VwGH Ra 2021/02/0147

VwGHRa 2021/02/014722.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des H in N, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 18. März 2021, LVwG‑604234/6/MS, betreffend Übertretungen nach der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land),

Normen

GOG
GOG §89a
GOG §89b
GOG §89d
GOG §89d Abs2
MRK Art6
VStG §51e Abs6
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs6
VwRallg
ZustG §28 Abs3 Z3
ZustG §37 Abs1
ZustG §37a
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020147.L00

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Bestätigung des Spruchpunktes 1. des vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich angefochtenen Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Linz‑Land vom 14. Jänner 2021 sowie im Ausspruch über den Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (belangte Behörde) vom 14. Jänner 2021 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe jeweils am 11. November 2020 1. um 05:20 Uhr das dem Kennzeichen nach bestimmte Kraftfahrzeug an einem näher genannten Ort in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt, 2. und 3. jeweils um 05:27 Uhr mit dem umschriebenen Kraftfahrzeug die auf der Fahrbahn angebrachte Sperrlinie an zwei näher bezeichneten Orten überfahren, und 4. um 05:27 Uhr an der außerhalb des Ortsgebietes gelegenen, näher umschriebenen Stelle mit dem dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeug die in diesem Bereich durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 23 km/h überschritten, wobei die in Betracht kommende Messtoleranz bereits abgezogen worden sei. Der Revisionswerber habe dadurch 1. § 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO, 2. und 3. jeweils § 9 Abs. 1 StVO und 4. § 52 lit. a Z 10a StVO verletzt, weshalb über den Revisionswerber zu Spruchpunkt 1. gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 800,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage), zu Spruchpunkt 2. und 3. jeweils gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in Höhe von je € 90,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 1 Tag und 17 Stunden) und zu Spruchpunkt 4. gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 80,‑‑ verhängt wurde. Zudem wurde ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von € 110,‑‑ festgesetzt und der Revisionswerber zum Ersatz der Barauslagen in Höhe von insgesamt € 956,‑‑ verpflichtet.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab, setzte einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von € 212,‑‑ fest und sprach aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit der die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 VwGG sowie die Aufhebung des angefochtene Erkenntnisses unter Kostenzuspruch wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften begeht wird.

4 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision „als unzulässig, in eventu“ als unbegründet abzuweisen, sowie den Zuspruch von Aufwandersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Die Revision erweist sich als teilweise zulässig und begründet.

6 Das vom Revisionswerber angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, vier verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin vier voneinander unabhängige Spruchpunkte. Auch das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der angelasteten Verwaltungsübertretungen mit der infolge der Abweisung der Beschwerde erfolgten Übernahme dieser Spruchpunkte getrennte Absprüche getroffen (vgl. VwGH 15.10.2019, Ra 2019/02/0109).

7 Liegen - wie hier - trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/02/0165, mwN).

8 Zu II. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B‑VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe von bis zu € 750,‑‑ und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu € 400,‑‑ verhängt wurde.

9 Diese Voraussetzungen treffen für den Abspruch des Verwaltungsgerichtes zu Spruchpunkt 2., 3. und 4. des Straferkenntnisses zu. Mit Spruchpunkt 2. und 3. des Straferkenntnisses wurde über den Revisionswerber wegen Übertretung des § 9 Abs. 1 StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO jeweils eine Geldstrafe in Höhe von € 90,‑‑ bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe, mit Spruchpunkt 4. wegen der Übertretung des § 52 lit. a Z 10a StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 80,‑‑ bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, wobei der Strafrahmen der jeweils anzuwendenden Strafnorm des § 99 Abs. 3 lit. a StVO € 726,‑‑ beträgt und die Verhängung einer primären Freiheitsstrafe nicht vorgesehen ist (vgl. VwGH 14.1.2022, Ra 2021/02/0255, mwN).

10 Soweit das Verwaltungsgericht über die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2., 3. und 4. des Straferkenntnisses entschieden hat, ist die Revision somit gemäß § 25a Abs. 4 VwGG als absolut unzulässig zurückzuweisen.

11 Zu I. Die Revision erweist sich jedoch, soweit sie sich gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses richtet, mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen zur unzulässigen Verkürzung der zweiwöchigen Vorbereitungszeit nach § 44 Abs. 6 VwGVG als zulässig und begründet.

12 Gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG sind die Parteien so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner insofern auf die aktuelle Rechtslage übertragbaren Judikatur zu § 51e Abs. 6 VStG, der Vorgängerbestimmung des § 44 Abs. 6 VwGVG, bereits ausgesprochen, dass dann, wenn die vorgesehene Mindestfrist von zwei Wochen zwischen Zustellung der Ladung und der Verhandlung nicht gewahrt wurde, die Behörde den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, weil nicht gesagt werden kann, dass die Behörde bei Wahrung dieser Mindestfrist nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre, weshalb sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich erweist. Die zweiwöchige Vorbereitungszeit gilt jedenfalls für die erste Verhandlung (vgl. VwGH 11.5.2018, Ra 2017/02/0169, mwN).

14 Das Verwaltungsgericht hat am 4. März 2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wobei die Ladung des Revisionswerbers zur mündlichen Verhandlung seinem Vertreter im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt wurde und sich aus dem Zustellnachweis ergibt, dass das Schriftstück am 19. Februar 2021 zugestellt wurde.

15 Sofern die belangte Behörde in ihrer Revisionsbeantwortung geltend macht, § 89d Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) sei nur für ordentliche Gerichte einschlägig und für Verwaltungsgerichte gelte das ZustG, „speziell im Zusammenhang mit der elektronischen Zustellung § 37 Abs. 1 ZustG“, ist darauf hinzuweisen, dass sich § 37 Abs. 1 ZustG auf elektronische Zustellungen ohne Zustellnachweis bezieht und § 28 Abs. 3 Z 3 ZustG neben der elektronischen Zustellung über eine elektronische Zustelladresse im Sinne des § 37 Abs. 1 oder durch unmittelbare elektronische Ausfolgung gemäß § 37a ZustG überdies auch die Zustellung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß §§ 89a ff GOG zulässt. Nach § 89d Abs. 2 GOG gilt als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten.

16 Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat.

17 Da im vorliegenden Fall die Ladung zur mündlichen Verhandlung dem Vertreter des Revisionswerbers am Freitag, dem 19. Februar 2021 zugestellt wurde, endete die nach § 44 Abs. 6 VwGVG vorgeschriebene zweiwöchige Vorbereitungsfrist mit Ablauf des Freitags, des 5. März 2021 (vgl. VwGH 25.4.2005, 2005/17/0004) und hätte die Verhandlung bis dahin nicht durchgeführt werden dürfen. Die schon am Donnerstag, dem 4. März 2021 abgehaltene Verhandlung erweist sich somit als rechtswidrig. Dies ist dem Unterbleiben einer Verhandlung gleichzuhalten. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. erneut VwGH 11.5.2018, Ra 2017/02/0169, mwN).

18 Das angefochtene Erkenntnis war hinsichtlich des im Spruch genannten Umfangs aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

20  Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Juni 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte