Normen
AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylGDV 2005 §8
AVG §45 Abs2
AVG §46
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §46
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §55 Abs4
MRK Art8
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021170022.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom 23. März 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BwVG) einen Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen Marokkos, auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab. Gleichzeitig erließ es gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Marokko zulässig sei.
2 Der Revisionswerber kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.
3 Am 14. November 2019 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 “ („Aufenthaltsberechtigung“) sowie auf „Heilung gemäß §§ 58 Abs 5, 6 AsylG iVm 4 Abs 1 Z 3 AsylG‑DV 2005“. Es sei ihm nicht möglich, ein gültiges Reisedokument vorzulegen. Am 28. Dezember 2018 habe er seine Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsbürgerin, geehelicht und lebe mit dieser, den beiden gemeinsamen Töchtern und einem Sohn seiner Ehefrau in einem Haushalt.
4 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24. April 2020 wurde u.a. der Antrag des Revisionswerbers auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 iVm https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 ‑ AsylG‑DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 2 iVm https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 ‑ AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 2005 iVm https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 wurde gegen ihn eine R ückkehrentscheidung gemäß https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 ‑ FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Es wurde gemäß https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 festgestellt , dass seine Abschiebung gemäß https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 nach Marokko zul ässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Gemäß https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 wurde ihm keine Frist f ür eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).
5 Der Revisionswerber erhob dagegen Beschwerde.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Beschwerde, indem es in Spruchpunkt A) I. die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides genannte gesetzliche Bestimmung ergänzte und mit Spruchpunkt A) II. unter Bezugnahme auf Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides die Frist für eine freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmte.
7 Mit Spruchpunkt A) III. gab das BVwG der Beschwerde teilweise Folge und verkürzte die Dauer des befristeten Einreiseverbotes auf drei Jahre.
8 Mit Spruchpunkt A) IV. wies das BVwG die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab.
9 Mit Spruchpunkt B) erklärte das BVwG eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
10 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Antrag des Revisionswerbers auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise und auf Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK sei abzuweisen, weil ihm die Beschaffung der Urkunden und Nachweise weder nachweislich unmöglich noch unzumutbar gewesen sei. Zur Rückkehrentscheidung stellte das BVwG fest, es bestehe seit Dezember 2019 kein gemeinsamer Wohnsitz des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern, nachdem die Ehefrau gegen ihn aufgrund wiederholter Übergriffe, für welche der Revisionswerber auch strafgerichtlich verurteilt worden sei, eine einstweilige Verfügung mit einem Aufenthaltsverbot u.a. für die gemeinsame Wohnung erwirkt habe. Sein gerichtlich eingeräumtes Besuchsrecht beschränke sich auf eine Stunde in drei Wochen und könne nur in Anwesenheit einer von der Kinder- und Jugendhilfe organisierten Besuchsbegleitung ausgeübt werden. Der Revisionswerber habe seine beiden Töchter 2020 nur einmal persönlich gesehen. Die Kinder‑ und Jugendhilfe habe mitgeteilt, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in die Familie eine Gefährdung des Kindeswohles darstelle und eine „Unterbringung“ der vier Minderjährigen (neben den zwei gemeinsamen Töchtern auch der zwei älteren Kinder der Ehegattin, die von ihm in der Vergangenheit auch bedroht worden seien) zur Folge hätte. Die Rückkehrentscheidung stelle daher keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers im Sinne des https://rdb.manz.at/document/ris.bvwg.BVWGT_20201008_I403_2123191_2_00?source=726462233230323130313233237269732e6e2e4e4f52313230313639373223524d4c2332333133303431343939 dar
11 Wegen des familiären Netzwerks in Marokko und der auch jetzt bestehenden finanziellen Unterstützung des Revisionswerbers durch seinen in Marokko lebenden Vater liege auch kein ungerechtfertigter Eingriff in das Privatleben des jungen und gesunden Revisionswerbers vor.
Es sei auch nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nicht zulässig wäre.
12 Aufgrund der Verurteilungen vom 12. Oktober 2017 (wegen Raubes, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel sowie Urkundenunterdrückung) und vom 9. Jänner 2018 (wegen Körperverletzung, Freiheitsentziehung sowie versuchter schwerer Nötigung) sei von einer schwerwiegenden Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, (durch ihn) auszugehen. Da der Revisionswerber seit etwa zweieinhalb Jahren strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten sei, sei die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabzusetzen gewesen.
13 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. Dezember 2020, E 4043/2020-5, deren Behandlung ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision ‑ gesondert ‑ vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zunächst geltend gemacht, die Ausführungen des BVwG zur Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision entsprächen nicht den Anforderungen an eine Begründung iSd „§ 25 Abs. 1 Satz 2 VwGG“ (gemeint wohl: § 25a Abs. 1 Satz 2 VwGG), weil diese nicht inhaltsleer sein dürfe. „Anhand der Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Erkenntnis“ sei eine „Einschätzung allfälliger Erfolgsaussichten nicht möglich“.
18 Es ist zutreffend, dass das Verwaltungsgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision zu begründen hat. Allerdings ist der Verwaltungsgerichtshof an diese Begründung nicht gebunden, sondern beurteilt die Zulässigkeit anhand der in der Revision vorgebrachten Gründe im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG. Der Revisionswerber war durch die Ausführungen des BVwG nicht daran gehindert, entsprechende Gründe für die Zulässigkeit der Revision geltend zu machen (vgl. etwa VwGH 15.9.2020, Ra 2020/22/0188, mwN, zu einem inhaltsgleichen Vorbringen des auch im gegenständlichen Verfahren einschreitenden Rechtsvertreters). Selbst das Fehlen einer nähren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG führt für sich betrachtet nicht dazu, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG gegeben wären (vgl. etwa VwGH 24.3.2020, Ra 2020/09/0014).
19 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, dass „die belangte Behörde“ das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt habe; die Angaben des Revisionswerbers im Verfahren seien nur unzureichend gewürdigt worden, sodass „jedenfalls der belangten Behörde eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten“ sei. Die Entscheidung „der belangten Behörde“ widerspreche sohin der höchstgerichtlichen Judikatur. Die vom Revisionswerber in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gemachten Angaben seien nicht zu seinen Gunsten gewertet worden. „Es hätte sohin eine Verpflichtung von Seiten der belangten Behörde bestehen müssen, von Amts wegen einem psychologischen Sachverständigen dem Verfahren beizuziehen“, zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber „eine günstige Zukunftsprognose sowohl im fremdenpolizeilicher, als auch strafrechtlicher Hinsicht aufweist“ und dass eine Trennung des Revisionswerbers von seinen Kindern „erhebliche psychische und psychische Folgen zulasten der minderjährigen Kinder mit sich führen würde“.
20 Soweit sich die Revision damit gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet, ist auszuführen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0422, mwN).
21 Ob ausreichende Beweisergebnisse vorhanden waren, um entsprechende Tatsachenfeststellungen treffen zu können und auf deren Basis die Interessenabwägung ordnungsgemäß durchführen zu können, berührt zudem Fragen der Beweiswürdigung. Es unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung dem Verwaltungsgericht im Einzelfall zu beurteilen, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge auch in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 29.7.2015, Ra 2015/07/0090, mwN). Abgesehen davon, dass der Revisionswerber nicht behauptet, im Verfahren vor dem BVwG die Erstellung eines Gutachtens beantragt zu haben, enthält das angefochtene Erkenntnis eine umfangreiche Würdigung der Interessen des Revisionswerbers und seiner Familie. Das BVwG kam aufgrund der ‑ im Übrigen unbestritten gebliebenen ‑ Feststellungen zum bisherigen Privat‑ und Familienleben des Revisionswerbers sowie zu dessen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dessen gegenläufigen persönlichen Interessen überwiegen. Dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar gewesen wäre, zeigt die Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 10. März 2021
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