Normen
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140602.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte stellte am 29. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). 2 Er gab im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, staatenlos und der Volksgruppe der Kurden zugehörig zu sein. Er sei in Syrien geboren worden. Dort habe er bis zum Jahr 2010 (zuletzt seit 2001 in Damaskus) mit seiner Mutter (der Vater sei bereits im Jahr 2001 verstorben) und zwei Brüdern gelebt. In Syrien habe der Mitbeteiligte gearbeitet; seine finanzielle Lage sei "normal" gewesen. Er habe Syrien "wegen des Krieges und der allgemeinen Lage" verlassen. Dort habe er als staatenloser Kurde "sowieso keine Rechte" gehabt. Im Jahr 2010 sei der Mitbeteiligte in den Irak gegangen. Dort habe er in einem Flüchtlingslager gelebt. Auch im Irak habe er als Staatenloser keine Rechte. Er sei weder im Irak noch in Syrien persönlich bedroht worden. Er habe an keinen Kampfhandlungen teilgenommen und sei auch nie zum Militärdienst einberufen worden. Als Staatenloser habe er keinen Militärdienst leisten müssen. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien befürchte der Mitbeteiligte, "jetzt" als Soldat kämpfen zu müssen. Es werde "jetzt" jeder rekrutiert, "sogar Staatenlose"; auch fürchte er die Rekrutierung durch die PKK. Über Befragen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welche Ängste er "in Bezug auf eine mögliche Rückkehr" in den Irak habe, führte er aus, er müsste dort wieder ins Flüchtlingslager zurück. Er werde "aber ohnehin keine Arbeit mehr finden". Auch dürfe er als Staatenloser im Irak keine Schule besuchen. Im Weiteren wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Mitbeteiligten noch gezielt Fragen gestellt, um zu eruieren, ob und allenfalls welche Verfolgung und Gefahren dem Mitbeteiligten im Fall der Rückkehr nach Syrien und den Irak drohen könnten. Zu all diesen Fragen wurde vom Mitbeteiligten eine verneinende Antwort gegeben.
3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Mitbeteiligten, soweit er damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehrte, mit Bescheid vom 27. Februar 2018 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Jedoch wurde ihm unter einem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 26. Februar 2019 erteilt (diese wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 21. Februar 2019 bis zum 26. Februar 2021 verlängert).
4 Aus der Begründung des Bescheides vom 27. Februar 2018 geht hervor, dass die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte, dass es sich beim Herkunftsstaat des Mitbeteiligten im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 um Syrien handle. Dabei legte sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aber nicht fest, ob es davon ausging, dass der Mitbeteiligte die Staatsangehörigkeit von Syrien besitze oder er staatenlos sei und Syrien als der Staat des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Mitbeteiligten anzusehen sei. Im Rahmen des im Bescheid angeführten Sachverhalts führte die Behörde - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, die Identität des Mitbeteiligten sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Er habe berufliche Erfahrung "in einem Wasserpfeifenlokal" und als Rezeptionist in einem Hotel gesammelt. Es sei aber nicht feststellbar, ob er die beruflichen Tätigkeiten in Syrien oder im Irak ausgeübt habe. Es sei auch nicht festzustellen, ob er bis 2010 in Syrien gelebt und dann in den Irak "ausgewandert" sei, bevor er im Jahr 2016 von einem irakischen Flüchtlingslager in Richtung Europa aufgebrochen sei. 5 Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Mitbeteiligten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst damit, dass er im Fall der "Rückführung in den Herkunftsstaat bzw. Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts" Syrien aufgrund des dortigen Krieges "einer realen Gefährdung seines Lebens ausgesetzt" wäre.
6 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte, soweit ihm der Status des Asylberechtigten versagt blieb, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin bezeichnete er sich einerseits als syrischen Staatsangehörigen, andererseits verwies er auf seine "Zugehörigkeit zu den Kurden staatenloser Personen". Er brachte vor, die Behörde habe sich nicht ausreichend damit befasst, dass die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden einen "weiteren Risikofaktor für eine Verfolgung in Syrien" darstelle. Viele Kurden hätten sich an Demonstrationen gegen das Assad-Regime beteiligt. Es sei daher nicht auszuschließen, dass es seitens der syrischen Behörden aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit des Mitbeteiligten "zur Unterstellung einer politischen Gesinnung kommen" könne. Der Flughafen in Damaskus sei in der Hand der Regierung, weshalb der Mitbeteiligte nicht in zumutbarer Weise und legal nach Syrien zurückkehren könne. Auch drohe ihm in Syrien eine Haftstrafe, weil er illegal aus Syrien ausgereist sei. Der Aufenthalt im Gefängnis wäre "potentiell mit Misshandlungen und Folter verbunden". Ein Vorbringen dahingehend, dass der Mitbeteiligte im Irak eine Verfolgung irgendeiner Art befürchte, enthält die Beschwerde nicht. Der Mitbeteiligte beantragte die Durchführung einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. 7 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht jenen Spruchpunkt des bei ihm angefochtenen Bescheides, womit der vom Mitbeteiligten gestellte Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf, und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.
8 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe angegeben, aus Syrien zu stammen und ab 2010 im Irak gelebt sowie dort gearbeitet zu haben. Das habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar so nicht festgestellt, aber auch "keinerlei Ermittlungen zur Klärung der Angelegenheit, die grundlegend für das weitere Verfahren" sei, vorgenommen. Die Behörde hätte den Mitbeteiligten "etwa zu den Orten, an denen er sich aufgehalten haben will, zu den jeweiligen Machthabern oder Vorfällen befragen können, die sich an jenen Orten ereignet haben". Auch zu "einer allfälligen Verfolgungssituation" im Irak habe sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nur auf wenige Fragen beschränkt.
9 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe unterstellt, dass Syrien der Herkunftsstaat des Mitbeteiligten sei. Das sei aber nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht der Fall. Vielmehr sei der Irak sein Herkunftsstaat. Der Mitbeteiligte habe immer gleichlautend angegeben, dass er sich seit dem Jahr 2010 im Irak aufgehalten habe. Die dem nicht folgenden Feststellungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl seien "von keiner Beweiswürdigung getragen". Da die bisherigen Angaben des Mitbeteiligten nicht in sich widersprüchlich gewesen seien, sei davon auszugehen, "dass der Irak der Herkunftsstaat des staatenlosen" Mitbeteiligten sei. Die Behörde habe auch zur Situation im Irak bislang keine Ermittlungen getätigt. Es seien daher insgesamt bislang von der Behörde "lediglich ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt" worden. Es wäre "praktisch das gesamte Ermittlungsverfahren durch das Verwaltungsgericht nachzuholen". 10 Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass es die für die Lösung des Rechtsfalles maßgebliche Rechtsprechung in seiner Entscheidung zitiert habe und dieser gefolgt sei.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision nach Vorlage derselben samt der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das in ihr enthaltene Vorbingen, wonach die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG - wie im Weiteren des Näheren dargestellt wird - nicht vorlägen, als zulässig und begründet.
13 § 28 VwGVG lautet (auszugsweise und samt Überschrift):
"Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
- 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
- 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) ...
..."
14 Nach der ständigen Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.
15 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
16 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0029, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht beruft sich zwar auf diese Rechtsprechung. Jedoch trifft der im angefochtenen Beschluss erhobene Vorwurf, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe jegliche Ermittlungstätigkeit in Bezug auf eine mögliche Verfolgung des Mitbeteiligten im Irak unterlassen, am Boden des - oben (auszugsweise) wiedergegebenen Akteninhaltes - nicht zu. 18 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Mitbeteiligten nicht nur zu jenen Gründen befragt, aus denen er sich in Syrien als verfolgt oder gefährdet erachte, sondern ihm auch ausdrücklich diverse Fragen gestellt, die das Ziel verfolgten, abzuklären, ob er in Bezug auf eine Rückkehr in den Irak eine asylrelevante Verfolgung oder sonstige Gefährdung seiner Person befürchte. Wenn das Bundesverwaltungsgericht, das erkennbar die bisherigen Überlegungen zu den von der Behörde getroffenen Feststellungen und ihrer Beweiswürdigung in Bezug auf die Person des Mitbeteiligten nicht teilt, in diesem Zusammenhang eine noch detailliertere Befragung des Mitbeteiligten für geboten erachtet, ist nicht zu sehen, weshalb dies nach den in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für sich geeignet wäre, die Zurückverweisung des Verfahrens an die Behörde - offenkundig lediglich mit dem Zweck der Abstandnahme von einer vom Verwaltungsgericht durchzuführenden Verhandlung - zu rechtfertigen. Davon aber, dass die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt im vorliegenden Fall - vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen des Mitbeteiligten auch in Bezug auf die Situation im Irak - bloß ansatzweise ermittelt hätte, kann nicht gesprochen werden.
19 Hingegen kommt es - entgegen den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts und dem weiteren Vorbringen in der Revision - im Hinblick auf die im gegenständlichen Revisionsverfahren fallbezogen allein zu beantwortende Frage, ob die Voraussetzungen für die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG vorlagen, hier nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 als Herkunftsstaat des Mitbeteiligten Syrien oder der Irak anzusehen sei. Auf diese Frage, von der das Schicksal der vorliegenden Revision nicht abhängt, war daher an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. 20 Da nach dem Gesagten die Voraussetzungen für die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht gegeben waren, war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 23. März 2020
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
