VwGH Ra 2020/14/0169

VwGHRa 2020/14/016915.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Taner Önal, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7B, 1. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Jänner 2020, W216 2192362‑1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140169.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst mit einer schlechten Sicherheitslage in Afghanistan sowie einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründete. Überdies gab er später an, er habe sich vom Islam abgewendet.

2 Mit Bescheid vom 5. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2020, E 551/2020‑6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende Revision ein.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in Bezug auf die vorgebrachte Abkehr des Revisionswerbers vom Islam in unvertretbarer Weise vorgenommen. Eine Verfolgung aus religiösen Gründen könne auch dann vorliegen, wenn sich eine Person durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen zu ihrer Konfessionslosigkeit bekenne. Für den Vorwurf der Apostasie sei nicht zwingend der formelle Übertritt zu einer anderen Religion erforderlich. Das Bundesverwaltungsgericht gehe abweichend von der Judikatur und einschlägigen Länderberichten davon aus, dass der Revisionswerber mangels Hinwendung zum Christentum im Herkunftsstaat nicht in das Blickfeld der Behörden, der Bevölkerung und regierungsfeindlicher Personen geraten würde.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 10.3.2020, Ra 2020/14/0041, mwN).

11 Das Bundesverwaltungsgericht befasste sich im vorliegenden Fall ‑ nach Durchführung einer Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte ‑ mit der Frage, ob dieser aufgrund seiner religiösen Einstellung einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt wäre. Der Revisionswerber sei gegenwärtig nicht religiös interessiert. Er habe zwar seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft erklärt, trete jedoch weder religionsfeindlich oder spezifisch gegen den Islam auf, noch habe er sich einer anderen (neuen) religiösen Überzeugung aktiv zugewendet. Ausgehend davon und anhand der Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers, welchen im Zulässigkeitsvorbringen nicht substantiiert entgegen getreten wird, kam das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Feststellungen zur Lebensführung zum Ergebnis, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, die mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes drohe (vgl. dazu VwGH 24.6.2019, Ra 2019/20/0101, mwN). Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beweiswürdigung und die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfolgungsgefahr fallbezogen unvertretbar wären.

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe eine mangelhafte Abwägung der in § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) vorgesehen Kriterien vorgenommen. Der Revisionswerber habe einen aktuellen Dienstvorvertrag, dem im Unterschied zur formlosen Beschäftigungszusage eine verbindliche Wirkung zukomme, in Vorlage gebracht, weshalb von der wirtschaftlichen Integration des Revisionswerbers auszugehen sei. Darüber hinaus wären die Dauer des Asylverfahrens von fast viereinhalb Jahren und die Beziehungen des Revisionswerbers zu seiner „Patenfamilie“ verstärkt in die Abwägung einzubeziehen gewesen.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0001, mwN).

Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.2.2020, Ra 2020/14/0025, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen seiner ausführlich begründeten Interessenabwägung sämtliche von der Revision angesprochenen Umstände, darunter auch den etwa vierjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet und sein Bemühen, seine soziale und berufliche Integration voranzutreiben. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seinen im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Zutreffend hat das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026, mwN).

15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. Mai 2020

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