VwGH Ra 2021/15/0005

VwGHRa 2021/15/000529.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des W L in W, vertreten durch die Eidlwimmer Steuerberatungs-GmbH in 5020 Salzburg, Neutorstraße 52, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 10. Dezember 2020, Zl. RV/6100522/2020, betreffend Einkommensteuer 2018, zu Recht erkannt:

Normen

DBAbk Deutschland 2002
EStG 1988 §4 Abs4 Z1 lita
62000CJ0385 de Groot VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150005.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Vom Revisionswerber wurden in der Einkommensteuererklärung 2018 ‑ neben Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie geringfügigen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft ‑ negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Ausmaß (lediglich) der Aufwendungen für seine österreichische Pflichtversicherung bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Höhe von 19.142,50 € erklärt.

2 Bei der Einkommensteuerveranlagung 2018 erkannte das Finanzamt die negativen Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht an. Der Revisionswerber erhob daher gegen den Einkommensteuerbescheid Beschwerde.

3 Das Finanzamt wies die Beschwerde als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragt.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge und stellte folgenden Sachverhalt als unbestritten fest:

5 Der Revisionswerber habe einen Wohnsitz in Österreich und erziele hier Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. In Deutschland habe er einen weiteren Wohnsitz.

6 Seit 1. Jänner 2015 sei der Revisionswerber als selbständiger Radiomoderator in Deutschland tätig. Daraus habe er im Jahr 2018 Einkünfte in Höhe von 397.645 € erzielt. Mit diesen Einkünften aus selbständiger Arbeit sei er im Jahr 2018 in Deutschland als unbeschränkt Steuerpflichtiger zur Einkommensteuer veranlagt worden.

7 Auf Basis seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Deutschland werde der Revisionswerber seit 1. Jänner 2015 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Österreich zur Pflichtversicherung (Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung) herangezogen. Die in Österreich geleisteten Pflichtversicherungsbeiträge gründeten in den in Deutschland erzielten Einkünften aus selbständiger Arbeit.

8 Die im Jahr 2018 bezahlten österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge habe der Revisionswerber in Deutschland weder in die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung noch in die Einkommensteuererklärung aufgenommen. Demgemäß seien sie im deutschen Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt worden.

9 In Österreich habe der Revisionswerber die in Deutschland erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit als nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (im Folgenden nur: DBA-Deutschland) steuerbefreite Einkünfte für Zwecke der Einkommensbesteuerung zum Progressionsvorbehalt herangezogen, wobei das österreichische Finanzamt die deutschen Einkünfte um die im Jahr 2018 entrichteten (Anm: die Jahre 2015 und 2016 betreffenden) österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge von 19.142,50 € gekürzt habe.

10 Den Streitpunkt bilde nunmehr ausschließlich die Frage, ob die in Österreich geleisteten Pflichtversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben im Inland zum Verlustausgleich mit den positiven Einkünften aus Land- und Fortwirtschaft sowie Vermietung und Verpachtung zuzulassen oder ausschließlich als Ausgabenpost bei den Progressionseinkünften zu berücksichtigen seien.

11 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesfinanzgericht nach Darstellung der bezughabenden Gesetzesstellen und der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus, der Revisionswerber habe im Inland einen Wohnsitz und sei damit in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig iSd § 1 Abs. 2 EStG 1988. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf seine in- und ausländischen Einkünfte. Er gelte aufgrund seines inländischen Hauptwohnsitzes unbestritten auch als eine in Österreich ansässige Person iSd Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Deutschland.

12 Gemäß Art. 14 DBA-Deutschland liege das Besteuerungsrecht hinsichtlich der in Deutschland erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Deutschland.

13 Die zwingende Anwendung des EStG 1988 für die Berechnung des Progressionsvorbehaltes habe zur Folge, dass die ausländischen Einkünfte stets nach österreichischem Recht zu ermitteln seien (Hinweis auf VwGH 6.3.1984, 83/14/0107; Wiesner in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 2 Anm. 67).

14 Fest stehe, dass der Revisionswerber (als selbständig erwerbstätige Person) aufgrund seiner ‑ in Deutschland erwirtschafteten ‑ Einkünfte nach den Bestimmungen des gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (§ 2 GSVG) in Österreich pflichtversichert sei und die von ihm diesbezüglich geleisteten Beiträge Pflichtversicherungsbeiträge nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen darstellten. Die Pflichtversicherung umfasse sämtliche in der EU und der Schweiz ausgeübten selbständigen Tätigkeiten iSd § 2 GSVG.

15 Die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge seien unter Beachtung des Veranlassungszusammenhanges der deutschen Einkunftsquelle zuzuordnen. Dabei seien die ausländischen Einkünfte nach § 2 Abs. 8 EStG 1988 durch Umrechnung auf das inländische Recht zu adaptieren und die Pflichtversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der Auslandseinkünfte als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

16 Denn Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung seien kraft Gesetzes Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 und nach obigen Ausführungen bei jenen Einkünften in Abzug zu bringen, mit denen sie im Zusammenhang stünden.

17 Aufwendungen im Zusammenhang mit Einnahmen, die auf Grund eines DBA von der Besteuerung im Inland ausgenommen seien, seien somit nicht abziehbar (Hinweis auf Kofler/Wurm in Doralt et al, EStG20, § 20, Tz 152/4).

18 Voraussetzung für die Versagung der Abzugsfähigkeit sei ein objektiver Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und den nicht der Einkommensteuer unterliegenden Einnahmen. Dabei genüge ein klar abgrenzbarer, objektiver Zusammenhang zwischen beiden Größen.

19 Die beantragten Betriebsausgaben gingen ‑ auch iSd Rechtsprechung des BFH, Hinweis auf BFH 20.9.2006, I R 59/05 ‑ nicht in die Bemessungsgrundlage der österreichischen Einkommensteuer ein, denn der wirtschaftliche Zusammenhang mit Auslandseinkünften, die nicht der österreichischen Besteuerung unterlägen, würde die Einbeziehung der Aufwendungen in die Bemessungsgrundlage der österreichischen Einkommensteuer ausschließen.

20 Die durch die deutschen Einkünfte veranlassten Sozialversicherungsbeiträge minderten durch deren Berücksichtigung bei der Gewinnermittlung die Höhe der zu berücksichtigenden ausländischen Einkünfte und kürzten damit den zu ermittelnden Durchschnittssteuersatz. Diese Ausgaben würden somit bei der österreichischen Einkommensteuerberechnung des Jahrs 2018 berücksichtigt.

21 Entscheidungsrelevant sei demnach nur der Veranlassungszusammenhang der angefallenen Aufwendungen mit den in Deutschland erzielten Einnahmen. Die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage des Besteuerungsrechtes für Ruhegehälter bedürfe mangels Aktualität im Jahr 2018 keiner Erörterung.

22 Das Finanzamt habe somit im bekämpften Bescheid zutreffend den in der Bundesrepublik Deutschland erzielten Gewinn um den ‑ auf die ausländische Einkunftsquelle entfallenden ‑ Sozialversicherungsbeitrag, nämlich um den Betrag von 19.142,50 € gekürzt und die steuerbefreiten Auslandseinkünfte mit einem Betrag von 374.922,06 € zum Progressionsvorbehalt herangezogen. Über den Progressionsvorbehalt komme den Pflichtversicherungsbeiträgen eine progressionsmindernde Wirkung zu.

23 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liege darin, ob in Fällen einer österreichischen Pflichtversicherung für eine selbständige Tätigkeit in Deutschland die Pflichtversicherungsbeiträge in Österreich als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 abziehbar seien. Eine konsistente Erfassung sei ‑ so die Revision weiter ‑ geboten, um eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unternehmer und Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit zu vermeiden. Insoweit beinhalte die Frage von grundsätzlicher Bedeutung auch eine unionsrechtliche Dimension.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

25 Die Revision ist zulässig und begründet.

26 Unstrittig ist, dass der Revisionswerber in Österreich und in Deutschland einen Wohnsitz hat und in Österreich der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellen auch nicht in Streit, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für die selbständigen Einkünfte des Revisionswerbers als Radiomoderator hat.

27 Die revisionsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge, die dem Revisionswerber aufgrund seiner in Deutschland ausgeübten, selbständigen Tätigkeit als Radiomoderator vorgeschrieben worden sind, stellen zwingend angefallene Pflichtbeiträge iSd § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 dar.

28 Das Bundesfinanzgericht hat die Sozialversicherungsbeiträge als Betriebsausgaben der in Deutschland ausgeübten selbständigen Tätigkeit gewertet und bei Ermittlung der Höhe dieser Einkünfte in Abzug gebracht. Diese Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien in Österreich durch das DBA‑Deutschland steuerfrei gestellt. Da die Sozialversicherungsbeiträge mit der in Deutschland ausgeübten, selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang stünden, für die Deutschland nach Art. 14 DBA‑Deutschland das Besteuerungsrecht und Österreich eine Freistellungsverpflichtung habe, seien sie nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts in Österreich nicht (zusätzlich) von jenem Einkommen, das nach dem DBA Österreich zur Besteuerung verbleibe, in Abzug zu bringen, sondern nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

29 Das Bundesfinanzgericht hat somit ‑ grundsätzlich zutreffend ‑ für Zwecke der Einkommensbesteuerung nach dem EStG 1988 die Einkünfte der in Deutschland ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nach österreichischem Steuerrecht ermittelt und sodann diese Einkünfte in Anwendung des DBA‑Deutschland aus dem in Österreich zu versteuernden Einkommen ausgeschieden und nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt. Bei dieser Ermittlung der Einkünfte hat es die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung als Betriebsausgaben berücksichtigt.

30 Allerdings hat sich das Bundesfinanzgericht nicht mit der Frage beschäftigt, ob die gegenständlichen in Österreich bezahlten und mit den deutschen Einkünften in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland ‑ nach deutschem Recht ‑ auch steuerlich Berücksichtigung finden.

31 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen hat, obliegt die einkommensteuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse von in der EU grenzüberschreitend tätigen Personen im Zweifel jenem Staat, in welchem die Person gebietsansässig ist (vgl. etwa auch EuGH 12.12.2002, C‑385/00 , F W L de Groot, Rn 90). Wenn das nationale Einkommensteuerrecht eines Mitgliedstaates in Bezug auf die im Mitgliedstaat gebietsansässigen Personen die steuermindernde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse vorsieht, so darf der Mitgliedstaat, soweit eine Deckung in dem ihm zukommenden Steueranspruch besteht, diese Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse unionsrechtlich nicht deshalb zurücknehmen, weil die Person ihre wirtschaftliche Betätigung auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübt oder ausgeübt hat.

32 Der Verwaltungsgerichtshof brachte im Erkenntnis vom 16. November 2021, Ra 2020/15/0077, weiters zum Ausdruck: Wenn eine in Österreich unbeschränkt steuerpflichtige Person in Bezug auf in Deutschland erzielte Einkünfte, für die Deutschland das Besteuerungsrecht hat, in Österreich Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung zu entrichten hat, und falls diese Person, weil sie in Deutschland gebietsfremd (beschränkt steuerpflichtig) ist, die Beiträge dort steuerlich nicht abziehen kann, gebieten es die unionsrechtlichen Grundfreiheiten, die Beiträge von dem in Österreich zu besteuernden Einkommen in Abzug zu bringen. Für Pflichtbeiträge zur Pensionsversicherung ergebe sich schon aus innerstaatlichem Recht, dass sie im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zum Abzug zuzulassen sind, wenn im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung erfolgt.

33 Im gegenständlichen Fall verfügt der Steuerpflichtige in Deutschland wie in Österreich über einen Wohnsitz. Er ist in Deutschland wie in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Die in Rede stehenden, in Österreich entrichteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sind den Einkünften zuzuordnen, für welche ‑ im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbestritten ‑ nach dem DBA-Deutschland das Besteuerungsrecht Deutschland zukommt. Diese Pflichtbeiträge sind daher aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland vorrangig von Deutschland zu berücksichtigen.

34 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, der Revisionswerber habe die im Jahr 2018 bezahlten österreichischen Pflichtversicherungsbeiträge in Deutschland weder in die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung noch in die Einkommensteuererklärung aufgenommen. Feststellungen dahingehend, dass die in Rede stehenden Beiträge im Falle ihrer Geltendmachung in Deutschland zum Abzug zuzulassen gewesen wären, traf das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht.

35 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

36 Für das fortgesetzten Verfahren wird darauf hingewiesen, dass Vorsorgeaufwendungen von in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Personen gemäß § 10 Abs. 1 Z 2, 3 und 3a dEStG als Sonderausgaben abziehbar sind, soweit sie in keinem unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Das Bundesfinanzgericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob die gegenständlich strittigen Beiträge von diesem Sonderausgabentatbestand erfasst sind.

37 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. September 2022

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