European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140038.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 8. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Februar 2019 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ‑ nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen ‑ als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das Vorbringen zur Konversion des Revisionswerbers zusammengefasst aus, dieser habe aus näher genannten Gründen nicht glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund eines inneren Entschlusses zum Christentum konvertiert sei. Es lägen auch vor dem Hintergrund der Länderberichte und den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vor.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 9. Dezember 2020, E 3866/2020‑5, ablehnte und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat. In der Folge brachte der Revisionswerber die gegenständliche Revision ein.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von ‑ näher genannter ‑ Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung des Vorliegens einer Konversion abgewichen. Es habe eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende Beweiswürdigung durchgeführt und dabei seine Prüfungskompetenz überschritten, in dem es die von Zeugen und Urkunden bestätigte Kirchenmitgliedschaft selbst in Frage gestellt habe, obwohl dies staatlichen Behörden nicht zustehe.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens‑ bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0503; 10.9.2020, Ra 2020/14/0402 bis 0405, mwN).
11 Das Bundesverwaltungsgericht führte zwei Verhandlungen durch, in denen es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte sowie den Leiter des vom Revisionswerber besuchten Glaubenskurses und den Ortspfarrer als Zeugen zu seinen religiösen Aktivitäten befragte. Es gelangte mit ausführlicher Begründung, in der es auch die Aussagen der einvernommenen Zeugen würdigte, zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Dabei stützte sich das Bundesverwaltungsgericht unter anderem darauf, dass der Revisionswerber seine Motivation für den Glaubenswechsel nicht schlüssig habe darlegen können und die Gottesdienstbesuche nicht aus eigenem Antrieb und einem inneren Bedürfnis folgend, sondern erst auf Druck des Pfarrers im Hinblick auf die Absolvierung des Glaubenskurses, erfolgt seien. Entgegen dem Vorbringen in der Revision stellte das Bundesverwaltungsgericht die innerkirchlichen Vorgänge keineswegs in Frage, sondern legte die Teilnahme an dem Glaubenskurs und den Taufvorbereitungen sowie die Gottesdienstbesuche seiner Entscheidung ausdrücklich zu Grunde. Es kam jedoch mit umfassender Auseinandersetzung auch mit diesen vorgetragenen Aspekten zu dem Schluss, dass der christliche Glaube nicht zu einem zentralen identitätsstiftenden Bestandteil der Persönlichkeit des Revisionswerbers geworden wäre und daher von einer Scheinkonversion auszugehen sei. Mit dieser Beurteilung weicht das Bundesverwaltungsgericht nicht von den dargestellten Leitlinien ab (vgl. dazu ergänzend VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, Rn. 29 ff, mwN).
12 Soweit die Revision vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe mangelhafte Feststellungen dazu getroffen, welche Auswirkungen die Covid‑19‑Pandemie auf die Situation des Revisionswerbers bei einer Rückkehr in sein Heimatland haben werde, wendet sie sich erkennbar gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif oder Kabul zumutbar.
13 Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative stellt eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. u.a. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0578).
14 Das Bundesverwaltungsgericht traf unter Bezugnahme auf Länderberichte, die EASO‑Guidelines zu Afghanistan 2019 sowie die UNHCR‑Richtlinien vom 30. August 2018 hinreichend aktuelle Feststellungen zur Situation in den genannten afghanischen Städten (Sicherheits‑ und Versorgungslage) sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Der Revisionswerber tritt den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es sich bei ihm um einen gesunden, volljährigen und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über Schulbildung, Berufserfahrung sowie ein soziales Netzwerk in Afghanistan verfüge und dem die Unterstützung durch Familie und Hilfsorganisationen freistehe, nicht entgegen.
15 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich auch mit den Auswirkungen und Folgen der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan im Allgemeinen und in den für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Frage kommenden Städten und Gebiete im Besonderen unter Heranziehung diverser Länderberichte auseinander und traf dazu Feststellungen zur medizinischen Versorgung, (Versorgungs‑)Lage in Provinzen und Städten und Situation der Rückkehrer. Ausgehend davon bejahte das Verwaltungsgericht die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative.
16 In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass es für sich nicht entscheidungswesentlich ist, ob sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstelle, weil es darauf bei der Beantwortung der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. zum Ganzen VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373; auch erneut VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 bis 0288, jeweils mwN).
17 Die Revision zeigt nicht auf, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Einzelfallbeurteilung unvertretbar erfolgt wäre und dass im Hinblick auf die Covid‑19‑Pandemie in Kabul und Mazar‑e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen würden.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. März 2021
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