European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020055.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber als gemäß § 9 Abs. 1 VStG strafrechtlich verantwortliches Organ zweier näher genannter Gesellschaften einer Übertretung des § 7 Abs. 1 und 2 BauV iVm § 118 Abs. 3 ASchG iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG und einer Übertretung des § 58 Abs. 3 BauV iVm § 118 Abs. 3 ASchG iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG schuldig erkannt und über ihn Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafen jeweils 22 Stunden) verhängt. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Nach Darstellung des Verfahrensgangs und (wörtlicher) Wiedergabe des Beschwerdevorbringens, in welcher der Revisionswerber umfangreiche Ausführungen zum gegenständlich eingerichteten Kontrollsystem erstattete, stellte das Verwaltungsgericht begründend fest, am 27. März 2019 gegen 11:30 Uhr habe auf einer näher genannten Baustelle eine Überprüfung durch den Arbeitsinspektor H. stattgefunden. Seinerseits sei auf der genannten Baustelle festgestellt worden, dass die dortigen Arbeitnehmer auf der Decke des UG/KG ungesichert gegen Absturz die Schalungsarbeiten durchgeführt hätten. Die Absturzhöhe in die Baugrube (Baustellenrohboden) habe von ca. 3,30 m bis zu ca. 6 m (nach Hanglage) betragen. Die Absturzsicherungen (wie Umwehrungen) seien nicht errichtet gewesen. Ebenso hätten bei der Laufbrücke zwischen dem Baugrubenrand und der Kellerdecke die notwendigen Absturzsicherungen (wie Geländer), obwohl auch hier die Absturzhöhe bis zu 3 m gewesen sei, gefehlt. Weiters hätten auf dem dortigen an der Schalungswand eingehängten Konsolengerüst als Arbeitsgerüst die notwendigen Absturzsicherungen gefehlt. Die Absturzhöhe sei auf die Kellerdecke bis zu ca. 3 m und die dortige Baugrube bis zu ca. 8 m gewesen. Die Absturzsicherungen (wie Umwehrungen) seien nicht errichtet gewesen.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber bestreite nicht, dass der objektive Tatbestand erfüllt sei. Er habe lediglich Ausführungen zur subjektiven Tatseite getätigt. Nach Wiedergabe von näher genannter hg. Judikatur zur Einrichtung von Kontrollsystemen führte das Verwaltungsgericht aus, es wäre am Revisionswerber gelegen, das Vorhandensein eines funktionierenden Kontrollsystems aufzuzeigen. Dass das behauptete Kontrollsystem im gegenständlichen Fall nicht wirksam gewesen sei, ergebe sich daraus, dass weder die Anwesenheit des Poliers noch die des Bauleiters auf der Baustelle, und auch nicht die Bestellung der externen Sicherheitskraft zur Einhaltung einer ordnungsgemäßen Absturzsicherung geführt hätten. Der Revisionswerber habe das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems nicht nachgewiesen. Schließlich begründete das Verwaltungsgericht die Höhe der verhängten Strafe.
4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Der Revisionswerber erachtet die Revision unter anderem als zulässig, weil das Verwaltungsgericht keine Feststellungen zum vorgebrachten und mit Beweisen untermauerten Kontrollsystem getroffen und sich lediglich mit Feststellungen zur objektiven Tatseite begnügt habe. Das Verwaltungsgericht habe den dem Revisionswerber angelasteten Verwaltungsübertretungen insgeheim eine Erfolgshaftung unterstellt, indem es davon ausgegangen sei, wenn der objektive Tatbestand ‑ hier die Nichtanbringung der Absturzsicherung ‑ erfüllt sei, sei zwangsläufig auch die subjektive Tatseite erfüllt. Das Verwaltungsgericht habe es hingegen unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, ob die Angaben des Revisionswerbers, wonach durch die dargelegten Kontrollmechanismen ein wirksames Kontrollsystem vorliege, richtig oder falsch seien. Dadurch weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
8 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt.
9 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Einrichtung von Kontrollsystemen ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit zusammengefasst entscheidend, ob Maßnahmen getroffen wurden, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten lassen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet ist (vgl. VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092; VwGH 20.2.2017, Ra 2017/02/0022, jeweils mwN).
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegen betriebliche Kontrollsysteme, die sich in der Regel nicht gleichen, einer einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. etwa VwGH 12.2.2020, Ra 2020/02/0005, mwN).
11 Ob dies der Fall ist, kann jedoch nur auf Grundlage des fallspezifischen Sachverhalts beantwortet werden.
12 Wie der Revisionswerber zutreffend vorbringt, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen zu den vom Revisionswerber behaupteten Maßnahmen im Sinne eines Kontrollsystems getroffen. Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich damit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof, weil mangels entsprechender Feststellungen nicht nachvollziehbar ist, welche vom Revisionswerber behaupteten Maßnahmen das Verwaltungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt und schließlich als nicht ausreichend erachtet hat. Eine Überprüfung der Rechtsfrage, ob diese Maßnahmen im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem (vgl. dazu erneut VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092) ausreichen würden, war dem Verwaltungsgerichtshof somit nicht möglich (vgl. idS VwGH 19.12.2018, Ra 2018/03/0083; VwGH 20.2.2017, Ra 2017/02/0022; VwGH 9.9.2016, Ra 2016/02/0137).
13 Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht darauf hinzuweisen, dass die Wirksamkeit eines Kontrollsystems nicht allein dadurch verneint werden kann, dass die behaupteten Maßnahmen nicht zur tatsächlichen Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften geführt haben. Vielmehr kommt es nach der hg. Rechtsprechung darauf an, ob Maßnahmen getroffen wurden, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten lassen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet ist (vgl. erneut VwGH 20.2.2017, Ra 2017/02/0022, mwN).
14 Da das angefochtene Erkenntnis den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht gerecht wird, war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
15 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 EMRK wurde durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Genüge getan (vgl. erneut VwGH 20.2.2017, Ra 2017/02/0022).
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz von „ERV‑Kosten“ und von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil der durch die Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand auch diese abdeckt (vgl. VwGH 21.9.2018, Ro 2017/02/0019, mwN).
Wien, am 8. April 2021
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