Normen
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs5
EURallg
FSVG §2 Abs2 Z1
VwGG §34 Abs1
11992E141 EGV Art141
12010E157 AEUV Art157
12010P/TXT Grundrechte Charta Art25
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf
61970CJ0080 Defrenne VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2018080022.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Unstrittig ist, dass der 1949 geborene Revisionswerber, ein Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie sowie ordentliches Mitglied der österreichischen Ärztekammer, zunächst von Jänner 1984 bis Februar 2010 eine Kassenordination führte, seit März 2010 eine Wahlarztordination führt und vorwiegend als Sachverständiger freiberuflich selbständig erwerbstätig ist sowie seit November 2014 von der belangten Behörde (im Folgenden: Behörde) eine Alterspension bezieht.
1.2. Mit Kontoauszug vom 23. Jänner 2016 schrieb die Behörde dem Revisionswerber vorläufige Beiträge in der Pensions- und Unfallversicherung nach dem FSVG für das erste Quartal 2016 von € 3.429,33 vor.
Mit Antrag vom 23. Februar 2016 begehrte der Revisionswerber die Feststellung, dass er ab dem 1. Jänner 2015 nicht mehr der Pflichtversicherung (insbesondere) in der Pensionsversicherung nach dem FSVG unterliege. Er führte dazu aus, die gesetzliche Regelung, wonach er trotz Erreichen des Regelpensionsalters und Bezug einer Alterspension weiterhin Pensionsbeiträge zu zahlen habe, sei verfassungswidrig, zumal den Beiträgen keine zu erwartende adäquate Gegenleistung gegenüberstehe bzw. ein Leistungsanfall nicht einmal theoretisch möglich sei.
1.3. Mit Bescheid vom 20. Juni 2016 (im Folgenden: Bescheid I) sprach die Behörde aus, dass der Revisionswerber aufgrund der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Zeitraum vom 1. Jänner 1984 bis laufend der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem FSVG unterliege. Mit Bescheid vom 21. Juni 2016 (im Folgenden: Bescheid II) stellte die Behörde die monatliche Beitragsgrundlage in der Pensionsversicherung nach dem FSVG im Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. März 2016 mit vorläufig € 5.670,‑‑ fest und verpflichtete den Revisionswerber zur Leistung eines monatlichen Beitrags zur Pensionsversicherung von vorläufig € 1.134,‑‑.
2 2.1. Die vom Revisionswerber gegen die Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 7. Juni 2017 als unbegründet ab (die Entscheidung betreffend den Bescheid I traf es dabei mit der Maßgabe, dass sich der Ausspruch lediglich auf den Zeitraum vom 1. Jänner 2015 bis zumindest zum 20. Juni 2016 beziehe).
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht führte im Erkenntnis betreffend den Bescheid I (im Folgenden: Erkenntnis I) im Wesentlichen aus, der Revisionswerber erfülle nach dem unstrittigen Sachverhalt die Voraussetzungen für die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 2 Z 1 FSVG, ein Ausnahmetatbestand gemäß § 5 FSVG sei nicht verwirklicht. Die vom Revisionswerber behauptete Verfassungswidrigkeit, weil den Pensionsbeiträgen keine zu erwartende adäquate Gegenleistung gegenüberstehe bzw. ein Leistungsanfall nicht einmal theoretisch möglich sei, liege nicht vor. Die Pflichtversicherten in der gesetzlichen Sozialversicherung bildeten eine Risken‑ und Solidargemeinschaft, bei welcher der Versorgungsgedanke im Vordergrund stehe und keine Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistung bestehe, sodass es in manchen Fällen trotz Pflichtversicherung zu keinem Leistungsanfall kommen könne. Es begegne daher keinen Bedenken in Bezug auf das Gleichheitsgebot, Pensionisten, die bereits eine Alterpension bezögen, aufgrund einer versicherungspflichtigen Tätigkeit weiterhin mit Beiträgen zu belasten, möge es auch in Hinkunft zu keinem Pensionsanfall kommen. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers sei eine nicht sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung auch mit Blick auf § 5 Z 2 FSVG nicht zu sehen. Es obliege dem Gesetzgeber, bei einer Mehrfachversicherung Ausnahmen von der Pflichtversicherung zu normieren, eine solche Ausnahme sei in § 5 Z 2 FSVG für Dienstverhältnisse zu öffentlich‑rechtlichen Körperschaften, aus denen ein Ruhe‑ und Versorgungsgenuss bezogen werde bzw. eine diesbezügliche Anwartschaft bestehe, vorgesehen. Da es sich beim Pensionsbezug des Revisionswerbers um eine Versorgungsleistung im System der Sozialversicherung handle, der Ruhegenuss hingegen ein öffentlich‑rechtliches Entgelt des Dienstgebers darstelle, liege eine tiefgreifende Verschiedenheit der Rechtsgebiete und ein wesensmäßiger Unterschied zwischen den Leistungen vor. Was die ferner behauptete Altersdiskriminierung betreffe, so sei auch eine solche nicht zu sehen, werde doch eine selbständige Erwerbstätigkeit auf Grund des Erreichens des Pensionsalters weder untersagt bzw. erschwert, noch würden höhere Beiträge (im Vergleich mit jüngeren Ärzten) verrechnet. Der Umstand allein, dass den Pensionsbeiträgen voraussichtlich kein Leistungsanfall gegenüberstehe, stelle keinen erschwerten Zugang zur Erwerbstätigkeit dar.
2.3. Das Erkenntnis betreffend den Bescheid II (im Folgenden: Erkenntnis II) begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass auf Grund des Erkenntnisses I die Pflichtversicherung feststehe, sodass die Beitragseinhebung dem Grunde nach zu Recht erfolge. Die Höhe der vorläufigen Beitragsgrundlage und monatlichen Beiträge sei nicht beanstandet worden, es bestünden auch keine Anhaltspunkte, dass die Berechnungen unrichtig wären.
2.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 3.1. Gegen diese Erkenntnisse erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2017, E 2421/2017‑6 und E 2422/2017‑5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
3.2. Daraufhin erhob der Revisionswerber die hier gegenständliche ‑ Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende ‑ außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. das Fehlen einer solchen Rechtsprechung in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG wird jedoch nicht aufgezeigt.
4 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 5.1. Der Revisionswerber macht geltend, die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, wonach die gesetzliche Sozialversicherung keine Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistung erfordere, weshalb keine Bedenken bestünden, dass es in manchen Fällen trotz Pflichtversicherung zu keiner Leistung komme, sei hier nicht einschlägig, zumal ein Leistungsanfall nicht einmal theoretisch möglich sei.
5.2. Soweit der Revisionswerber mit diesem Vorbringen die Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Bestimmungen des FSVG wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots behauptet, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof für die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen nicht zuständig ist. Es kann daher (auch) das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht mit der Frage der Verfassungskonformität der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen begründet werden (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 15.11.2019, Ra 2018/08/0213, mwN).
5.3. Im Übrigen ist auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs im Ablehnungsbeschluss vom 24. November 2017 zu verweisen. Demnach ist in der gesetzlichen Sozialversicherung „der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung [verstanden als Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung] zurückgedrängt, sodass es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, Pensionisten, die eine pensionsversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben, weiterhin mit Pensionsversicherungsbeiträgen zu belasten, mag es auch künftig zu keinem Pensionsanfall kommen (vgl. etwa VfSlg. 16.200/2001 mwN; vgl. im Übrigen die nachträgliche Berücksichtigung der entrichteten Beiträge für die Pensionshöhe gemäß § 143 GSVG; ...)“.
6 6.1. Der Revisionswerber releviert weiters, § 2 Abs. 2 Z 1 FSVG stehe im Widerspruch zur Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000, der zufolge eine verbotene Altersdiskriminierung vorliege, weil er trotz Erreichen des Regelpensionsalters und Bezug einer Alterspension weiterhin Beiträge zahlen müsse, ohne jemals einen Leistungsanfall erwarten zu können.
6.2. Zu diesem Vorbringen reicht es, darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) hier nicht zur Anwendung kommt und sich der Revisionswerber daher nicht mit Erfolg auf sie berufen kann.
Die Richtlinie findet nämlich keine Anwendung auf die Sozialversicherungs‑ und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt im Sinn des Art. 141 EGV (nunmehr Art. 157 AEUV) gleichgestellt werden (siehe Erwägungsgrund (13) der Richtlinie). Leistungen aus gesetzlichen Altersversorgungssystemen und die Beiträge hierzu, die ‑ wie auch im hier gegenständlichen Fall ‑ nicht als Arbeitsentgelt im vorgenannten Sinn zu verstehen sind, zumal die sozialrechtliche gegenüber der arbeitsrechtlichen Komponente überwiegt, fallen daher nicht unter die Richtlinie (vgl. näher EuGH 25.5.1971, Defrenne I, 80/70; Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg), AEUV6 Art. 157 Rn. 7 mwN).
6.3. Der Revisionswerber erachtet sich weiters durch die Regelung des § 5 Z 2 FSVG als diskriminiert. Insofern genügt es, auf den Hinweis im Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs „zur sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung öffentlich Bediensteter aus dem Grund der Gleichwertigkeit einer anderweitigen Versorgung“ (mit Berufung auf VfSlg. 17.260/2004) zu verweisen.
7 7.1. Der Revisionswerber macht ferner geltend, es liege ‑ zumal ihm durch § 2 Abs. 2 Z 1 FSVG die weitere Teilnahme am Berufsleben „erheblich erschwert“ werde ‑ ein Verstoß gegen Art. 25 GRC vor. Die Charta komme zur Anwendung, weil ein unionsrechtlich geregelter Fall vorliege, da die betreffenden nationalen Bestimmungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fielen.
7.2. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob von einer unionsrechtlich geregelten Fallgestaltung und damit von der Geltung der Charta auszugehen ist (deren Ableitung im Wege der Richtlinie 2000/78/EG käme jedenfalls nicht in Betracht; vgl. dazu schon Pkt. 6.2.), wäre doch selbst bei Anwendung des Art. 25 GRC für den Standpunkt des Revisionswerber nichts gewonnen.
Nach Art. 25 GRC haben ältere Menschen ein Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben sowie auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. Unter Letzterem ist (insbesondere) zu verstehen, dass älteren Menschen im Sinn eines Schutzes vor Altersdiskriminierung weiterhin ein Recht auf gleiche Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben zukommt, das auch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit inkludieren kann (vgl. Fuchs in Holoubek/Lienbacher, GRC‑Komm² Art. 25 Rn. 21, 23).
Vorliegend wird freilich nicht konkret ausgeführt und ist auch nicht zu sehen, inwiefern dem Revisionswerber infolge seines Alters die weitere Teilnahme am Berufsleben erschwert würde. Allein der Umstand, dass er trotz Bezug einer Alterspension aufgrund der Ausübung einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit weiterhin mit Pensionsbeiträgen belastet ist, führt ‑ selbst bei ungewissem künftigen Leistungsanfall ‑ nicht dazu, dass er altersbedingt gegenüber jüngeren Menschen, die ebenso Beiträge in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zahlen müssen, diskriminiert wäre bzw. ihm die weitere Ausübung einer Erwerbstätigkeit erschwert würde.
8 8. Im Hinblick auf die hinreichend klare Rechtslage ist es auch nicht erforderlich, im Sinn der Anregung in der Revision mit einer Vorlage nach Art. 267 AEUV an den EuGH wegen der geäußerten Bedenken gegen die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 1 FSVG heranzutreten.
9 9. In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Wien, am 9. Mai 2022
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