VwGH Ra 2020/15/0077

VwGHRa 2020/15/007716.11.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des M R in E, vertreten durch die B&O Wirtschaftsprüfungs‑ und Steuerberatungs‑GmbH in 6322 Kirchbichl, Europastraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 15. Mai 2020, Zl. RV/3100513/2019, betreffend Einkommensteuer 2015, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art7
DBAbk Deutschland 2002
DBAbk Deutschland 2002 Art18
EStG 1972 §16
EStG 1972 §4
EStG 1988 §16
EStG 1988 §25 Abs1 Z3 lita
EStG 1988 §4 Abs4 Z1 lita
EURallg
GSVG 1978
12010E049 AEUV Art49
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art13
61994CJ0080 Wielockx VORAB
62000CJ0385 de Groot VORAB
62001CJ0234 Gerritse VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150077.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der in Österreich wohnhafte Revisionswerber erzielte ‑ nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) ‑ im Jahr 2015 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Geschäftsführer einer in Österreich ansässigen Gesellschaft, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einer Vermietungstätigkeit betreffend ein österreichisches Vermietungsobjekt sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer eines in Deutschland, wo der Revisionswerber beschränkt steuerpflichtig ist, ansässigen Unternehmens.

2 Der Revisionswerber war in Österreich auch sozialversicherungspflichtig. Die Sozialversicherungsanstalt für gewerbliche Wirtschaft (SVA) schrieb ihm für das Jahr 2015 Sozialversicherungsbeiträge vor, welche sich zum einen aus einer Nachbelastung für das Jahr 2012 sowie aus den vorläufigen Beiträgen für das Jahr 2015 zusammensetzten. Die Nachbelastung für 2012 wurde auf Grundlage der sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 ergebenden inländischen Einkünfte aus selbständiger Arbeit und der Progressionseinkünfte betreffend die in Deutschland erzielten Einkünfte ermittelt.

3 In seiner elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Revisionswerber die Aufwendungen für eigene Pflichtversicherung bei seinen in Österreich erzielten Einkünften aus selbständiger Arbeit als Betriebsausgaben geltend. Über Vorhalt des Finanzamtes führte er unter Beilage der Kontoübersicht der Sozialversicherungsbeiträge 2015 u. a. aus, dass ein Teil der bezahlten Sozialversicherungsbeiträge mit den in Deutschland erzielten Einkünften im Zusammenhang stehe. Dennoch seien diese Zahlungen als Betriebsausgabe in Österreich in Abzug zu bringen, weil sie in § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 ausdrücklich als Betriebsausgabe genannt seien und auch der allgemeinen Betriebsausgabendefinition entsprächen. Gemäß § 4 Abs. 4 EStG 1988 seien Aufwendungen und Ausgaben dann als Betriebsausgaben anzuerkennen, wenn sie durch den Betrieb veranlasst seien. Dieser vom Einkommensteuergesetz geforderte Veranlassungszusammenhang zwischen dem österreichischen Betrieb und den bezahlten Sozialversicherungsbeiträgen sei schon deshalb gegeben, weil für den Betrieb des österreichischen Unternehmens ein Gewerbeschein zu halten sei, der wiederum die Pflichtversicherung nach § 2 GSVG auslöse und auch die ausländischen Einkünfte in die sozialversicherungspflichtige Beitragsgrundlage miteinbeziehe. Diesen zwingenden Vorschriften könne man sich nicht entziehen; aufgrund des Bestehens eines österreichischen Betriebes müssten auch für die in Deutschland erwirtschafteten Einkünfte österreichische Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden. Eine Unterbrechung des geforderten Veranlassungszusammenhangs könne daher nicht vorliegen, weshalb die Aufwendungen als Betriebsausgabe anzuerkennen seien. Festzuhalten sei auch, dass die bezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland nicht in Abzug gebracht werden könnten, weil diese im deutschen Steuerrecht als Sonderausgabe zu berücksichtigenden Aufwendungen die unbeschränkte Steuerpflicht voraussetzen würden. Eine Berücksichtigung nur im Rahmen des Progressionsvorbehaltes wäre sohin keine befriedigende Lösung. Zudem seien auch die aus der Sozialversicherungspflicht erwachsenden Pensionszahlungen in Österreich zu versteuern, woraus sich gleichfalls eine Abzugsfähigkeit in Österreich ableiten lasse. Dies ergebe sich auch aus der Regelung zum Sonderausgabenabzug nach § 18 Abs. 2 EStG 1988. Eine Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge auf inländische und ausländische Einkünfte sei daher nicht vorzunehmen.

4 Mit Einkommensteuerbescheid vom 21. April 2017 kürzte das Finanzamt die vom Revisionswerber im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit erklärten Betriebsausgaben für eigene Pflichtversicherung und führte hierzu begründend aus, im Revisionsfall sei Österreich für die Vorschreibung der gesamten Sozialversicherungsbeiträge zuständig, während in Deutschland keine Sozialversicherungsbeiträge mehr abzuführen seien. Für die Ermittlung der vorzuschreibenden Beiträge würden die in Österreich und in Deutschland versicherungspflichtigen Einkünfte zusammengerechnet. Die Beitragsgrundlage 2012 setze sich zu 19% aus österreichischen und zu 81% aus deutschen Einkünften zusammen, woraus sich in steuerlicher Hinsicht jedoch auch eine entsprechende prozentuelle Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge auf Deutschland und Österreich ergebe.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab. Begründend führte es aus, der Revisionswerber sei im Besteuerungszeitraum in Österreich ansässig gewesen. Die gewerbliche Tätigkeit sei in Deutschland durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausgeübt worden. Im Jahr 2015 seien Beiträge zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung und zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung angefallen, wovon 81% der in Deutschland gelegenen Betriebsstätte zuzurechnen gewesen seien. Bei den Beiträgen handle es sich zwar um Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988. Der im Sinne des Art. 7 Abs. 1 DBA‑Deutschland der in Deutschland gelegenen Betriebsstätte zuzurechnende Anteil dürfe jedoch in Deutschland besteuert werden und werde daher gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. a DBA‑Deutschland von der Besteuerung durch die Republik Österreich ausgenommen.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, wies das BFG ‑ nach einem Vorlageantrag des Revisionswerbers ‑ die Beschwerde ab. Begründend führte es aus, gemäß § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 seien Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung und Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung jedenfalls Betriebsausgaben. Nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG seien selbständig erwerbstätige (natürliche) Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte im Sinne der §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 EStG 1988 erzielten, in der Kranken‑ und Pensionsversicherung pflichtversichert, wenn auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits nach einem anderen Tatbestand Pflichtversicherung eingetreten sei. Unbestritten sei, dass der Revisionswerber als selbständig erwerbstätige Person aufgrund seiner ‑ sowohl in Österreich als auch in Deutschland erwirtschafteten ‑ Einkünfte als Geschäftsführer und Einzelunternehmer nach den Bestimmungen des gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (§ 2 GSVG) in Österreich pflichtversichert sei und die von ihm diesbezüglich geleisteten Beiträge sohin Pflichtversicherungsbeiträge nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen darstellten. Die Pflichtversicherung umfasse aufgrund seines in Österreich gelegenen Wohnsitzes sämtliche im EWR bzw. in der EU und Schweiz ausgeübten selbständigen Tätigkeiten iSd § 2 GSVG. Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung seien Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG 1988 und bei jenen Einkünften in Abzug zu bringen, mit denen sie im Zusammenhang stünden.

7 Die Vorschreibung der streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge durch die Sozialversicherungsanstalt (dh. die Nachbelastung für 2012 sowie die vorläufigen Beiträge 2015) beziehe sich sowohl auf die in Österreich als auch in Deutschland erzielten Einkünfte aus selbständiger und gewerblicher Arbeit. Die Höhe der Beiträge sei von der Sozialversicherungsanstalt auf Grundlage der im Einkommensteuerbescheid 2012 festgesetzten sowohl österreichischen Einkünfte aus selbständiger Arbeit als auch in Deutschland erzielten Progressionseinkünfte ermittelt und vorgeschrieben worden. Die streitgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge seien sohin durch diese beiden Einkunftsquellen veranlasst, weshalb sie unter Beachtung des Veranlassungszusammenhanges den einzelnen Einkunftsquellen zuzuordnen seien. Nachdem sich die Beitragsvorschreibung (dh. die Nachbelastung für 2012 sowie die vorläufigen Beiträge für 2015) ausschließlich an der (summierten) Höhe der beiden Einkünfte (zuzüglich der im Jahr 2012 vorgeschriebenen GSVG‑Beiträge) bemesse, sei sie ‑ wie vom Finanzamt vorgenommen ‑ im entsprechenden Verhältnis der jeweiligen Bemessungsgrundlagen anteilig auf die österreichische und deutsche Einkunftsquelle aufzuteilen. Die vom Revisionswerber begehrte Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge könne nicht übernommen werden, weil diese Berechnung nicht auf das tatsächliche Verhältnis der aus den jeweiligen Einkunftsquellen geflossenen Einkünften abstelle, sondern sie ungleichmäßig einbeziehe. Unterwerfe man nämlich ‑ wie begehrt ‑ die österreichischen Einkünfte zur Gänze, die deutschen hingegen nur bis zur hieraus resultierenden Differenz zur Höchstbemessungsgrundlage der Sozialversicherungspflicht, entspreche die sich ergebende Verteilung der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten, sondern belaste die Einkünfte in unterschiedlichem Ausmaß. Die Einkünfte seien jedoch unabhängig davon, ob sie in Österreich oder in Deutschland erzielt würden, gleichmäßig der Sozialversicherung zu unterziehen.

8 Die ausländischen Einkünfte seien nach § 2 Abs. 8 EStG 1988 durch Umrechnung auf das inländische Recht zu adaptieren. Wenngleich das deutsche Einkommensteuergesetz die streitgegenständlichen, auf die deutsche Einkunftsquelle entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen nicht als Betriebsausgaben anerkenne, seien sie im gegenständlichen Verfahren bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Das Finanzamt habe somit zutreffend den in Deutschland erzielten Gewinn um den auf die ausländische Einkunftsquelle entfallenden Anteil an dem strittigen Sozialversicherungsbeitrag gekürzt. Die auf die deutschen Einkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträge minderten durch ihre Berücksichtigung bei der Gewinnermittlung die Höhe der in Ansatz zu bringenden ausländischen Einkünfte und kürzten damit unmittelbar den zu ermittelnden Durchschnittssteuersatz. Entgegen dem Beschwerdevorbringen fänden sie damit bei der österreichischen Einkommensteuerberechnung des Jahres 2015 nicht nur steuerliche Berücksichtigung, sondern werde hierdurch auch dem verfassungsrechtlich gebotenem Sachlichkeitsgebot entsprochen. Die gegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge könnten im Übrigen nicht als Sonderausgaben nach § 18 EStG 1988 qualifiziert werden, weil sie bereits als Betriebsausgaben zum Ansatz gebracht worden seien. Des Weiteren handle es sich um keinen freiwilligen Versicherungsbeitrag, sondern liege den Beiträgen eine gesetzliche Versicherungspflicht zugrunde.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, im Revisionsfall stelle sich hinsichtlich der steuerlichen Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen für ausländische Einkünfte eine in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs neue Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die viele Pflichtversicherte nach ASVG oder GSVG betreffe und die vom BFG durch die Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit unrichtig gelöst worden sei.

10 Eine Pflichtversicherung nach § 2 GSVG (oder nach § 3 ASVG) begründe zudem einen selbständigen, vom ertragsteuerbaren Leistungsaustausch der versicherungspflichtigen Einkünfte losgelösten Leistungsaustausch. Die Pflichtversicherungsbeiträge seien zu leisten, um den dafür gewährten Versicherungsschutz zu erhalten. Das funktionelle Synallagma bestehe in den Pflichtversicherungsbeiträgen als Gegenleistung für den Versicherungsschutz in den Fällen von Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Alter/Pensionierung. Die Leistungen aus einer gesetzlichen Sozialversicherung seien nach Art. 18 Abs. 2 DBA‑Deutschland ausschließlich in Österreich zu besteuern. Besteuere Österreich die späteren Pensionen im Fall von Unfall, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Alter, so seien die Pflichtversicherungsbeiträge nach § 4 Abs. 4 Z 1 lit. a EStG voll abzugsfähig. Das Abzugsverbot nach § 20 Abs. 2 EStG greife nicht. Österreich habe die ausschließliche Ertragsteuerbefugnis für alle Leistungen aus der Pflichtversicherung nach § 2 GSVG und Art. 18 DBA‑Deutschland.

11 Eine Einkunftserzielung im Ausland (hier in Deutschland) durch ein Abzugsverbot für Sozialversicherungsbeiträge schlechter zu stellen als eine Einkunftserzielung in Österreich, sei auch sachlich (Art. 7 B‑VG) nicht zu rechtfertigen und eine offenkundige und schwerwiegende Diskriminierung in der Ausübung der Freizügigkeit von Arbeitnehmenden und der Niederlassungsfreiheit von Unternehmern. Der Gleichheitssatz nach Art. 7 B‑VG und die Grundfreiheiten des AEUV ließen eine solche Diskriminierung nicht zu.

12 Das Finanzamt hat ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet, woraufhin der Revisionswerber eine Replik erstattete.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

15 Gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 sind „Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung, Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung“ jedenfalls Betriebsausgaben.

16 Die Frage, ob eine abgabepflichtige Person pflichtversichert war und die von ihr geforderten und bezahlten Beiträge daher Pflichtversicherungsbeiträge waren, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ausschließlich nach Sozialversicherungsrecht zu beurteilen (VwGH 18.3.1991, 90/14/0265). Ausschlaggebend ist dabei, ob die Beitragsleistung die abgabepflichtige Person auf Grund einer zwingenden Vorschrift trifft, der sie sich nicht entziehen kann (Doralt, EStG19 § 4 Rz 277, mwN).

17 Ist eine Person ‑ wie der Revisionswerber ‑ innerhalb der Europäischen Union in zwei oder mehr Mitgliedstaaten tätig, ist sie nach den Regelungen der Verordnung (EG) zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Nr. 883/2004 dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats zu unterwerfen, um eine Kumulierung anzuwendender nationaler Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen zu vermeiden.

18 Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten) regelt dazu wie folgt:

„(1) Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt

a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder wenn sie bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, oder

b) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeiten in dem Wohnmitgliedstaat ausübt.

(2) Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt

a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, oder

b) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten befindet, wenn sie nicht in einem der Mitgliedstaaten wohnt, in denen sie einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt.

(3) Eine Person, die gewöhnlich in verschiedenen Mitgliedstaaten eine Beschäftigung und eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie eine Beschäftigung ausübt, oder, wenn sie eine solche Beschäftigung in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den nach Absatz 1 bestimmten Rechtsvorschriften.

(4) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat als Beamter beschäftigt ist und die eine Beschäftigung und/oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die sie beschäftigende Verwaltungseinheit angehört.

(5) Die in den Absätzen 1 bis 4 genannten Personen werden für die Zwecke der nach diesen Bestimmungen ermittelten Rechtsvorschriften so behandelt, als ob sie ihre gesamte Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat ausüben und dort ihre gesamten Einkünfte erzielen würden.“

19 Dass der Revisionswerber nach Art. 13 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 in Österreich als seinem Wohnsitzstaat der Versicherungspflicht unterliegt, ist im Revisionsfall unstrittig (vgl. zur hiezu maßgeblichen Prognoseprüfung näher Zemann in Höfle/Mitterer, FS Sedlacek 119, 129).

20 Damit sind aber ‑ wie auch vom BFG zutreffend erkannt ‑ die gesamten revisionsgegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge einschließlich derjenigen betreffend die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte als zwingend angefallene Pflichtbeiträge von § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 erfasst.

21 Das BFG hat den auf die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen allerdings mit Hinweis auf die Steuerfreistellung dieser Einkünfte durch das DBA‑Deutschland den Abzug versagt. Soweit die Sozialversicherungsbeiträge mit den Betriebsstätteneinkünften in Zusammenhang stünden, für die Deutschland nach Art. 7 DBA‑Deutschland das Besteuerungsrecht und Österreich eine Freistellungsverpflichtung habe, seien sie nach Ansicht des BFG in Österreich nicht als Betriebsausgaben in Abzug zu bringen, sondern nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Die durch das DBA normierte Freistellung betreffe nämlich die „Einkünfte“ der Betriebsstätte, also den Saldo zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben.

22 Das BFG hat sohin ‑ grundsätzlich zutreffend ‑ für Zwecke der Einkommensbesteuerung nach dem EStG 1988 die Einkünfte des in einer in Deutschland gelegenen Betriebsstätte entfalteten Gewerbebetriebes nach österreichischem Steuerrecht ermittelt und sodann diese Einkünfte (samt den anteiligen Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung) in Anwendung des DBA aus dem in Österreich zu versteuernden Einkommen ausgeschieden und nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt. Bei dieser Ermittlung der Einkünfte der Betriebsstätte hat es die anteiligen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung als Betriebsausgaben berücksichtigt.

23 Zwar hat der Gesetzgeber des EStG 1972 und nachfolgend des EStG 1988 die Pflichtversicherungsbeiträge zur Sozialversicherung ‑ in Abkehr von deren vorheriger Einstufung als Sonderausgaben ‑ in § 4 und § 16 zu Aufwendungen gemacht, die bereits bei der Ermittlung derjenigen Einkünfte in Abzug zu bringen sind, mit denen sie im Zusammenhang stehen (vgl. dazu näher VwGH 18.3.1991, 90/14/0265). Diese regelungstechnische Zuordnung zum Bereich der Einkünfteermittlung ist aber ‑ wie bereits die Rechtslage vor dem EStG 1972 zeigt ‑ nicht zwingend, wenn der Gesetzgeber sich für eine einkommensteuerliche Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen entscheidet.

24 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, besteht die kausale Verknüpfung bei Pflichtversicherungsbeiträgen in erster Linie zwischen den Beitragsleistungen einerseits und dem Versicherungsschutz der versicherten Person andererseits. Pflichtversicherungsbeiträge werden bezahlt, um in den Versicherungsfällen von Unfällen, Krankheit, Invalidität oder Alterspension Versicherungsleistungen zu erhalten. Sie dienen der persönlichen Absicherung der Steuerpflichtigen. Der Bezug zum Betrieb besteht demgegenüber nur darin, dass die betriebliche Tätigkeit Anknüpfungspunkt einer Versicherungspflicht im Rahmen des GSVG ist und die erzielten Einkünfte in die Bemessungsgrundlage für die Beitragsleistungen eingehen.

25 Nach dem Gesagten dient die steuerliche Berücksichtigung von sozialversicherungsrechtlichen Pflichtbeiträgen ‑ jedenfalls im Hinblick auf Kranken‑, Unfall‑ und Arbeitslosenversicherung ‑ der steuerlichen Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse der Abgabepflichtigen (zu den Pensionsbeiträgen siehe Rn 29 ff). Die einkommensteuerliche Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse von in der EU grenzüberschreitend tätigen Personen obliegt im Zweifel dem Ansässigkeitsstaat (vgl. dazu EuGH 12.6.2003, C‑234/01 , Gerritse, Rz 48; 11.8.1995, C‑80/94 , Wielockx, Rz 27; sowie M Lang, RIW 2005, 336 ff, 342 f mwN).

26 Im gegenständlichen Fall hat das BFG die Feststellung getroffen, dass Deutschland im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht für den Betriebsstättengewinn die betreffenden Zahlungen in die Pflicht‑Sozialversicherung ‑ sie betreffen die Person des Revisionswerbers ‑ nicht berücksichtigt.

27 Wenn das nationale Einkommensteuerrecht eines Mitgliedstaates in Bezug auf die im Mitgliedstaat ansässigen Personen die steuermindernde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse vorsieht, so darf der Mitgliedstaat, soweit eine Deckung in dem ihm zukommenden Steueranspruch besteht, diese Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse unionsrechtlich nicht einseitig zurücknehmen, weil die Person ihre wirtschaftliche Betätigung auch in einem anderen Mitgliedstaat ausübt oder ausgeübt hat (VwGH 20.12.2016, Ro 2015/15/0010, unter Hinweis auf EuGH 12.12.2002, C‑385/00 , F W L de Groot, Rz 98 ff, EuZW 2003, 114 ff mit ausführlicher Urteilsanmerkung). Es besteht unionsrechtlich die primäre Verpflichtung des Ansässigkeitsstaates, die persönlichen Verhältnisse der grenzüberschreitend Tätigen in gleicher Weise zu berücksichtigen wie jene der ausschließlich im Mitgliedstaat Tätigen. Dieser Verpflichtung kann sich der Mitgliedstaat nicht dadurch entledigen, dass er Aufwendungen, die den persönlichen Bereich der Steuerpflichtigen betreffen, zwar als einkommensmindernd anerkennt, sie aber durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung dem Bereich der Gewinnermittlung (als Betriebsausgabe) zuordnet.

28 Die Niederlassungsfreiheit gebietet es daher, grundsätzlich auch jenen Teil der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung des Revisionswerbers, welcher der gewerblichen Tätigkeit im Rahmen des in Deutschland gelegenen Gewerbebetriebes (Einzelunternehmen) zugeordnet werden kann und dort keine steuerliche Berücksichtigung gefunden hat, von dem in Österreich zu besteuernden Einkommen in Abzug zu bringen (zu den Pensionsbeiträgen siehe Rn 29 ff). Als Folge dessen können aber diese Sozialversicherungsbeiträge bei der für Zwecke des Progressionsvorbehalts erforderlichen ‑ nach österreichischem Recht vorzunehmenden ‑ Ermittlung des Gewinnes des in Deutschland gelegenen Gewerbebetriebes nicht (zusätzlich) in Abzug gebracht werden.

29 Dies gilt im Ergebnis schon aus innerstaatlichen Gründen gleichermaßen für die revisionsgegenständlichen Pensionsbeiträge, weshalb es im Revisionsfall dahin gestellt bleiben kann, ob sie ‑ ungeachtet des Umstandes, dass mit ihnen in Form späterer Pensionszahlungen auch eine neue Einkunfts‑ und damit Steuerquelle begründet wird ‑ überhaupt noch unter die vom Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigenden „persönlichen Verhältnisse“ im unionsrechtlichen Sinne fallen.

30 Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 lit. a EStG 1988 zählen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, für die Österreich im Revisionsfall ‑ bei unveränderter Sachlage im Zeitpunkt des Pensionsantritts ‑ nach Art. 18 DBA‑Deutschland auch das Besteuerungsrecht zukäme (vgl. zum österreichischen Besteuerungsrecht im Revisionsfall einerseits Art. 18 Abs. 1 DBA‑Deutschland, der auf den Ansässigkeitsstand abstellt, und Abs. 2 der den Staaten ‑ abweichend vom OECD‑Musterabkommen ‑ das Besteuerungsrecht für ihre Sozialversicherungspensionen belässt). Die Pensionsbeiträge begründen also eine künftige (und in Österreich auch steuerpflichtige) Einkunftsquelle, weshalb die solchen Pensionen zugrundeliegenden Beitragszahlungen insofern vorweggenommene Erwerbsaufwendungen darstellen und abzugsfähig sind.

31 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 20. April 2006, 2004/15/0038, mit Hinweis auf VfGH 30.6.1984, G 101/84, ausgesprochen hat, würde es dem Sachlichkeitsgebot widerstreiten, Beiträge, die zu Einkünften in Form von Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 lit. a EStG 1988 führen, im Ergebnis vom Abzug auszuschließen. Pflichtbeiträge zur Pensionsversicherung zählen gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 zu den Betriebsausgaben und werden dadurch einkommensmindernd berücksichtigt. Wenn aber das Betriebsergebnis, dem die Pflichtbeiträge zuzuordnen sind, im Einzelfall im Einkommen nicht erfasst werden kann (etwa weil ‑ wie hier ‑ das DBA eine Steuerbefreiung anordnet) und im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung erfolgt, muss dennoch die einkommensmindernde Berücksichtigung der Pensionsbeiträge über eine entsprechende Zuordnung zu den inländischen Einkünften gewährleistet sein.

32 In einer Konstellation wie dem Revisionsfall, wo also ‑ nach den Feststellungen des BFG ‑ im Quellenstaat keine steuerliche Berücksichtigung von Pensionsbeiträgen erfolgt, muss daher die einkommensmindernde Berücksichtigung der Pensionsbeiträge auch schon auf der Grundlage des originär innerstaatlichen Rechts in Österreich gewährleistet werden, weshalb den gemäß § 4 Abs. 4 lit. a EStG 1988 zu den Betriebsausgaben zählenden Pflichtbeiträgen zur Pensionsversicherung ihre steuerliche Wirksamkeit durch Anwendung der DBA‑Freistellungsmethode nicht genommen werden darf.

33 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

34 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. November 2021

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte