Normen
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180090.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste Anfang des Jahres 2016 gemeinsam mit seinen Eltern, seinen drei zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Geschwistern sowie einem volljährigen Bruder in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, in Afghanistan für die Polizei gearbeitet zu haben und deshalb von Unbekannten entführt worden zu sein. Zudem gab er an, im Iran aufgewachsen zu sein.
2 Mit Bescheid vom 13. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft. Hinsichtlich subsidiären Schutzes erwog es, dass dem Revisionswerber zwar eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kabul aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich sei, es sei ihm jedoch möglich und zumutbar, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif in Anspruch zu nehmen. Der Revisionswerber sei ein junger, gesunder Mann, der im afghanischen Familienverband aufgewachsen sei, die Landessprache beherrsche und über Berufserfahrung als Bauer und selbstständiger Händler verfüge. Zudem sei er im Erwachsenenalter bereits einmal nach Afghanistan zurückgekehrt und dort dazu in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber im Falle einer Ansiedlung in den genannten Städten in eine ausweglose Lebenssituation geraten und reale Gefahr laufe, eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu erleiden. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA‑VG durch und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
5 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich sowohl gegen dieses Erkenntnis, als auch gegen die Erkenntnisse des BVwG, mit denen die Anträge der mit dem Revisionswerber eingereisten Familienmitglieder auf internationalen Schutz ‑ im Beschwerdeverfahren ‑ zur Gänze abgewiesen wurden (zum Revisionsverfahren der Eltern und der zum Antragszeitpunkt minderjährigen Geschwister des Revisionswerbers vgl. Ra 2020/18/0092 bis 0096; zum Revisionsverfahren des volljährigen Bruders des Revisionswerbers vgl. Ra 2020/18/0083). Zur Zulässigkeit wird zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe verkannt, dass die Familie des Revisionswerbers die letzten zwei Jahrzehnte im Iran verbracht habe. Dem Revisionswerber und seiner Familie hätte subsidiärer Schutz zuerkannt werden müssen, weil diese kein soziales Netzwerk in Afghanistan hätten und Gefahr liefen, in eine ausweglose Lage zu geraten. Zudem habe das BVwG die hervorragende Integration des Revisionswerbers und seiner Familie nicht ausreichend berücksichtigt.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Vorweg wird darauf hingewiesen, dass der Revisionswerber bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig war und seine Situation daher grundsätzlich unabhängig von jener seiner mit ihm eingereisten Familie zu beurteilen ist (vgl. etwa VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 21.4.2020, Ra 2019/18/0266, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).
12 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten hat, hindert allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).
13 Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar‑e Sharif und Herat und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Demnach sei der junge, gesunde und erwerbsfähige Revisionswerber, der die Landessprache beherrsche und über Berufserfahrung als Bauer und selbstständiger Händler verfüge, im Erwachsenenalter bereits einmal nach Afghanistan zurückgekehrt und auch dabei in der Lage gewesen, sich entsprechende Ortskenntnisse zu verschaffen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es könne daher im Einklang mit den in den aktuellen UNHCR‑Richtlinien sowie den EASO Country Guidance Notes aufgestellten Kriterien davon ausgegangen werden, dass es ihm zumutbar sei, sich erneut einen Wohnraum zu suchen und ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
14 Die Revision vermag mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht darzutun, dass das BVwG mit dieser Beurteilung von der oben genannten Rechtsprechung abgewichen wäre.
15 Sofern die Revision die vom BVwG nach Art. 8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung moniert und dazu die ehrenamtliche Tätigkeit des Revisionswerbers ins Treffen führt, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie, wie vorliegend der Fall, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2020/18/0136, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Interessenabwägung, in deren Rahmen ohnehin auf die von der Revision ins Treffen geführten Umstände Bedacht genommen wurde, ist nicht zu erkennen.
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 22. Juli 2020
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