VwGH Ro 2021/04/0025

VwGHRo 2021/04/002521.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz‑Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revisionen der 1. egesellschaft m.b.H. in M, vertreten durch die Lindner Stimmler Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1090 Wien, Währinger Straße 2‑4/1/29 (protokolliert zu Ro 2021/04/0025), und der 2. Niederösterreichischen Landesregierung in 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1 (protokolliert zu Ro 2021/04/0026), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2021, Zl. W225 2144678‑2/24E, betreffend ein Genehmigungsverfahren nach dem UVP‑G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. S K und 2. A K, beide in S, 3. A P und 4. V P, beide in S, 5. M S in S, 6. G L in G, 7. Dr. F W in G, 8. B D und 9. S D, beide in S, 10. Mag. K H in F, 11. H P in P, 12. S S in G, 13. Dr. M P in G, 14. B K und 15. Ing. R K sowie 16. R F, alle drei in S, 13. bis 16. vertreten durch die John & John Rechtsanwälte in 1010 Wien, Reichsratsstraße 17/15), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13
AVG §13 Abs7
BauRallg
GewO 1994 §74
UVPG 2000 §5
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021040025.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der zweitrevisionswerbenden Partei (belangte Behörde) auf Kostenersatz wird abgewiesen.

Begründung

I.

1 1. Die erstrevisionswerbende Partei beantragte mit Eingabe vom 12. Juni 2015 bei der Niederösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde und zweitrevisionswerbende Partei) die Genehmigung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP‑G 2000) für die Errichtung und den Betrieb des in den Gemeinden G, S, G und L gelegenen Vorhabens „Windpark [...]“.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. November 2016 wurde der erstrevisionswerbenden Partei die UVP‑rechtliche Genehmigung für das beantragte Vorhaben erteilt. Dieses umfasste acht Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils 3,45 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 27,6 MW) und einer Nabenhöhe von 137 m bzw. 117 m, eine windparkinterne Verkabelung inklusive Datenleitungen sowie zwei Erdkabelsysteme als externe Windparkverkabelung zum Umspannwerk L und den „Zuwegungen“ einschließlich aller damit in Zusammenhang stehender Begleitmaßnahmen.

3 Gegen diesen Genehmigungsbescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien (als Nachbarn) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Mit der Novelle BGBl. I Nr. 80/2018 wurde das UVP‑G 2000 unter anderem dahingehend geändert, dass der (im vorliegenden Fall einschlägige) Schwellenwert im Tatbestand „Anlagen zur Nutzung von Windenergie“ der Z 6 lit. a, Spalte 2 des Anhangs 1 von 20 MW auf 30 MW (elektrische Gesamtleistung) erhöht wurde.

5 In der Folge beantragte die erstrevisionswerbende Partei mit Schreiben vom 4. Februar 2019 (beim BVwG eingebracht am 5. Februar 2019) eine Änderung ihres Antrages dahingehend, dass anstelle der dem UVP‑Genehmigungsbescheid vom 8. November 2016 zu Grunde liegenden Windkraftanlagen der Type Vestas V 126 mit einer elektrischen Leistung von jeweils 3,45 MW nunmehr Windkraftanlagen derselben Type mit einer elektrischen Leistung von jeweils 3,8 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 30,4 MW) zum Einsatz gelangen sollten. Die Nabenhöhe von 137 m bzw. 117 m, der Rotorendurchmesser und alle sonstigen von außen sichtbaren Elemente würden hingegen unverändert bleiben.

6 Mit Erkenntnis vom 23. April 2019 gab das BVwG den Beschwerden der mitbeteiligten Parteien Folge und hob den Genehmigungsbescheid vom 8. November 2016 ersatzlos auf.

In seiner Begründung verwies das BVwG darauf, dass durch die erfolgte Antragsänderung die Megawattleistung des Windparks im Vergleich zum ursprünglich projektierten Vorhaben von 27,6 MW auf 30,4 MW erhöht worden sei und dies einer Erhöhung der Gesamtkapazität bzw. einer Leistungszunahme von mehr als 10 % entspreche. Durch das Softwareupdate könnten die Windkraftanlagen auch bei höheren Windgeschwindigkeiten als bisher betrieben werden.

Das BVwG kam mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass sich die beantragte Änderung in Hinblick auf § 13 Abs. 8 AVG als wesentlich erweise. Zudem übersteige ein Abspruch über einen Windpark mit nunmehr 30,4 MW und somit einer deutlich erhöhten Gesamtkapazität den Spruch des angefochtenen Bescheides und sei daher der Kognitionsbefugnis des BVwG entzogen.

7 Mit Eingabe vom 17. Mai 2019 beantragte die erstrevisionswerbende Partei bei der belangten Behörde erneut die Genehmigung des Vorhabens „Windpark [...]“ in der Spezifikation von acht Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils 3,45 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 27,6 MW). Die erstrevisionswerbende Partei wies in diesem Antrag darauf hin, dass sie gegen das Erkenntnis des BVwG vom 23. April 2019 (siehe Rn. 6) außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Erkenntnisbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben habe. Sollte diesen Rechtsmitteln Erfolg beschieden sein, sei der ursprüngliche eingebrachte Genehmigungsantrag wieder anhängig. Es werde daher angeregt, bis zum Abschluss der beiden höchstgerichtlichen Verfahren vorerst keine weiteren Verfahrensschritte zur Erledigung des Antrages vom 17. Mai 2019 zu setzen, wobei auf die Geltendmachung allfälliger Handlungspflichten der Behörde seitens der erstrevisionswerbenden Partei ausdrücklich verzichtet werde.

8 Die Entscheidung des BVwG vom 23. April 2019 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Mai 2021, Ra 2019/04/0071, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil sich das BVwG nur unzureichend mit der Frage auseinandergesetzt hatte, wie sich das nachträgliche Softwareupdate auf den Betrieb bzw. die Betriebszeiten der Windkraftanlagen auswirke, und die insoweit mangelhaften Feststellungen des BVwG daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht standhielten.

9 2.1. Im fortgesetzten Verfahren gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Juni 2021 den Beschwerden der mitbeteiligten Parteien erneut Folge und hob den Genehmigungsbescheid vom 8. November 2016 wieder ersatzlos auf. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für zulässig erklärt.

10 2.2. In der Begründung hielt das BVwG zunächst fest, dass die erstrevisionswerbende Partei im Beschwerdeverfahren die Megawattleistung des von ihr beantragten Windparks im Vergleich zum bisher projektierten Vorhaben von insgesamt 27,6 MW auf insgesamt 30,4 MW erhöht habe. Zwischenzeitlich sei jedoch von der erstrevisionswerbenden Partei mit Datum vom 17. Mai 2019 bei der belangten Behörde erneut die Genehmigung des Vorhabens „Windpark [...]“ in der Spezifikation von acht Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils 3,45 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 27,6 MW) beantragt worden.

11 Schon auf Grund der ident geplanten Lage der beiden zur Genehmigung beantragten Vorhaben könne nur eines der beiden errichtet werden. Nach der Rechtsprechung zum UVP‑Feststellungsverfahren sei bei der Beurteilung der Wille des Projektwerbers, ein Vorhaben in gewisser Weise auszuführen, maßgeblich, zumal bei Wegfall eines derartigen „Verwirklichungswillens“ auch die Voraussetzung zur Erlassung eines auf § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 basierenden Feststellungsbescheides wegfalle. Ähnliches sei jedoch auch für UVP‑Genehmigungsverfahren anzunehmen, weil in beiden Verfahren Sachverständigengutachten eingeholt werden müssten.

12 Im vorliegenden Fall habe die erstrevisionswerbende Partei ‑ trotz des im gegenständlichen Verfahren maßgeblichen Genehmigungsantrags für acht Windkraftanlagen der Type Vestas V 126 mit einer elektrischen Leistung von jeweils 3,8 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 30,4 MW) ‑ mit Datum vom 17. Mai 2019 bei der belangten Behörde die Genehmigung des Vorhabens „Windpark [...]“ in der Spezifikation von acht Windkraftanlagen der Type Vestas V 126 mit einer Nennleistung von jeweils 3,45 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 27,6 MW) beantragt, wobei jeweils nur eines der beiden Vorhaben verwirklicht werden könne. Wenngleich ein „Errichtungswille“ regelmäßig in der Einbringung eines Genehmigungsantrages zum Ausdruck gebracht werde, sei ein solcher im Fall mehrerer Anträge auf Genehmigung von Vorhaben, die einander hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit wechselseitig ausschließen, nicht von vornherein als gegeben zu erachten. Vielmehr werde in solchen Fällen anhand der näheren Umstände im Einzelfall zu beurteilen sein, welches der zur Genehmigung beantragten Vorhaben dem tatsächlichen „Errichtungswillen“ des Projektwerbers (im Sinn einer Umsetzung in die Wirklichkeit) entspreche.

13 Der bei der belangten Behörde anhängige Genehmigungsantrag vom 17. Mai 2019 sei deutlich später eingebracht worden als der im gegenständlichen Verfahren zu beurteilende (Änderungs‑)Antrag vom 4. Februar 2019. Schon durch diesen zeitlich deutlich jüngeren und somit aktuelleren Genehmigungsantrag der zweitrevisionswerbenden Partei werde klar zum Ausdruck gebracht, dass ihr „Errichtungswille“ auf die Genehmigung des Vorhabens in der Spezifikation von acht Windkraftanlagen der Type Vestas V 126 mit einer Nennleistung von jeweils 3,45 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 27,6 MW) gerichtet sei und nicht auf die im gegenständlichen Fall beantragte Genehmigung des Vorhabens in der Spezifikation von acht Windkraftanlagen der Type Vestas V 126 mit einer Nennleistung von jeweils 3,8 MW (somit mit einer Gesamtleistung von 30,4 MW). Ein Parteiengehör sei nicht durchzuführen gewesen, weil der zweitrevisionswerbenden Partei unzweifelhaft habe bekannt sein müssen, dass von ihr ein weiterer Genehmigungsantrag eingebracht worden sei.

Der Wegfall des „Errichtungswillens“ im Sinn des Wegfalls der Verwirklichungsabsicht eines zur Genehmigung beantragten Vorhabens durch das Stellen eines neuerlichen (zeitlich späteren) Genehmigungsantrages für ein Vorhaben, das der Errichtung des erstbegehrten Vorhabens entgegenstehe, komme der Zurückziehung ebendieses, dem erstbegehrten Vorhaben zugrundeliegenden Antrags gleich. Die Zurückziehung eines verfahrenseinleitenden Antrags im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens bewirke den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung dieses Bescheides und damit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit. Liege die Entscheidung einer unzuständigen Behörde vor, habe das mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht diese Unzuständigkeit (von Amts wegen) wahrzunehmen und diese Entscheidung zu beheben.

14 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch zur Beurteilung in einem UVP‑Genehmigungsverfahren der Wille des Projektwerbers, ein Vorhaben in einer gewissen Weise auszuführen, maßgeblich sei und durch Wegfall eines „Verwirklichungswillens“ auch die Voraussetzung zur Erlassung eines Genehmigungsbescheides wegfalle; dies insbesondere in Anbetracht eines weiteren, zeitlich späteren Genehmigungsantrages derselben Projektwerberin, deren innewohnender „Verwirklichungs- bzw. Errichtungswille“ dem früheren, weiterhin aufrechten Genehmigungsantrag entgegenstehe. Weiters liege keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob das Stellen eines neuen Genehmigungsantrages bei gleichzeitiger Aufgabe des „Verwirklichungs- bzw. Errichtungswillens“ hinsichtlich eines bereits anhängigen Genehmigungsantrages der Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrags gleichzuhalten sei.

15 3. Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden ordentlichen Revisionen der Projektwerberin (protokolliert zu Ro 2021/04/0025) und der belangten Behörde (protokolliert zu Ro 2021/04/0026).

16 Die dreizehnt- bis sechzehntmitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragen, die Revisionen kostenpflichtig abzuweisen, in eventu die Revision der belangten Behörde zurückzuweisen. Die Bürgerinitiative „Stoppt den [...]“ brachte eine Revisionsbeantwortung zur Revision der belangten Behörde ein, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

Die Bundeministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität, Innovation und Technologie trat hingegen in ihrer Revisionsbeantwortung dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG entgegen.

II.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen auf Grund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

18 1. Die Revisionen verweisen zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf die vom Verwaltungsgericht angeführten grundsätzlichen Rechtsfragen. Die erstrevisionswerbende Partei (Projektwerberin) bringt in ihrer Revision zudem vor, das angefochtene Erkenntnis weiche mit seiner Begründung, eine Genehmigung zweier Vorhaben, die nicht gleichzeitig realisiert werden könnten, sei unzulässig, von (näher bezeichneter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. In der Amtsrevision der belangten Behörde wird in diesem Zusammenhang ebenso gerügt, dass das BVwG in Abweichung von der Rechtsprechung den von der Projektwerberin geäußerten Prozesswillen rechtswidrig in eine Zurückziehung des Antrages umgedeutet habe.

19 2. Die Revisionen erweisen sich in Hinblick auf die vom BVwG und von den revisionswerbenden Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.

20 3.1. Das BVwG ging im vorliegenden Fall von der Annahme aus, die erstrevisionswerbende Partei habe durch den zeitlich jüngeren und somit aktuelleren Genehmigungsantrag vom 17. Mai 2019 klar zum Ausdruck gebracht, dass ihr „Errichtungswille“ auf die Genehmigung des Vorhabens mit der Gesamtleistung von 27,6 MW gerichtet sei und nicht auf die ‑ im gegenständlichen Fall anhängige ‑ beantragte Genehmigung des Vorhabens mit der Gesamtleistung von 30,4 MW. Der Wegfall des „Errichtungswillens“ komme ‑ so das BVwG ‑ der Zurückziehung des Genehmigungsantrages gleich, was in einem anhängigen Beschwerdeverfahren die ersatzlose Behebung des Genehmigungsbescheides zur Folge habe.

Die Annahme, der „Errichtungswille“ wäre weggefallen, begründete das BVwG (rechtlich) damit, dass ein solcher bei mehreren Anträgen auf Genehmigung von Vorhaben, die einander hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit wechselseitig ausschließen, nicht von vornherein als gegeben zu erachten sei, sondern hier anhand der näheren Umstände beurteilt werden müsse, welches der zur Genehmigung beantragte Vorhaben dem tatsächlichen „Errichtungswillen“ des Projektwerbers entspreche.

21 3.2. Diese Rechtsauffassung des BVwG lässt außer Acht, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einem Bauwerber offensteht, auch während der Gültigkeitsdauer einer Baubewilligung für ein und denselben Bauplatz um mehrere Baubewilligungen unterschiedlichen Inhalts anzusuchen. Es ist dem Bauwerber auch nicht verwehrt, solange mit der Bauführung noch nicht begonnen wurde, selbst auf eine frühere, noch gültige Baubewilligung zurückzugreifen, es sei denn, dass etwa bei zwei für denselben Bauplatz erteilten Baubewilligungen die spätere ausdrücklich in den Rechtsbestand der früheren eingreift oder deren Inhalt in rechtsförmiger Weise ändert (vgl. VwGH 25.3.1997, 96/05/0262, mwN).

Auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum gewerblichen Betriebsanlagenrecht hat es in jüngerer Zeit als grundsätzlich zulässig erachtet, wenn vom Projektwerber während eines zu seinem ersten Antrag anhängigen Verfahrens beim Verwaltungsgericht ein weiterer eigenständiger Antrag auf Erteilung einer gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung für ein Vorhaben an demselben Standort bei der Behörde eingebracht wurde (vgl. VwGH 12.9.2016, Ra 2014/04/0037).

22 Das BVwG hätte daher im vorliegenden Fall nicht schon allein deshalb, weil die erstrevisionswerbende Partei bei der belangten Behörde einen weiteren Genehmigungsantrag für ein Vorhaben am selben Standort gestellt hat, von einem Wegfall des „Errichtungswillens“ für das im anhängigen Beschwerdeverfahren gegenständliche Vorhaben (und einer daraus folgenden konkludenten Zurückziehung des ersten Genehmigungsantrages) ausgehen dürfen.

23 Das BVwG ließ dabei vor allem unberücksichtigt, dass im Antrag der erstrevisionswerbenden Partei vom 17. Mai 2019 auf den weiterhin aufrechten ursprünglichen Genehmigungsantrag (in der Fassung der Änderung vom 4. Februar 2019) hingewiesen wird.

24 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis Ra 2014/04/0037 nämlich auch klargestellt hat, kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an. Erweist sich das von einer Partei gestellte Anbringen als unklar, ist die Behörde entsprechend den ihr gemäß § 37 in Verbindung mit § 39 AVG obliegenden Aufgaben verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern.

25 Ausgehend davon wäre das BVwG im vorliegenden Fall gehalten gewesen, die erstrevisionswerbende Partei zur Klarstellung dahin aufzufordern, ob der Errichtungswille für das im anhängigen Beschwerdeverfahren gegenständliche Vorhaben nach wie vor aufrecht oder dieser durch die Einbringung des weiteren Genehmigungsantrages weggefallen ist.

26 4. Indem das BVwG dies verkannte und ohne weitere Aufklärung von einem Wegfall des Errichtungswillens für das im anhängigen Beschwerdeverfahren gegenständliche Vorhaben ausging, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

27 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

28 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Der Antrag der zweitrevisionswerbenden Partei (Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde) auf Zuspruch von Aufwandersatz war abzuweisen, weil ein Kostenersatz im Fall der Identität des Rechtsträgers, dem der Kostenersatz aufzuerlegen wäre (Land Niederösterreich), mit jenem Rechtsträger, dem er zuzusprechen wäre, nicht in Betracht kommt (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2014/04/0045, mwN).

Wien, am 21. Juli 2022

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