VwGH Ra 2021/22/0047

VwGHRa 2021/22/004729.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A U in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27. Jänner 2021, Zl. VGW‑151/082/11829/2020‑4, betreffend Nichtigerklärung einer Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Inneres), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art6
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220047.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 5. Juni 2020 sprach der Bundesminister für Inneres aus, dass die Aufenthaltskarte, die dem Revisionswerber ‑ im Hinblick auf seine Ehe mit einer in Österreich erwerbstätigen rumänischen Staatsangehörigen ‑ durch den Magistrat der Landeshauptstadt Linz zu einer näher genannten Geschäftszahl mit Gültigkeit von 21. Dezember 2016 bis 20. Dezember 2021 ausgestellt worden sei, gemäß § 68 Abs. 4 Z 4 AVG in Verbindung mit § 3 Abs. 5 Z 3 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) als nichtig erklärte werde.

2 Ihre Entscheidung begründete die Behörde im Wesentlichen dahin, dass es sich einerseits um eine Aufenthaltsehe handle und andererseits die rumänische Ehegattin des Revisionswerbers, die lediglich drei Monate in Österreich verbracht habe, im Bundesgebiet nie eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Die im behördlichen Verfahren vorgelegten Lohnzettel seien lediglich auf deren Namen ausgestellt worden. Tatsächlich sei aber der Revisionswerber den betreffenden Tätigkeiten nachgegangen.

3 Der Revisionswerber erhob Beschwerde. In dieser bestritt er pauschal, ohne auf die von der Behörde in ihrer Beweiswürdigung aufgezeigten Argumente einzugehen, eine Aufenthaltsehe geschlossen zu haben. Es habe sich um eine authentische Ehe gehandelt. Das Strafverfahren, das nach § 117 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) geführt worden sei, sei eingestellt worden. Es sei nicht verständlich, weshalb der Bundesminister für Inneres vermeine, die Staatsanwaltschaft „overrulen“ zu können. Dazu, dass die Ehegattin des Revisionswerbers nach den Feststellungen der Behörde, die auf den eigenen Angaben des Revisionswerbers sowie seiner Ehegattin beruhten, in Österreich nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, und dem Aspekt, dass auch insofern von einem Erschleichen der Aufenthaltskarte auszugehen sei, enthielt die Beschwerde keine Ausführungen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5 Das Gericht schloss sich der Auffassung der Behörde an, wonach der Revisionswerber bei Beantragung der Aufenthaltskarte sowohl wegen der Berufung auf die eingegangene Aufenthaltsehe als auch infolge der unzutreffenden Behauptungen zu der von seiner Ehegattin tatsächlich nie ausgeübten Erwerbstätigkeit objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht habe. Die Ausstellung der Aufenthaltskarte sei daher erschlichen worden. Die Einstellung von strafrechtlichen Ermittlungen entfalte im gegenständlichen Verfahren keine Bindungswirkung. Bei der vorliegenden Sachlage habe der Revisionswerber den Eingriff in bestehende Rechte als im überwiegenden öffentlichen Interesse gelegen hinzunehmen. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2016, der auf die Erschleichung der in Rede stehenden Aufenthaltskarte zurückzuführen sei, sei nur sehr eingeschränkt schutzwürdig.

6 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 24 Abs. 4 VwGVG. In der Beschwerde seien weder die Einvernahme von Zeugen noch die Aufnahme sonstiger Beweise beantragt worden. Der Revisionswerber habe den von der Behörde festgestellten Sachverhalt nur unsubstantiiert bestritten. In Anbetracht der in der Beschwerde nicht konkret bekämpften behördlichen Ermittlungsergebnisse sei anhand der Akten zu erkennen, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung eine Verletzung der verwaltungsgerichtlichen Verhandlungs‑ und Manuduktionspflicht geltend macht.

Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegen nicht vor:

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung dann absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann. Dies ist der Fall, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wurde und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Ein bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts kann außer Betracht bleiben. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC stehen einem Entfall der Verhandlung nicht entgegen, wenn es ausschließlich um rechtliche oder sehr technische Fragen geht oder wenn das Vorbringen des Revisionswerbers angesichts der Beweislage und angesichts der Beschränktheit der zu entscheidenden Fragen nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen‑ oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich macht (vgl. zu allem VwGH 24.6.2020, Ro 2020/22/0006, mwN).

12 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn ‑ wie hier ‑ zuvor ein Verwaltungsverfahren stattfand, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, mwN).

13 Die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision zeigt nicht auf, aus welchen Gründen fallbezogen eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache hätte erwarten lassen. Es wird auch nicht dargelegt, welcher Sachverhalt in der Beschwerde erstmalig behauptet worden wäre, inwiefern in dem Rechtsmittel entscheidungswesentliche Feststellungen der Behörde substantiiert bestritten worden wären oder inwiefern das Verwaltungsgericht den durch § 24 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/22/0143).

14 Den beweiswürdigenden Erwägungen der Behörde, weshalb gegenständlich vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen sei, ist der Revisionswerber in seiner Beschwerde nicht mit substantiierten Argumenten entgegengetreten. Im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen des Vergehens einer Aufenthaltsehe kommt die Bindungswirkung verurteilender strafgerichtlicher Entscheidungen im Fall einer freisprechenden Entscheidung nicht zum Tragen (VwGH 3.9.2020, Ra 2020/22/0123).

15 Auf den Vorwurf, der Revisionswerber habe die Ausstellung einer Aufenthaltskarte zudem insofern erschlichen, als eine Erwerbstätigkeit seiner Ehegattin vorgetäuscht worden sei, die diese tatsächlich nicht ausgeübt habe, ging die Beschwerde ‑ wie schon eingangs erwähnt ‑ nicht ein (zu § 3 Abs. 5 Z 3 NAG und zum Begriff des „Erschleichens“, für dessen Auslegung die zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ergangene Judikatur heranzuziehen ist, VwGH 18.10.2012, 2011/22/0261).

16 Eine Verletzung der Manuduktionspflicht durch das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Verfahren nicht ersichtlich. Darüber hinaus zeigt der Revisionswerber diesbezüglich eine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B‑VG schon deshalb nicht auf, weil es der Zulässigkeitsbegründung hinsichtlich des behaupteten Verfahrensmangels an der erforderlichen Relevanzdarstellung fehlt.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Diese war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2021

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