VwGH Ra 2019/01/0138

VwGHRa 2019/01/013831.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das am 15. Jänner 2019 verkündete und am 2. Februar 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW‑152/065/11145/2018, VGW‑152/065/11147/2018, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. A D, und 2. A D, beide vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter S D in W), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6
ASVG §293
ASVG §293 Abs1
StbG 1985 §10
StbG 1985 §10 Abs1 Z1
StbG 1985 §10 Abs1 Z7
StbG 1985 §10 Abs5
StbG 1985 §10 Abs5 idF 2013/I/136
StbG 1985 §17
StbG 1985 §17 Abs1
StbG 1985 §18
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019010138.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, sohin hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1 Der seit 2002 in Österreich als anerkannter Flüchtling aufhältige Vater der beiden Mitbeteiligten, ein sudanesischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Dezember 2008 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Am 12. Jänner 2011 heiratete er eine sudanesische Staatsangehörige, wobei dieser Ehe u.a. der 2012 im Sudan geborene Erstmitbeteiligte und der 2015 in W geborene Zweitmitbeteiligte entstammen.

2 Beide Mitbeteiligte sind ebenfalls sudanesische Staatsangehörige; ihnen wurde gemäß AsylG 2005 (§ 34) „die Flüchtlingseigenschaft“ zuerkannt. Der Erstmitbeteiligte hatte zunächst im Familienverband seiner Mutter im Sudan gelebt und zog am 26. September 2013 mit dieser nach Österreich.

3 Am 22. Dezember 2015 stellten die beiden Mitbeteiligten bei der Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) Anträge auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach ihrem Vater).

4 Am 1. August 2018 brachten die beiden Mitbeteiligten (und ihr Vater) Säumnisbeschwerde ein, nachdem die gesetzlich vorgesehene Entscheidungsfrist von sechs Monaten gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG abgelaufen war.

Angefochtenes Erkenntnis

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis verlieh das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) dem Vater der beiden Mitbeteiligten die österreichische Staatsbürgerschaft (Spruchpunkt I.) und erstreckte sie mit Wirkung jeweils vom 15. Jänner 2019 auf die beiden Mitbeteiligten (Spruchpunkte II. und [richtig] III.). Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt IV.).

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht zu seiner Zuständigkeit infolge Säumnis der Amtsrevisionswerberin aus, „ein Verschulden der Beschwerdeführer“ an der Verzögerung des Verfahrens könne nicht festgestellt werden, sodass kein sachlicher Grund für diese Verzögerung vorgelegen sei.

7 In der Sache begründete das Verwaltungsgericht die Zuerkennung an den Vater der Mitbeteiligten damit, dass es sich um einen „sog. ‚Altfall‘“ handle, weshalb die Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts nicht zu prüfen sei.

8 Begründend führte das Verwaltungsgericht zur Erstreckung der Staatsbürgerschaft auf die beiden Mitbeteiligten insbesondere Folgendes aus:

„In Bezug auf den 2012 in Sudan geborenen Zweitbeschwerdeführer, für den am 22.12.2015 ein Erstreckungsantrag gestellt wurde, ergab die Lebensunterhaltsberechnung einen Überschuss von 2.724,94 EUR (Beilage ./B). bzw. 2.115,21 EUR (Beilage ./C).

Eine gesonderte Lebensunterhaltsberechnung für den 2015 in W geborenen Drittbeschwerdeführer, für den am 22.12.2015 ein Erstreckungsantrag gestellt wurde, konnte entfallen, da sein Lebensunterhalt schon durch den Bezug von Kinderbetreuungsgeld nach seiner Geburt gesichert war. Überdies war sein Lebensunterhalt de facto als Teil der Haushaltsgemeinschaft ohnehin gesichert (siehe Zweitbeschwerdeführer).“

9 Zu den beiden Mitbeteiligten führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für den Revisionsfall wesentlich u.a. ‑ nach Darstellung näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in rechtlicher Hinsicht aus, es sei für den Durchrechnungszeitraum Dezember 2012 bis September 2013 der Richtsatz für eine Einzelperson anzuwenden bzw. beginne der Durchrechnungszeitraum hinsichtlich des Erstmitbeteiligten erst im November 2013, weil der Erstmitbeteiligte und seine Mutter erst im November 2013 nach Österreich eingereist seien und zuvor kein gemeinsamer Haushalt mit dem Vater bestanden habe. Der Lebensunterhalt des Zweitmitbeteiligten sei durch den Bezug von Kinderbetreuungsgeld seit seiner Geburt gesichert.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision.

11 Die beiden Mitbeteiligten erstatteten keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit der Revision

12 Gegen die Erstreckung der Staatsbürgerschaft auf die beiden Mitbeteiligten (Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Erkenntnisses) ‑ und damit nicht gegen die Verleihung an deren Vater (Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses) ‑ richtet sich die vorliegende Amtsrevision und macht zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG ab.

13 Zudem bringt die Amtsrevision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob und inwiefern sich der Auslandsaufenthalt des Erstmitbeteiligten bzw. die spätere Geburt des Zweitmitbeteiligten auf die Dauer des Durchrechnungszeitraumes auswirken würden.

14 Darüber hinaus trägt die Amtsrevision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle betreffend die Alternativbegründung des Verwaltungsgerichts Rechtsprechung, ob dieser Umstand bei der Art der heranzuziehenden Richtsätze zu berücksichtigen sei. Weiters habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft, ob und in welcher Höhe der Vater der Mitbeteiligten Unterhaltszahlungen an die Mutter der Mitbeteiligten und den Erstmitbeteiligten zu leisten gehabt habe. Es sei zudem aktenwidrig, dass die Miete im gesamten Berechnungszeitraum unter der „freien Station“ gelegen sei.

15 Zudem habe das Verwaltungsgericht gegen die Begründungspflicht verstoßen, weil es keine Feststellungen zu den herangezogenen Richtsätzen, zu dem zu berücksichtigenden Einkommen und zu den das Einkommen schmälernden Aufwendungen getroffen habe. Die angefügte Tabelle könne geeignete Feststellungen nicht ersetzen.

16 Die Amtsrevision ist bereits im Hinblick auf das Vorbringen zur Verkürzung der Dauer des Durchrechnungszeitraumes nach § 10 Abs. 5 erster Satz StbG in einem Erstreckungsverfahren zulässig und begründet.

17 Die Amtsrevision macht zurecht geltend, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehlt, ob und wie es sich auf den Durchrechnungszeitraum nach § 10 Abs. 5 erster Satz StbG auswirkt, wenn sich ein Erstreckungswerber noch keine 36 Monate im Inland aufgehalten hat oder auf der Welt gewesen ist, und welche Richtsätze in diesem Fall heranzuziehen sind, zumal im Fall der Erstreckung der Staatsbürgerschaft die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG (mindestens zehnjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt) nicht erfüllt werden muss.

Rechtslage

18 § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, in der vorliegend anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:

Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

[...]

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und

[...]

(5) Der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.“

19 § 17 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, in der vorliegend anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:

§ 17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen der §§ 10 Abs. 1 Z 2 bis 8, Abs. 2 und 3 sowie 16 Abs. 1 Z 2 auf die Kinder des Fremden, sofern die Kinder minderjährig, ledig und nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach §§ 32 und 33 Fremde sind, zu erstrecken, wenn

...

2. dem Vater gemäß § 144 Abs. 1 ABGB die Staatsbürgerschaft verliehen wird.

[...].“

20 Die Erstreckung der Verleihung darf zufolge § 18 StbG nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden. Daher sind Erstreckungs‑ und Verleihungsverfahren unter einem zu führen. Diese zwingende Verfahrensverbindung ändert aber nichts daran, dass bei allen Verleihungs‑ und Erstreckungswerbern die Voraussetzungen jeweils gesondert zu prüfen sind. Das ändert weiters nichts daran, dass die betreffenden Personen je für sich einer Beurteilung zu unterziehen sind und dass eine pauschale familienbezogene Betrachtung mit dem Gesetz nicht im Einklang steht. Ferner ist nach dem Vorgesagten für die Erstreckung der Verleihung eine „doppelte“ Prüfung der Verleihungsvoraussetzungen (für den Verleihungs- und für den Erstreckungswerber) erforderlich (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0122, mwN). Davon ausgehend sind Bescheide über die Verleihung und Erstreckung selbständige Bescheide, die nur insofern in einem Zusammenhang stehen, als die Rechtmäßigkeit der Erstreckung eine gleichzeitige Verleihung voraussetzt (vgl. VwGH 19.9.2012, 2010/01/0041; 24.4.2013, 2011/01/0248).

21 Bei der Erstreckung der Verleihung nach § 17 StbG handelt es sich im Grunde um einen Verleihungstatbestand, wobei es ausreicht, dass der Erstreckungsantrag vor Erlassung des Verleihungsbescheides gestellt wird (vgl. erneut VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0122, u.a. unter Verweis auf Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II [1990], 246).

22 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG müssen unter dem Blickwinkel des damit verfolgten Zwecks gesehen werden, nämlich die Staatsbürgerschaft nur an Fremde zu verleihen, die ihren Lebensunterhalt in Österreich durch entsprechendes Einkommen (oder gleichzusetzende Leistungen) ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften hinreichend gesichert haben. Diese gesetzlichen Voraussetzungen müssen objektiv erfüllt sein (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085, mwN).

23 Mit der Adaptierung des Durchrechnungszeitraums durch die Novelle BGBl. I Nr. 136/2013 für den Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts auf den Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt wird ‑ ausweislich der Gesetzesmaterialien ‑ klargestellt, dass die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können, wobei die letzten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt jedenfalls vom Fremden geltend zu machen sind. Darüber hinaus wird verdeutlicht, dass die eigenen Einkünfte des Fremden ihm lediglich in den 36 geltend gemachten Monaten eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu ermöglichen haben. Ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre steht somit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG nicht entgegen. Vielmehr ist der Lebensunterhalt des Fremden dann gemäß § 10 Abs. 5 StbG hinreichend gesichert, wenn in der geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre vor Antragstellung sein Einkommen durchgehend dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre vor Antragstellung erreicht hat, ohne dass dabei Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften in Anspruch genommen wurden (vgl. wiederum VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und die Gesetzesmaterialien).

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Ziel der Regelung des § 10 Abs. 5 StbG festgehalten, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellen soll, zu der nach der Wertung des Gesetzgebers auch gehört, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann. Daher erfordert die Annahme eines „hinreichend gesicherten Lebensunterhalts“ eine Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung. Berücksichtigt man dieses Ziel der Regelung, so werden nur jene Einkünfte nach § 10 Abs. 5 StbG heranzuziehen sein, welche die Prognose erlauben, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen auch künftig ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann (vgl. VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010, mwN).

25 Zur Vermeidung einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 5 StbG die Höhe der nachzuweisenden Einkünfte an die Richtsätze des § 293 ASVG angeknüpft. Es entspricht dem Gesetz, bei einem gemeinsamen Haushalt unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltseinkommen den „Haushaltsrichtsatz“ nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht (vgl. VwGH 3.9.2018, Ro 2017/01/0004, mwN). Bei Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes ‑ in den letzten drei Jahren vor Antragstellung ‑ ist somit unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltseinkommen den Durchschnitt des „Haushaltsrichtsatzes“ nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht. Ehegatten und minderjährige Kinder, die Unterhaltsansprüche gegen einen Verleihungswerber haben, sind bei Ermittlung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts nur dann zu berücksichtigen, wenn sie mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben (vgl. erneut VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0127, mwN).

26 Im Fall von minderjährigen und gegenüber ihren Eltern unterhaltsberechtigten Verleihungswerbern ohne eigenes Einkommen ist für die Beurteilung des auch für Minderjährige geltenden Erfordernisses des gesicherten Lebensunterhaltes jener der unterhaltspflichtigen Eltern als Haushaltseinkommen heranzuziehen (vgl. wiederum VwGH 3.9.2018, Ro 2017/01/0004, mwN).

27 Im Revisionsfall ist ausgehend von diesen Grundsätzen fraglich, ob von dem Erfordernis, dass der Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt für die Ermittlung des Haushaltseinkommens heranzuziehen ist, in Fällen abgegangen werden darf, in denen sich der Erstreckungswerber erst kürzer in Österreich aufhält und/oder erst nach diesem Zeitraum geboren wurde.

28 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im öffentlichen Recht bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlauts in seinem Zusammenhang. Daher ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen. Die Bindung der Verwaltung an das Gesetz nach Art. 18 B‑VG bewirkt einen Vorrang des Gesetzeswortlautes aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Legitimation der Norm (vgl. zu allem VwGH 30.9.2020, Ro 2020/01/0013, mwN). Können allerdings auf Grund des eindeutigen und klaren Wortlautes einer Vorschrift Zweifel über den Inhalt der Regelung nicht aufkommen, dann ist eine Untersuchung, ob nicht etwa eine andere Auslegungsmethode einen anderen Inhalt ergeben würde, nicht möglich (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 18.6.2020, Ro 2020/01/0006, mwN).

29 Angesichts des klaren Wortlautes von § 10 Abs. 5 erster Satz StbG, auf den § 17 Abs. 1 StbG (u.a.) für Erstreckungswerber verweist, besteht keine Grundlage dafür, diesen Durchrechnungszeitraum von 36 Monaten für die Ermittlung des Haushaltseinkommens für minderjährige Erstreckungswerber durch einschränkende Interpretation zu verkürzen, auch wenn bei der Erstreckung der Staatsbürgerschaft keine Mindestaufenthaltsdauer vorausgesetzt wird (§ 10 Abs. 1 Z1 iVm § 17 Abs. 1 StbG):

30 Für diese Auslegung spricht auch das in der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angeführte Ziel der Regelung des § 10 Abs. 5 StbG. Zu diesem hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellen soll, zu der nach der Wertung des Gesetzgebers auch gehört, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann. Daher erfordert die Annahme eines „hinreichend gesicherten Lebensunterhalts“ eine Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung (vgl. VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010, mwN). Diese Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung wird durch die Einhaltung des in § 10 Abs. 5 StbG vorgeschriebenen Durchrechnungszeitraums sichergestellt.

Zwar hat der Gesetzgeber das Regelungsziel des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG relativiert, indem die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können und dass ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts nicht entgegen steht. Jedoch lässt der Gesetzgeber nicht erkennen, dass er vom grundsätzlichen Regelungsziel des § 10 Abs. 5 StbG abgehen wollte. Vielmehr wird nach wie vor gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG eine Prognose vorzunehmen sein, ob der Verleihungswerber sein Fortkommen auch künftig ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann. Eine solche Prognose wird nur dann verlässlich sein, wenn sie eine wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen erlaubt (vgl. zu allem VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010, mwN). Eine derartig verlässliche Prognose wird (auch) durch den in § 10 Abs. 5 StbG vorgeschriebenen Durchrechnungszeitraum ermöglicht.

31 Nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im Fall von minderjährigen und gegenüber ihren Eltern unterhaltsberechtigten Verleihungswerbern ohne eigenes Einkommen für die Beurteilung des auch für Minderjährige geltenden Erfordernisses des gesicherten Lebensunterhalts jener der unterhaltspflichtigen Eltern als Haushaltseinkommen heranzuziehen.

Fallbezogene Beurteilung

32 § 10 Abs. 5 StbG spricht von Unterhaltszahlungen an Dritte, nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen, was u.a. auch die Mutter der beiden Mitbeteiligten erfasst, solange sie mit dem Erstmitbeteiligten im Familienverband im Sudan lebte.

33 Im vorliegenden Fall wählte das Verwaltungsgericht ohne gesetzliche Grundlage die für die beiden minderjährigen Mitbeteiligten jeweils vorteilhafteste Berechnungsmethode, indem es ‑ entgegen der hg. Rechtsprechung, wonach bei unterhaltspflichtigen Eltern auch bei Erstreckungsanträgen das jeweilige Haushaltseinkommen maßgeblich ist ‑ den Richtsatz für Einzelpersonen heranzog, weil kein gemeinsamer Haushalt mit dem Erstmitbeteiligten und dessen Mutter bestanden habe.

Ergebnis

34 Das Verwaltungsgericht ist aus den genannten Gründen von den gesetzlichen Voraussetzungen und von den vom Verwaltungsgerichtshof dazu aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätzen für den Durchrechnungszeitraum für die Ermittlung des Haushaltseinkommens abgewichen und hat damit seinen Anwendungsspielraum überschritten.

35 Das Verwaltungsgericht hat somit das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Es war daher hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

Wien, am 31. Mai 2021

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