Normen
LSD-BG 2016 §28
LSD-BG 2016 §72 Abs10
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110079.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 11. Oktober 2019 erkannte die belangte Behörde den Revisionswerber schuldig, er habe es als zur Vertretung nach außen berufene Person einer slowenischen Gesellschaft zu verantworten, dass für den als mobilen Arbeitnehmer (Fahrer eines LKW) nach Österreich entsandten J P die Entsendemeldung nicht vor Entsendebeginn bei der Zentralen Koordinationsstelle erstattet, die erforderlichen Lohnunterlagen (Arbeitsvertrag oder Dienstzettel) nicht bereitgehalten bzw. elektronisch zugänglich gemacht und die Sozialversicherungsunterlagen trotz Fristsetzung nicht nachgereicht worden seien. Außerdem habe er es zu verantworten, dass für J P und den zweiten Fahrer des LKW die erforderlichen Sozialversicherungsunterlagen (A1) oder eine andere Form des Nachweises nicht bereitgehalten bzw. elektronisch zugänglich gemacht worden seien. Dadurch habe der Revisionswerber näher genannte Bestimmungen des LSD‑BG übertreten, weswegen über ihn je Übertretung, hinsichtlich der Nichtbereithaltung der Sozialversicherungsunterlagen je Arbeitnehmer, eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.000,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 34 Stunden) verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahren vorgeschrieben wurden.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Darin brachte er ua. vor, dass zwischen der slowenischen Gesellschaft und J P als selbständigem Subunternehmer ein Werkvertrag zur Erbringung von Transportdienstleistungen bestanden habe. Dabei habe es sich um einen in Österreich nicht bekannten Vertragstypus, nämlich einen Werkvertrag zur Beschäftigung von Pensionisten gehandelt. J P sei Pensionist. Pensionisten sei es in Slowenien gestattet, in Form von Werkverträgen in einem bestimmten zeitlichen Umfang zusätzliche Tätigkeiten zu verrichten. Dabei würden sie als selbständig erwerbstätige Personen handeln und nicht zu Dienstnehmern des Auftraggebers werden; es bestehe auch keine zusätzliche Sozialversicherungspflicht. Da J P als selbständiger Unternehmer tätig geworden sei, sei für ihn keine Entsendemeldung zu erstatten gewesen. Es könne für ihn kein A1‑Formular eingeholt werden und es gäbe für ihn mangels Beschäftigungsverhältnisses auch keine Lohnzahlungsnachweise. Da auf die Tätigkeit von J P das LSD‑BG nicht anwendbar sei, liege keine Verwaltungsübertretung vor.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der Beschwerde insoweit Folge, als wegen der Nichtbereithaltung der Sozialversicherungsunterlagen für zwei Arbeitnehmer eine Gesamtstrafe in Höhe von € 900,‑‑ verhängt wurde. Die Geldstrafen hinsichtlich der übrigen Übertretungen wurden auf jeweils € 800,‑‑ herabgesetzt. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Ersatzfreiheitsstrafen zu entfallen hätten und dass die Kosten des Behördenverfahrens (in näher genannter Höhe) neu zu bestimmen seien. Eine Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht stellte, soweit hier maßgeblich, fest, bei der Kontrolle der beiden Fahrer des LKW seien für J P ein abgelaufenes Sozialversicherungsdokument und ein Arbeitsvertrag in kroatischer Sprache vorgelegt worden. Die Entsendemeldung, das Sozialversicherungsdokument A1 und der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel für J P seien nachgefordert worden. Daraufhin seien ua. ein Arbeitsvertrag und ein Nachtrag zum Arbeitsvertrag für J P übermittelt worden. Zusammengefasst stehe somit fest, dass die beiden LKW‑Fahrer „als mobile Arbeitnehmer im Transportbereich“ nach Österreich entsandt worden seien. Für J P seien keine Entsendemeldung vor Entsendebeginn erstattet, kein Sozialversicherungsdokument A1 und keine erforderlichen Lohnunterlagen (Arbeitsvertrag oder Dienstzettel) bereitgehalten oder zugänglich gemacht sowie die Sozialversicherungsunterlagen nicht nachgereicht worden.
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Revisionswerber habe dadurch das Tatbild der ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen in objektiver Hinsicht erfüllt und diese auch in subjektiver Hinsicht zu verantworten. Hinsichtlich der Strafbemessung verwies das Verwaltungsgericht ua. auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2019, C‑64/18 ua., Maksimovic ua. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit sei daher hinsichtlich der Bestrafung beider Arbeitnehmer mit einer Gesamtstrafe das Auslangen zu finden. Die Ersatzfreiheitsstrafen hätten zu entfallen.
6 Mit Beschluss vom 23. Februar 2021, E 1167/2020‑8, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 13. April 2021, E 1167/2020‑10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt, dass J P auf Basis eines Werkvertrages tätig geworden und das LSD‑BG daher gar nicht auf ihn anwendbar sei. Die Revision ist auch begründet.
9 Nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen. Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil vom 18. Juni 2015, C‑586/13, Martin Meat, die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung (vgl. VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068; zuletzt etwa VwGH 2.11.2021, Ra 2019/11/0150).
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind in einem Fall wie dem vorliegenden eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können (vgl. erneut VwGH Ra 2017/11/0068; Ra 2019/11/0150).
11 Solche Sachverhaltsfeststellungen fehlen im angefochtenen Erkenntnis zur Gänze. Insbesondere hat sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Beschwerde auseinandergesetzt, dass J P aus näher dargestellten Gründen nicht als Arbeitnehmer der slowenischen Gesellschaft nach Österreich entsandt, sondern auf Grundlage eines Werkvertrages tätig geworden sei.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund, weil der mit ihm bestätigte Schuldspruch hinsichtlich aller vier angelasteten Verwaltungsübertretungen (zumindest auch) J P betraf, zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht, sollte es neuerlich zu einer strafrechtlichen Verantwortung des Revisionswerbers gelangen, bei der Strafbemessung die LSD-BG-Novelle BGBl. I Nr. 174/2021, welche mit 1. September 2021 in Kraft getreten ist, und deren §§ 26 bis 28 gemäß § 72 Abs. 10 letzter Satz LSD‑BG auf alle am 1. September 2021 anhängigen Verfahren anzuwenden sind, zu beachten haben (vgl. dazu VwGH 12.10.2021, Ra 2019/11/0015, 0016).
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 7. April 2022
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