VwGH Ro 2020/15/0010

VwGHRo 2020/15/001015.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des W W in M, vertreten durch die Gstöttner Ratzinger Stellnberger Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung GmbH in 4400 Steyr, Stelzhammerstraße 14 B, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. Dezember 2019, Zl. RV/5101642/2018, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §34 Abs1 Z2
EStG 1988 §34 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020150010.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2017 Aufwendungen von 15.000 €, die ihm im Zusammenhang mit der Behandlung bzw. Operation eines Prostatakarzinoms nach der „NanoKnife‑Methode“ erwachsen sind, als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt geltend. Über Aufforderung des Finanzamts legte er eine Stellungnahme des behandelnden Arztes sowie Rechnungen über die Kosten von Behandlung und Operation vor.

2 Das Finanzamt erließ einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017, in dem es die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannte, und führte zur Begründung aus, der Revisionswerber habe die Notwendigkeit der Kosten nicht nachgewiesen, weshalb es an deren Zwangsläufigkeit mangle.

3 Einer gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge und führte aus, der Einsatz der vom Revisionswerber gewählten „NanoKnife‑Methode“ befinde sich in der Erprobungsphase und es sei davon auszugehen, dass das Verfahren noch nicht ausgereift und somit das Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit zu verneinen sei. Dies erhelle auch daraus, dass die gesetzliche Krankenkasse sowohl die Kostenübernahme als auch die teilweise Kostenerstattung ausgeschlossen habe.

4 Der Revisionswerber beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und führte im Vorlageantrag aus, die Begründung des Finanzamts stehe im Widerspruch zu Lehre und Judikatur, in der keine Priorität klassischer schulmedizinischer Methoden vertreten werde. Die Aufwendungen seien daher nicht grundsätzlich von der Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen.

5 In einer Stellungnahme an das Bundesfinanzgericht führte der Revisionswerber weiters aus, er leide an einem Prostatakarzinom, das einer ärztlichen Behandlung bedurft habe. Die Erkrankung sei durch ein ärztliches Gutachten belegt. Er habe sich in Deutschland einer schonenderen Behandlung unterzogen. Die erfolgte Behandlung sei durch ein ärztliches Zeugnis und Rechnungen belegt. Die Operation sei von einem zugelassenen Arzt in einer öffentlich anerkannten Klinik durchgeführt worden, auch das sei belegt. Alle zur Diagnostizierung und zur Bestimmung des Schweregrades der Krankheit erforderlichen Kosten seien von der Krankenkasse getragen worden. Die angewandte Operationsmethode werde in vielen Ländern bereits praktiziert und sei auch in Österreich ‑ im Rahmen einer derzeit ruhenden Studie ‑ angewandt worden. Die Behandlung nach der „NanoKnife‑Methode“ verspreche wesentliche gesundheitliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Operationsmethoden und sei mit dem Ziel, die bösartige Erkrankung zu stoppen, erfolgt. Dass die österreichische Krankenkasse nur die festgelegten Kassenleistungen ersetze, führe nicht dazu, dass die aufwendigen Bemühungen des Revisionswerbers zur Wiedererlangung seiner Gesundheit zu den üblichen Kosten der Lebensführung zählten.

6 In der vor dem Bundesfinanzgericht abgehaltenen mündlichen Verhandlung brachte der Revisionswerber weiters vor, dass die „NanoKnife‑Methode“ zwischenzeitlich auch in Österreich zur Anwendung zugelassen sei und auch angewandt werde. Zum Nachweis dafür wies er auf die „Homepage“ einer österreichischen Klinik hin, die solche Operationen durchführe.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde keine Folge und stellte folgenden Sachverhalt fest:

8 Laut ärztlichem Schreiben sei der Revisionswerber an einem Karzinom der Prostata erkrankt, das behandlungsbedürftig gewesen sei. Um schwerwiegende Nebenwirkungen zu vermeiden, habe er sich für die Behandlung des Karzinoms nach der „NanoKnife‑Methode“ entschieden. Diese werde für die Erkrankung des Revisionswerbers in Österreich nicht angeboten, weshalb eine Behandlung in Deutschland notwendig gewesen sei. Die Kosten seien von der gesetzlichen Krankenkasse nicht übernommen worden, da es sich um keine in Österreich anerkannte Operationsmethode handle und sich diese erst in der Erprobungsphase befinde.

9 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts führte das Bundesfinanzgericht aus, dem Revisionswerber sei insoweit beizupflichten, als bei lebensbedrohenden Krankheiten wie Krebs jeder versuche, jene Behandlung zu wählen, der er am meisten vertraue und die für ihn persönlich den meisten Erfolg verspreche. Davon unabhängig sei jedoch die einkommensteuerliche Seite zu beurteilen. Der Verwaltungsgerichtshof führe beispielsweise im Erkenntnis vom 4. September 2014, 2012/15/0136, aus, dass nicht jede auf ärztliches Anraten und aus medizinischen Gründen durchgeführte Gesundheitsmaßnahme zu einer außergewöhnlichen Belastung führe, und begründe dies damit, dass die Aufwendungen zwangsläufig erwachsen müssten, womit es erforderlich sei, dass die Maßnahme zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sei.

10 Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts seien bloße Wünsche und Vorstellungen des Betroffenen über medizinische Auswirkungen keine ausreichende Grundlage für den Nachweis der Zwangsläufigkeit eines Aufwandes. Ebenso wenig ergebe sich die Zwangsläufigkeit aus allgemeinen Befürchtungen des Revisionswerbers im Hinblick auf mögliche Nebenwirkung (Inkontinenz) einer klassischen Heilbehandlung bzw. Operation.

11 Die in § 34 EStG 1988 geforderte Zwangsläufigkeit setze in Bezug auf Krankheits‑ bzw. Behinderungskosten das Vorliegen triftiger medizinischer Gründe für den betreffenden Aufwand in dem Sinn voraus, dass ohne Anwendung der Maßnahmen ernsthafte gesundheitliche Nachteile eintreten oder sich zumindest abzeichnen. Für Krankheitskosten fordere der Verwaltungsgerichtshof daher, dass diese Maßnahmen tatsächlich erfolgversprechend zur Behandlung oder zumindest zur Linderung einer konkret existenten Krankheit beitrügen.

12 Voraussetzung für die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung sei, dass die Kosten zwangsläufig erwüchsen. Davon werde ausgegangen, wenn deren medizinische Notwendigkeit ‑ etwa durch ärztliche Verordnung oder durch Kostenübernahme bzw. Kostenbeteiligung durch die gesetzliche Krankenversicherung ‑ nachgewiesen werden könne.

13 Im Revisionsfall sei der Auffassung des Finanzamts zu folgen, dass die im Zusammenhang mit der nach der „NanoKnife‑Methode“ durchgeführten Prostataoperation geltend gemachten Kosten in Höhe von 15.000 € mangels Zwangsläufigkeit und fehlender medizinischer Notwendigkeit nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen seien. Die Operationsmethode, für die sich der Revisionswerber entschieden habe, habe den Vorteil der Organerhaltung und damit einer möglichen Verhinderung des Auftretens von Harninkontinenz. Allerdings befinde sich das Verfahren erst in der Erprobungsphase im Rahmen einer international durchgeführten Studie und könne somit nicht als fundiertes, wissenschaftlich anerkanntes Behandlungsverfahren gewertet werden. Einer noch in der Erprobungsphase befindlichen, nicht ausgereiften Operationsmethode mangle es an der Zwangsläufigkeit. Das werde auch dadurch bekräftigt, dass die gesetzliche Krankenversicherung sowohl die Kostenübernahme als auch die teilweise Kostenerstattung ausdrücklich ausgeschlossen habe.

14 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil sich der Verwaltungsgerichtshof zur Frage von alternativen Operationsmethoden bei Krebserkrankungen (im Rahmen der Schulmedizin) noch nicht geäußert habe. Strittig und höchstgerichtlich ungeklärt sei die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen im Zusammenhang mit einer alternativen Operationsmethode in der Erprobungsphase bei Krebserkrankungen.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss vor allem folgende Voraussetzungen erfüllen:

„1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).

2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).

3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).“

18 Die im vorliegenden Fall strittige Voraussetzung der Zwangsläufigkeit ist gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 erfüllt, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Im Streitfall wird eine aus tatsächlichen Gründen, nämlich infolge eines Prostatakarzinoms, das einer ärztlichen Behandlung bedurfte, eingetretene Belastung geltend gemacht.

19 Die Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich bei Krankheitskosten aus der Tatsache der Krankheit. Im Rahmen der Krankenbehandlung ist das Recht auf freie Arztwahl grundsätzlich anzuerkennen (Fuchs in Doralt et al, EStG20, § 34 Tz 78, ABC der außergewöhnlichen Belastungen, Stichwort: Krankheitskosten). Liegen triftige medizinische Gründe vor, sind auch höhere Aufwendungen als die von der Sozialversicherung finanzierten, als zwangsläufig zu beurteilen.

20 Das Bundesfinanzgericht erkannte die im Zusammenhang mit der Behandlung des Karzinoms angefallenen Kosten mit der Begründung nicht als außergewöhnliche Belastung an, dass sich die Operationsmethode, für die sich der Revisionswerber entschieden habe, erst in der Erprobungsphase befinde und somit nicht als fundiertes, wissenschaftlich anerkanntes Behandlungsverfahren gewertet werden könne. Die Aussicht, dass die vom Revisionswerber gewählte Behandlungsmethode ein geringeres Risiko von Nebenwirkung (etwa Inkontinenz) aufweise, sei unbeachtlich, weil bloße Wünsche und Vorstellungen über medizinische Auswirkungen keine ausreichende Grundlage für den Nachweis der Zwangsläufigkeit darstellten. Zudem habe die gesetzliche Krankenversicherung die Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung ausgeschlossen. Dass die gewählte Methode in Bezug auf die Behandlung des Karzinoms weniger erfolgversprechend gewesen wäre, als üblicherweise angewandte Operationstechniken hat das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt.

21 Einer im öffentlichen Krankenhaus von zugelassenen Ärzten vorgenommenen Operation zur Behandlung eines Karzinoms kann nicht deshalb die Zwangsläufigkeit abgesprochen werden, weil sich die Operationsmethode erst im Erprobungsstadium befindet. Dabei können Aussichten auf ein geringeres Risiko von Folgewirkungen der Operation (wie etwa Harninkontinenz) durchaus als triftige medizinische Gründe für eine bestimmte Behandlungsart gelten. Der Umstand, dass die Krankenkasse die Kosten einer in Erprobung befindlichen schulmedizinischen Behandlung nicht übernimmt, spricht nicht gegen die Zwangsläufigkeit.

22 Indem das Bundesfinanzgericht die Zwangsläufigkeit der hier in Rede stehenden Aufwendungen mit der Begründung verneinte, dass sich die Behandlungsmethode, zu der sich der Revisionswerber entschlossen habe, noch in der Erprobungsphase befinde, die Aussicht auf ein geringes Risiko von Nebenwirkungen einer Behandlungsmethode irrelevant sei und die Krankenkasse die Kosten dieser Behandlung nicht übernommen habe, hat es die Rechtslage verkannt, weil die angeführten Umstände nicht gegen die Zwangsläufigkeit sprechen.

23 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

24 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

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