Normen
AVG §13 Abs8;
B-VG Art130 Abs1 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2014040037.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit Bescheid vom 22. Juli 2013 erteilte die Bezirkshauptmannschaft V der Revisionswerberin unter Vorschreibung von Auflagen die gewerbliche Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Einrichtungshauses samt Nebenanlagen (Lagerflächen, Restaurant und KfZ-Stellplätze) auf einem näher bezeichneten Standort in V.
2 2. In den dagegen von den mitbeteiligten Parteien (als Nachbarn) erhobenen, als Beschwerde zu behandelnden Berufungen wurden Verletzungen in subjektiv-öffentlichen Rechten, wie Belästigungen durch Lärm, Licht, Geruch und Erschütterungen etc. vorgebracht.
3 3. Das mit 1. Jänner 2014 in das Verfahren eingetretene Verwaltungsgericht behob mit dem angefochtenen Erkenntnis den Genehmigungsbescheid ersatzlos und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe am 21. August 2013 bei der Bezirkshauptmannschaft V einen weiteren Antrag auf Erteilung einer gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung am selben Standort eingebracht. Beide Projekte würden die Errichtung eines Möbelmarktes mit jeweils einem Untergeschoß, einem Erdgeschoß und zwei Obergeschoßen vorsehen sowie der Anlieferung und dem Verkauf von Möbel und Einrichtungsgegenständen an Letztverbraucher dienen. Auch in Bezug auf die Zufahrt zum Areal liege Übereinstimmung zwischen den beiden Projekten dahingehend vor, dass die Zufahrt zu den Stellplätzen im südöstlichen Bereich der Liegenschaft vorgesehen sei. Die Anlieferung erfolgte im Osten über die Gemeindestraße und in der Folge Richtung Westen im Bereich des nördlichen Baubereiches. Die Auslieferungszone liege im westlichen Grundstücksbereich. Gegenüber dem verfahrensgegenständlichen Projekt sei das zum späteren Zeitpunkt eingereichte Projekt wesentlich dahingehend abgeändert worden, dass die ursprünglich im Untergeschoß geplante Tiefgarage nicht mehr ausgeführt werde und anstelle dieser eine größere Anzahl von Freistellplätzen errichtet würden sowie gleichzeitig die Grundfläche der Obergeschoße verringert werde. Gegenüber dem chronologisch ersteingereichten Projekt handle es sich somit um eine Änderung derselben, für denselben Zweck gewidmeten gewerblichen Betriebsanlage. Dass es sich bei den dargestellten Projekten der Revisionswerberin bei chronologischer Betrachtung um eine wesentliche Änderung der Anlage handle, ergebe sich zweifelsfrei bereits aus dem Umstand, dass im später eingereichten Projekt eine höhere Anzahl von Stellplätzen im Freien vorgesehen sei. Stellplätze im Freien seien jedenfalls und zweifelsfrei Teile der Betriebsanlage, die einer immissionstechnischen Beurteilung zugeführt werden müssten. Dies gelte unabhängig davon, dass allfällige Luftimmissionen durch die Tiefgarage durch die vorgesehene Änderung wegfielen und sich Immissionsquellen somit veränderten. Lehre und Rechtsprechung gingen in solchen Fällen von einer konkludenten Zurückziehung des ursprünglichen Antrages aus, was zur Folge habe, dass von der Behörde in weiterer Folge ausschließlich über das geänderte Projekt zu entscheiden sei.
An diesem Ergebnis ändere auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nichts, wonach für ein und dieselbe gewerbliche Betriebsanlage nicht Mehrfachgenehmigungen nebeneinander erteilt werden könnten, daraus aber nicht folge, dass pro Standort nicht für miteinander unter Bedachtnahme auf die Tatsbestandsmerkmale des § 81 GewO 1994 in keinem Zusammenhang stehende mehrere Betriebsanlagen je eine Genehmigung erteilt werden dürfte.
Im gegenständlichen Fall stünden hingegen die beiden Projekte bezogen auf die Tatbestandsmerkmale des § 81 GewO 1994 zweifelsfrei in einem Zusammenhang, weil eine (wesentliche) Änderung des ursprünglich eingereichten Projektes, nämlich eines Möbelverkaufsmarktes mit einem Untergeschoß, einem Erdgeschoß und zwei Obergeschoßen, mit identer Zu- bzw. Abfahrtssituation vorliege. Dass es sich auf Grund des völlig unterschiedlichen Betriebskonzepts um verschiedene Projekte handle, könne am Ergebnis nach der geltenden Rechtslage nichts ändern. Ein Betriebskonzept sei nicht wesentlicher Inhalt des Betriebsanlagengenehmigungsverfahrens; vielmehr sei das Immissionsverhalten der die Anlage prägenden bzw. beeinflussenden Projektteile, wie zB das Errichten einer Tiefgarage oder die Vergrößerung einer Parkfläche für Kunden im Freien, maßgeblich. Insgesamt sei daher - unter ausdrücklichem Hinweis auf das über ein in wesentlichen Punkten gegenüber dem verfahrensgegenständlichen Projekt abgeändertes Projekt anhängiges Genehmigungsverfahren - der bekämpfte Bescheid zu beheben gewesen, weil eine Änderung des eingereichten Projektes unter konkludenter Zurückziehung des zugrunde liegenden Antrages vorgelegen sei.
5 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Die erst- bis viert-, die siebt- sowie die acht- und neuntmitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie jeweils die Zurück- bzw. die Abweisung der Revision beantragen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei - mangels "ausreichend deutlicher Rechtsprechung" zur Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen für ein und denselben Standort mehrere (voneinander unabhängige) Betriebsanlagengenehmigungen erteilt werden können - zum unrichtigen Ergebnis gekommen, dass die Revisionswerberin auf Grund ihres zweiten Ansuchens den ersten Genehmigungsantrag zurückgezogen hätte. Die Revision sei auch zulässig, weil das Verwaltungsgericht wesentliche Verfahrensgrundsätze (insbesondere die Bestimmung des § 13 AVG) außer Acht gelassen und aktenwidrige Annahmen getroffen habe. Schließlich trage die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung die im angefochtenen Erkenntnis zum Ausdruck kommende Rechtsansicht nicht, wonach im gegenständlichen Verfahren eine wesentliche Antragsänderung vorgenommen worden wäre, die zu einer konkludenten Zurückziehung des Erstantrages geführt habe. Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und aus den nachstehenden Gründen auch berechtigt.
8 2.1. Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.
9 2.2. Es ist nach § 13 Abs. 8 AVG daher zulässig, dass ein verfahrenseinleitender Antrag in jedem Stadium des Verfahrens geändert werden kann, sofern diese Änderung nicht wesentlich ist. Liegt hingegen eine wesentliche Änderung vor, ist dies als Zurückziehung des ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren. Wo die Grenze zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen verläuft, ist letztlich eine Wertungsfrage; abgesehen von dem im Gesetz ausdrücklich genannten Fall einer dadurch bewirkten Änderung der Zuständigkeiten stellt die hg. Rechtsprechung darauf ab, dass dadurch das Vorhaben in einer für andere Beteiligte nachteiligen Weise oder so geändert wird, dass zusätzliche und neue Gefährdungen entstehen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 9. Dezember 2010, 2007/09/0122, und vom 16. September 2015, Ro 2015/22/0026, sowie den hg. Beschluss vom 14. Oktober 2015, Ra 2015/04/0055). So gilt für den Bereich des Betriebsanlagenrechts, dass Änderungen des Projektes im Zuge des Genehmigungsverfahrens, die nicht geeignet sind, gegenüber dem ursprünglichen Projekt neue oder größere Gefährdungen, Belästigungen usw. im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 herbeizuführen, als gemäß § 13 Abs. 8 AVG nicht wesentliche Antragsänderung zulässig sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. September 2005, 2003/04/0007).
10 Projektsänderungen sind grundsätzlich auch im Berufungsverfahren zulässig (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2015, 2013/05/0004, und vom 5. März 2014, 2011/05/0135). In Hinblick auf § 17 VwGVG in Verbindung mit § 13 Abs. 8 AVG und die vergleichbare Funktion der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gilt dies auch für Änderungen während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. August 2014, Ro 2014/05/0062, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG2 (2014) Rz. 47 zu § 13). Modifikationen des Projektes sind allerdings nur so weit möglich, als nicht der Prozessgegenstand, der den Inhalt des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheids dargestellt hat, ausgewechselt wird. Das Verwaltungsgericht hat also über die Angelegenheit abzusprechen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Ro 2014/05/0062).
11 3.1. Im vorliegenden Fall begründet das Verwaltungsgericht die ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Genehmigungsbescheides damit, dass die Revisionswerberin einen weiteren Antrag auf Erteilung einer gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung am selben Standort gestellt habe. Es handle sich um eine wesentliche Änderung des ursprünglichen Antrages, weshalb dieser als konkludent zurückgezogen gelte und somit der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft ersatzlos zu beheben sei.
12 3.2. Die Revisionswerberin wendet dagegen ein, ihr zweiter Genehmigungsantrag sei vom Verwaltungsgericht zu Unrecht umgedeutet worden. Sie habe nämlich mit ihrer Eingabe vom 28. April 2014 gegenüber dem Verwaltungsgericht klargestellt, dass der erste Genehmigungsantrag unverändert aufrecht bleibe und der Konsens weiterhin für beide Projekte beantragt werde.
3.3. Mit diesem Vorbringen ist die Revisionswerberin im Recht:
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, auf die sich das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall stützt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1997, 95/04/0247, mwN), ist eine wesentliche Antragsänderung (die also das "Wesen" der Sache betrifft) als Stellung eines neuen Antrages unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages zu werten. Erfolgt eine solche Änderung während des Rechtsmittelverfahrens, bewirkt die (konkludente) Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrages den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit nachträglich dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht ist somit angehalten, den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 19. November 2014, Ra 2014/22/0016, mwN).
Voraussetzung für diese Schlussfolgerung ist allerdings, dass der zweite Antrag eine Änderung des ursprünglichen Antrages darstellt. Nur dann kann von einer konkludenten Zurückziehung des ersten Antrages ausgegangen werden.
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärung und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist es der Behörde verwehrt, diesem eine abweichende, eigene Deutung zu geben, selbst wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder unzulässig wäre. Wenn jedoch der Inhalt eines von einer Partei gestellten Anbringens unklar ist, ist die Behörde entsprechend den ihr gemäß § 37 in Verbindung mit § 39 AVG obliegenden Aufgaben verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, 2012/06/0185).
15 Die Revisionswerberin brachte während des zum ersten Antrag anhängigen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht einen weiteren (eigenständigen) Antrag auf Erteilung einer gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung für ein Einrichtungshaus bei der Behörde ein. In der (im Akt befindlichen) Eingabe vom 28. April 2014 führte die Revisionswerberin ausdrücklich aus, dass der erste Genehmigungsantrag unverändert aufrecht bleibe. Das mit dem zweiten Antrag eingereichte Projekt beruhe auf einem völlig anderen Betriebskonzept und unterscheide sich vom ersten Projekt in wesentlichen Punkten. Da im Unternehmen noch nicht entschieden sei, welches der beiden Projekte an diesem Standort ausgeführt werde, beantrage die Revisionswerberin weiterhin den Konsens für beide Projekte.
16 Damit brachte die Revisionswerberin unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie den ersten Antrag aufrecht erhalte und darüber hinaus eine Entscheidung über den zweiten Antrag begehre. Ausgehend von dieser eindeutigen Erklärung der Revisionswerberin ging das Verwaltungsgericht zu Unrecht - entgegen dem erklärten Willen der Revisionswerberin - von einer Antragsänderung unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages aus, weshalb sich die ersatzlose Behebung des Genehmigungsbescheides durch das Verwaltungsgericht mit der dargestellten Begründung als rechtswidrig erweist.
17 4. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
18 5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. September 2016
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