.

25 Im vorliegenden Fall stellte das Bundesfinanzgericht fest, die mitbeteiligte Partei habe bei Erreichen des ordentlichen Pensionsantrittsalters nur mehr die Möglichkeit gehabt, sich den zuvor auf einem Wartekonto deponierten aktiven Teil des Altersguthaben auszahlen zu lassen. Auch bei Beendigung des Dienstverhältnisses habe keine Möglichkeit bestanden, den Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch aufrechtzuerhalten. Der mitbeteiligten Partei stehe daher die Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 zu, woran der Umstand, dass sie die Möglichkeit gehabt habe, bei Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz vorzeitig in Pension zu gehen und in diesem Fall für den aktiven Teil des Altersguthabens eine Altersrente zu beziehen nichts ändere. Das trifft, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. März 2021 zu Recht erkannt hat, nicht bzw. nur dann zu, wenn die Inanspruchnahme der Frühpension für die mitbeteiligte Partei mit unzumutbaren rechtlichen Nachteilen verbunden gewesen wäre. Feststellungen dazu traf das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht.

26 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 25. Mai 2022

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