VwGH Ra 2019/22/0021

VwGHRa 2019/22/002117.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revisionen

1. des Landeshauptmannes von Steiermark (protokolliert zu Ra 2019/22/0021) und 2. des K N, vertreten durch Mag. Michael Medwed und Mag. Johann Sparowitz, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Adolf Kolpinggasse 2 (protokolliert zu Ra 2019/22/0022), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 13. November 2018, LVwG 40.7-2332/2018-2, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs8
AVG §66 Abs4
NAG 2005 §46
NAG 2005 §47
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220021.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Zweitrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark (Behörde, Erstrevisionswerber) vom 22. Mai 2018 wurde der bei der Österreichischen Botschaft Nairobi gestellte Antrag des Zweitrevisionswerbers (Antragstellers), eines Staatsangehörigen der Demokratischen Republik Kongo, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Adoptivmutter, einer Staatsangehörigen von Angola, mit Hinweis auf § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen, weil die Behörde die Adoption als ungültig beurteilte und somit eine Familienangehörigeneigenschaft zwischen dem Zweitrevisionswerber und seiner Adoptivmutter verneinte.

2 Dagegen erhob der Zweitrevisionswerber Beschwerde und stellte den Antrag, dass ihm "der beantragte Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger' gemäß § 47 Abs 2 NAG erteilt wird". In weiterer Folge wurde zudem ein Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist gestellt.

3 Mit Beschluss vom 13. November 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt, leitete den in der Beschwerde gestellten "Antrag auf Abänderung des ursprünglichen Aufenthaltstitels in ‚Familienangehöriger' gemäß § 47 Abs 2 NAG" gemäß § 6 AVG an die Behörde weiter und stellte mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gleichen Tag gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG "das gegenständliche Verfahren infolge konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages vom 20.11.2017" ein. Eine Revision wurde sowohl hinsichtlich des Beschlusses als auch des Erkenntnisses für unzulässig erklärt.

Begründend führte das LVwG hinsichtlich des angefochtenen Erkenntnisses - der Beschluss wurde in beiden Revisionen nicht angefochten - aus, der Zweitrevisionswerber habe in seiner Beschwerde seinen ursprünglichen Antrag auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" explizit auf "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG geändert. Daher sei der ursprüngliche Antrag als konkludent zurückgezogen anzusehen, das Verwaltungsverfahren sei infolge dessen einzustellen und der geänderte Antrag der Behörde zur Durchführung eines neuerlichen Verfahrens zu übermitteln. 4 Dagegen richten sich einerseits die Amtsrevision der Behörde und andererseits die Revision des Antragstellers.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Revisionen aufgrund ihres sachlichen und inhaltlichen Zusammenhanges gemeinsam beraten und erwogen:

5 Beide Revisionen rügen in ihren Zulässigkeitsbegründungen ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung insofern, als das LVwG unter der Annahme einer (wesentlichen) Antragsänderung in der Beschwerde den Bescheid der Behörde vom 22. Mai 2018 beheben hätte müssen. Die Amtsrevision zieht darüber hinaus in Zweifel, ob tatsächlich eine (wesentliche) Antragsänderung erfolgt sei; das LVwG hätte gemäß § 23 NAG vorgehen müssen.

6 Die Revisionen sind im Hinblick auf die unterlassene Behebung des Bescheides vom 22. Mai 2018 zulässig und auch berechtigt.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine wesentliche Antragsänderung (die also das "Wesen" der Sache betrifft) als Stellung eines neuen Antrages unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrages zu werten. Erfolgt eine solche Änderung während des Rechtsmittelverfahrens, bewirkt die (konkludente) Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrages den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit nachträglich dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht ist somit angehalten, den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben (vgl. VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0016; 12.9.2016, Ra 2014/04/0037; 25.10.2017, Ra 2017/07/0073, jeweils mwN).

8 Das LVwG wich somit - wie die Revisionen zutreffend aufzeigen - von der hg. Rechtsprechung ab, weshalb das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

9 Ergänzend wird zu dem vom Erstrevisionswerber formulierten Zweifel, ob tatsächlich eine (wesentliche) Antragsänderung erfolgt sei, Folgendes ausgeführt:

Dem Erstrevisionswerber ist zwar zuzustimmen, dass eine Antragsänderung von "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 NAG auf "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG unschlüssig ist, weil die Adoptivmutter den Verfahrensakten und auch den Ausführungen des Zweitrevisionswerbers zufolge nicht Österreicherin, EWR-Bürgerin oder Schweizer Bürgerin und somit nicht Zusammenführende iSd § 47 NAG ist. Die Auffassung des LVwG, mit der Beschwerde sei eine Antragsänderung und eine konkludente Zurückziehung des ursprünglichen Antrags erfolgt, ist nicht als unvertretbar anzusehen (vgl. zur einzelfallbezogenen Auslegung von Parteienerklärungen etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2019/04/0019, Rn. 18), zumal der Zweitrevisionswerber die Richtigkeit dieser Auffassung in seiner Revision anerkennt.

Der Verwaltungsgerichtshof äußerte sich in seinem Erkenntnis vom 31. Jänner 2019, Ra 2018/22/0086, Pkt. 6 ff, ausführlich zu den Grenzen einer zulässigen Änderung eines verfahrenseinleitenden Antrages im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Demnach wird die "Sache" des behördlichen Verfahrens, weil sie durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift bestimmt wird, jedenfalls durch Antragsänderungen verlassen, welche die Anwendbarkeit einer anderen Norm zur Folge haben. Der Umstand, dass eine Antragsänderung im Verfahren vor der Behörde allenfalls zulässig wäre, führt nicht dazu, dass ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 47 NAG im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen einen Bescheid, mit dem einzig ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 46 NAG abgewiesen worden war, innerhalb der Sache dieses Beschwerdeverfahrens liegt. Das LVwG ging somit zutreffend davon aus, dass es zur Entscheidung über einen Antrag gemäß § 47 NAG nicht zuständig war. Angesichts dessen kam eine Verpflichtung des LVwG, gemäß § 23 NAG vorzugehen, mangels Zuständigkeit im Verfahren gemäß § 47 NAG nicht in Frage.

10 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 17. Juni 2019

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