VwGH Ra 2020/19/0081

VwGHRa 2020/19/00817.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S A, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2019, Zl. L512 2176992‑1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190081.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadi, stellte am 18. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, auf Grund seiner Religion diskriminiert und misshandelt worden zu sein.

2 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Mit Beschluss vom 21. Jänner 2020, E 4672/2019, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 In der Folge erhob der Revisionswerber die gegenständliche außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Zudem weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gruppenverfolgung, zum subsidiären Schutz, zur Prüfung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative sowie zum Schutz des Privat- und Familienlebens ab.

8 Als Rechtsinstanz ist der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0292, mwN). Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0506, mwN).

9 Der Revision gelingt es weder aufzuzeigen, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, noch vermag sie darzulegen, weshalb die behaupteten Mängel zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätten.

Das BVwG stützte seine Beweiswürdigung im vorliegenden Fall auf den persönlichen Eindruck des Revisionswerbers in der durchgeführten mündlichen Verhandlung und erachtete das erstattete Vorbringen auf Grund teilweise fehlender Plausibilität sowie zeitlicher und inhaltlicher Widersprüche als nicht glaubwürdig. Die Revision, die sich lediglich gegen einzelne beweiswürdigende Erwägungen des BVwG wendet, zeigt nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG insgesamt als unvertretbar zu werten wäre bzw. sich die weiteren Erwägungen als nicht tragfähig erweisen würden.

10 Entgegen dem Revisionsvorbringen verkennt das BVwG auch nicht die schwierige Situation von Ahmadis in Pakistan. Zum Vorbringen einer möglichen Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan ist darauf zu verweisen, dass sich das BVwG mit den herangezogenen Berichten zur Lage der Ahmadis auseinandergesetzt und darauf basierend das Vorliegen einer Gruppenverfolgung verneint hat. Dieser Annahme ist vor dem Hintergrund der eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegenzutreten (vgl. dazu bereits VwGH 22.5.2018, Ra 2018/18/0220; 2.8.2018, Ra 2018/19/0396; 11.2.2020, Ra 2020/20/0032 und 0033).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzes eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. neuerlich VwGH Ra 2020/20/0032 und 0033, mwN).

12 Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es ‑ wie schon dargelegt ‑ nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109, mwN).

13 Im vorliegenden Fall wird durch die Revision mit dem bloßen Zitieren von Länderberichten, die auch im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes Berücksichtigung gefunden haben, nicht aufgezeigt, dass das BVwG bei seiner der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes zugrunde liegenden Beurteilung die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien missachtet hätte und dass sie unvertretbar erfolgt wäre.

14 Mit dem Vorbringen zur mangelnden Begründung der vom BVwG als Alternativbegründung herangezogenen innerstaatlichen Fluchtalternative wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan, weil diese Alternativbegründung nicht zum Tragen kommt und das rechtliche Schicksal der Revision somit nicht von der Lösung dieser Frage abhängen kann (vgl. in diesem Sinn VwGH 22.5.2018, Ra 2018/18/0220, mwN).

15 Soweit sich die Revision unter Hinweis auf die bestehende Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsangehörigen schließlich gegen die Abwägung nach Art. 8 EMRK richtet, ist sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0543, mwN).

16 Das BVwG nahm im gegenständlichen Fall eine solche Abwägung vor und kam in vertretbarer Weise zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung jene des Revisionswerbers am Verbleib im Inland überwiegen würden. Der Revision gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass das BVwG bei dieser Beurteilung in unvertretbarer Weise von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre.

17 Wenn die Revision schließlich unter Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, rügt, das BVwG habe in Abweichung von der dortigen Rechtsprechung nicht geprüft, ob es der Lebensgefährtin des Revisionswerbers möglich und zumutbar sei, das gemeinsame Familienleben in Pakistan fortzusetzen, genügt der Hinweis, dass die zitierte Entscheidung den Fall eines verheirateten Revisionswerbers mit zwei Stiefkindern betraf und schon insofern kein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 7. Mai 2020

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