Normen
ÄrzteG 1998 §51 Abs4
AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §56
AVG §59 Abs1
EURallg
VwRallg
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art58 Abs2 litd
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2019040221.J00
Spruch:
Der Revision wird teilweise stattgegeben und das angefochtene Erkenntnis im Umfang des Spruchpunktes A.1. ersatzlos aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision abgewiesen.
Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Aus dem Akteninhalt ergibt sich folgender unstrittiger Sachverhalt:
2 Der Erstrevisionswerber ist Arzt für Allgemeinmedizin. Er gab mit Ablauf des 31. September 2017 seine Kassenplanstelle auf und schloss seine an einer bestimmten Adresse in Wien situierte Ordination. Die Zweitrevisionswerberin ist ebenfalls Allgemeinmedizinerin und eröffnete am 1. Oktober 2017 eine Ordination an einem bestimmten Standort in Wien, der sich in örtlicher Nähe der (vormaligen) Ordinationsräumlichkeiten des Erstrevisionswerbers befindet. Als Kassenplanstellennachfolgerin des Erstrevisionswerbers wurde eine an diesem Revisionsverfahren nicht beteiligte Ärztin bestellt, die am 13. November 2017 eine Ordination an einer anderen Adresse in Wien eröffnete.
3 Mit Aushang im Eingangsbereich seiner Ordination hatte der Erstrevisionswerber seine Patienten seit 4. August 2017 über das bevorstehende Schließen seiner Ordination und über die beabsichtigte Weitergabe der Patientenakten an die Zweitrevisionswerberin informiert. Der Erstrevisionswerber übergab am 1. Oktober 2017 die IT‑gestützt erfasste Dokumentation von 15.444 Patienten (infolge kurz: „Patientendaten“) an die Zweitrevisionswerberin mittels elektronischer Datenübertragung. Die Patienten des Erstrevisionswerbers hatten keine Zustimmung für die Weitergabe ihrer Daten an die Zweitrevisionswerberin erteilt. Die Daten jener Patienten, die der Weitergabe ausdrücklich widersprachen, wurden vom Erstrevisionswerber nicht an die Zweitrevisionswerberin weitergegeben. Diese Daten verwahrt er selbst.
4 Grundlage der Übergabe der Patientendaten war ein zwischen den revisionswerbenden Parteien geschlossener entgeltlicher Vertrag, der vorsah, dass die Verantwortung für die Verwahrung der Patientendaten nach der Übergabe der Zweitrevisionswerberin obliegen sollte. Der Erstrevisionswerber erhielt von der Zweitrevisionswerberin für die übergebenen Daten einen bestimmten Geldbetrag.
5 Die belangte Behörde leitete gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin wegen dieses Sachverhalts amtswegig ein Prüfverfahren ein.
6 2. Verfahrensverlauf:
7 Mit Bescheid vom 1. Juni 2018 stellte die belangte Behörde fest, dass das amtswegige Prüfverfahren berechtigt gewesen sei und der Erstrevisionswerber die in seinen Patientenkarteien erfassten Personen in ihrem Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten dadurch verletzt habe, dass er die Patientenkarteien an die Zweitrevisionswerberin übermittelt habe (Spruchpunkt 1.). Ferner trug die belangte Behörde dem Erstrevisionswerber auf, seine Patientenkarteien der gesetzlich zuständigen Kassenplanstellennachfolgerin binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu übergeben (Spruchpunkt 2.), und trug der Zweitrevisionswerberin auf, alle Patientendaten, die sie vom Erstrevisionswerber erhalten habe, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu löschen und dem Erstrevisionswerber die Patientenkarteien zurückzustellen (Spruchpunkt 3.).
8 Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, gemäß Art. 9 DSGVO sei die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten ‑ wie Gesundheitsdaten ‑ untersagt. § 51 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 stelle zwar eine nationale Regelung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. h DSGVO dar, welche eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten zur Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits‑ oder Sozialbereich erlaube. Aus dieser Bestimmung sei aber nicht ableitbar, dass der bisherige Ordinationsstätteninhaber befugt sei, seine Dokumentationsunterlagen an andere Empfänger außer den Kassenplanstellen‑ oder Ordinationsstättennachfolger zu übermitteln. Zweck der Regelung sei die kontrollierte Weitergabe und der damit einhergehende Schutz sensibler Patientendaten. Mangels Rechtsgrundlage für die Weitergabe sei eine Verletzung im Recht auf Geheimhaltung nach § 1 Abs. 1 DSG 2000 indiziert. Die Verarbeitung verstoße überdies gegen Art. 5 Abs. 1 lit. a und f DSGVO.
9 3. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gemeinsam ausgeführten Beschwerde der beiden Revisionswerber teilweise Folge, behob Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheids ersatzlos und änderte die Spruchpunkte 1. und 3. des bekämpften Bescheids dahingehend ab, dass es insgesamt zu lauten habe, es werde festgestellt, dass der Erstrevisionswerber, indem er am 1. Oktober 2017 15.444 Patientenkarteien an die Zweitrevisionswerberin übermittelt habe, die in ihnen erfassten Patienten im Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten verletzt habe (Spruchpunkt A.1. des angefochtenen Erkenntnisses). Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, die Zweitrevisionswerberin habe binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution die in Spruchpunkt A.1. genannten Karteien an den Erstrevisionswerber zurückzustellen und im Anschluss zu löschen (Spruchpunkt A.2. des angefochtenen Erkenntnisses).
10 Unter einem erklärte das Bundesverwaltungsgericht die ordentliche Revision für zulässig (Spruchpunkt B).
11 Ausgehend von den eingangs dieser Entscheidung dargestellten unstrittigen Feststellungen führte das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht ‑ soweit in Hinblick auf die unangefochtene ersatzlose Behebung des Spruchpunktes 2. des bekämpften Bescheids für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ begründend aus, die Verarbeitung von Gesundheitsdaten einer natürlichen Person sei gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO untersagt. Eine Ausnahme gelte für die Verarbeitung für Zwecke der Gesundheitsvorsorge, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits‑ oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits‑ oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedsstaats, sofern diese Daten von Fachpersonal oder unter dessen Verantwortung verarbeitet werden und dieses Fachpersonal nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen dem Berufsgeheimnis unterliege (Art. 9 Abs. 3 DSGVO). § 51 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 regle den Umgang mit Patientendaten im Falle der Aufgabe einer Kassenplanstelle bzw. einer Ordinationsstätte. Als zulässige Empfänger der Patientendaten würden dort der Kassenplanstellennachfolger und ‑ falls ein solcher nicht vorhanden sei ‑ der Ordinationsstättennachfolger genannt. Sollte ein ärztlicher Nachfolger bei der Auflösung der Ordinationsstätte fehlen, habe der bisherige Ordinationsstätteninhaber die Patientendaten aufzubewahren. Eine Weitergabe der Patientendaten an andere Ärzte als den Kassenplanstellen‑ oder den Ordinationsstättennachfolger sei nicht vorgesehen. Bei der Zweitrevisionswerberin handle es sich weder um eine Kassenplanstellennachfolgerin noch um eine Ordinationsstättennachfolgerin. Eine Interpretation dahingehend, dass § 51 Abs. 4 Ärztegesetz 1998 die Weitergabe auch an Ärzte erlaube, die weder Kassenplanstellen‑ noch Ordinationsstättennachfolger seien, würde mangels ausreichender Klarheit und präziser Bezeichnung vor dem Hintergrund des Erwägungsgrundes 41 zur DSGVO in Widerspruch zum Unionsrecht stehen. Die Ausweitung der möglichen Empfänger von Patientendaten im Falle der Aufgabe einer Ordinationsstätte auf weitere Ärzte sei nicht erforderlich, um sicherzustellen, dass Patientendaten nicht verloren gingen. Im Gegenteil würde es dem Patienten erschwert werden, jenen Arzt ausfindig zu machen, der seine Daten erhalten hätte. Die Differenzierung zwischen Kassenplanstellen‑ und Ordinationsstättennachfolgern einerseits und anderen Ärzten sei daher sachlich gerechtfertigt.
12 Die belangte Behörde habe aus diesem Grund die Rechtswidrigkeit der Übergabe der Patientendaten vom Erstrevisionswerber an die Zweitrevisionswerberin zu Recht festgestellt. Die Feststellung der Rechtsverletzung sei jedoch auf jene Patienten einzuschränken, deren Daten tatsächlich an die Zweitrevisionswerberin übergeben worden seien.
13 Wegen der rechtswidrigen Übermittlung der Patientenkarteien habe die belangte Behörde die Revisionswerber gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. d DSGVO anzuweisen gehabt, die Datenverwendung mit der DSGVO in Einklang zu bringen. Aus diesem Grund sei der Zweitrevisionswerberin aufzutragen, die Patientendaten an den Erstrevisionswerber zurückzustellen und im Anschluss zu löschen.
Die Revision sei wegen des Fehlens von Rechtsprechung zu § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 zulässig.
14 4. Mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1807/2019‑5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die von den Revisionswerbern gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobene Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
15 Erkennbar gegen die Spruchpunkte A.1. und A.2. ‑ nicht jedoch gegen die ersatzlose Behebung des Spruchpunktes 2. des bekämpften Bescheids ‑ richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
16 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Die Revision ist aus den bereits vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, auf welche sich die Revision beruft, zulässig und berechtigt.
18 5.1. Maßgebliche Rechtslage:
19 5.1.1. Art. 58 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz‑Grundverordnung; DSGVO) lautet auszugsweise:
„Artikel 58
Befugnisse
(1) Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Untersuchungsbefugnisse, die es ihr gestatten,
...
(2) Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten,
a) einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter zu warnen, dass beabsichtigte Verarbeitungsvorgänge voraussichtlich gegen diese Verordnung verstoßen,
b) einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter zu verwarnen, wenn er mit Verarbeitungsvorgängen gegen diese Verordnung verstoßen hat,
c) den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, den Anträgen der betroffenen Person auf Ausübung der ihr nach dieser Verordnung zustehenden Rechte zu entsprechen,
d) den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen,
e) den Verantwortlichen anzuweisen, die von einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten betroffenen Person entsprechend zu benachrichtigen,
f) eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen,
g) die Berichtigung oder Löschung von personenbezogenen Daten oder die Einschränkung der Verarbeitung gemäß den Artikeln 16, 17 und 18 und die Unterrichtung der Empfänger, an die diese personenbezogenen Daten gemäß Artikel 17 Absatz 2 und Artikel 19 offengelegt wurden, über solche Maßnahmen anzuordnen,
h) eine Zertifizierung zu widerrufen oder die Zertifizierungsstelle anzuweisen, eine gemäß den Artikel 42 und 43 erteilte Zertifizierung zu widerrufen, oder die Zertifizierungsstelle anzuweisen, keine Zertifizierung zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für die Zertifizierung nicht oder nicht mehr erfüllt werden,
i) eine Geldbuße gemäß Artikel 83 zu verhängen, zusätzlich zu oder anstelle von in diesem Absatz genannten Maßnahmen, je nach den Umständen des Einzelfalls,
j) die Aussetzung der Übermittlung von Daten an einen Empfänger in einem Drittland oder an eine internationale Organisation anzuordnen.
(3) ...“
20 5.1.2. § 51 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) idF BGBl. I Nr. 105/2019 lautet auszugsweise:
„Dokumentationspflicht und Auskunftserteilung
§ 51. (1) Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten und der zur Identifizierung dieser Arzneispezialitäten und der jeweiligen Chargen im Sinne des § 26 Abs. 8 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, erforderlichen Daten zu führen und hierüber der beratenen oder behandelten oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. In Fällen eines Verdachts im Sinne des § 54 Abs. 4 sind Aufzeichnungen über die den Verdacht begründenden Wahrnehmungen zu führen. Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten Einsicht in die Dokumentation zu gewähren oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Abschriften zu ermöglichen.
...
(3) Die Aufzeichnungen sowie die sonstigen der Dokumentation im Sinne des Abs. 1 dienlichen Unterlagen sind mindestens zehn Jahre aufzubewahren.
(4) Der Kassenplanstellennachfolger, sofern ein solcher nicht gegeben ist der Ordinationsstättennachfolger, hat die Dokumentation von seinem Vorgänger zu übernehmen und für die der Aufbewahrungspflicht entsprechende Dauer aufzubewahren. Er darf sie nur mit Einwilligung des betroffenen Patienten zur Erbringung ärztlicher Leistungen verwenden. Bei Auflösung der Ordinationsstätte ohne ärztlichen Nachfolger ist die Dokumentation vom bisherigen Ordinationsstätteninhaber für die der Aufbewahrungspflicht entsprechende Dauer aufzubewahren. Gleiches gilt für die Tätigkeit als Wohnsitzarzt.
...“
21 Die Materialien zu § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 (RV 629 BlgNR 21. GP 53 f) lauten auszugsweise:
„Zu Z 46 (§ 51 Abs. 4 und 5): Das rechtliche Schicksal der von einem Arzt geführten Aufzeichnungen bei Einstellung seines Berufes ist derzeit völlig ungeregelt. Diese Lücke wurde wiederholt kritisiert. Im Sinne des Patientenwohles, aber auch im öffentlichen Interesse und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechend, ist es nicht zweckmäßig, dass diese besonders sensiblen Daten nach Auflösung oder Übernahme einer Ordination verloren gehen. Vielmehr sollte durch diese Bestimmung eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, dass der Ordinationsstättennachfolger oder der Kassenplanstellennachfolger die genannten Daten übernehmen muss und allenfalls auch verwenden darf. Allerdings sollte dem betroffenen Patienten ein Widerspruchsrecht gegen die Verwendung der Patientendaten eingeräumt werden. Überdies steht der nachfolgende Arzt seinerseits unter dem strengen, sogar strafrechtlich geschützten Gebot der ärztlichen Verschwiegenheit. Dies wird insbesonders bei fachfremder Übernahme zum Tragen kommen. Die Übertragungsmöglichkeit sollte sich aber nicht nur auf den Ordinationsstättennachfolger, sondern auch auf den Kassenplanstellennachfolger, auch wenn dessen Ordinationsstätte nicht exakt an derselben Adresse liegt, beziehen.
Weiters scheint es aus datenschutzrechtlicher Sicht sinnvoll, die Patienten über die Übernahme der Patientendokumentation zu informieren, da es sich bei einer solchen um besonders sensible Gesundheitsdaten handelt, die auf Grund des Vertrauensverhältnisses Arzt/Patient erstellt und vom Arzt aufbewahrt wurden.
Im Falle des Ablebens des bisherigen Ordinationsstätteninhabers ist auch die Aufbewahrung der der Dokumentationspflicht entsprechenden Unterlagen durch nichtärztliche Rechtsnachfolger, jedoch unter strenger Wahrung des Datenschutzes, möglich. Dies liegt auch im Interesse der Rechtsnachfolger, wies doch bei der Vorbereitung dieser Novelle die Österreichische Ärztekammer auf gerichtliche Entscheidungen hin, wonach Erben eine Haftung für einen Kunstfehler des verstorbenen Arztes auferlegt wurde. Daher ist schon in deren Interesse vorzusehen, dass sie aus Beweissicherungsgründen auf die Dokumentationsunterlagen zurückgreifen können. (...)“
22 5.2.1. Zur ersatzlosen Behebung des Spruchpunktes A.1. des angefochtenen Erkenntnisses:
23 Vorweg ist festzuhalten, dass die Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses insofern trennbar sind, als der in Spruchpunkt A.1. enthaltene Abspruch als solcher keine notwendige Grundlage für Spruchpunkt A.2. bildet. Die Ausübung der Abhilfebefugnis gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. d DSGVO setzt nämlich keinen selbstständigen Abspruch betreffend die Feststellung des Vorliegens einer datenschutzrechtlich relevanten Rechtsverletzung voraus. Spruchpunkt A.2. kann sohin ungeachtet der Beseitigung von Spruchpunkt A.1. ‑ selbstständig ‑ rechtlichen Bestand haben.
24 5.2.2. Die belangte Behörde übte fallgegenständlich die ihr durch Art. 58 Abs. 2 lit. d DSGVO eingeräumte Abhilfebefugnis aus, den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter anzuweisen, Verarbeitungsvorgänge gegebenenfalls auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums im Einklang mit dieser Verordnung zu bringen. Schon aus systematischen Gründen setzt die Ausübung der genannten Abhilfebefugnis demnach zwar voraus, dass die Aufsichtsbehörde im Zuge der Wahrnehmung geeigneter Untersuchungsbefugnisse den maßgeblichen Sachverhalt ermittelt und einen durch die in Frage stehenden Datenverarbeitungsvorgänge bedingten Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO festgestellt hat (vgl. Polenz in Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg), Datenschutzrecht (2019) Art. 58, Rz. 33).
25 Die in Spruchpunkt A.1. des angefochtenen Erkenntnisses enthaltene Feststellung, wonach fallbezogen die Übermittlung der Patientenkarteien durch den Erstrevisionswerber an die Zweitrevisionswerberin die in der Kartei erfassten Patienten im Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten verletzt habe, mag daher eine inhaltliche Voraussetzung für die in Spruchpunkt A.2. ausgesprochene Anweisung sein. Anders als die belangte Behörde ‑ und dieser folgend das Verwaltungsgericht ‑ offenbar vermeint, bietet Art. 58 Abs. 2 lit. d DSGVO jedoch keine rechtliche Grundlage für einen gesonderten Abspruch in Form der Feststellung der Rechtsverletzung, die den jeweiligen Anlass für die Abhilfeentscheidung bildet (vgl. VwGH 14.12.2021, Ro 2020/04/0032, und VwGH 8.2.2022, Ro 2021/04/0033).
26 Die belangte Behörde hat mit dem vom Verwaltungsgericht in seinem Spruchpunkt A.1. bestätigten Ausspruch sohin eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr vom Gesetz nicht eingeräumt ist. Diese Überschreitung der Zuständigkeit der belangten Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts ist aus Anlass der Revision von Amts wegen wahrzunehmen und der betreffende Spruchpunkt ersatzlos zu beheben (vgl. § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG).
27 5.3. Zur Rückstellungsverpflichtung durch die Zweitrevisionswerberin:
28 5.3.1. Die Revision bringt vor, zum Zeitpunkt der Schließung der Ordination durch den Erstrevisionswerber habe es weder eine/n Kassenplanstellennachfolger/in noch eine/n Ordinationsstättennachfolger/in gegeben. Die Zweitrevisionswerberin sei jedoch die ärztliche Nachfolgerin des Erstrevisionswerbers. Auch sei es der ausdrückliche Wunsch vieler Patienten gewesen, dass der Erstrevisionswerber die Weiterbehandlung durch eine/n Arzt/Ärztin seines Vertrauens sicherstelle.
29 Der Begriff „Ordinationsstättennachfolger“ sei verfassungskonform zu interpretieren und habe sich auf das Unternehmen bzw. das Tätigsein eines Arztes/einer Ärztin zu beziehen, die das „lebende Unternehmen Arztpraxis“ übernehme bzw. weiterführe. Im vorliegenden Fall sei daher die Zweitrevisionswerberin als „faktische Ordinationsstättennachfolgerin“ des Erstrevisionswerbers anzusehen.
30 5.3.2. Da unstrittig keine Einwilligung der betroffenen Patienten zur Weitergabe der Patientendaten vorlag, könnte im vorliegenden Fall nur die gesetzliche Bestimmung des § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 die Weitergabe der Patientendaten an die Zweitrevisionswerberin rechtfertigen. Die Zweitrevisionswerberin ist unstrittig nicht Kassenplanstellennachfolgerin des Erstrevisionswerbers, weshalb der entsprechende Rechtfertigungstatbestand nicht zum Tragen kommt. Sie ist allerdings ‑ wie bereits das Bundesverwaltungsgericht zutreffend ausführt ‑ auch nicht Ordinationsstättennachfolgerin: Schon dem Wortlaut nach bezeichnet § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 einen Arzt, der in den Räumlichkeiten eines Arztes seinerseits eine Arztpraxis weiterführt. Insofern die Revision darauf hinweist, dass die Begriffe „Ordination“ und „Praxis“ in der Alltagssprache das lebende Unternehmen und das Tätigsein eines Arztes/einer Ärztin bezeichnen, unterstreicht dies bloß die rechtliche Schlussfolgerung, dass der Gesetzgeber mit der Wortwahl in § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 auf die Nachfolge in der Ordinationsstätte als der Räumlichkeit abstellen wollte. Auch die Gesetzesmaterialien machen deutlich, dass der Gesetzgeber ganz bewusst die Ordinationsstätte als die räumliche Situierung des die Daten generierenden Arztes verstehen wollte, sprechen doch die Erläuterungen davon, dass sich die Übertragungsmöglichkeit auf den Kassenplanstellennachfolger beziehen soll, auch wenn dessen Ordinationsstätte nicht exakt an derselben Adresse liege (RV 629 BlgNR 21. GP 53).
31 Der angestrebte Zweck der Regelung, der nicht nur die Aufbewahrung der Patientendaten umfaßt, sondern auch sicherstellen soll, dass die betroffenen Patienten im Falle des Bedarfs der Daten - etwa für eine Weiterbehandlung - in der Lage sind, den Aufbewahrungsort ohne langwierige Recherchen auch aufzufinden, schließt eine Interpretation dieser Wortwahl im Sinne der Revisionsausführungen aus. Der Sicherstellung der Verfügbarkeit der für eine spätere Behandlung der betroffenen Patienten allenfalls notwendigen Daten ist es nämlich gerade nicht dienlich, das Schicksal derselben von einem voluntativen Element abhängig zu machen, dem etwa ‑ wie es die Revision anspricht ‑ eine „ökonomisch motivierte Unternehmensablöse“ zugrunde liegt. Der sicherzustellenden Auffindbarkeit durch den betroffenen Patienten ist nämlich nur dann gedient, wenn der Kreis der die Daten aufbewahrenden Personen von vornherein eindeutig festgelegt ist, was das Gesetz durch die Bezeichnung des Kassenplanstellennachfolgers und ‑ subsidiär ‑ des Ordinationsstätteninhabers gewährleisten will. Dieses Interesse der betroffenen Patienten rechtfertigt sachlich die Differenzierung zwischen einem Kassenplanstellennachfolger und einem Ordinationsstättennachfolger einerseits und anderen „ärztlichen Nachfolger/innen“, die ein ärztliches Unternehmen übernehmen bzw. weiterführen andererseits. Die ökonomischen Vorteile einer Ordinationsübernahme hat § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 nicht vor Augen. Insofern die Revision die Gleichheitswidrigkeit dieser Regelung moniert, ist sie im Übrigen auf den Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 11. Juni 2019 zu verweisen.
32 5.3.3. Insofern die Revision ferner ausführt, der Gesetzgeber habe es unterlassen, an andere denkbare ärztliche Nachfolger zu denken und diese zur Übernahme der ärztlichen Dokumentation zu ermächtigen, und dass es angesichts der dramatischen Zunahme insbesondere von Wahlärzten geboten sei, diese offensichtlich planwidrige Lücke durch Analogie zu schließen, ist ihr wiederum entgegenzuhalten, dass § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 nicht die Frage der Auswahl der Weiterbehandlung des Patienten betrifft, sondern die Sicherstellung der gesammelten Gesundheitsdaten bezweckt. Dieser Regelungszweck verlangt ‑ wie schon oben ausgeführt ‑ einen von vornherein festgelegten Kreis an Personen, die zur Verwahrung der Daten verpflichtet und für einen betroffenen Patienten leicht auffindbar sind, und nicht den Verweis auf einen für den Patienten unübersehbaren möglichen Kreis an Ärzten/Ärztinnen, die für die Weiterbehandlung der betroffenen Patienten auf demselben oder anderen medizinischen Gebieten in Frage kommen. Gerade auch der Auffindbarkeit der Daten ist mit der Verknüpfung an die Ordinationsstätte gedient, weil ein betroffener Patient ‑ jedenfalls in aller Regel ‑ die Räumlichkeiten kennt, in denen er eine medizinische Behandlung erfahren hat, sodass eine allfällige Nachfrage durch den Patienten an der ihm bekannten Ordinationsadresse naheliegend ist.
33 Überdies könnte die von der Revision präferierte Auslegung dazu führen, dass Teile der Patientendaten an einen bestimmten Arzt, der andere Teil der Patientendaten an weitere Ärzte oder Ärztinnen weitergegeben würden, was letztlich zu einer von außen nicht einsehbaren Unübersichtlichkeit der Verteilung der Patientendaten führen könnte. Ein solches Ergebnis würde den Zweck der Regelung konterkarieren.
34 § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 beinhaltet zudem eine Verpflichtung zur Übernahme der Daten durch den Ordinationsstätteninhaber subsidiär zu der des Kassenplanstellennachfolgers. Auch das ist ein Grund dafür, den Begriff des Ordinationsstätteninhabers nicht ausdehnend im Sinne der Revisionsausführungen auszulegen.
35 5.3.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 mit dem Begriff des Ordinationsstättennachfolgers diejenige Person bezeichnet, die als ärztlicher Nachfolger in derselben Ordinationsstätte seines Vorgängers praktiziert. Eine Ausdehnung dieses Begriffs auf einen Arzt/einer Ärztin, der/die nicht Kassenplanstellennachfolger/in ist und in anderen Räumlichkeiten eine (Weiter)behandlung der Patienten anbietet, ist aus § 51 Abs. 4 ÄrzteG 1998 nicht abzuleiten.
36 Die Revision war daher im Umfang der Anfechtung des Spruchpunktes A.2., der die von der Behörde zur Abstellung des in datenschutzrechtlicher Hinsicht rechtswidrigen Verhaltens getroffene Anweisung umfasst, abzuweisen (§ 42 Abs. 1 VwGG).
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht, ein Tribunal im Sinn des Art. 6 EMRK bzw. ein Gericht im Sinn des Art. 47 GRC, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.
37 5.5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, insb. § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2022
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