Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190177.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 13. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass in Somalia Bürgerkrieg herrsche. Ein Nachbar habe versucht, ihn für die Al Shabaab zu rekrutieren.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Mitbeteiligten, soweit er damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehrte, mit Bescheid vom 18. Oktober 2017 ab. Jedoch wurde ihm unter einem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 23. Oktober 2018 erteilt.
3 Aus der Begründung dieses Bescheides geht ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ hervor, dass die Behörde das Vorbringen des Mitbeteiligten in Bezug auf die versuchte Zwangsrekrutierung durch seinen Nachbar als glaubwürdig erachtete. Allerding gehe die vom Mitbeteiligten beschriebene Bedrohungshandlung ‑ so die Behörde ‑ von einer fundamentalistischen Terrororganisation aus und finde die Bedrohung keine Ursache in jenen Gründen, die gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zur Asylgewährung führen könne. Das Asylrecht schütze nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte, soweit ihm der Status des Asylberechtigten versagt blieb, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss vom 15. April 2020 hob das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Spruchpunkt des Bescheides (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status des Asylberechtigten) gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.
6 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass einer (versuchten) Zwangsrekrutierung sehr wohl Asylrelevanz zukomme, wenn daraus eine tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung abgeleitet werden könne. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sich damit in keiner Weise auseinandergesetzt, obwohl es weiterer Ermittlungen dazu bedurft hätte, mit welchen Folgen der Mitbeteiligte in seinem Herkunftsstaat auf Grund seiner Weigerung, sich der Al Shahaab anzuschließen, rechnen müsse und ob in seinem Verhalten eine ‑ sei es auch nur unterstellte ‑ politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt werden würde. Auf Grund dieser besonders gravierenden Ermittlungslücken sei im gegenständlichen Fall eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt. Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht im Interesse der Raschheit liegen würde, sei nicht ersichtlich.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision erweist sich in Hinblick auf ihr Vorbringen, wonach die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht vorlägen, als zulässig und auch begründet.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.
Demnach kann von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 23.3.2020, Ra 2019/14/0602, mwN).
10 Ausgehend davon trifft daher der vom Bundesverwaltungsgericht erhobene Vorwurf, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe im vorliegenden Fall jegliche Ermittlungstätigkeit in Bezug auf eine mögliche Verfolgung des Mitbeteiligten in Somalia unterlassen, nicht zu.
Auch wenn die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vertretene Rechtsansicht zur Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten in manchen Punkten verfehlt sein mag, rechtfertigt dies für sich genommen nicht eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG. Die belangte Behörde hat Ermittlungstätigkeiten zum Fluchtvorbringen vorgenommen, dieses jedoch insoweit gewürdigt, als nach ihrer Ansicht keine aktuelle Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention vorliege. Das Bundesverwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, sofern es zur Ansicht gelangt, dass eine aktuelle Verfolgung für den Mitbeteiligten bestehe, im Lichte der hg. Rechtsprechung auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aufzubauen und allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen ‑ etwa eine weitere Einvernahme oder eine Ergänzung der Länderfeststellungen ‑ selbst durchzuführen.
11 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass für die Verwaltungsgerichte auf dem Boden des § 28 VwGVG nicht bloß eine ergänzende Sachverhaltsermittlungskompetenz besteht und auch die Notwendigkeit der Durchführung für sich genommen keinen Grund für eine Aufhebung und Zurückverweisung darstellt. Dasselbe gilt für das Erfordernis ergänzender Einvernahmen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung (vgl. VwGH 6.12.2019, Ra 2019/18/0327, mwN).
12 Im Übrigen wurde das vom Bundesverwaltungsgericht ergänzend herangezogene Argument, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei als Spezialbehörde eingerichtet, schon in der bisherigen Rechtsprechung verworfen und als untauglich angesehen, eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu begründen (vgl. VwGH 3.4.2018, Ra 2017/01/0433, und VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).
13 Da die Voraussetzungen für die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG somit nicht gegeben waren, war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 1. Juli 2021
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