VwGH Ro 2020/17/0002

VwGHRo 2020/17/000213.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M H in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 29. Mai 2019, VGW‑002/011/6457/2019/E‑2, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §62 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §63 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020170002.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 22. Dezember 2016 wurde der Revisionswerber der neunfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz ‑ GSpG schuldig erkannt, weil er gegen Entgelt verbotene Ausspielungen mit von der E Kft. aufgestellten Glücksspielgeräten geduldet und an der Auszahlung der erzielten Gewinne mitgewirkt habe. Über den Revisionswerber wurden neun Geldstrafen (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Weiters wurde ihm ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.

2 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

3 Am Schluss der am 14. November 2017 vor dem Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) durchgeführten mündlichen Verhandlung verkündete der Verhandlungsleiter das Erkenntnis, wonach die Beschwerde abgewiesen werde und der Revisionswerber einen näher bestimmten Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Spruchpunkt I.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4 In der Folge stellte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber ein mit 11. Dezember 2017 datiertes und als „gekürzte Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 5 iVm § 50 Abs. 2 VwGVG“ bezeichnetes Erkenntnis zu. Der Revisionswerber erhob dagegen Revision.

5 Mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2018, Ra 2018/16/0103, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis vom 11. Dezember 2017 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf, weil der Revisionswerber „eine volle Ausfertigung“ des mündlich verkündeten Erkenntnisses nach § 29 Abs. 4 VwGVG beantragt hatte und eine gekürzte Ausfertigung somit unzulässig war.

6 In der Folge stellte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber das Erkenntnis vom 21. Juni 2018 zu. Der Revisionswerber erhob dagegen neuerlich Revision.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hob das Erkenntnis vom 21. Juni 2018 mit Erkenntnis vom 15. April 2019, Ra 2018/16/0209, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf und führte dabei begründend aus (Rn. 18):

„Dem Verwaltungsgericht Wien ist bei der schriftlichen Ausfertigung vom 21. Juni 2018 nicht lediglich ein berichtigbarer Schreibfehler (§ 17 VwGVG iVm § 62 Abs. 4 AVG) unterlaufen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausdrücklich vom mündlich verkündeten Spruch des Erkenntnisses abweichen wollen und der schriftlichen Ausfertigung einen anderen normativen Inhalt verliehen als der mündlich verkündeten Entscheidung vom 14. November 2017. Solcherart stellt das schriftlich ausgefertigte Erkenntnis vom 21. Juni 2018 eine neuerliche, inhaltlich geänderte Entscheidung in dem in Rede stehenden Verwaltungsstrafverfahren dar, welcher das Hindernis der (durch das mündlich verkündete Erkenntnis vom 14. November 2017) entschiedenen Sache (res iudicata) entgegenstand.“

8 In der Folge stellte das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber das nunmehr angefochtene Erkenntnis zu.

9 Das Verwaltungsgericht sprach „unter Einbeziehung der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Berichtigungsmöglichkeit zu VfGH vom 24.11.2017, E 2792/2017 und VfGH vom 4.3.2011, B 1084/10, zufolge der vom Verwaltungsgerichtshofes zu Ra 2018/16/0209 vom 15.4.2019 geäußerten Rechtsansicht, sowie der verpflichtend einzubeziehenden Verfahrensdauer als Milderungsgrund“ aus, dass die Beschwerde gemäß § 50 VwGVG in Bezug auf sechs Glücksspielgeräte in der Schuldfrage als unbegründet abgewiesen, ihr hingegen in der Straffrage insofern stattgegeben werde, als unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer die verhängte Geldstrafe (samt Ersatzfreiheitsstrafe) je illegalem Eingriffsgegenstand herabgesetzt werde (Spruchpunkt I.).

10 Weiters gab das Verwaltungsgericht „aufgrund der zwischen Verkündung und Ausfertigung ergangenen Judikaturänderung des VwGH (Ra 2017/17/0969 vom 27.03.2018)“ ‑ erneut „unter Einbeziehung der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Berichtigungsmöglichkeit GZ VfGH vom 24.11.2017 in E 2792/2017 und VfGH vom 4.3.2011 in B 1084/10“ ‑ der Beschwerde hinsichtlich dreier „Cashcenter“ Folge und stellte das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich ein, da diese keinen eigenen Eingriffsgegenstand mehr bildeten (Spruchpunkt II.).

11 Das Verwaltungsgericht legte dem Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auf (Spruchpunkt III.) und setzte den erstinstanzlichen Verfahrenskostenbeitrag gemäß § 64 VStG für die verbleibenden sechs Eingriffsgegenstände herab (Spruchpunkt IV.). Das Verwaltungsgericht erklärte eine ordentliche Revision in Bezug auf die „Frage der erst in der Ausfertigung erfolgten Reduzierung der Eingriffsgegenstände als auch der nunmehr ergangenen Berücksichtigung der Verfahrensdauer“ für zulässig (Spruchpunkt V.).

12 Mit Beschluss vom 24. September 2019, E 2656/2019‑5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

13 Der Revisionswerber erhob die vorliegende ordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15 Das Verwaltungsgericht hat nach § 25a Abs. 1 VwGG im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig ist, und dies kurz zu begründen.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

18 Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ist nicht nur für den Fall einer außerordentlichen Revision, sondern auch bei ordentlichen Revisionen auf die Wahrnehmung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG begrenzt.

19 Die vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmende Kontrolle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stützt sich für außerordentliche und ordentliche Revisionen in gleicher Weise jeweils auf eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Revision.

20 Auf eine Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht bei der Zulassung der ordentlichen Revision als grundsätzlich angesehen hat, ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht einzugehen, wenn diese Rechtsfrage in der Revision nicht angesprochen wird (vgl. zu all dem etwa VwGH 6.7.2020, Ro 2018/17/0005, mwN).

21 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht seine Zulässigkeitsentscheidung damit begründet, dass die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern abweiche, „als sie sich an der Rechtsprechung zu VfGH vom 24.11.2017, E 2792/2017 und VfGH vom 4.3.2011, B 1084/10 orient[i]erte. Aufgrund dieser unterschiedlichen Auslegungsmodalitäten der Höchstgerichte ergibt sich für das gegenständliche Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage in Bezug auf die aus Sicht des Verfassungsgerichtshofes konzedierte Berichtigungsmöglichkeit im Rahmen einer schriftlichen Ausfertigung; dem der Verwaltungsgerichtshof in dem diesen 2. Rechtsgang bedingenden Erkenntnis entgegentritt“.

22 Der Revisionswerber distanziert sich ausdrücklich von den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zur Zulässigkeit, sodass es sich erübrigt, darauf näher einzugehen.

23 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vielmehr u.a. vor, dass das angefochtene Erkenntnis im Widerspruch zu näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtskraft von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen stehe, weil „die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen“ dürfe. Damit erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.

24 Die Revision verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf das hg. Erkenntnis vom 15. April 2019, Ra 2018/16/0209, womit im zweiten Rechtsgang das mit 21. Juni 2018 datierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts mit der Begründung aufgehoben wurde, dass das Verwaltungsgericht dieser schriftlichen Entscheidung ausdrücklich einen anderen normativen Inhalt verliehen hatte als der mündlich verkündeten Entscheidung vom 14. November 2017. Der Verwaltungsgerichtshof hat darin eine neuerliche Entscheidung (in derselben Beschwerdesache) erblickt, der das Hindernis der res iudicata entgegengestanden ist (vgl. auch VwGH 26.2.2003, 2002/03/0158, wonach ein schriftlicher Bescheid bei einem unterschiedlichen normativen Gehalt nicht als schriftliche Ausfertigung eines mündlich verkündeten Bescheides, sondern als selbständiger Bescheid anzusehen ist).

25 Nichts anderes gilt für das im fortgesetzten Verfahren ergangene und nunmehr angefochtene Erkenntnis. Auch dessen Spruch hat das Verwaltungsgericht ‑ gegenüber der mündlich verkündeten Entscheidung vom 14. November 2017 ‑ ausdrücklich einen anderen normativen Gehalt zugewiesen, indem es neuerlich die Bestrafung auf sechs Glücksspielgeräte eingeschränkt und hinsichtlich der drei „Cashcenter“ das Strafverfahren eingestellt hat. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die Strafen für die sechs Glücksspielgeräte unter Hinweis auf die lange Verfahrensdauer herabgesetzt.

26 Solcherart stellt das schriftlich ausgefertigte Erkenntnis vom 29. Mai 2019 eine neuerliche, inhaltlich geänderte Entscheidung in dem in Rede stehenden Verwaltungsstrafverfahren dar, welcher das Hindernis der (durch das mündlich verkündete Erkenntnis vom 14. November 2017) entschiedenen Sache (res iudicata) entgegenstand.

27 Angemerkt wird jedoch, dass die beiden vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten Erkenntnisse VfGH 24.11.2017, E 2792/2017, und VfGH 4.3.2011, B 1084/10, keine Aussage dahingehend enthalten, wonach bei Ausfertigung eines Erkenntnisses eine „Berichtigungsmöglichkeit“ hinsichtlich „der verpflichtend einzubeziehenden Verfahrensdauer als Milderungsgrund“ bestehe. Beide Erkenntnisse beziehen sich ausschließlich auf eine überlange Verfahrensdauer, die im Wesentlichen durch die verspätete Ausfertigung der Berufungsentscheidungen begründet wurde.

28 Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen: Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Das Verwaltungsgericht war daher gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die in dem hg. Erkenntnis vom 15. April 2019, Ra 2018/16/0209, geäußerte Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes gebunden und wäre verpflichtet gewesen, in der gegenständlichen Rechtssache unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl. etwa VwGH 24.9.2020, Ra 2019/17/0032, mwN). Indem das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall entgegen der Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes neuerlich in derselben Beschwerdesache ein von der mündlich verkündeten Entscheidung abweichendes schriftliches Erkenntnis erlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

29 Das mit 29. Mai 2019 datierte schriftliche Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

30 Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Dezember 2021

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